Die Sehnsüchte junger Mädchen

Filmstill "Priscilla": Copyright A24

Elvis ist eine Randfigur: Sofia Coppolas "Priscilla" ist ein typischer Coppola-Film über Einsamkeit und Nostalgie.

Es war einmal, eines Nachmittags im Jahr 1959. Die erst 14-jährige Priscilla Beaulieu, Tochter eines US-Army-Offiziers im südhessischen Bad Nauheim, wird in einem American-Diner inmitten ihrer Schulnachmittagslangeweile von einem älteren Herrn angesprochen: Ob sie Elvis Presley möge – eine fast schon naive Frage, denn längst war dieser der Schwarm aller Teenies der westlichen Hemisphäre.

Die nächste Frage des Herrn aber hat es in sich: Ob sie Lust hätte, am kommenden Freitag mit auf eine Party zu kommen und Presley persönlich kennenzulernen?

Der "King of Rock'n'Roll" absolvierte da gerade in der jungen Bundesrepublik seinen Wehrdienst bei den US-Besatzungstruppen. Priscilla Beaulieu sagt nach kurzem Zögern zu und so wird für sie ein Traum wahr, den sie nie zu träumen wagte.

Offen schlüpfrige Seiten

Mit dieser Szene, die unschuldig-nett ist, zumal der fremde Herr, wie damals üblich, auch noch die Eltern um Erlaubnis fragt, und die zugleich offen schlüpfrige Seiten hat, beginnt "Priscilla".

In ihrem neuen Film erzählt die Amerikanerin Sofia Coppola ("Lost in Translation") von einem erst 14-jährigen, aber lebensklugen Teenager, der selbst nicht genau weiß, warum sich ein zehn Jahre älterer berühmter Rockstar für sie interessiert.

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Aber weil es sich eben um Elvis Presley handelt, sagt man nicht Nein, erst recht nicht, als Elvis sie nach einigen weiteren Partyfreitagen höflich fragt, ob sie seine Freundin sein möchte.

Nach zwei Jahren keuscher Distanzbeziehung ziehen die beiden zusammen, doch eine grundsätzliche Distanz, die nicht nur etwas mit dem Altersunterschied zu tun hat, bleibt weiter bestehen.

Graceland ist überall

Wüsste man nicht, dass sich dieser Film eng an die Autobiografie von Priscilla Presley, der Ex-Frau des "King" anlehnt, wäre das auch nicht weiter schlimm. Denn "Priscilla" ist vor allem ein typischer Coppola-Film: Keine brave Illustration von Fakten, sondern eine klug-empathische Meditation über die universale Einsamkeit junger Mädchen.

Dies ist Coppolas großes Kinothema: Zwischen Graceland und den anderen Schauplätzen von Coppolas Filmen, zu Versailles, dem "Park Hyatt Hotel" in Tokio und dem "Chateau Marmont" in Los Angeles, besteht kein großer Unterschied. Dieser Film ist auch eine Feier des Luxus, des schönen Lebens und der Abwesenheit von schlichten psychologischen Kurzschlüssen.

Graceland ist überall. In Coppolas Kino gibt es immer ähnliche geschlossene Orte, fast freiwillige Trennungen und Isolationen der Figuren vom Rest der Welt – aber normalerweise neigen die Protagonistinnen ihrer Filme dazu, den Ort ihrer selbst gewählten Gefangenschaft bis zum Ende nicht zu verlassen.

Diesmal ist es anders: Hier in Graceland findet der Entwicklungsprozess der Figur statt, den Coppola filmt: intim, diskret, respektvoll und sehr persönlich. Wobei die Kamera mit den Augen und Gesichtern der beiden Hauptfiguren auch jeden noch so kleinen Gesichtszug zeigt.

Die Medienseite von Elvis wird dagegen ignoriert. Er ist hier einfach ein Mann, ein Ehemann, verletzlich, unfähig, auf seine Frau zu hören, zugleich dominiert von seinem Vater und seinem Manager.

Elvis braucht keine Row Zero – weil er es kann

Der Rockstar ist vor allem ein asexuelles Totem inmitten des testosterongeladenen Männerbundes, der ihn ständig umgibt, einer, der zugleich junge weibliche Fans im Dutzend vernascht – weil er es kann. Dafür braucht der Mann auch gar keine Row Zero.

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Priscilla allein zuhaus' ist aber deshalb kein Opfer. Sie ist nicht zerbrechlich, sondern so elastisch wie alle Menschen bei Coppola, deren Kino ohne Ausrufezeichen, Schlagworte und "Themen"-Bedeutungshuberei auskommt.

Coppola filmt kaum eine Szene mit Konfrontationen und Zusammenstößen, mit Schreien und Rufen à la Hollywood. Während Coppolas Elvis mit gedämpfter Stimme schwer fassbar ist, explodiert Priscilla, auch wenn sie von Eifersucht und dem Gefühl, betrogen worden zu sein, durchdrungen ist, nie. Sondern sie wird reif für ihr Alter und alles Weitere verdichtet sich in ihrem enttäuschten, traurigen, resignierten Blick.

Priscilla allein zuhaus‘

Gehüllt in perfekte pastellfarbene Kostüme und wunderbar schwebende, unvergleichliche Musikstücke, die übrigens auffallend selten von Elvis selber stammt, sondern anachronistischer, zeitgenössischer Pop ist, wird dieser Entwicklungsprozess erzählt.

Getragen wird alles zugleich von der exzellenten, bisher wenig bekannten Cailee Spaeny in der Titelrolle. Sie und Jacob Elordi als Elvis sind zwei der größten Stärken des Films. Sie sind wie Priscilla- und Elvis-Doubles aus einem Paralleluniversum, die ihren realen Vorbildern gar nicht einmal allzu sehr ähneln.

In ihnen verbindet sich extreme Natürlichkeit mit einer Art von Undurchdringlichkeit, auch zueinander. Es ist, als ob sich Priscilla und Elvis auch nach vielen Jahren des Zusammenlebens und dem Einschlafen im selben Bett einfach nicht näher kommen könnten.

Fast wie in einer realen Version von Ken und Barbie, definieren sich auch diese Figuren über Mode und perfekte Kleidungs- und Frisurwechsel, über den Fetischismus materieller Objekte – so erscheint "Priscilla" als ein unfreiwilliges, aber wichtiges Echo auf den "Barbie"-Welterfolg von Greta Gerwig.

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Und zugleich liegt in dieser schwer verständlichen Beziehung eine große Zärtlichkeit, ein unvergleichliches Vertrauen.

Die Heldin, so wie Spaeny sie spielt, ähnelt in ihrer stillen Gradlinigkeit auf subtile Weise einer der selbstmörderischen Jungfrauen aus Coppolas Debüt "The Virgin Suicides"; aber der unmittelbare Vorgänger von "Priscilla" im Werk der Regisseurin ist "Marie Antoinette" – auch dies ein Biopic über eine unerfahrene historische Figur, die sich in ein wunderschönes Leben stürzt, in dem sie Kuchen statt Brot isst, sich selbst aber immer zu verlieren droht.

Nur Hülle ...

Coppolas visueller Ansatz wird durch den gesamten Stil des Films unterstützt – betont dekorativ, vollgestopft mit farbenfrohen Artefakten, die in den Coppola-typischen, schnell-montierten Bildsequenzen ablaufen.

Wir sehen in extremen Nahaufnahmen ein Paar mit Gänseblümchen geschmückter Stilettos, eine Dose "AquaNet"-Haarspray, einen "kitty-cat"-eyeliner, nackte Füße auf pinkfarbenem Teppich – versetzen die Zeit zurück in eine Mädchenwelt der 1960er-Jahre, in der das richtige Make-up und die richtigen Accessoires das Schicksal bedeuten konnten.

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Die wichtigsten Veränderungen, die Priscilla in Graceland erlebt, sind keine seelischen, sondern eine neue Garderobe, ungewöhnliche Frisuren und Make-up. Das Äußere ist ihr Substanz und Coppola findet dafür tolle, eindringliche Bilder: Selbst wenn Priscilla in die Entbindungsklinik geht, klebt sie ihre künstlichen Wimpern auf.

Aber das ist keine Oberflächlichkeit, sondern eine bewusst gewählte Methode und das eigentliche Thema all der filmischen Untersuchungen dieser Regisseurin. Coppola versucht gar nicht, "hinter" die glänzende Hülle von Elvis Presley zu schauen – denn sie will ja zeigen, uns, aber auch ihrer Hauptfigur, dass er nur aus eben dieser Hülle besteht.

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