"Die Inflation ist da!"

Ein kurzer Durchgang durch aktuelle Verlautbarungen zu einem wiederkehrenden Vorgang, der für Normalverbraucher eine Misere mit System ist. (Teil 1)

Wenn sich ein Containerschiff im Suezkanal verhakt und einen Rückstau verursacht, wenn in Shanghai ein virusbedingter Lockdown die Produktions- und Ladearbeiten unterbricht, wenn in der Aufholphase nach Corona nicht jeder Konkurrent schnell genug an Vorprodukte und Manpower kommt oder wenn die Sanktionen gegen Russland die gewohnte Verfügung über dessen Rohstoffe beeinträchtigen, dann ist für den Sachverstand von Laien und Experten eines glasklar: Betroffene Waren und Dienste werden vielleicht knapp und deshalb mit Sicherheit teurer.

Denn preisliches Stillhalten, bis der Mangel behoben ist, widerspräche dem gesunden wirtschaftlichen Wettbewerb. Konsumenten wie Produzenten müssen also mit steigender Teuerung rechnen – mit der je nach Höhe und Dauer "auf einmal" eine Inflation "da" ist.

Kein "Gespenst"

Die derzeitige unterliegt zwar der besonderen Deutung, die sich keiner Theorie, sondern einem Feindbild verdankt, wonach ein Großteil des Preisauftriebs als "Putin’s price hike" (Joe Biden) auf einen eindeutig Schuldigen zurückzuführen sei. Normalerweise aber sehen die gängigen Erklärungen der Inflation im Ausgangspunkt von handelnden Subjekten ab.

Entweder kommt sie nach der Art eines Naturgeschehens: "Ist eine galoppierende Inflation erst mal da, müssen die Zentralbanken rasch auf die Bremse treten" oder als eine sich tautologisch erfüllende Prognose: "Die Inflation entsteht im Kopf, und sie wird dann gefährlich, wenn sich die Erwartungen zur Preisentwicklung plötzlich verselbständigen".

Auch die Bezeichnungen der Inflation als "Gespenst" (FAZ) oder "Monster" (ver.di) liegen auf dieser Linie. Akteure, bevorzugt als Versager, kommen da ins Spiel, wo es um den Anspruch geht, diese Gespenster zu vertreiben.

Dabei ist bei den Preissteigerungen, die sich längst einstellen, bevor die fraglichen Waren tatsächlich physisch knapp werden, die Urheberschaft eigentlich nicht zu übersehen. Die ist kein irgendwie gearteter Automatismus, sondern liegt bei den mächtigen Kapitaleignern am Markt, die Tauschwerte beschaffen oder produzieren, auf deren Gebrauchswert andere Marktteilnehmer angewiesen sind. Als Konsumenten zahlen dieselben dafür einen Preis, in dem ein Gewinn steckt, der für die Produzenten und Händler im Grundsatz nicht groß genug ausfallen kann.

Wo es also die Konkurrenzlage oder bereits die Spekulation auf den Ausgang derselben erlaubt, schrauben sie ihre Warenpreise hoch und versuchen, die Erhöhungen untereinander in Richtung Endabnehmer abzuwälzen.

Wenn das gelingt, bleibt der tatsächliche Schaden der Teuerung dort hängen, wo man als Normalverbraucher die Mehrkosten nicht weiterreichen kann oder kompensiert bekommt und die neuen Preise entweder nur auf Pump, unter Verzicht auf anderes oder nicht mehr bezahlen kann. Was die besagte Konkurrenzlage hier hergibt, wissen die marktwirtschaftlichen Preistreiber erst nach erfolgtem Versuch, der zudem auf Bedingungen beruht, die sie theoretisch und praktisch nichts angehen.

Gegebenenfalls müssen sie ihr Preisniveau auch wieder senken. Sie verfolgen jedenfalls ein ökonomisches Prinzip, das seinen Befürwortern derart einleuchtet, dass sie es für die einzig vernünftige Weise halten, eine Gesellschaft mit den Gütern für Bedarf und Genuss zu versorgen. Dass dabei massenhaft Leute auch ohne Geldentwertung regelmäßig zu kurz kommen – und deshalb mit ihr besonders –, scheint in die Kosten dieser seltsamen "Güterversorgung" eingepreist zu sein.

Die Auffassung, ein knapperes Gut werde automatisch teurer und die Inflation sei insofern eine subjektlose Störung, "verständlich" und "unnötig" zugleich, passt genau dazu. Passend sind auch, dies ein Vorgriff auf das Folgende, bornierte Kritiken an der EZB, wie sie ein ehemaliger Chefvolkswirt der Deutschen Bank und ein liberaler Durchblicker in der Bildzeitung dem Volk vortragen dürfen:

"Lagarde hat die vergangenen Jahre in einer Märchenwelt verbracht", so Ökonom Thomas Mayer, "statt sich um die steigende Inflation zu kümmern. … Lagarde ist Juristin, es fehlt ihr an ökonomischem Sachverstand." FDP-Finanzexperte Frank Schäffler fordert sogar den Rücktritt der EZB-Chefin: "Frau Lagarde ist in ihrem Job überfordert."

Andere Koryphäen wissen heute genau, dass die EZB "viel zu wenig" und "viel zu spät" gehandelt habe, um "unsere Euros" zu schützen. Glauben sie denn allen Ernstes, in der Anarchie der marktwirtschaftlichen Produktionsweise ließe sich ausgerechnet der Geldwert planwirtschaftlich regeln? Wenigstens mit dem richtigen Masterstudium?