Gewerkschafter kritisieren Lockerung der Schuldenbremse für Militär

Figur die Panzer einen Geldberg hinaufschiebt wendet sich ab

Sonderschulden fürs Militär stoßen auf Widerstand. Gewerkschafter demonstrieren gegen "Kriegskredite". Auch VW-Arbeiter fürchten Umwandlung ihrer Werke in Rüstungsschmieden.

Die Beschlüsse von Bundestag und Bundesrat, die Schuldenbremse für Militärausgaben zu lockern, führen auch zu Diskussionen unter den Beschäftigten. "Aufrüsten für den Wohlstand", fordert Moritz Schularick, Präsident Kiel Institut für Weltwirtschaft IfW, schon letztes Jahr. "Wir wollen bei VW nicht den Tod produzieren", kritisiert eine Gruppe von VW-Arbeitern die Überlegung, den Konzernstandort in Osnabrück zu einer Rüstungsschmiede umzuwandeln.

Unter dem Motto "Nein zu den Kriegskrediten" demonstrierten Gewerkschafter in München. Die Gruppe hatte beim letzten Verdi-Bundeskongress eine Petition "Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen gegen Krieg, Militarismus und Burgfrieden" gestartet.

Die Demonstrierenden verweisen auf § 5 Zif. 3 der Verdi-Satzung, die zur Bekämpfung von militaristischen Einflüssen verpflichtet, um die Ziele der Gewerkschaft zu erreichen.

Über Presse und Fernsehen wird unheimlich viel Angst geschürt, und zwar auch mit Hilfe von Falschinformationen.

Ingrid Greif, Verdi-Vertrauensfrau in der Klinik Bogenhausen in München

In einer gemeinsamen Erklärung kritisieren Pax Christi, DFG-VK und Netzwerk Friedenskooperative und Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF) – gemeinsam mit 30 Organisationen und Netzwerken – die Aufrüstung:

Statt einer demokratisch schwierigen Ad-hoc-Entscheidung des abgewählten Bundestages, die in ein neues Wettrüsten münden kann, fordern die Organisationen eine breite gesellschaftliche Debatte mit dem neu gewählten Bundestag darüber, wie in Zukunft Frieden und menschliche Sicherheit in Europa und weltweit gestalten werden soll.

Der Zusammenhang zwischen Aufrüstung und Sozialabbau ist "unübersehbar und wird in verteidigungspolitischen Publikationen und von politischen Vertretern auch sehr offen ausgesprochen", sagt Joana Terborg, Verdi-Sekretärin in Mittelfranken:

Um die Friedensfrage in den Gewerkschaften wird gerungen und müsste noch viel stärker diskutiert werden. Für viele Aktive ist klar: Die Friedensfrage ist elementarer Bestandteil der Gewerkschaftsarbeit – als Teil der internationalen Solidarität über Grenzen hinweg, also auch mit Blick auf die Bedingungen der Tarifauseinandersetzungen hier.

Beschäftigte kritisieren die Militarisierung am Arbeitsplatz. Pflegekräfte erleben einen neuen Kurs in den Krankenhäusern. Die vom Bundeskabinett verabschiedete "Rahmenrichtlinie Gesamtverteidigung" sieht eine weitreichende Einbindung des zivilen Gesundheitssystems unter Führung der Bundeswehr vor. Bei einem Symposium von Ärztekammern und Bundeswehr in Hessen mit dem Titel "Im Ernstfall: Was bedeutet Kriegsmedizin?" wurde bereits im September die Neuausrichtung der Pflegearbeit diskutiert.

"Die Anforderung gibt es bereits, dass die Krankenhäuser militärisch aufgerüstet, dass wir besser auf Kriegsverwundungen geschult werden müssten", berichtet Verdi-Vertrauensfrau Ingrid Greif und kritisiert: "Ich habe nicht Krankenpflege gelernt, um Soldaten heilzumachen, damit sie wieder in den Krieg geschickt werden. Das ist nicht meine Motivation".

Auch Lehrer sehen die derzeitige Entwicklung kritisch. "Schulen müssen ein geschützter und ziviler Raum für Kinder und Jugendliche bleiben, der Unterricht gehört in die Hände der dafür ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrer!", sagt Martina Schmerr von der Bildungsgewerkschaft GEW.

Mit Sorge beobachtet die GEW, dass sich die Bundeswehr verstärkt um größeren Einfluss in den Schulen bemüht.

Die Bundeswehr macht für über 35 Millionen Euro jährlich Nachwuchswerbung, so auch bei der schulischen Berufsorientierung, in Jugendmedien, auf Jugend-, Bildungs- und Computerspielmessen, in Social-Media-Kanälen und im gesamten öffentlichen Raum. Das verbietet sich bei Minderjährigen kinderrechtlich und ist außerdem einseitig und irreführend, weil die Schattenseiten des Soldatenberufs regelmäßig unter den Tisch fallen.

Martina Schmerr

In Bayern müssen staatliche Schulen nun laut Landes-Bundeswehrgesetz mit Jugendoffizieren der Bundeswehr zusammenarbeiten. Auch dürfen Karriereberater des Militärs in der Schule zur beruflichen Orientierung informieren. Gegen das Gesetz hat die Gewerkschaft Klage eingereicht.

Wirtschaftliche Interessen werden kaum öffentlich hinterfragt. Mehr Rüstung führt keineswegs zu mehr Sicherheit, "eher zum Gegenteil", sagt Andreas Seifert vom Vorstand der Tübinger Informationsstelle Militarisierung (IMI) und fragt:

Ist es akzeptabel, dass die deutsche Rüstungsindustrie Gewinnmargen von bis zu 20 Prozent einfährt? Ist es akzeptabel, dass ein Rüstungspolitiker das Geld mit vollen Händen ausschüttet, während eine Reform des Krankenhaussystems vor allem mit dem Geld von Krankenversicherten finanziert wird?

Derzeit gibt es zahlreiche Veranstaltungen zur Vernetzung von Wirtschaft und Militär, erläutert Seifert für IMI. Neu an den Infoveranstaltungen sei, dass die als "Weg aus der Krise" dargestellt werden: "Das soll offensichtlich gegebenenfalls vorhandene moralische Bedenken minimieren."

Selbst die Ditzinger Laserfirma Trumpf des 2018 gestorbenen christlichen Unternehmers Berthold Leibinger erwäge, Laser zur Drohnenabwehr zu entwickeln. Bislang war eine Beteiligung an Waffenproduktion laut Gesellschaftervertrag verboten. Lange habe die kritische Einstellung vieler Beschäftigten gegenüber einem Rüstungsengagement das Unternehmen gehindert, aktiv zu werden.

"Das hat sich mit der medialen und politischen Dauerberieselung einer 'notwendigen' Verteidigung verschoben", betont der Politikwissenschaftler Seifert. Das permanente Reden vom "Krieg" habe friedfertige Wege der Konfliktlösung verdrängt.