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"Die Inflation ist da!"

Ein kurzer Durchgang durch aktuelle Verlautbarungen zu einem wiederkehrenden Vorgang, der fĂĽr Normalverbraucher eine Misere mit System ist. (Teil 1)

Wenn sich ein Containerschiff im Suezkanal verhakt und einen Rückstau verursacht, wenn in Shanghai ein virusbedingter Lockdown die Produktions- und Ladearbeiten unterbricht, wenn in der Aufholphase nach Corona nicht jeder Konkurrent schnell genug an Vorprodukte und Manpower kommt oder wenn die Sanktionen gegen Russland die gewohnte Verfügung über dessen Rohstoffe beeinträchtigen, dann ist für den Sachverstand von Laien und Experten eines glasklar: Betroffene Waren und Dienste werden vielleicht knapp und deshalb mit Sicherheit teurer.

Denn preisliches Stillhalten, bis der Mangel behoben ist, widerspräche dem gesunden wirtschaftlichen Wettbewerb. Konsumenten wie Produzenten müssen also mit steigender Teuerung rechnen – mit der je nach Höhe und Dauer "auf einmal" eine Inflation "da" ist.

Kein "Gespenst"

Die derzeitige unterliegt zwar der besonderen Deutung, die sich keiner Theorie, sondern einem Feindbild verdankt, wonach ein Großteil des Preisauftriebs als "Putin’s price hike" (Joe Biden [1]) auf einen eindeutig Schuldigen zurückzuführen sei. Normalerweise aber sehen die gängigen Erklärungen der Inflation im Ausgangspunkt von handelnden Subjekten ab.

Entweder kommt sie nach der Art eines Naturgeschehens [2]: "Ist eine galoppierende Inflation erst mal da, müssen die Zentralbanken rasch auf die Bremse treten" oder als eine sich tautologisch erfüllende Prognose [3]: "Die Inflation entsteht im Kopf, und sie wird dann gefährlich, wenn sich die Erwartungen zur Preisentwicklung plötzlich verselbständigen".

Auch die Bezeichnungen der Inflation als "Gespenst" (FAZ) oder "Monster" (ver.di) liegen auf dieser Linie. Akteure, bevorzugt als Versager, kommen da ins Spiel, wo es um den Anspruch geht, diese Gespenster zu vertreiben.

Dabei ist bei den Preissteigerungen, die sich längst einstellen, bevor die fraglichen Waren tatsächlich physisch knapp werden, die Urheberschaft eigentlich nicht zu übersehen. Die ist kein irgendwie gearteter Automatismus, sondern liegt bei den mächtigen Kapitaleignern am Markt, die Tauschwerte beschaffen oder produzieren, auf deren Gebrauchswert andere Marktteilnehmer angewiesen sind. Als Konsumenten zahlen dieselben dafür einen Preis, in dem ein Gewinn steckt, der für die Produzenten und Händler im Grundsatz nicht groß genug ausfallen kann.

Wo es also die Konkurrenzlage oder bereits die Spekulation auf den Ausgang derselben erlaubt, schrauben sie ihre Warenpreise hoch und versuchen, die Erhöhungen untereinander in Richtung Endabnehmer abzuwälzen.

Wenn das gelingt, bleibt der tatsächliche Schaden der Teuerung dort hängen, wo man als Normalverbraucher die Mehrkosten nicht weiterreichen kann oder kompensiert bekommt und die neuen Preise entweder nur auf Pump, unter Verzicht auf anderes oder nicht mehr bezahlen kann. Was die besagte Konkurrenzlage hier hergibt, wissen die marktwirtschaftlichen Preistreiber erst nach erfolgtem Versuch, der zudem auf Bedingungen beruht, die sie theoretisch und praktisch nichts angehen.

Gegebenenfalls müssen sie ihr Preisniveau auch wieder senken. Sie verfolgen jedenfalls ein ökonomisches Prinzip, das seinen Befürwortern derart einleuchtet, dass sie es für die einzig vernünftige Weise halten, eine Gesellschaft mit den Gütern für Bedarf und Genuss zu versorgen. Dass dabei massenhaft Leute auch ohne Geldentwertung regelmäßig zu kurz kommen – und deshalb mit ihr besonders –, scheint in die Kosten dieser seltsamen "Güterversorgung" eingepreist zu sein.

Die Auffassung, ein knapperes Gut werde automatisch teurer und die Inflation sei insofern eine subjektlose Störung, "verständlich" und "unnötig" zugleich, passt genau dazu. Passend sind auch, dies ein Vorgriff auf das Folgende, bornierte Kritiken an der EZB, wie sie ein ehemaliger Chefvolkswirt der Deutschen Bank und ein liberaler Durchblicker in der Bildzeitung dem Volk vortragen dürfen [4]:

"Lagarde hat die vergangenen Jahre in einer Märchenwelt verbracht", so Ökonom Thomas Mayer, "statt sich um die steigende Inflation zu kümmern. … Lagarde ist Juristin, es fehlt ihr an ökonomischem Sachverstand." FDP-Finanzexperte Frank Schäffler fordert sogar den Rücktritt der EZB-Chefin: "Frau Lagarde ist in ihrem Job überfordert."

Andere Koryphäen wissen heute genau, dass die EZB "viel zu wenig" und "viel zu spät" gehandelt habe, um "unsere Euros" zu schützen. Glauben sie denn allen Ernstes, in der Anarchie der marktwirtschaftlichen Produktionsweise lie��e sich ausgerechnet der Geldwert planwirtschaftlich regeln? Wenigstens mit dem richtigen Masterstudium?

Beispiel Bauholz

Ein Beispiel der marktkonformen "Rationalität" liefert [5] das Manager Magazin am Fall des Gebrauchswerts Holz:

Das Frühjahr 2021 hat manchem Häuslebauer auch in Deutschland schlaflose Nächte beschert: (Der Preis für Bauholz) … hat sich zwischen November und Mai … mehr als verdreifacht. Anlass für den Preisschub war der Immobilienboom in den USA, wo Häuser meist in Holzständerbauweise gebaut werden. (Mit der Folge), dass auch europäische Sägewerke am Anschlag arbeiteten, um das Holz dann über den Atlantik zu verschiffen.

Der Baustoff wanderte also zielgerichtet dahin, wo sich seine Verkäufer den höchsten Gewinn versprachen – ein Vorgang, der normalerweise als marktwirtschaftliche "Allokationsfunktion" belobigt wird.

Da diese allerdings ziemlich schlafraubend ausfiel, traf es sich, dass sie von einem weiteren löblichen "Ergebnis eines effektiv funktionierenden Marktes" abgelöst wurde: "Nach dem halbjährigen Boom ist der Holzpreis nun wieder krachend eingebrochen – seit dem Rekordhoch Mitte Mai 2021 ist Holz binnen acht Wochen wieder um rund 70 Prozent billiger geworden." Grund: "Während Sägewerke in USA, Kanada und Europa … Sonderschichten fuhren und dadurch das Angebot stark ausweiteten, haben viele Häuslebauer angesichts der horrenden Preise ihre Bauprojekte erst einmal verschoben."

Die Bauherrn blieben also länger als geplant in der alten Bleibe, die Schichtarbeiter bezogen kürzer als gedacht ihre Zuschläge und den armen Sägewerken entging ihr Extraprofit. "Einige Produzenten hatten … sogar Mühe, ihre Produktionskosten wieder einzuspielen", was für die Lohnkosten nach Marktlogik nicht folgenlos bleiben kann.

Die weitere Preisentwicklung hing nun dem Vernehmen nach davon ab, ob die Hausbauer "angesichts der stark gesunkenen Preise sofort wieder zugreifen" oder ob sie umgekehrt "mit dem Einkauf weiter abwarten". Beides offenbar vernünftige Wege, auf denen die unsichtbare Hand des Marktes den Verbraucher in die eigenen vier Wände geleitet.

Falls nicht wieder schlaflose Nächte anstehen, für die das Lob des "funktionierenden Marktes", das vom Juli 2021 datiert, aber nichts kann. Bis März des Folgejahres stiegen die Preise nämlich wieder fast auf Rekordhoch, um bis heute erneut zu fallen. Dafür betrifft der Preisauftrieb jetzt die kohlenwasserstoff-basierten Baumaterialien. Der Markt hat eben stets damit zu tun, das Angebot mit der Nachfrage zu versöhnen oder umgekehrt.

Dabei kann es wie im Fall der Spargelernte freilich passieren, dass die gute Ware zum Schaden der Erzeuger und Normalverbraucher auf dem Feld verdirbt, weil Letztere der allgemeinen Teuerung wegen auf billigeres Gemüse ausweichen. Und Verschenken widerspräche wiederum dem ökonomischen Prinzip.

Im Fall der Weizenpreise [6] hatte dieses die schöne Konsequenz, dass die Angebotspreise auf den Terminbörsen gelegentlich des Kriegsbeginns in der Ukraine der afrikanischen Nachfrage davonliefen, ohne dass sich an der damals vorhandenen Getreidemenge etwas geändert hätte.

Ungerührt von dieser inflationären Spekulation auf Extragewinn können deutsche oder amerikanische Minister und Diplomaten nun verkünden, dass Putin nun auch eine Hungerkrise auf dem Gewissen habe.

Geld- und Warenberge

Zum Grund der Inflation, der ihre praktizierenden Urheber nicht interessieren muss, gibt die Volkswirtschaftslehre auch aktuell diese Auskunft [7]:

In der Wirtschaftstheorie besteht immer dann Inflationsgefahr, wenn die Menge an Geld, die den Menschen zur VerfĂĽgung steht, schneller steigt als die produzierte GĂĽtermenge. Die Nachfrage kann nicht befriedigt werden, steigende Preise sind die Folge.

Zunächst sei nur erwähnt, dass es "Menschen" gibt, deren Geldmenge sich derart mehrt, dass sich ihnen jegliche Nachfrage erfüllt. Bei anderen "Menschen" wiederum sind die Preise der Grund dafür, nicht die Folge davon, dass ihre Nachfrage auf der Strecke bleibt. Theoretisch dürftiger ist die Vorstellung, wonach ein Geldberg einer Warenmenge gegenübersteht und dann von einem eigentlichen Entsprechungsverhältnis zu ihr abweicht.

Die Rettungsschirme der letzten Finanz- und Euro-Krisen, die ökonomische Abfederung der Pandemie und der laufende Krieg um die Ukraine mit seinen Sondervermögen Bundeswehr verweisen diese Theorie in die Denkschule der schwäbischen Hausfrau.

Denn die per Machtwort der Regierung vervielfachten Staatsschulden sowie die Symbiose der staatlichen Schuldenwirtschaft mit der Geldschöpfung und Kreditvergabe der Banken stehen zur "produzierten Gütermenge" nicht in einem falschen, aus dem Gleichgewicht geratenen, sondern in gar keinem Verhältnis.

Genauer gesagt: Die einzige Verbindung zwischen dem Finanzüberbau aus fiktiven Werten und der gegenständlichen Welt der Waren und Dienste des produktiven und konsumtiven Verbrauchs besteht darin, dass diese auch mit Fiat-Geld, Fiktion hin oder her, gekauft werden können.

So erklärt sich, dass das Abgreifen der Kaufkraft an einer Stelle nicht durch deren Ausbleiben an anderer Stelle aufgehoben wird, sondern dass die inflationäre Preisentwicklung allgemein und andauernd verläuft. Hypotheken- oder Dispo-Kredite, Ratenkäufe oder öffentliche Subventionen haben hier auch in der Reihen der Normalverbraucher ihre Wirkung.

Es ist diese außerökonomische Zufuhr von Zahlungsfähigkeit, die nicht auf vollzogener Wertschöpfung und realisiertem Erwerb beruht, sondern auf der spekulativen Vorwegnahme zukünftiger Geschäfte und Einkünfte, die die Grundlage einer Inflation hergibt.

Die Geldberg-Theorie kriegt das zwar mit, zählt es in den Geldmengen M1 bis 3 sogar nach, reflektiert es aber gleich in der Form, dass etwas aus dem Ruder laufen muss, wenn die unterstellte Harmonie der Ware-Geld-Beziehung nicht gelingen will.

Zu beobachten ist weiter, dass der immense Haufen an Kaufkraft, der "den Menschen zur Verfügung steht", keineswegs beständig oder linear zu einer Inflation führt und dass diese auch segmentiert ausfallen kann. In der Konkurrenzlage der letzten Dekade bescherte das anlagesuchende Geld, offensichtlich mangels Alternativen, den Preisen für Immobilien, Gold oder Aktien sagenhafte Steigerungsraten.

Währenddessen mühte sich die EZB ab, die allgemeine Rate der Inflation einem Zwei-Prozent-Ziel anzunähern, das sie mit einer erwünschten Zunahme der Wirtschaftstätigkeit identifizierte. Die Pferde wollten aber nicht so recht saufen, weil die Gewinnerwartung in der Realwirtschaft zu wünschen übrig ließ. Die Preisentwicklung war entsprechend.

Auch die aktuelle Geldentwertung [8] fĂĽhrt die EZB nicht auf eine "Ăśberhitzung der Euro-Wirtschaft", auf ein Ăśberborden der kapitalistischen Kauflaune, sondern "ĂĽberwiegend auf externe Schocks" zurĂĽck, hinter denen sich die vom Nato-Westen induzierte Inflationierung des Preises der Freiheit gar nicht verstecken will.

Dieser Preisauftrieb dürfte außerdem anhalten, egal ob z.B. russisches Erdgas reduziert oder durch Flüssiggas substituiert wird. Und auch die rekordmäßigen Rüstungsausgaben gehören zu den Bedingungen einer Inflation. Gegen "Putins Krieg" kommen zwar auch deutsche und andere Kapitale ihren vaterländischen Pflichten nach – nicht jedoch ohne den Versuch zu unternehmen, ihre Gewinnmargen gegeneinander und auf Kosten der Normalverbraucher durch schlichte Verteuerung zu verteidigen.

Insgesamt sieht sich also die EZB herausgefordert, im Einklang mit der Ideologie der gestörten Ware-Geld-Beziehung wieder "eine störungsfreie Wirkung der Geldpolitik in allen Euro-Mitgliedsländern zu gewährleisten".

Wie das gehen soll, steht im zweiten und letzten Teil dieses Artikels.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-7161955

Links in diesem Artikel:
[1] https://youtu.be/qKhl3h1QBbk
[2] https://www.br.de/nachrichten/wirtschaft/inflation-wie-entsteht-sie-und-was-tut-man-dagegen,Sa1CsUH
[3] https://www.nzz.ch/wirtschaft/tag-der-abrechnung-gewinnt-das-fed-wieder-das-vertrauen-zurueck-ld.1689034
[4] https://www.bild.de/geld/wirtschaft/politik-ausland/ezb-total-blamiert-teuer-schock-wird-zum-dauer-schock-80567468.bild.html###wt_ref=https:/www.google.com###wt_ref=https:/m.bild.de/geld/wirtschaft/politik-ausland/ezb-total-blamiert-teuer-schock-wird-zum-dauer-schock-80567468.bildMobile.html###wt_ref=https:/www.google.com
[5] https://www.manager-magazin.de/unternehmen/holzpreis-preis-bricht-ein-sturz-nach-rekordrally-von-bauholz-a-98cbdbeb-0947-4b59-814a-24b7f7a5af13
[6] https://www.agrarheute.com/markt/marktfruechte/getreidepreise-unvorstellbar-hoch-weizen-ueber-400-euro-katapultiert-591010
[7] https://www1.wdr.de/nachrichten/wirtschaft/leitzins-zinsen-konsequenzen-verbraucher-100.html
[8] https://www.faz.net/-gqe-asogb