Die Lust der US-Präsidenten am nuklearen Armageddon

Doomsday-Clock

Vergangene fünf US-Präsidenten haben sich am nuklearen Abgrund bewegt. Jeffrey Sachs fordert Einsatz für Frieden. Welchen Weg er skizziert. Ein Gastbeitrag.

Die vorrangige Aufgabe eines jeden US-Präsidenten ist, für die Sicherheit der Nation zu sorgen. Im Atomzeitalter bedeutet das vor allem, ein nukleares Armageddon zu verhindern. Joe Bidens rücksichtslose und inkompetente Außenpolitik bringt uns jedoch im Gegensatz dazu der Vernichtung immer ein Stück näher.

Damit reiht sich Biden ein in eine lange Reihe von Präsidenten, die mit einem nuklearen Armageddon gespielt haben und sich in dieser Hinsicht nicht voneinander unterscheiden. Das gilt auch für seinen unmittelbaren Vorgänger und derzeitigen Rivalen Donald Trump.

Atomwaffen und Atomkrieg in aller Munde

Überall in den Medien wird in den vergangenen Tagen und Wochen von Atomwaffen und Atomkrieg gesprochen.

Die Staats- und Regierungschefs der Nato-Länder wollen Russlands Niederlage erreichen und sogar deren Zerstückelung, und sagen uns, wir sollten uns keine Sorgen über Russlands 6.000 Atomwaffen machen.

Jeffrey Sachs ist US-Wirtschaftswissenschaftler, Politikanalyst und Professor an der Columbia University.

Die Ukraine setzt von der Nato gelieferte Raketen ein, um Teile des russischen Frühwarnsystems für atomare Angriffe in Russland auszuschalten.

Russland führt in der Zwischenzeit Übungen mit Atomwaffen in der Nähe seiner Grenze zur Ukraine durch.

US-Außenminister Antony Blinken und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg haben der Ukraine grünes Licht gegeben, Nato-Waffen einzusetzen, um russisches Territorium so anzugreifen, wie es ein zunehmend verzweifeltes und extremistisches ukrainisches Regime für richtig hält.

Es besteht Atomkriegsgefahr

Diese Führer haben uns alle in große Gefahr gebracht, weil sie die grundlegendste Lektion aus der nuklearen Konfrontation zwischen den USA und der Sowjetunion während der Kubakrise 1962 nicht mehr beachten.

Präsident John F. Kennedy, einer der wenigen amerikanischen Präsidenten im Atomzeitalter, die sich bei den Verhandlungen für unser aller Überleben eingesetzt haben, hat uns und seinen Nachfolgern nach Beendigung der Kubakrise gesagt:

Vor allem müssen die Atommächte bei der Verteidigung ihrer eigenen vitalen Interessen jene Konfrontationen vermeiden, die einen Gegner vor die Wahl stellen, entweder einen demütigenden Rückzug anzutreten oder einen Atomkrieg zu führen. Einen solchen Kurs im Atomzeitalter einzuschlagen, wäre nur ein Beweis für den Bankrott unserer Politik – oder für einen kollektiven Todeswunsch für die Welt.

Doch genau das tut Biden heute, indem er eine bankrotte und rücksichtslose Politik betreibt.

Atomkrieg auch aus Versehen möglich

Ein Atomkrieg kann leicht aus einer Eskalation eines konventionellen Krieges entstehen, oder dadurch, dass ein hitzköpfiger Führer mit Zugang zu Atomwaffen einen überraschenden Erstschlag durchführt oder auch durch ein Versehen.

Wir wissen heute, dass sich Letzteres beinahe ereignet hätte, sogar, nachdem Kennedy und sein sowjetischer Amtskollege Nikita Chruschtschow 1962 mit einem Kompromiss ein Ende der Kubakrise ausgehandelt hatten.

Damals hat ein außer Gefecht geratenes sowjetisches U-Boot beinahe einen nuklear bestückten Torpedo auf amerikanische Kriegsschiffe abgefeuert, was nur um Haaresbreite verhindert werden konnte (siehe dazu auch die Anmerkung des Übersetzers am Ende dieses Artikels).

Doomsday Clock – immer näher am Abgrund

Als Clinton 1993 ins Amt kam, zeigte die Doomsday Clock, die Weltuntergangsuhr, 17 Minuten vor Mitternacht an, aber diese Zeitspanne hatte sich auf neun Minuten verkürzt, als seine Präsidentschaft beendet war.

Bush drückte diese Zeitspanne auf nur fünf Minuten herunter, bei Obama wurde sie auf 3 Minuten und bei Trump auf nur noch 100 Sekunden verringert. Jetzt unter Biden steht die Weltuntergangsuhr auf 90 Sekunden vor Mitternacht.

Die meisten Präsidenten und die meisten Amerikaner sind nicht im Bilde darüber, wie nahe wir am Abgrund sind.

Das Bulletin of Atomic Scientists, das 1947 gegründet wurde, um die Welt vor der nuklearen Vernichtung zu retten, hat die Doomsday Clock erfunden, um der Öffentlichkeit das Ausmaß der Bedrohung vor Augen zu führen, der wir tatsächlich ausgesetzt sind. Nationale Sicherheitsexperten passen die Uhr an, je nachdem, wie weit wir jeweils am Jahresende noch entfernt sind von "Mitternacht", was eine Umschreibung für die globale Vernichtung ist.

Die Wissenschaftler haben die Uhr zuletzt auf nur 90 Sekunden vor Mitternacht gestellt, so nah wie nie zuvor im Atomzeitalter.

Weltuntergangsuhr – ein Maßstab zur Bewertung der US-Präsidenten

Die Uhr ist ein nützlicher Maßstab dafür, welche Präsidenten die Bedrohung "verstanden" haben und welche nicht.

Die traurige Tatsache ist, dass die meisten Präsidenten rücksichtslos unser Überleben aufs Spiel gesetzt haben, im Namen der "nationalen Ehre", um ihre persönliche Entschlossenheit zu demonstrieren, um politischen Angriffen von Kriegstreibern entgegenzutreten oder aus schierer Inkompetenz.

Nach dieser einfachen und unkomplizierten Beurteilung anhand dieser Uhr haben nach 1945 nur fünf Präsidenten es "richtig" gemacht, indem sie durch ihre Politik die Zeitspanne bis "Mitternacht" verlängert haben, während neun von ihnen uns dem Armageddon nähergebracht haben, darunter die letzten fünf Präsidenten. Truman war Präsident, als die Weltuntergangsuhr 1947 bei sieben Minuten vor Mitternacht stand. Truman schürte das nukleare Wettrüsten und bei seinem Ausscheiden stand die Uhr bei nur noch drei Minuten vor Mitternacht.

Eisenhower setzte das nukleare Wettrüsten fort, trat aber auch in die ersten Verhandlungen mit der Sowjetunion über nukleare Abrüstung ein. Als er aus dem Amt schied, wurde die Uhr auf sieben Minuten vor Mitternacht zurückgestellt.

Kennedy hat uns in der Kubakrise gerettet

Kennedy rettete die Welt, indem er in der Kubakrise einen kühlen Kopf behielt, anstatt den Ratschlägen hitzköpfiger Berater zu folgen, die zum Krieg aufriefen (für eine detaillierte Darstellung sei hier auf Martin Sherwins meisterhaftes Buch Gambling with Armageddon, 2020 verwiesen).

1963, nach Überwindung der Kubakrise, handelte Kennedy dann mit Chruschtschow erfolgreich den Vertrag über das teilweise Verbot von Nuklearversuchen aus.

Zum Zeitpunkt der Ermordung Kennedys, der möglicherweise ein CIA-Putsch gegen seine Regierung aufgrund seiner Friedensinitiative zugrunde lag, hatte JFK die Weltuntergangsuhr auf zwölf Minuten vor Mitternacht zurückgestellt. Das war eine großartige historische Leistung.

Aber diese Situation sollte leider nicht von Dauer sein.

Lyndon Johnson eskalierte bald in Vietnam, sodass die Uhr wieder auf nur sieben Minuten vor Mitternacht zurückgestellt wurde.

Richard Nixon baute dann die Spannungen mit der Sowjetunion und China etwas ab und schloss den Vertrag zur Begrenzung strategischer Waffen (Salt I), der die Zeit bis Mittenacht wieder auf zwölf Minuten zurückstellte.

Doch Gerald Ford und Jimmy Carter scheiterten an der Verhandlung von Salt II, und Carter traf die verhängnisvolle und unkluge Entscheidung, dass er 1979 der CIA grünes Licht für die Destabilisierung Afghanistans gab.

Und als Ronald Reagan 1981 sein Amt antrat, stand die Uhr auf nur noch bei 4 Minuten vor Mitternacht. Aber auch Reagan und seinem Nachfolger George Bush sen., die erfolgreich mit Gorbatschow zusammenarbeiteten, gebührt das Verdienst, den Kalten Krieg beendet zu haben, dem wiederum das Ende der Sowjetunion selbst im Dezember 1991 folgte.

Gorbatschow hat sich für ein Ende des Kalten Krieges eingesetzt

Die nächsten zwölf Jahre markierten das Ende des Kalten Krieges. Ein großer Teil des Verdienstes dabei gebührt Michail Gorbatschow, der die Sowjetunion politisch und wirtschaftlich reformieren und die Konfrontation mit dem Westen beenden wollte.

Als Bush sen. 1993 aus dem Amt schied, stand die Weltuntergangsuhr bei 17 Minuten vor Mitternacht, die günstigste Zeitspanne seit Beginn des Atomzeitalters 1945.

Zu dieser Zeit sagte Russland ausdrücklich und unmissverständlich "Ja" zu friedlichen und kooperativen Beziehungen mit den USA. Diese Antwort hat das US-Sicherheitsestablishment jedoch leider nicht akzeptiert.

Während die Russen den Kalten Krieg beenden wollten, wollten die USA ihn "gewinnen". Sie erklärten sich selbst zur einzigen Supermacht und die Regeln einer neuen und von ihr geführten "regelbasierten Weltordnung" sollten einseitig von ihr bestimmt werden.

Die USA begannen daher nach 1992 eine Reihe von Kriegen und erweiterten ihr riesiges Netzwerk von Militärstützpunkten auf der ganzen Welt nach eigenem Gutdünken, wobei sie ständig und demonstrativ die roten Linien anderer Nationen überschritten und sogar darauf abzielten, nukleare Gegner zu demütigenden Rückzügen zu bewegen.

Jeder US-Präsident seit 1992 hat nukleare Vernichtung befördert

Deshalb muss man bedauerlicherweise feststellen: Seit 1992 hat jeder Präsident der USA die Welt der nuklearen Vernichtung ein Stück nähergebracht, als sein Vorgänger das schon getan hatten.

Die Weltuntergangsuhr zeigte 17 Minuten vor Mitternacht, als Clinton ins Amt kam, aber nur neun Minuten vor Mitternacht, als er es verließ. Bush drückte diese Zeitspanne auf nur fünf Minuten, Obama auf drei Minuten und Trump auf nur 100 Sekunden vor Mitternacht. Jetzt hat Biden sie auf nur noch 90 Sekunden vermindert.

Biden hat die USA in drei fulminante Auseinandersetzungen geführt, von denen jede einzelne mit einem Armageddon enden könnte.

Indem er auf einer Erweiterung der Nato um die Ukraine besteht, ohne Rücksicht auf die leuchtend "rote Linie" Russlands, hat Biden wiederholt Russlands demütigenden Rückzug verlangt.

Indem er sich bedingungslos auf die Seite Israels in dessen wahrscheinlich völkermörderischen Krieg in Gaza stellt, hat er ein neues Wettrüsten im Nahen Osten und einen sich immer gefährlicher ausweitenden Nahostkonflikt geschürt.

Indem er China wegen Taiwan verhöhnt, das die USA angeblich als Bestandteil Chinas anerkennen, schürt er einen möglichen Krieg mit China.

Trump hat die atomaren Bedrohungen an mehreren Fronten in ähnlicher Weise angeheizt, am unverhohlensten in der Auseinandersetzung mit China und dem Iran.

In Washington scheinen in diesen Tagen alle entscheidenden Politiker einer Meinung zu sein: mehr Geld für Kriege in der Ukraine und im Gazastreifen, mehr Waffen für Taiwan. Wir rücken immer näher an ein Armageddon heran.

Umfragen zeigen aber, dass das amerikanische Volk die US-Außenpolitik mit überwältigender Mehrheit missbilligt, ihre Meinung zählt jedoch nur sehr wenig. Deshalb müssen wir jetzt jede Möglichkeit ergreifen, um uns nachdrücklich für Frieden einzusetzen. Nicht zuletzt das Überleben unserer Kinder und Enkelkinder hängt davon ab.

Jeffrey Sachs (1954, Detroit, Michigan) ist ein US-amerikanischer Ökonom und Professor. Er promovierte 1980 an der Harvard University in Wirtschaftswissenschaften. Sachs' Karriere ist geprägt von verschiedenen akademischen Positionen sowie Beratertätigkeiten für bedeutende internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen, den Internationalen Währungsfonds (IWF) und die Weltbank. Als Direktor des Center for Sustainable Development an der Columbia University und als Professor setzt er sich intensiv für nachhaltige Entwicklung ein.

Besonders bekannt ist Sachs für seine maßgebliche Rolle bei der Entwicklung von Wirtschaftspolitiken in Osteuropa während des Übergangs vom Kommunismus zum Kapitalismus. Er gilt als Verfechter globaler Armutsbekämpfung.

Sachs' Leistungen in der Wirtschaftswissenschaft brachten ihm zahlreiche Auszeichnungen und Ehrungen ein. Sein Werk und sein Einsatz für eine gerechtere Weltwirtschaft haben seinen Einfluss weit über die Grenzen der akademischen Welt hinaus ausgedehnt. In "The Price of Civilization: Reawakening American Virtue and Prosperity" (2011) setzt er sich mit Fragen der US-Gesellschaft und Wirtschaft auseinander.

Telepolis hat von Sachs eine Reihe von Artikeln über Hintergründe, Verlauf und Auswirkungen des Ukraine-Kriegs und des Israel's Krieg in Gaza veröffentlicht. Ebenso wie John J. Mearsheimer gehört Sachs zu den herausragenden US-Wissenschaftlern, die eine klare realistische und kritische Position gegenüber der verhängnisvollen US-Außenpolitik einnehmen.

Der vorliegende Artikel von Jeffrey D. Sachs mit dem Titel "Presidents Who Gamble With Nuclear Armageddon" (deutsch: "Präsidenten, die mit einem nuklearen Armageddon spielen") erschien am 29. Mai 2024 auf der US-Website Common Dreams. Dieser Text schließt an einen Artikel von Sachs an, der unter dem Titel "Je weniger Diplomatie, desto mehr Atomkrieg" kürzlich in Telepolis veröffentlicht wurde.

Der vorliegende Artikel wurde mit Erlaubnis des Autors von Klaus-Dieter Kolenda ins Deutsche übertragen und mit einigen Zwischenüberschriften versehen. Außerdem wird von ihm zu einem Hinweis von Sachs in seinem obigen Text über einen möglichen "Atomkrieg aus Versehen", der nach der Kubakrise nur um Haaresbreite verhindert werden konnte, auf einen auch dieses Thema weiter ausführenden Artikel in Telepolis mit dem Titel "Krieg in der Ukraine: Einsatz von Atomwaffen wieder möglich" verwiesen.

Übersetzer: Klaus-Dieter Kolenda, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin – Gastroenterologie, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin/Sozialmedizin, war von 1985 bis 2006 Chefarzt einer Rehabilitationsklinik für Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems, der Atemwege, des Stoffwechsels und der Bewegungsorgane. Seit 1978 ist er als medizinischer Sachverständiger bei der Sozialgerichtsbarkeit in Schleswig-Holstein tätig. Zudem arbeitet er in der Kieler Gruppe der IPPNW e.V. (Internationale Ärztinnen und Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs und für soziale Verantwortung) mit. E-Mail: klaus-dieter.kolenda@gmx.de