Die Lage im Lande wird prekärer – der Journalismus auch?
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- Forschung und kognitive Dissonanz
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Wer beißt schon die Hand, die einen ernährt? Anpassungsdruck im Journalismus: Erste kritische Einblicke in wissenschaftliche Befunde.
Warum erfährt etablierter Journalismus vielerorts Kritik, ja Misskredit bis hin zu kompletter Ablehnung?
Ein Vorwurf lautet, man agiere in den Leitmedien (zu) angepasst, mit Blick auf die herrschenden Verhältnisse, auf die politisch, ökonomisch und kulturell Mächtigen. Aber wer beißt schon die Hand, die einen füttert, wenn die eigene Lage ohnehin bereits prekär ist und zunehmend unsicherer wird?
Müssen sich Medienschaffende da nicht (noch mehr) anpassen?
Der Anpassungsdruck
In Gesellschaften wie der in Deutschland sind es vor allem zwei berufliche Felder, die sich mit "wahren Aussagen" befassen sollen, also mit dem objektivierenden Schaffen von Fakten: Journalismus und Wissenschaften (einschließlich Journalistik sowie Kommunikations- und Medienwissenschaft).
Bemerkenswert ist, dass gerade in diesen beiden öffentlichkeitswirksamen Arbeitsbereichen personelle und strukturelle Homogenität sowie prekäre Beschäftigung besonders ausgeprägt erscheinen.
Daher mag hier systematischer Anpassungsdruck an herrschende Verhältnisse und Narrative relativ deutlich ausgeprägt sein – was dann zu weiteren Verengungen, ja Polarisierungen der jeweiligen Diskurse beitragen dürfte. Und entsprechende Gesellschaften zunehmend autoritärer wirken lässt.
Prekarisierung ist nichts Neues in Klassengesellschaften. Der französische Moralist Antoine de Rivarol beschrieb das Phänomen ausgangs des 18. Jahrhunderts in etwa so:
Das Wort prekär meint heute eine Sache oder einen Zustand, die schlecht gesichert sind, und es beweist, wie wenig man durch das Gebet (prière) erlangt, denn daher stammt das Wort.
Antoine de Rivarol
Gesund-Beten also scheint nicht zu helfen. Denn wenn Menschen (wachsend) prekär beschäftigt sind, macht das wahrscheinlich nicht nur mit ihnen persönlich etwas, sondern vermutlich auch mit ihrem beruflichen Umfeld (hier aktuell also vor allem mit Medienorganisationen, insbesondere mit Redaktionen) bis hin zur jeweiligen Gesamt-Gesellschaft.
Wer ist betroffen? Eine Studie gibt Antworten
Nicht zuletzt daher beschäftigt sich an der LMU München ein Team um Kommunikationswissenschaftler Thomas Hanitzsch seit 2019 in einem Projekt mit dem Thema "Prekarisierung im Journalismus", gefördert durch Drittmittel von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).
Es geht dabei um "Auswirkungen prekärer Beschäftigungsverhältnisse auf Journalist*innen bzw. auf ihre Arbeit". Gefragt wird "nach den entsprechenden Anpassungsleistungen".
Dem gehe die Studie nach mittels einer standardisierten Befragung von 1055 Journalistinnen und Journalisten sowie Leitfadeninterviews mit insgesamt 50 Medienschaffenden in Deutschland
Erste Befunde lassen sich diskutieren - hier einige bemerkenswerte Aspekte der Studie:
Nur ein knappes Drittel der Journalistinnen und Journalisten arbeitet regulär Vollzeit, deutlich überwiegend Männer. Die relative Mehrheit der Befragten hingegen (44 Prozent) ist freiberuflich tätig (die weiteren sind in Teilzeit und fest-frei beschäftigt). Vollzeit greift noch eher bei Zeitungen, kaum bei Online-Medien.
58 Prozent sehen Qualität des Journalismus bedroht
Immerhin 43 Prozent der Befragten stufen ihre Arbeitssituation im Journalismus als prekär sein. Sogar 58 Prozent der Befragten sehen durch prekäre Beschäftigung die Qualität des Journalismus bedroht, ebenfalls 58 Prozent geben an, sich "eher unsicher" zu fühlen mit Blick auf journalistische Erwerbsarbeit.
Hauptberuflich journalistisch Medienschaffende erhalten laut Studie im Durchschnitt rund 2.340 Euro netto pro Monat. Damit sei das monatliche journalistische Durchschnittseinkommen im Vergleich zu den Jahren 2014/2015 um immerhin etwa 560 Euro gesunken.
Bemerkenswert an der Stelle zudem der beträchtliche "gender pay gap": Journalistinnen bekommen nur 2058 Euro, ihre männlichen Kollegen hingegen 2510 Euro. Das sind fast 22 Prozent mehr. Frauen stufen ihre Situation eher als prekär ein im Vergleich mit Männern. So bejahen immerhin 48 Prozent der Journalistinnen diese Frage und nur 39,7 Prozent ihrer männlichen Kollegen.
Journalismus als Nebenberuf
Insgesamt sei die Zahl der Beschäftigten mit Niedrigverdienst im Vergleich zu vergangenen Studien gestiegen. Festangestellte bekommen deutlich mehr Geld als hauptberufliche Freie, allerdings schwinden die sogenannten "Kernbelegschaften" weiter. Die Daten machen auf eine Verschiebung zum Journalismus als Nebenberuf aufmerksam. Nebensache Journalismus also?
Der Aussage, man könne heutzutage nicht mehr vom Journalismus als Hauptberuf leben, stimmt rund ein Drittel der Befragten zumindest teilweise zu. Zwei von fünf hauptberuflichen Journalist*innen gehen der Studie zufolge einer bezahlten Nebentätigkeit nach.
Nicht zuletzt sind das auch Jobs im Bereich der direkten "Auftragskommunikation" (PR, Werbung, Marketing), wo die Ressourcen deutlich üppiger sind und fließen als im Journalismus.
Von den journalistischen Hauptberuflern haben laut Studie insgesamt nur weniger als 90 Prozent überhaupt eine Rentenversicherung. Lediglich fast die Hälfte verfüge über eine Arbeitslosenversicherung, einen Kündigungsschutz haben nur die allerwenigsten (17 Prozent).
Knapp 10 Prozent jener Befragten hätten sogar angegeben, gar keine dieser Sozial-Absicherungen nachweisen zu können, mehrheitlich Freiberufler. Besonders prekär also die Lage vieler Freiberufler: Nur 17,3 Prozent der freiberuflichen Journalist*innen haben laut Studie eine Arbeitslosenversicherung.
Auswirkungen der Corona-Krise
Krisen spitzen die Prekarisierungs-Tendenzen zu: Immerhin drei von fünf Journalistinnen und Journalisten berichteten in der Studie, dass sich ihre Arbeitsbedingungen seit der Corona-Pandemie verschlechtert hätten (die Befragung fand statt im letzten Quartal 2020).
Fraglich auch: Ist Journalismus im Vergleich zu anderen Beruf besonders prekär?
Über ein Drittel (35,9 Prozent) der Befragten stimmt dieser Aussage laut Studie "eher zu".