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Die Ukraine, der Krieg und die Interessen der Oligarchen

Champagner schmeckt hier auch mit Klassenbrüdern aus der Ukraine: Yacht des russischen Oligarchen Andrey Melnichenko. Bild: Chris Parker, CC BY-ND 2.0

Sowohl in der Ukraine als auch in Russland sind linke Kräfte ausgeschaltet. Oligarchen erhalten Lohn für nationale Unterstützung. Der neoliberale Staatsumbau ist insbesondere in der Ukraine in vollem Gange. Ein Debattennachtrag.

Vom 23. bis 25. September tagte in Berlin der jährliche Kongress der Kommunisten – diesmal im geschichtsträchtigen Gebäude des Neues Deutschlands am Franz-Mehring-Platz. Die Berichterstattung beschränkte sich auf explizit linke Medien [1] und kritische Publikationen [2]. Einige Erkenntnisse sollten aber breiter diskutiert werden.

Anstelle eines Vorwortes

Die konträren Auseinandersetzungen um Interpretationen der Imperialismus-Theorie von Lenin, dem Faschismus-Begriff sowie der Zuordnung, welcher Staat faschistisch, imperialistisch, neokolonial ist und eine Kompradoren-Bourgeoisie hat, werden hier nicht wiedergegeben. Auch beteiligt sich der Autor nicht an der Suche nach Revanchisten unter den Linken.

Schon diese Begrifflichkeiten zeigen, dass es eine Menge Fragwürdiges am linken Rand des politischen Spektrums gibt. Herausragend irrlichternd wirkte der wiederholte Aufruf von "Spartakus"-Mitgliedern, internationale Brigaden zur Befreiung des Donbass von den Bandera-Faschisten zu bilden. Das Statement reiht sich aber in ein Leninismus-Seminar ein – jüngste Quelle von 1985. Teilweise schien die Zeit stehengeblieben.

Trotzdem gab es markante Thesen, über die nachzudenken ist. Interessanterweise waren die Einwürfe aus dem Publikum stellenweise lehrreicher als Beiträge auf dem Podium. Der folgende Text bezieht sich auf den Vortrag von Renate Koppe aus dem Vorstand der DKP der zu den Volksrepubliken Donezk und Lugansk sowie auf das I. Panel mit den Referenten Erhard Crome und Hannes Hofbauer.

1. Vorgeschichte ambivalent

Es ist schwierig, die Situation in der Ukraine einzuschätzen. Bei näherer Betrachtung, inklusiver der Vorgeschichte des Russland-Ukraine-Krieges, wird vieles immer weniger eindeutig.

So war Wiktor Janukowitsch als Präsident der Ukraine (2010-2014) kein Pro-Russland-Vertreter und auch kein Russland-Freund. Unter seiner Ägide wurde das Assoziationsabkommen mit der EU über mehrere Jahre hinweg verhandelt. Dass er es nicht unterzeichnete, lag sowohl an der mangelnden ökonomischen Attraktivität des Vertrages seitens der EU sowie am russischen Druck und lukrativen Krediten.

Der ukrainische Wunsch, weiterhin eine Brückenfunktion nach Russland wahrzunehmen, wurde von der EU beiseite gewischt. Entweder … oder! Janukowitsch dachte noch, die einsetzenden politischen Fliehkräfte beherrschen zu können. Eine Illusion. Als die Umbrüche begannen, unterstützte der Westen den Putsch nationalistischer Kräfte und setzte das Abkommen mit der neuen Regierung durch.

2. Rolle der Oligarchen

Interessant war die Feststellung von Renate Koppe, dass sich die Unterstützung der Oligarchen von 2004 zu 2022 änderte. Noch bei der "Orangenen Revolution" fanden sich deren Vertreter auf beiden Seiten des Konfliktes. Die "Revolution" ähnelte eher einem Machtkampf der Oligarchen als einer Volksbewegung.

Im Konflikt ab 2014 unterstützten die Oligarchen die Aufständischen kaum noch. Hintergrund waren die umfassenden Verstaatlichungen von Betrieben durch die Unabhängigkeitsbewegung. Der Prozess beschleunigte sich durch das ukrainische Wirtschaftsembargo ab 2017.

Dem begegneten die Volksrepubliken unter anderem durch die Ausweitung russischer Kapitalbeteiligungen. In Folge bildete sich eine Mischwirtschaft aus staatlichen Unternehmen der Volksrepubliken und russischen - teils privaten, teils staatlichen - Gesellschaften. Dabei führte die russische Seite nicht nur alte Beteiligungen fort, sondern übernahm auch Anteile der verdrängten Oligarchen. Eine neue Schicht von Oligarchen hat sich (bisher) nicht gebildet.

Im offenen Krieg mit Russland ab Februar 2022 stehen die ukrainischen Oligarchen zur "Nation". Ziele ihrer Politik: Rückgabe des alten Eigentums und Verhinderung ähnlicher Entwicklungen in der übrigen Ukraine. Damit ist der aktuelle Krieg auch eine Auseinandersetzung über den Einfluss der Oligarchen in der zukünftigen Ukraine.

3. Nationenbildung von rechts

Die Betrachtung der Oligarchen erklärt auch zum Teil die nationale Geschlossenheit der Ukraine – im Gegenteil zu 2004 und 2014. Bei allen inneren Differenzen – (bisher) steht die ökonomische Elite hinter dem Krieg gegen Russland. Sie ist bereit ihr Kapital, ihren politischen Einfluss sowie ihre Produktionskapazitäten als auch ihre privaten militärischen Kräfte, zur Verfügung zu stellen.

An anderer Stelle erläuterte Erhard Crome, Amtierender Direktor des Welttrends-Instituts für Internationale Politik, dass diese nationale "Einheit" auch Folge der Abspaltung der "prorussischen" Landesteile ist. Dadurch änderten sich die politischen Kräfteverhältnisse in Kiew grundlegend. Jetzt haben die nationalistischen Strömungen eine strukturelle Mehrheit. Die Bevölkerung der "Rumpfukraine" entwickelt sich immer mehr zu einer Nation. Dabei rückt sie (dauerhaft) nach rechts.

Wortmeldungen aus dem Publikum ergänzten, dass derzeit in der Ukraine ein massiver Abbau sozialer und politischer Grundrechte stattfindet. Es entsteht ein autoritärer und neoliberaler Militärstaat. Die Oligarchen erhalten den Lohn für ihre Unterstützung.

Die Veränderungen durchdringen alle Bereiche der Gesellschaft: Einheitliches Schulsystem, Verdrängung des Russisch sowie anderer lokaler Sprachen … und auch eine neue militärische Kraft aus einer "levée en masse". Die Größe und punktuelle Überlegenheit der ukrainischen Armee können auch dadurch erklärt werden.

4. Linke Kräfte – bedeutungslos und reaktionär

Bei den Diskussionen und Vorträgen wurde deutlich, wie schwach die linken Kräfte in der Ukraine, den neuen Volksrepubliken und Russland sind.

In der Ukraine sind die Kommunistische Partei und andere linke Organisationen verboten. Sie werden durch staatliche Organe sowie den "Rechten Sektor" gezielt verfolgt. Eine offene politische Arbeit ist nicht mehr möglich. Viele Aktivisten verschwinden einfach.

Auch Gewerkschaften und soziale Organisationen agieren zunehmend nur noch aus dem Untergrund heraus. Als gestaltende Kräfte sind linke Organisationen als auch Gewerkschaften ausgeschaltet worden.

In den Volksrepubliken können linke Gruppen wie die Kommunisten offen politisch arbeiten. Aber an Wahlen nehmen sie auch nicht teil. Koppe betonte, dass kein Vertreter linker Parteien in den regionalen Parlamenten vertreten ist. Das Projekt "Volksrepubliken" ist kein sozialistisches Projekt, wie es sich manche erträumen.

Ganz im Gegenteil. Die politische Basis der Volksrepubliken bilden (klein-)bürgerliche Strömungen, die ihre eigenen national-ethnischen sowie ökonomischen Interessen verfolgen. Mit linken oder gar sozialistischen Ideen haben sie kaum etwas zu schaffen.

Die Volksrepubliken führten eine umfassende staatliche Steuerung inklusive staatlicher Kontrolle der Energie- und Nahrungsmittelversorgung ein. Das im Vergleich zur Ukraine von vor 2022 hohe Niveau der staatlichen Regulierung entstand aus der Notwendigkeit einer Kriegswirtschaft heraus.

Die daraus resultierende (teilweise) bessere soziale Absicherung der Unterschichten ist eine willkommene politische Stütze. Insbesondere bindet sie Teile der Arbeiterschaft an die Volksrepubliken. Aber Verstaatlichung alleine schafft noch kein linkes System.

In Russland profiliert sich die Kommunistische Partei Russlands (KPF) als Hardliner. Koppe stellte sichtlich stolz dar, dass die Kommunisten die Ersten waren, die die Ausgaben von Pässen an die Einwohner der Volksrepubliken forderten. Die KPF befürwortet den Angriffskrieg Russlands und unterstützt die derzeit laufende Ausweitung der Mobilisierung. Ihre Schlussfolgerung, dass auch die DKP in diesem "antifaschistischen, antirassistischen und antiimperialistischen Verteidigungskrieg" an der Seite Russlands stehen müsse, wurde vom Publikum scharf angegriffen.

Auch die Gesprächspartner auf dem Plenum – Erhardt Crome und der österreichische Publizist Hannes Hofbauer – grenzten sich von den DKP-Thesen deutlich ab.

5. Dieser Krieg ist völkerrechtswidrig

Hofbauers Position war eindeutig. Es gibt keine "gerechten Kriege". Ja, der Krieg hat eine Vorgeschichte. Wichtigster Außenpolitischer Faktor war die Expansion des Westens – ökonomisch in Form der EU-Osterweiterung und militärisch durch die Nato.

Innenpolitisch wirkte die seit ihrer Unabhängigkeit fortschreitende Nationalisierung der Ukraine destabilisierend. Die Ukraine reiht sich damit in eine lange Linie von Zerfallsprozessen multiethnischer Staaten ein. Beide Faktoren stürzten die Ukraine in einen Bürgerkrieg, der sich internationalisierte.

Dass der Einmarsch Russlands ein Bruch des Völkerrechts ist, steht für Hofbauer außer Frage. Zumal die Ziele Russlands über die Verteidigung der Volksrepubliken Lugansk und Donezk hinausreichen.

In die gleiche Richtung argumentierte auch Crome. Seit dem Briand-Kellogg-Pakt von 1928 [3] und später in der UN-Charta sind Kriege geächtet – bis auf reine Verteidigungskriege. Unabhängig von der Interpretation einzelner Paragrafen ist das der Geist dieser Übereinkünfte. Daran gemessen bricht Russland Völkerrecht.

Auch die USA haben mit anderen westlichen Staaten inklusive Deutschland in Afghanistan, Irak, Syrien usw. Völkerrecht gebrochen. Aber es gibt kein Recht auf "Gleichbehandlung im Unrecht" [4]. Die völkerrechtswidrigen Kriege des Westens legitimieren Russland nicht es ihm gleichzutun.

6. Ukraine Teil eines Weltkonfliktes

Crome wies darauf hin, dass die westlichen Waffenlieferungen und Sanktionen auf einen Krieg gegen Russland auf dem Gebiet der Ukraine hinauslaufen. Ziel des Westens sei es Russland als konkurrierendes Machtzentrum auszuschalten. Russland soll zerschlagen werden, damit China keinen Partner mehr hat. Insofern geht die Bedeutung des Ukraine-Krieges deutlich über einen regionalen Krieg hinaus.

Das Instrument – Russland durch Aufstände in seinem Herrschaftsbereich zurückzudrängen – wurde schon im Ersten Weltkrieg von der deutschen Seite angewandt. Die Aufstände in Polen, dem Baltikum und der Ukraine waren zwar in Teilen erfolgreich, aber Deutschland verlor den Krieg trotzdem. Eine Entwicklung, die sich wiederholen könnte. Zumal ein bisheriges Paradigma der Militärs besagt – eine Atommacht verliert niemals einen Krieg!

Hofbauer ergänzte, dass es aus der Sicht des Westens um die zukünftige Weltordnung geht. Ein Sieg der NATO-Staaten wäre das Ende einer (eventuellen) multipolaren Ordnung. Aber da täuschen sich die westlichen Eliten. Die ökonomischen Kosten sind auch für die entwickelten Ökonomien Europas und Nordamerikas zu hoch. Der Krieg beschleunigt die Transformation hin zu einem asiatischen Jahrhundert. Zumal auch das als "größte Demokratie der Welt" verbrämte Indien sich offen für eine postwestliche Ordnung einsetzt.

7. Frieden schaffen

Sowohl in Russland als auch in der Ukraine kämpfen Zusammenschlüsse nationaler Kräfte, einschließlich der Oligarchen-Schicht für die Ziele der jeweiligen Länder. Gleiches gilt für die westlichen Staaten. Ihr (gemeinsames) Ziel ist auch die Durchsetzung neoliberaler Politikmodelle im Inneren. Ein Teilziel, so Hofbauer, die Isolation und Spaltung der linken Bewegung wurde bereits erreicht.

Er argumentierte engagiert, dass die Linken in Europa die alten Debatten von 1914 wiederholen. Sie verteidigen die Vaterländer und nicht den Frieden. Linke sollten weder auf Seiten einer rechten ukrainischer Regierung noch einer rechten russischen stehen. Und, so mag man anfügen, auch nicht auf Seiten neoliberaler westlicher Regierungen.

Auch Crome betonte die Notwendigkeit eines sofortigen Waffenstillstandes. Anschließend sollte in diplomatischen Verhandlungen eine dauerhafte Befriedung des Konfliktes angegangen werden. Aber er fügte auch hinzu, dass gegenwärtig keine Konfliktpartei ernsthaft verhandeln will. Das macht derzeit einen Frieden schwierig bis unmöglich. Aufgabe linker Kräfte wäre damit, die inneren Verbündeten für eine breite Antikriegs- und Friedensbewegung in Deutschland zu suchen.


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https://www.heise.de/-7317118

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.jungewelt.de/artikel/435596.kommunisten-streiten-der-vorhang-zu-und-alle-fragen-offen.html
[2] https://www.heise.de/tp/features/Konkurrenz-unter-Grossmaechten-Ist-eine-multipolare-Welt-erstrebenswert-7276327.html
[3] https://www.bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-aktuell/274823/briand-kellogg-pakt-ein-vertrag-gegen-den-krieg/
[4] https://www.juraforum.de/lexikon/gleichbehandlung-im-unrecht