"Die Inflation ist da!"

Seite 2: Beispiel Bauholz

Ein Beispiel der marktkonformen "Rationalität" liefert das Manager Magazin am Fall des Gebrauchswerts Holz:

Das Frühjahr 2021 hat manchem Häuslebauer auch in Deutschland schlaflose Nächte beschert: (Der Preis für Bauholz) … hat sich zwischen November und Mai … mehr als verdreifacht. Anlass für den Preisschub war der Immobilienboom in den USA, wo Häuser meist in Holzständerbauweise gebaut werden. (Mit der Folge), dass auch europäische Sägewerke am Anschlag arbeiteten, um das Holz dann über den Atlantik zu verschiffen.

Der Baustoff wanderte also zielgerichtet dahin, wo sich seine Verkäufer den höchsten Gewinn versprachen – ein Vorgang, der normalerweise als marktwirtschaftliche "Allokationsfunktion" belobigt wird.

Da diese allerdings ziemlich schlafraubend ausfiel, traf es sich, dass sie von einem weiteren löblichen "Ergebnis eines effektiv funktionierenden Marktes" abgelöst wurde: "Nach dem halbjährigen Boom ist der Holzpreis nun wieder krachend eingebrochen – seit dem Rekordhoch Mitte Mai 2021 ist Holz binnen acht Wochen wieder um rund 70 Prozent billiger geworden." Grund: "Während Sägewerke in USA, Kanada und Europa … Sonderschichten fuhren und dadurch das Angebot stark ausweiteten, haben viele Häuslebauer angesichts der horrenden Preise ihre Bauprojekte erst einmal verschoben."

Die Bauherrn blieben also länger als geplant in der alten Bleibe, die Schichtarbeiter bezogen kürzer als gedacht ihre Zuschläge und den armen Sägewerken entging ihr Extraprofit. "Einige Produzenten hatten … sogar Mühe, ihre Produktionskosten wieder einzuspielen", was für die Lohnkosten nach Marktlogik nicht folgenlos bleiben kann.

Die weitere Preisentwicklung hing nun dem Vernehmen nach davon ab, ob die Hausbauer "angesichts der stark gesunkenen Preise sofort wieder zugreifen" oder ob sie umgekehrt "mit dem Einkauf weiter abwarten". Beides offenbar vernünftige Wege, auf denen die unsichtbare Hand des Marktes den Verbraucher in die eigenen vier Wände geleitet.

Falls nicht wieder schlaflose Nächte anstehen, für die das Lob des "funktionierenden Marktes", das vom Juli 2021 datiert, aber nichts kann. Bis März des Folgejahres stiegen die Preise nämlich wieder fast auf Rekordhoch, um bis heute erneut zu fallen. Dafür betrifft der Preisauftrieb jetzt die kohlenwasserstoff-basierten Baumaterialien. Der Markt hat eben stets damit zu tun, das Angebot mit der Nachfrage zu versöhnen oder umgekehrt.

Dabei kann es wie im Fall der Spargelernte freilich passieren, dass die gute Ware zum Schaden der Erzeuger und Normalverbraucher auf dem Feld verdirbt, weil Letztere der allgemeinen Teuerung wegen auf billigeres Gemüse ausweichen. Und Verschenken widerspräche wiederum dem ökonomischen Prinzip.

Im Fall der Weizenpreise hatte dieses die schöne Konsequenz, dass die Angebotspreise auf den Terminbörsen gelegentlich des Kriegsbeginns in der Ukraine der afrikanischen Nachfrage davonliefen, ohne dass sich an der damals vorhandenen Getreidemenge etwas geändert hätte.

Ungerührt von dieser inflationären Spekulation auf Extragewinn können deutsche oder amerikanische Minister und Diplomaten nun verkünden, dass Putin nun auch eine Hungerkrise auf dem Gewissen habe.

Geld- und Warenberge

Zum Grund der Inflation, der ihre praktizierenden Urheber nicht interessieren muss, gibt die Volkswirtschaftslehre auch aktuell diese Auskunft:

In der Wirtschaftstheorie besteht immer dann Inflationsgefahr, wenn die Menge an Geld, die den Menschen zur Verfügung steht, schneller steigt als die produzierte Gütermenge. Die Nachfrage kann nicht befriedigt werden, steigende Preise sind die Folge.

Zunächst sei nur erwähnt, dass es "Menschen" gibt, deren Geldmenge sich derart mehrt, dass sich ihnen jegliche Nachfrage erfüllt. Bei anderen "Menschen" wiederum sind die Preise der Grund dafür, nicht die Folge davon, dass ihre Nachfrage auf der Strecke bleibt. Theoretisch dürftiger ist die Vorstellung, wonach ein Geldberg einer Warenmenge gegenübersteht und dann von einem eigentlichen Entsprechungsverhältnis zu ihr abweicht.

Die Rettungsschirme der letzten Finanz- und Euro-Krisen, die ökonomische Abfederung der Pandemie und der laufende Krieg um die Ukraine mit seinen Sondervermögen Bundeswehr verweisen diese Theorie in die Denkschule der schwäbischen Hausfrau.

Denn die per Machtwort der Regierung vervielfachten Staatsschulden sowie die Symbiose der staatlichen Schuldenwirtschaft mit der Geldschöpfung und Kreditvergabe der Banken stehen zur "produzierten Gütermenge" nicht in einem falschen, aus dem Gleichgewicht geratenen, sondern in gar keinem Verhältnis.

Genauer gesagt: Die einzige Verbindung zwischen dem Finanzüberbau aus fiktiven Werten und der gegenständlichen Welt der Waren und Dienste des produktiven und konsumtiven Verbrauchs besteht darin, dass diese auch mit Fiat-Geld, Fiktion hin oder her, gekauft werden können.

So erklärt sich, dass das Abgreifen der Kaufkraft an einer Stelle nicht durch deren Ausbleiben an anderer Stelle aufgehoben wird, sondern dass die inflationäre Preisentwicklung allgemein und andauernd verläuft. Hypotheken- oder Dispo-Kredite, Ratenkäufe oder öffentliche Subventionen haben hier auch in der Reihen der Normalverbraucher ihre Wirkung.

Es ist diese außerökonomische Zufuhr von Zahlungsfähigkeit, die nicht auf vollzogener Wertschöpfung und realisiertem Erwerb beruht, sondern auf der spekulativen Vorwegnahme zukünftiger Geschäfte und Einkünfte, die die Grundlage einer Inflation hergibt.

Die Geldberg-Theorie kriegt das zwar mit, zählt es in den Geldmengen M1 bis 3 sogar nach, reflektiert es aber gleich in der Form, dass etwas aus dem Ruder laufen muss, wenn die unterstellte Harmonie der Ware-Geld-Beziehung nicht gelingen will.

Zu beobachten ist weiter, dass der immense Haufen an Kaufkraft, der "den Menschen zur Verfügung steht", keineswegs beständig oder linear zu einer Inflation führt und dass diese auch segmentiert ausfallen kann. In der Konkurrenzlage der letzten Dekade bescherte das anlagesuchende Geld, offensichtlich mangels Alternativen, den Preisen für Immobilien, Gold oder Aktien sagenhafte Steigerungsraten.

Währenddessen mühte sich die EZB ab, die allgemeine Rate der Inflation einem Zwei-Prozent-Ziel anzunähern, das sie mit einer erwünschten Zunahme der Wirtschaftstätigkeit identifizierte. Die Pferde wollten aber nicht so recht saufen, weil die Gewinnerwartung in der Realwirtschaft zu wünschen übrig ließ. Die Preisentwicklung war entsprechend.

Auch die aktuelle Geldentwertung führt die EZB nicht auf eine "Überhitzung der Euro-Wirtschaft", auf ein Überborden der kapitalistischen Kauflaune, sondern "überwiegend auf externe Schocks" zurück, hinter denen sich die vom Nato-Westen induzierte Inflationierung des Preises der Freiheit gar nicht verstecken will.

Dieser Preisauftrieb dürfte außerdem anhalten, egal ob z.B. russisches Erdgas reduziert oder durch Flüssiggas substituiert wird. Und auch die rekordmäßigen Rüstungsausgaben gehören zu den Bedingungen einer Inflation. Gegen "Putins Krieg" kommen zwar auch deutsche und andere Kapitale ihren vaterländischen Pflichten nach – nicht jedoch ohne den Versuch zu unternehmen, ihre Gewinnmargen gegeneinander und auf Kosten der Normalverbraucher durch schlichte Verteuerung zu verteidigen.

Insgesamt sieht sich also die EZB herausgefordert, im Einklang mit der Ideologie der gestörten Ware-Geld-Beziehung wieder "eine störungsfreie Wirkung der Geldpolitik in allen Euro-Mitgliedsländern zu gewährleisten".

Wie das gehen soll, steht im zweiten und letzten Teil dieses Artikels.