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Die USA als Vorbild: Konzert- und Ticketingkonzerne entflechten

Was wir zum Erhalt von Clubs und Venues, unabhängigen Veranstaltern und kleineren Festivals, benötigen. Zur Situation der Konzertbranche im Winter 2022/23, (Teil 3 und Schluss).

Nein: nur die Koppelung von horizontalen und vertikalen Monopolen muss aufgehoben werden. Konzertveranstalter dürfen nicht gleichzeitig Tickethändler sein, und vice versa: Ticketingfirmen dürfen nicht zugleich Konzertveranstalter sein!

Die Logik liegt auf der Hand: Erst durch die unselige Verquickung der beiden Geschäftsbereiche konnten die Großkonzerne der Branche ihre Monopole und Duopole aufbauen. Durch die beschriebenen hohen Profite beim Ticketing konnten Konzertveranstalter "Kriegskassen" aufbauen, mit denen sie etliche andere Firmen aufkauften, ihre Monopole errichteten und dann Stück für Stück ausbauten. Dem muss durch ein starkes Kartellrecht ein Riegel vorgeschoben werden.

Teil 1: Wenige weltweit agierende Konzert-Multis dominieren die Branche [1]
Teil 2: Corona: Politik verschärfte Fehlentwicklung der Konzertbranche [2]

All diejenigen, denen das wie ein kommunistischer Blütentraum erscheint, mögen einen Blick auf den vermutlich kapitalistischsten Staat der Erde werfen, nämlich die USA. Dort ist die Zerschlagung von monopolistischen Konzernen guter Brauch.

Die weltgrößte Entertainmentfirma Clear Channel beispielsweise musste sich 2005 dem gewaltigen politischen Druck von Kartellbehörde und Öffentlichkeit beugen und ihre Konzertsparte aus dem Konzern herauslösen und in ein eigenständiges Unternehmen überführen – so entstand seinerzeit Live Nation.

Und auch die Fusion von Live Nation und dem weltgrößten Ticketingkonzern Ticketmaster stand 2010 unter dem Vorwurf der Wettbewerbsverhinderung und wurde nur unter massiven Auflagen genehmigt. Bis heute steht Live Nation immer wieder im Brennpunkt und muss sich regelmäßig mit Untersuchungen des US-Justizministeriums und der Kartellbehörde auseinandersetzen.

Vor einigen Wochen hat US-Präsident Biden generell Konzerne angeklagt, die kundenfeindliche Zusatzgebühren auf ihre Leistungen erheben, und angekündigt, seine Regierung werde diese Konzerne, also ausdrücklich auch Ticketfirmen, dazu zwingen, künftig all ihre Gebühren jederzeit transparent und nachvollziehbar zu machen.

Aktuell hat das US-amerikanische Justizministerium laut New York Times außerdem eine kartellrechtliche Untersuchung gegen Live Nation, den Mutterkonzern von Ticketmaster, auf den Weg gebracht, um zu überprüfen, ob Live Nation seine Machtstellung missbraucht. Und Ende November hat der Justiz-Unterausschuss für Wettbewerb, Kartellrecht und Verbraucherschutz des US-Kongress eine Anhörung angekündigt, in der der "mangelnde Wettbewerb in der Ticketbranche" untersucht werden soll.

Eine der Initiatorinnen, die demokratische Senatorin Amy Klobuchar, erklärte, dass "die hohen Gebühren, die Website-Störungen und Stornierungen" zeigen würden, dass "die dominante Marktposition von Ticketmaster bedeutet, dass das Unternehmen keinem Druck ausgesetzt ist, kontinuierlich Innovationen und Verbesserungen an seinem Angebot vorzunehmen."

Sicher, im Gegensatz zum relativ zahnlosen deutschen Kartellrecht ist das US-Kartellrecht streng und bietet zahlreiche Möglichkeiten, Konzernen ihre Grenzen aufzuzeigen und sie, siehe Clear Channel, sogar zu zerschlagen, wenn sie unzulässige Monopole errichtet haben. Davon können wir hierzulande nur träumen – genauso wie davon, dass der Bundestag ein Hearing veranstaltet, in dem die unmoralischen Praktiken der Ticketkonzerne durchleuchtet werden.

Ganz im Gegenteil, der Bundestag zeichnet sich ja quer durch fast alle Fraktionen eher durch eine ausgesprochen konzernfreundliche Politik aus – als im Frühjahr 2020 die Fan-feindliche Gutscheinregelung im Parlament diskutiert wurde, wedelten Abgeordnete unterschiedlicher Fraktionen voller Stolz mit ihren Tickets für Großfestivals und Superstar-Tourneen, die von den Großkonzernen ausgerichtet wurden, während von den Nöten der Fans, der Musiker:innen oder der Clubs und Kulturzentren keine Rede war.

Was tun? Lösungsansätze

Aber die Fans, die permanent unter dem Monopol der Ticketgiganten zu leiden haben, könnten natürlich mit Protesten dafür sorgen, dass sich auch die bundesdeutsche Politik endlich der Monopolproblematik in der hiesigen Konzert- und Ticketbranche annimmt.

Zugegeben, bis so etwas in der schläfrigen und grundsätzlich konzernfreundlichen deutschen Politik realisiert werden kann, werden wohl noch etliche Konzertsaisons ins Land gehen. Deswegen benötigen wir pragmatische Ad-hoc-Maßnahmen zur Rettung der kulturellen Diversität, zum Erhalt von Clubs und Venues, unabhängigen Veranstaltern und kleineren Festivals. Dazu gehören:



Der Deutsche Kulturrat spricht von über 719.000 selbständig Tätigen im Kulturbereich, davon knapp die Hälfte "Mini-Selbständige", deren Jahresumsatz unter 17.500 Euro liegt. In weiten Teilen des Kulturbetriebs herrschen prekäre wirtschaftliche Verhältnisse (ganz abgesehen von einem massiven Gender Gap). Gerade in Zeiten, da für kleine und mittlere Bands die Auftrittsmöglichkeiten aus verschiedenen Gründen geringer werden, ist eine soziale Absicherung von Musiker:innen jenseits des omnipräsenten Produktivitätswahnsinns von enormer Wichtigkeit.






Der deutsche Markt für Konzerte ist der größte in Europa. Doch die schiere Größe sagt wenig über seine Qualität und Diversität aus – während die Großkonzerne des Konzertgeschäfts in der Post-Corona-Ära boomen, sind viele Musiker:innen, Clubs, Venues und unabhängige Veranstalter:innen in Not.

Wenn Ende Juni 2023 der Sonderfonds des Bundes für Kulturveranstaltungen ausläuft, droht ein Club- und Veranstalter-Sterben noch nicht gekannten Ausmaßes, mit drastischen Folgen für die meisten Musiker:innen, die in der Folge noch weniger Auftrittsmöglichkeiten haben werden als ohnedies schon.

Wenn in den kommenden Monaten nicht gegengesteuert wird, drohen die Strukturen kaputt zu gehen, was eine Katastrophe für die unabhängige Musikkultur und damit auch für die kulturelle Vielfalt der Gesellschaft bedeuten würde.

Berthold Seliger ist Publizist ("Das Geschäft mit der Musik", "Klassikkampf", "Vom Imperiengeschäft") und seit über 34 Jahren Konzertagent und Tourneeveranstalter. Er vertritt unter anderem Patti Smith, Tortoise, The Residents, Bonnie 'Prince' Billy und Rufus Wainwright.


URL dieses Artikels:
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[2] https://www.heise.de/tp/features/Corona-Politik-verschaerfte-Fehlentwicklung-der-Konzertbranche-7441560.html
[3] https://www.heise.de/tp/features/Wie-wirklichkeitsfremd-darf-Kulturpolitik-eigentlich-noch-sein-4922635.html?seite=2