Die Ukraine scheint bereit, Russland zu Friedensgesprächen einzuladen

Connor Echols

Der russische Präsident Wladimir Putin und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. Bild: Kreml, ukrainisches Präsidentenbüro / Public Domain

Selenskyj ist offen dafür, mit Putin zu verhandeln. Worum es geht. Und weshalb das nicht unter Moskaus Bedingungen laufen soll. Gastbeitrag.

Laut Andrij Jermak, dem Stabschef des ukrainischen Präsidenten, würde die Ukraine in Erwägung ziehen, russische Vertreter zu einem Friedensgipfel einzuladen, um den Vorschlag Kiews für eine Beendigung des Krieges auf dem Verhandlungswege zu erörtern.

Es kann eine Situation entstehen, in der wir gemeinsam Vertreter der Russischen Föderation einladen und ihnen den Plan vorlegen, gesetzt den Fall, dass derjenige, der das angreifende Land zu diesem Zeitpunkt vertritt, diesen Krieg wirklich beenden und zu einem gerechten Frieden zurückkehren möchte,

… sagte Jermak am Wochenende und wies darauf hin, dass zunächst eine weitere Gesprächsrunde ohne Russland in der Schweiz stattfinden wird.

Subtile Veränderung der Position

Diese Bemerkung stellt eine subtile Veränderung in der ukrainischen Kommunikation über Gespräche dar. Kiew hat lange behauptet, dass es niemals mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin verhandeln würde. Es gibt jedoch keinen Grund zu der Annahme, dass Putin in absehbarer Zeit die Macht abgeben wird.

Diese Erkenntnis – und die zunehmend bedrohte Lage der Ukraine auf dem Kriegsschauplatz – könnte dazu beigetragen haben, dass Kiew seine harte Linie in Bezug auf Gespräche mit dem weithin geschmähten russischen Führer überdacht hat.

Connor Echols ist Reporter des US-Magazins Responsible Statecraft.

Selenskyj deutete nach einem Besuch in Saudi-Arabien letzte Woche einen möglichen Vermittler für Gespräche an.

Russland seinerseits offen

Der Regierungschef "nahm insbesondere Saudi-Arabiens Bestrebungen zur Kenntnis, bei der Wiederherstellung eines gerechten Friedens in der Ukraine zu helfen", heißt es in einer Erklärung ukrainischer Beamter.

Die Führung Saudi-Arabiens kann helfen, eine gerechte Lösung zu finden.

Russland hat seinerseits signalisiert, dass es für Friedensgespräche auf die ein oder andere Art offen ist, obwohl sowohl Kiew als auch Moskau darauf bestehen, dass jegliche Verhandlungen zu ihren Bedingungen geführt werden müssten.

Trotzdem, Kluft beträchtlich

Die Kluft zwischen den Verhandlungspositionen der beiden Länder ist nach wie vor beträchtlich, denn beide Länder erheben Anspruch auf etwa 18 Prozent des Gebiets, das die Ukraine vor 2014 ausmachte.

Der Schwenk der Ukraine ist ein Zeichen dafür, wie ernst die Lage für die ukrainischen Streitkräfte ist, die sich vor Kurzem überstürzt aus Awdijiwka, einer kleinen, aber strategisch wichtigen Stadt in der Nähe von Donezk, zurückgezogen haben.

Nach monatelangem Ringen hat der US-Kongress noch immer keine neue Militärhilfe für die Ukraine bewilligt, und Kiew erklärt nun, seine Truppen müssten Munition rationieren, da ihre Vorräte schwinden.

Offensive von Russland im Mai erwartet

Selenskyj sagte am vorletzten Sonntag, er erwarte, dass Russland bereits Ende Mai eine neue Offensive starten werde. Es ist unklar, ob die ukrainischen Truppen bereit sind, einen solchen Vorstoß aufzuhalten.

Selbst der Schwarzmeerkorridor – ein schmaler Streifen der Wasserstraße, über den die Ukraine einen Großteil ihres Getreides exportiert – könnte bedroht sein.

Ich denke, die Route wird geschlossen werden ... denn um sie zu verteidigen, braucht man auch Munition, Luftabwehr und andere Systeme,

… die jetzt knapp sind, so Selenskyj.

Die Zeit für Diplomatie ist gekommen

Angesichts der dunkler werdenden Perspektive sei es an der Zeit, auf Friedensgespräche zu drängen, bevor Russland wieder die Oberhand gewinnt, argumentieren Anatol Lieven und George Beebe vom Quincy Institute.

"Ein vollständiger Sieg der Ukraine ist jetzt offensichtlich unmöglich", schrieben Lieven und Beebe letzte Woche.

Je länger wir warten, desto schlechter werden die Bedingungen dieses Kompromisses für die Ukraine sein, und desto größer werden die Gefahren für unsere Länder und die Welt sein.

Der Artikel erscheint in Kooperation mit dem US-Medium Responsible Statecraft. Sie finden das englische Original hier. Übersetzung: David Goeßmann.