Die Riesenaufgabe

Klaus Kohrs

Bild: Riccardo Annandale/Unsplash

Energiewende und Bundestagswahl: Wie es nicht gehen darf. Einschätzungen und Hintergrund

Ende April fällte das Bundesverfassungsgericht ein extrem wichtiges Urteil Das derzeitige Klimaschutzgesetz der Bundesrepublik Deutschland verstößt in Teilen gegen die Verfassung und muss verschärft werden. Es fehlten in dem Gesetz Vorgaben, wie der Treibhausgas-Ausstoß zwischen 2031 und 2050 reduziert werden solle. Der Gesetzgeber müsse bis Ende 2022 nachbessern (Kein Recht auf Bummelstreik in Sachen Klimaschutz).

Natürlich hat die Regierung sofort reagiert und ein neues Klimaschutzgesetz verabschiedet, um im Wahlkampf an der Klimafront zu punkten. Dabei haben Union und SPD in der Regierung in den letzten Jahren alles getan, um die Energiewende auszubremsen, sie zu behindern und zu verzögern. Nicht zu vergessen ist allerdings die Binse: Ein Klimaschutzgesetz allein bringt gar nichts, es muss auch umgesetzt werden.

Im September sind Bundestagswahlen. Wenn sich der bisherige Trend fortsetzt, bekommen wir nach den Wahlen eine Regierungskoalition mit Beteiligung der Grünen. Das lässt viele hoffen, dass der Klimaschutz endlich ernst genommen wird.

Worum geht es beim Klimaschutz konkret? In erster Linie um die Vermeidung von CO2-Emissionen. Also geht es um den Ausstieg aus Technologien, die CO2 erzeugen. Das betrifft hauptsächlich die Energieerzeugung.

Unsere gesamte Technologie umstellen

Aber wir können nicht einfach aus den vorhandenen Technologien aussteigen, denn die Energie wird ja gebraucht. Wir müssen deshalb auf CO2-frei erzeugte erneuerbare Energie, in der Hauptsache Solar- und Windenergie, umsteigen.

Kein Problem sagen die Grünen, Sonne und Wind gibt es ja im Überfluss, man muss sie nur nutzen. Und genau da liegt der Haken. Die Energie an sich ist kostenlos und im Überfluss vorhanden (zumindest die Solarenergie), aber ihre Nutzung erfordert aufwändige Anlagen. Und es werden nicht nur zur Erzeugung und Speicherung des Stroms neue, teure Anlagen gebraucht, sondern auch zu seiner Nutzung.

Wir müssen also unsere gesamte Technologie umstellen. Und zwar sowohl in der Industrie wie auch im Verkehr und in der Gebäudeheizung. Wobei das Problem ist, dass das alles gleichzeitig und aufeinander abgestimmt erfolgen muss.

Die bisherige Einführung der E-Autos

Bestes Beispiel dafür, wie es nicht gehen darf, ist die bisherige Einführung der E-Autos. Natürlich brauchen wir die E-Mobilität, um Benzin und Diesel als fossile Brennstoffe abzulösen. Aber wenn wir die E-Autos dann in der Nacht mit Kohlestrom laden, erzeugen wir leider nicht weniger, sondern mehr CO2. Wenn wir hier CO2 sparen wollen, müssen wir die Autos mit Solar- oder Windstrom laden. Und zwar mit überschüssigem Solar- oder Windstrom, denn sonst wird irgendwo anders zusätzlicher Strom aus fossilen Brennstoffen verbraucht und damit CO2 erzeugt. Leider haben wir aber nicht genug überschüssigen grünen Strom.

EON wirbt im Fernsehen damit, dass das umweltfreundliche E-Auto über Nacht zuhause aufgeladen wird. Das ist übelstes Greenwashing, denn der dabei verwendete Kohlestrom ist alles andere als klimafreundlich. Aber EON will natürlich seinen Kohlestrom verkaufen.

Herr Altmaier erzählt immer, dass wir fast 50 Prozent unseres Stroms regenerativ erzeugen und damit gar nicht so schlecht sind. Aber leider wird hier das Problem nur schöngeredet. Wir müssen nämlich den ganzen Energieverbrauch und nicht nur die Stromerzeugung betrachten. Und wenn wir das tun, liegen wir nicht bei 50 Prozent regenerativer Energie, sondern irgendwo zwischen 14 Prozent und 15 Prozent. Daraus folgt, dass wir unsere regenerative Stromerzeugung mindestens versechsfachen müssen.

Was nicht genügt

Und dabei genügt es nicht, einfach nur entsprechende Stromerzeugungsanlagen auf Teufel komm raus aus dem Boden zu stampfen, es müssen auch die entsprechenden Speicherkapazitäten geschaffen werden, um den Strom in Erzeugungspeaks zu speichern und in Verbrauchspeaks einzuspeisen. Und dazu müssen die Netze entsprechende Übertragungskapazität haben, also entsprechend ausgebaut werden. Eine Riesenaufgabe, die sich sicher nicht in einer Legislaturperiode erledigen lässt.

Aber wir müssen sie so schnell wie möglich beginnen. Und so effektiv wie möglich. Verzögerungen können wir uns genau so wenig leisten wie überflüssige Fehlinvestitionen. Deshalb sollten wir nicht die Stromerzeugung, das Netz und die Speicherung separat optimieren, sondern die ganze Energieversorgung als ein System. Nur so lassen sich nämlich Synergieeffekte richtig nutzen.

Ein entscheidendes Thema im anstehenden Bundestagswahlkampf wird jedenfalls der Klimaschutz und die Energiewende sein. Deshalb reden jetzt auch alle Politiker und Parteien über das Thema. Plötzlich sind Union und SPD die großen Vorreiter bei Energiewende und Klimaschutz und verabschieden schnell noch ein neues Klimaschutzgesetz, schließlich waren sie ja schon immer dafür. Komischerweise hat man in der Regierungspolitik nicht viel davon gemerkt.

Wer meint es ernst?

Die FDP warnt vor "Hau-Ruck-Aktionen" beim Klimaschutz. Also im Prinzip ist man bei der FDP natürlich für den Klimaschutz, aber nur solange es nicht konkret wird. Denn eigentlich will man ihn dann ja doch nicht. AfD-Politiker sagen wenigstens offen, dass sie keinen Klimaschutz wollen. Da weiß man wenigstens, woran man ist und dass man sie auch aus diesem Grund nicht wählen darf.

Die einzigen, denen man meiner Einschätzung nach glauben kann, dass sie es mit dem Klimaschutz ernst meinen, sind die Grünen und die Linken. Die Grünen haben es diesmal geschafft, auf interne Querelen und Flügelkämpfe zu verzichten und geschlossen für eine ordentliche Klimaschutzpolitik anzutreten. Und man kann davon ausgehen, dass sie die Absicht haben, an diesem Ziel auch nach der Wahl festzuhalten.

Soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz: CO2-Steuer

Auf ihrem Wahlparteitag hat Herr Habeck gleich zu Beginn einiges Grundsätzliches gesagt: Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit gehören zusammen und es geht um die Freiheit in unserer Gesellschaft. Im Wahlprogramm der Grünen stehen dazu sehr viele, teils richtige, teils sehr schlechte Vorschläge.

Beginnen wir mit dem für die Gesellschaft Wichtigen: soziale Gerechtigkeit und Zusammenhalt. Dazu Überwindung des diskriminierenden Hartz-IV-Systems und Anhebung des Mindestlohns auf ein Niveau, von dem man leben kann sowie ordentliche Tarifverträge und eine Vermögenssteuer für Reiche.

Alles alte Forderungen der Linken, die absolut notwendig sind, wenn wir eine weitere Spaltung der Gesellschaft, die dann irgendwann zur Katastrophe führt, vermeiden wollen. Wenn man das aber zu Ende durchdenkt, erfordert es eine Abkehr vom neoliberalen Kapitalismus. Um diese klare Aussage drückt sich Habeck allerdings. Genauso beim Klimaschutz und CO2-Sparen.

Anfangs richtig: Wir müssen in den nächsten zehn bzw. 20 Jahren die erneuerbare Energieerzeugung maximal ausbauen und dazu alle vorhandenen Möglichkeiten der Gesellschaft nutzen. Und wir dürfen durch die Energiewende die Einkommensschwächeren nicht zusätzlich belasten.

Aber dann kommt die CO2-Steuer als "wichtiges Lenkungsinstrument". Lenkung setzt aber voraus, dass ich die Wahl zwischen mindestens zwei Richtungen habe. Das ist bei der Energie zurzeit nicht der Fall. Wir sind vorerst noch auf die fossilen Brennstoffe angewiesen, denn wir erzeugen nicht genug regenerativen Strom.

Deshalb können wir nicht umsteigen, selbst wenn wir es wollen. Solange nicht genug regenerative Energie im Netz ist, gibt es kein Umsteigen, egal welche "Lenkungsinstrumente" genutzt werden. Im Endeffekt wird die Energie durch die CO2-Steuer nur verteuert und der Verbraucher kann nur entscheiden: Entweder zahlen oder keine Energie. Da hilft auch das "Energiegeld" nichts. Und die Umverteilung der Lasten zugunsten der Einkommensschwächeren durch Zahlung pro Kopf wird durch den größeren Energieverbrauch der größeren Familie auch wieder relativiert.

Der Klimapakt

Dann kommt der "Klimapakt" mit der Industrie. Der Staat soll letztendlich den Umbau der Industrie bezahlen, damit Deutschland auch in Zukunft wettbewerbsfähig ist und keine Arbeitsplätze verloren gehen.

Klingt erst mal gut. Die Frage ist nur, was dabei praktisch herauskommt?

Wir dürfen uns nicht mit irgendwelchen Horrorszenarien ins Bockshorn jagen lassen. Natürlich gibt es bei jedem technologischen Umbruch auch Verlierer. Im gegenwärtigen Fall sind das die EVUs, die Lieferanten von Öl und Gas sowie die Petrolchemie und deren Zulieferer. Dazu kommt noch die Autoindustrie, deren Absatz in Deutschland sich langfristig mindestens halbieren wird, sowie das gesamte Speditionsgewerbe.

Aber das kann kein Grund sein, an veralteten und nicht zukunftsfähigen Strukturen und Technologien festzuhalten. Natürlich werden durch diesen technologischen Wandel auch viele Arbeitsplätze verloren gehen. Das liegt in der Natur der Sache und ist unvermeidlich. Der eigentliche Grund für den Arbeitsplatzverlust ist allerdings nicht die Energiewende, sondern die, durch die technische Entwicklung gestiegene, Arbeitsproduktivität.

Man muss sich mal darüber klar werden, dass die Transformation einer Industrie immer eine vollständige Änderung der Technologie und deshalb einen Neubau der Werke bedeutet. Die neuen Fabriken werden selbstverständlich so modern und effizient ausgelegt, wie zum Bauzeitpunkt möglich. Dadurch steigt ihre Produktivität und der Arbeitskräftebedarf sinkt.

Den Beschäftigten in der Automobilindustrie ist schon lange klar, dass die Transformation zur Elektromobilität mindestens jeden zweiten Arbeitsplatz in der Branche kostet. Und in anderen Branchen sieht es ähnlich aus, es wird nur vielfach verdrängt.

Und es werden ganze Branchen wegfallen. Die Kohle und die Atomkraft sind erst der Anfang. Wobei die dort Beschäftigten noch das Glück haben, dass sie mit der Herstellung ordentlicher Folgelandschaften und der Beseitigung von Altlasten noch auf Jahrzehnte Arbeit haben. In anderen Branchen, z.B. der Petrolchemie, wird das in dem Umfang nicht eintreten. Arbeit ist kein Selbstzweck und Arbeit um der Arbeit willen, unsinnig. Hier muss man auch mal die Frage stellen: Lebt der Mensch, um zu arbeiten oder arbeitet er, um zu leben? Was wollen wir?

Wenn wir schon unsere gesamte Technologie, sowohl in der Industrie wie privat, umbauen müssen, sollten wir die Gelegenheit gleich mit nutzen, um auch einige gesellschaftliche Fehlentwicklungen mit zu korrigieren. Zurück zum Klimapakt mit der Wirtschaft.

Zu viel CO2. Problem: Roheisen- und Stahlerzeugung, Zementindustrie

Ein großes Problem ist, dass es in der Industrie auch außerhalb der Energiewirtschaft einige wichtige Prozesse gibt, bei denen sehr viel CO2 freigesetzt wird. Das betrifft z.B. die Roheisen- und Stahlerzeugung und die Zementproduktion. Die deutsche Zementindustrie verursacht etwa 20 Millionen Tonnen CO2 jährlich, die Stahlerzeugung 67 Millionen Tonnen.

Hier muss man fragen, ob es sinnvoll ist, den Hochofenprozess auf Wasserstoff als Reduktionsmittel umzustellen? Wir haben in Deutschland keine Eisenerzförderung, d.h. wir müssen das Eisenerz sowieso importieren. Außerdem wissen wir nicht, wie sich der Stahlverbrauch in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren entwickeln wird.

Wenn wir also die Technologie der Stahlerzeugung umstellen, sollten wir vielleicht überlegen, als Rohstoffbasis Schrott zu verwenden und diesen im Lichtbogen einzuschmelzen. Das Verfahren ist bekannt. Es funktioniert hervorragend und benötigt nur einen Bruchteil der Elektroenergie, die für wasserstoffbasierte Verfahren benötigt würde.

Ganz unschön ist die Situation bei der Zementproduktion. Beim Kalkbrennen wird der Kalkstein (Calziumcarbonat) thermisch in Calziumoxid und Kohlendioxid gespalten, d.h. der größte Teil des anfallenden CO2 stammt hier nicht aus fossilen Brennstoffen, sondern dem eingesetzten Rohstoff und lässt sich deshalb nicht vermeiden.

Wir können aber die Zementproduktion deshalb auch nicht drosseln oder einstellen, denn die Baustoffe werden ja gebraucht. Und importieren ist auch keine Lösung, dann wird das CO2 nur irgendwo anders freigesetzt. Man muss allerdings beim CO2-Sparen auch nicht päpstlicher sein als der Papst. Damit, dass bei der Zementproduktion CO2 erzeugt wird, müssen wir leben. Und wenn wir die CO2-Erzeugung hier schon nicht vermeiden können, könnten wir versuchen, das CO2 zumindest sinnvoll nutzen.

In Zukunft darf unsere chemische Industrie nicht mehr auf fossilen Brennstoffen als Rohstoffen zur Erzeugung von großtonnagigen Massenprodukten basieren. Aber man wird auch in Zukunft kleintonnagige, höherveredelte Produkte der organischen chemischen Industrie benötigen. Und als Kohlenstoffquelle für diese Chemie kann man dann CO2 nutzen.

Die Idee, dafür CO2 aus der Luft zu filtern, ist viel zu kompliziert. Das können die Pflanzen besser. Aber wenn wir beim Kalkbrennen große Mengen CO2 in hoher Konzentration erzeugen, sollten wir überlegen, ob wir diese nicht als Rohstoff nutzen können, anstatt sie in die Luft zu blasen.

Derzeit werden beispielsweise an der RWTh Aachen Verfahren entwickelt, CO2 reduktiv mit Wasserstoff und Methanol zu Methylformiat umzusetzen. Das kann dann als C1-Baustein in die verschiedensten Richtungen weiterverwendet werden. Beispielsweise kann man es zu Ameisensäure und Methanol verseifen oder mit 2H2 zu Methanol hydrieren. Das so erzeugte Methanol ist ein wichtiges Lösungsmittel und ebenfalls ein möglicher Rohstoff für Synthesen. Außerdem kann man es leicht speichern und als Treibstoff in Ottomotoren und Turbinen einsetzen.

Und wenn man es geschickt anstellt, kann man das anfallende CO2 zunächst als Methylformiat zwischenspeichern und erst dann zu Methanol weiterhydrieren, wenn für die Wasserstoffproduktion überschüssiger Strom zur Verfügung steht. Im Prinzip eine saisonale Langzeitspeicherung. Aber das wird frühestens in 10 Jahren aktuell, denn bis dahin haben wir keinen überschüssigen Strom für die Wasserstofferzeugung, weil wir mit dem erzeugten grünen Strom an anderen Stellen mehr CO2 einsparen können.

Sackgasse Wasserstoff

Für die Erzeugung von Wasserstoff aus Wasser durch Elektrolyse benötigt man etwa 50 kWh/kg. Um die 20 Millionen Tonnen CO2, die in der Zementindustrie jährlich anfallen, zu Methanol zu hydrieren, würde man 2,7 Millionen Wasserstoff benötigen, zu dessen Erzeugung 136 TWh Elektroenergie gebraucht würden.

Man sieht an diesem Beispiel sehr gut, dass eine große Wasserstoffindustrie eine Sackgasse ist, weil die benötigten Strommengen einfach zu groß sind.

Derzeit plant die Bundesregierung, dass 2030 mit einem Stromeinsatz von 20 TWh Wasserstoff erzeugt werden soll, das wären 400 000 t/a. Und bis 2040 soll dann die Menge verdoppelt werden. Einerseits ein Tropfen auf einen heißen Stein, andererseits ein Wahnsinnsaufwand ("Die Berge kreißten und gebaren ein Mäuschen").

Zum Vergleich: 2020 wurden in Deutschland etwa 1,7 Millionen Wasserstoff (57 TWh Energieinhalt) erzeugt, allerdings nicht durch Wasserelektrolyse (siehe auch: Prognosen zum Strombedarf zur Wasserstoffherstellung).

Zurzeit wird versucht, eine Wasserstoffs-Auktionsbörse mit dem Namen "H2 Global" zu installieren, die Zertifikate und Lieferverträge für zukünftigen grünen Wasserstoff aus dem Ausland handeln soll. Dabei gibt es noch gar keine größere Produktion von grünem Wasserstoff weltweit. Und selbst wenn in Zukunft eine Wasserstoffproduktion mit Photostrom in der Sahara oder am persischen Golf aufgebaut wird, ist der Transport zu uns völlig ungelöst und jedenfalls sehr teuer.

Aus "beihilferechtlichen Gründen" ist das Ganze als Industriestiftung geplant, mit der Firma HINT als operativem Arm. Finanziert werden soll es über die KfW, also von der Bundesrepublik. Und es soll schnell noch vor der Bundestagswahl die ersten Auktionen geben, weil das für künftige Koalitionsverhandlungen wichtig ist.

Im Klartext: Man plant, durch den Handel mit nicht vorhandenem Wasserstoff schnell noch vor der Bundestagswahl vollendete Tatsachen zu schaffen und eine von Anfang an unrentable Industrie mit staatlichen Mitteln zu subventionieren, weil eine große Lobby der deutschen Industrie an Bau und Lieferung der Anlagen sowie Spekulationsgeschäften interessiert ist. Natürlich nicht mit eigenem Geld, versteht sich.

Statt irgendwelche Luftbuchungen zu finanzieren, sollte man das Geld der KfW lieber in den Ausbau von Solar- und Windstrom in Deutschland investieren. Da wird unterm Strich mit dem gleichen Geld mehr CO2 eingespart. Außerdem sollten wir zusehen, dass wir langfristig unabhängig von allen Energieimporten werden. Wie schon oben gesagt: "Erneuerbare Energie ist genug vorhanden, man muss sie nur nutzen."

Und die dazu notwendigen Anlagen sollte man bei uns errichten, nicht irgendwo in der Sahara. Ist sicherer.

Leider bringen sich zurzeit alle Lobbyisten der fossilen Energie in Stellung, um zu retten, was noch zu retten ist. Dabei wird hauptsächlich auf Wasserstoff gesetzt, denn mit dieser Technologie lässt sich der Overall-Wirkungsgrad der Energiespeicher auf unter 25 Prozent drücken, was dann im Umkehrschluss einen vierfachen Energiebedarf bedeutet (einige Quellen gehen sogar vom sechsfachen Energiebedarf aus).

Dass es natürlich sehr viel aufwändiger ist und länger dauert, die vierfache Stromerzeugung aufzubauen, ist jedem klar. Aber so lange wir nicht genügend grünen Strom erzeugen, müssen wir fossile Energieträger nutzen.

Die deutsche Chemieindustrie

Auch die CCS-Technologie wird natürlich wieder hervorgeholt, obwohl seit vielen Jahren bekannt ist, dass das nichts wird, weil man zur Abtrennung und Verflüssigung des CO2 mehr Energie benötigt, als die CO2-Erzeugung einbringt. Und die Lobbyisten streuen die Botschaft: "Die Energiewende ist so nicht zu machen. Viel zu teuer. Dadurch wird die deutsche Industrie konkurrenzunfähig, die Energiewende kostet Arbeitsplätze und Wohlstand."

Als "Beweis" werden dann irgendwelche Studien vorgelegt. Beispielsweise diese, wonach ein Verzicht auf fossile Energieträger in der chemischen Industrie zwar möglich ist, die deutsche Chemieindustrie dann aber Mitte der 2030-iger Jahre einen Strombedarf von 628 TWh hat, also mehr als die gesamte Bundesrepublik heute verbraucht. Und der Strom darf nicht mehr als 4 ct/kWh kosten, sonst ist man nicht konkurrenzfähig.

Schauen wir uns mal an, was die Hauptprodukte der chemischen Industrie heute sind: Die Petrolchemie liefert Treibstoffe und Heizöl sowie Rohstoffe für Plaste. Sie fällt im Zuge der Energiewende fast komplett weg, auch die Plastikproduktion muss aus Umweltschutzgründen stark zurückgefahren werden.

Dazu kommen Dünger und Pflanzenschutzmittel. Der größte Energieverbraucher hier ist die Ammoniakproduktion. Aber auch hier muss stark reduziert werden. Die Landwirtschaft wird in Zukunft schon aus Umweltschutzgründen mit weniger Chemikalien auskommen müssen. Das sollte mittlerweile jedem klar sein. Da hilft es auch nicht, wenn Julia Klöckner bremst, so gut sie kann.

Das sind die großtonnagigen Massenprodukte der chemischen Industrie. Dazu kommen natürlich noch jede Menge Arzneimittel und Feinchemikalien. Und wenn in Zukunft die geplanten Batteriefabriken stehen, kommen evtl. noch die dort benötigten Rohstoffe und Chemikalien hinzu. Aber dafür reichen ein paar dutzend TWh völlig aus, da brauch man die geplanten Strommengen nicht.

Das ist auch gar nicht vorgesehen. Geplant ist, Wasserstoff zu erzeugen und evtl. mit dem Wasserstoff noch Synfuel, also synthetischen Treibstoff, prinzipiell nach dem alten Fischer-Tropsch-Verfahren, wobei man den Wasserstoff für das Synthesegas durch Elektrolyse aus Wasser und das Kohlenmonoxid aus Holz oder Biomasse erzeugen will. Energetischer Irrsinn. Warum wird so etwas geplant?

Aus Sicht der chemischen Industrie ist die Sache klar: Wenn die bisherigen Produkte wegfallen, muss man neue Märkte erschließen bzw schaffen. Statt Petrol- und Agrochemie dann eben Wasserstoff und Synfuel.

Die Gasversorger

Und die Gasversorger sind ebenso mit von der Partie wie die Autoindustrie. Dazu kommen noch Anlagenbauer wie Siemens und Thyssen-Krupp.

Die Gasversorger wittern hier die Chance, mit ihrem Erdgas im Geschäft zu bleiben, weil es auf absehbare Zeit mangels Ökostrom völlig unmöglich ist, den benötigten Wasserstoff durch Elektrolyse zu erzeugen. Die Alternative heißt Erdgas.

Und außerdem ist geplant, für die zukünftige Wasserstofftechnologie die existierende Gasinfrastruktur zu nutzen. Das ist sofort möglich, solange der Wasserstoffanteil des Mischgases unter 20 Prozent liegt. Eine prima Mogelpackung, um Erdgas weiterzuverkaufen und dabei mit 20 Prozent Wasserstoff 80 Prozent Erdgas grün zu waschen.

Der Autoindustrie geht es beim Wasserstoff vor allem um einen Ersatz der derzeitigen Verbrennungsmotoren für die LKW und Nutzfahrzeuge. Dort ist eine Elektromobilität auf der Basis von Akkus nämlich nur schwer sinnvoll machbar. Aber bevor wir nun abgefahrene Pläne für einen Wasserstoffantrieb diskutieren, sollten wir uns zwei Dinge klarmachen.

Vorschläge gegen Monopolstrukturen

Erstens haben wir auf absehbare Zeit sowieso nicht genug Ökostrom, sodass wir nicht alles gleichzeitig umstellen können. Deshalb sollten wir die Umstellung von LKW und Arbeitsmaschinen erst mal zurückstellen und die E-Mobilität bei den PKW vorantreiben, inclusive des Ausbaus des Ladenetzes. Und hier brauchen wir nicht ein wahnsinnig teures Schnellladenetz, sondern ein flächendeckendes Ladenetz für Peakstrom.

Und damit auch wirklich mit Peakstrom getankt wird, müssen die Preise per Gesetz so reguliert werden, dass es sich für den Verbraucher auch wirklich lohnt, Peakstrom zu tanken und er nicht an der Ladesäule abgezockt wird. Auch wenn das gegen die Ideologie von der "Freien Marktwirtschaft" ist. Freie Marktwirtschaft erfordert nämlich einen freien Markt.

Jeder BWL-Student lernt in der ersten Vorlesung, dass der Markt der Ort ist, an dem Anbieter und Kunden zusammenkommen und das Angebot und Nachfrage den Preis bestimmen. Und dann kommt die Einschränkung, dass keine marktbeherrschenden Strukturen, also Monopole oder Kartelle, existieren dürfen. Dann funktioniert der Markt nämlich nicht mehr (deshalb haben wir ja auch ein Kartellamt).

Leider haben wir im Energiesektor keinen freien Markt, sondern Monopolstrukturen, da die zur Energieversorgung notwendige Infrastruktur nicht mehrfach vorhanden ist. Damit hat aber der Betreiber dieser Infrastruktur automatisch ein Monopol, da der Kunde nicht zu einem Konkurrenten ausweichen kann. Deshalb kann die "Freie Marktwirtschaft" hier nicht funktionieren und der Gesetzgeber hat die Pflicht, regulierend einzugreifen.

Und zweitens ist es Unfug, den gegenwärtigen Straßenverkehr 1:1 auf erneuerbare Energie umstellen zu wollen. Das wird nicht funktionieren, denn er ist sowieso völlig überdimensioniert und so nicht zukunftsfähig.

Das betrifft sowohl die 47 Millionen zugelassenen PKW, hier wird man die Fahrzeugzahl in Zukunft mindestens halbieren müssen, als auch den Gütertransport auf der Straße. Da müssen sowieso Fehlentwicklungen korrigiert werden und das sollte man im Rahmen der Energiewende gleich mit erledigen.

Der Güterverkehr

Der Güterverkehr ist derzeit total überdimensioniert. Er muss in Zukunft deutlich geringer werden. Nicht nur, dass die Brennstofftransporte wegfallen werden und die Ferntransporte auf die Schiene verlagert werden sollten, wir müssen sowieso von den derzeitigen Lieferketten wegkommen.

Sie sind einerseits ein großes Risiko (Suezkanalblockade, Ausfall Chipproduktion in China für die Autoindustrie usw.) und andererseits bringen sie nicht mehr den Nutzen wie früher, da durch die Automatisierung und Digitalisierung der Vorteil, in Billiglohnländern zu produzieren, immer geringer geworden ist. Auch das Verlagern von Produktion ins Ausland, um hiesige Umweltstandards zu vermeiden, kann nicht länger toleriert werden.

Wenn wir aber hierzulande eine höhere Fertigungstiefe der Industrie schaffen, entfallen sehr viele Transporte. Das heißt natürlich auch, dass wir dann sehr viel weniger LKW brauchen. Und ob die dann mit Wasserstoff betrieben werden, ist auch noch sehr fraglich.

Das eigentliche Problem ist, dass wir den zukünftigen Bedarf nicht wirklich kennen und deshalb bei allen Abschätzungen mit dem gegenwärtigen Bedarf kalkulieren, den wir einfach umrechnen. Das wird aber in vielen Fällen falsche Ergebnisse bringen.

Die Energiewende ist ein langer Prozess und wir müssen nicht heute schon für alle Teilbereiche Patentlösungen anbieten. Da der Klimawandel schnell voranschreitet, sollten wir uns lieber darauf konzentrieren, die Energiewende da voranzutreiben, wo wir einerseits erprobte Technologien verfügbar haben und andererseits die größte CO2-Einsparung mit dem geringsten Aufwand erzielen.

Lobbyisten und Geschäft. Fazit

Da haben wir die nächsten Jahre genug zu tun. Wir müssen nur aufpassen, dass wir uns nicht irgendwelche zukünftigen Möglichkeiten verbauen. Aber die Gefahr ist gering. Viel größer ist die Gefahr, dass alle möglichen Lobbyisten jetzt dafür sorgen, dass nicht die effektivsten Lösungen genutzt, sondern riesige Fehlinvestitionen getätigt werden und so die Energiewende um Jahre verzögert wird.

Und außerdem versuchen natürlich alle Beteiligten, sich jetzt schon ein möglichst großes Stück vom Kuchen zu sichern, denn aus Sicht der Industrie ist die Energiewende vor allem ein Geschäft. Da wird mit allen Mitteln um Aufträge und Profite gekämpft. Jeder gegen jeden, aber alle gemeinsam, wenn zum Großangriff auf öffentliche Mittel geblasen wird.

Die Energiewende steht und fällt mit der Produktion von ausreichendem Ökostrom, weil wir so lange nicht auf CO2-sparende bzw. -freie Technologien umsteigen können, wie wir nicht genug Ökostrom erzeugen.

Und es reicht nicht, für den Klimaschutz zu sein, man muss auch ganz konkret sagen, wie man sich das dann vorstellt.

Nicht nur "CO2-Sparen, Umstieg auf erneuerbare Energie, Kohleausstieg und Ende des Verbrennungsmotors bis 2030", sondern auch, was statt dessen kommen soll, wie man sich den Weg dorthin vorstellt, was für Technologien in welchem Umfang, welche Gesetze und Vorschriften dazu nötig sind, was das kostet, wie es finanziert werden soll, welche Förderungen geplant sind und wer welche Kosten trägt.

Einen solchen detaillierten Masterplan zur Energiewende hat bisher leider noch keine Partei vorgelegt. Das Gleiche gilt übrigens auch für die Landwirtschaft und den Verkehr.

Das ist aber Voraussetzung für mich als Wähler, um die Parteien beurteilen und vergleichen zu können. Und erstellt werden müssen diese Pläne ja sowieso.