Die Jakarta-Methode: Massenmorde unter falscher Flagge

Seite 2: West-Medien spielten mit

Genau wie diese Vampir-Story war auch Suhartos Version der kastrierenden Gerwani-Frauen frei erfunden. Doch der Diktator errichtete Denkmäler und Museen, die seine Version der Geschichte propagieren, und ließ sogar einen "schaurigen, dreistündigen Film" darüber drehen, der an jedem Jahrestag im Fernsehen gesendet wurde.

Die Armee führt ihn immer noch auf. Die von Suharto verbreitete Geschichte trifft einen Nerv, sie berührt einige der düstersten Ängste… die Verdrehung von Geschlechterrollen, der Angriff auf die Geschlechtsorgane starker Männer, ausgeführt von dämonischen Frauen – der Stoff für einen gut geschriebenen, reaktionären Horrorfilm.


S. 185

Heute wissen wir, dass neben der CIA mindestens noch britische, australische und westdeutsche Geheimdienste in die Verbrechen des Indonesian Genocide verwickelt waren. Bevins dokumentiert auch die Ähnlichkeit des Putsch-Drehbuchs mit dem ebenfalls CIA-intendierten Militärputsch in Brasilien 1964 und dokumentiert die Anwendung der Jakarta-Methode für viele weitere Geheimkriege der CIA in Asien, Lateinamerika und Afrika.

Kritisch dokumentiert Bevins, wie der abschreckende Erfolg dieser moralisch widerlichen Kampagne dazu führte, dass sie im US-Diskurs kaum diskutiert wurde, dann aber als Grundlage und Modell für geheime CIA-Einmischungskampagnen in zahlreichen anderen Ländern von Guatemala, Chile und Brasilien bis zu den Philippinen, Vietnam und Zentralamerika diente: die Jakarta-Methode.


Glenn Greenwald, The Intercept 21. 5. 2020

Die physische Vernichtung von politisch engagierten Menschen, die zu "Kommunisten" erklärt wurden, war Bevins zufolge maßgebliche Strategie des Westens und prägt bis heute unsere Welt.

Verschweigen und Vertuschen gegenüber den westlichen Öffentlichkeiten gehörte immer zu den zentralen Elementen dieser mörderischen Praxis. Westliche Medien standen treu auch an der Seite des neuen Diktators von Jakarta, Bevins kritisiert einen Artikel von C. L. Sulzberger aus der New York Times vom 13. April 1966, Titel "When a Nation Runs Amok":

Er wiederholte die Lüge, wonach Mitglieder der KP die Generäle am 1. Oktober getötet hätten, zudem aufgeschlitzt und gefoltert von Gerwani-Frauen. Er fuhr fort zu beteuern, dass ‚die Indonesier liebenswürdig‘ seien; doch hinter ihrem Lächeln verberge sich ‚diese seltsame malaiische Ader, diese innere, rasende Blutrünstigkeit, die anderen Sprachen eines ihrer wenigen malaiischen Wörter gegeben hat: amok.‘ Der malaiische und indonesische Begriff amok bezog sich eigentlich auf eine traditionelle Form des rituellen Selbstmord.


Bevins, S. 211

Am 18. Juni 1966 hatte mit James Reston ein weiterer Journalist der New York Times Putsch und Massenmorde in Indonesien sogar als "Lichtblick in Asien" gelobt. Vor dem Hintergrund des nicht so gut laufenden Vietnam-Krieges erschien Reston der Indonesian Genocide als Wichtigste in einer Reihe "hoffnungsvoller politischer Entwicklungen in Asien". Er rühmte seine Regierung in Washington dafür, den Diktator Haji Mohamed Suharto mit "verborgener Unterstützung" an die Macht geputscht zu haben, wie Bevins auf Seite 216 anmerkt.

Aber wie konnten die internationale Presse und das US-Außenministerium völlig unbeeindruckt davon bleiben, dass all das durch Massenmord an unbewaffneten Zivilisten erreicht wurde? Howard Federspiel vom State Department brachte die Antwort perfekt auf den Punkt. "Das kümmerte niemanden", erinnerte er sich, "solange es Kommunisten waren, die abgeschlachtet wurden".


Bevins, S. 217

Suhartos Putsch von 1965

Über den genauen Ablauf des Putsches streiten sich bis heute die Historiker. Am 30.September 1965 wurden sechs Sukarno loyale Militärführer ermordet, darunter der Armeechef Ahmad Yani. Aus den undurchsichtigen Intrigen hinter diesem Putsch ging überraschend General Suharto als starker Mann hervor. Bevins versucht, etwas Licht ins Dunkel zu bringen:

Seltsamerweise übernahm General Suharto am 1. Oktober das Heereskommando – und nicht etwa Washingtons langjähriger Günstling Nasution, der ranghöchste Offizier des Landes, der gerade die vergangene Nacht überlebt hatte. Der Rollentausch war dermaßen unerwartet, dass mehrere zentrale Akteure Wochen brauchten, um zu begreifen, dass Suharto tatsächlich das Sagen hatte.


S. 181

Ahmad Yani hatte Suharto einige Jahre zuvor bei Korruption erwischt und ihn persönlich verprügelt, wie Bevins schreibt und damit Rachemotive andeutet. Zum Putschzeitpunkt war Suharto Chef des Strategischen Kommandos und laut Bevins "ausgebildet worden von Suwarto, einem engen Freund von Guy Pauker, der ein Berater der RAND Corporation war, einem Thinktank im Umfeld des US-Militärs".

Sukarno blieb formal noch bis März 1966 im Amt, aber machtlos, "denn Suhartos Kräfte schlachteten die Menschen vom linken Flügel der indonesischen Politik buchstäblich weg." (S.207) Zusätzlich verursachte Suharto, unterstützt von der US-Regierung, eine Hungersnot und ermutigte "antikommunistische Studentengruppen" zu Protesten.

Dann erzwang Suharto den Rücktritt von Sukarno und stellte sich als Retter des Landes dar. Die USA lockerten ihren "ökonomischen Würgegriff" und der US-Konzern Freeport bekam nur Tage nach Suhartos Machtübernahme Zugriff auf die Grasberg-Mine, die größte Goldlagerstätte der Welt (S.208).

Die Jakarta-Methode und "Stay Behind"

Etwas rätselhaft bleibt Vincent Bevins fehlende Einbeziehung der geheimen paramilitärischen Netzwerke, die in Westeuropa ab 1990 unter dem Stichwort "Gladio" enthüllt wurden. Bevins verfolgt die Drahtzieherrolle von Frank Wisner, der rechten Hand von CIA-Boss Allen Dulles, beim Jakarta-Putsch und stößt dabei auf Gladio. Doch er begnügt sich mit zwei kurzen Erwähnungen, die sich nur auf eine vertuschende Darstellung der Ereignisse beziehen:

Gewiss war die CIA immer noch in Europa aktiv und intrigierte auf eine Art und Weise, die wir bis heute nicht völlig erfassen. Die "Stay behind"-Netzwerke der Operation Gladio etwa, die in Wisners frühen Tagen entstanden, existierten bis in die 1980er-Jahre. Doch als die europäischen Regierungen für die Bürger zu weit nach rechts rückten, wechselten die Wähler zu linken Parteien und umgekehrt – was im Rahmen des Erlaubten war.


Bevins, S.251 f.

Wir mögen die Verbrechen der Gladio-Paramilitärs vielleicht "bis heute nicht völlig erfassen". Aber zahlreiche strafrechtliche Ermittlungen, Gerichtsurteile und Abschlussberichte parlamentarischer Untersuchungskommissionen allein aus Italien zeigen weit mehr als Bevins bewusst ist. Gladio existierte mindestens bis 1990 und der Wechsel von Wählern zu "linken Parteien" lag für die Drahtzieher von Gladio in London und Washington durchaus nicht immer "im Rahmen des Erlaubten".

Besonders in den Frontstaaten des Kalten Krieges, Westdeutschland, Italien, Griechenland und Türkei, tobte sich der fanatische Antikommunismus der McCarthy-Ära, den Bevins als Ideologie hinter der Jakarta-Methode sieht, weidlich aus.

Die deutsche Journalistin Regine Igel (Zeit, SZ, NZZ) lebte 18 Jahre in Italien und verfolgte akribisch die Regierungskrise 1990 um Giulio Andreotti, die Gladio letztlich endgültig auffliegen ließ. In ihrem Buch "Andreotti. Politik zwischen Geheimdienst und Mafia" (1997) sowie dessen überarbeiteter Neuausgabe "Terrorjahre: Die dunkle Seite der CIA in Italien" (2006) zeigt sie, wie Andreotti, der übermächtige Pate der italienischen Politik, erst als Verteidigungsminister den Aufbau von Gladio betrieb und später als mehrfacher Ministerpräsident von Gladio-Terroraktionen profitierte.

Andreotti steht im Zentrum eines Spinnennetzes zwischen Mafia, CIA sowie der Geheimloge P2 und reißt bei seinem Sturz 1990 durch entgleisende Schutzbehauptungen geheime Teile der Verschwörung mit sich ins Licht der Öffentlichkeit. Es folgte eine Flut von Ermittlungen der Justiz und des Parlaments in Rom.

Nur so konnte letztlich mehr über das streng geheime Wirken von Nato, Neofaschisten, Geheimdiensten und Organisierter Kriminalität herausgebracht werden. Leider erreichte die Öffentlichkeit nur wenig davon, was für die Effizienz der medialen Krisenbewältigung der Geheimdienste spricht.

Wer die Lektüre dicker Bücher jedoch nicht scheut, kann sich aus zuverlässiger Quelle über Hintergründe informieren. So gibt Regine Igel tiefe Einblicke in die Arbeitsweise des Gladio-Netzwerks im Rahmen der sogenannten "Strategie der Spannung" der Nato.