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Die ersten Bauern tranken keine Milch

Grab eines erwachsenen Mannes aus der Salzmünder Kultur (Saalekreis, Sachsen-Anhalt) ca. 5400-5100 v. Chr. Seine genetischen Daten sind in die Studie mit eingeflossen. Foto: Juraj Lipták, LDA Sachsen-Anhalt

Der lange Weg nach Europa - Neue Erkenntnisse über die neolithische Revolution

Als die Jäger und Sammler begannen, den Boden zu bebauen und Siedlungen zu gründen, setzte das eine nachhaltige kulturelle Entwicklung in Gang, eine umfassende Veränderung, die in den Jahrtausenden ihre Spuren auch in den Genen hinterließ.

In der Jungsteinzeit findet die neolithische Revolution statt. Getrieben möglicherweise von lokalen klimatischen Veränderungen, lassen sich zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte vor etwa 12.000 Jahren Jäger und Sammler nieder und beginnen Felder anzulegen und zu bepflanzen. Das geschah vermutlich an mehreren Orten im Gebiet des Fruchtbaren Halbmondes mehr oder weniger gleichzeitig, wobei nicht auszuschließen ist, dass die ersten Bauern miteinander auch über weite Distanzen in Kontakt standen, um Erfahrungen und Pflanzen austauschten.

Frühe Landwirte lebten in der sogenannten Natufien-Kultur im Nahen Osten [1], im heutigen Syrien, Jordanien, Israel und im Westjordanland in Palästina. In Jordanien wurde vor ein paar Jahren ein 11.000 Jahre alter Kornspeicher entdeckt. Aber es gab sehr früh auch Ackerbau im Zagros-Gebirge im heutigen Iran und Irak (autonome Region Kurdistan), wie Ausgrabungen in letzter Zeit erwiesen [2]).

Dort fanden die Ausgräber fast 12.000 Jahre alte Spuren des Anbaus vieler wilder Vorfahren von späteren Kulturpflanzen, wie Wildgerste, das Wildgras Aegilops (Vorläufer des Weizens [3]) und Linsen. Vor knapp 10.000 Jahren ernteten diese Pioniere bereits domestizierten Emmer-Weizen auf ihren Äckern.

Heute sprechen viele Experten eher von einer neolithischen Evolution, weil es sich tatsächlich um einen sehr langfristigen Prozess des grundlegenden kulturellen Wandels handelte. Große Anlagen, Tempel und Gebäude bauten schon die Jäger und Sammler, wie nicht zuletzt die Entdeckung von Göbekli Tepe [4] in Südanatolien beweist (Ältester Tempel gibt Rätsel auf [5]).

Aber mit dem Ackerbau beginnt die Sesshaftigkeit, Dörfer und Städte entstehen. Der Mensch domestizierte verschiedene Haus- und Nutztiere, machte das Land urbar und formte ganze Landschaften um, töpferte sich Geschirr und Idole. Die Bevölkerung nahm rapide zu, die Bauern lebten in größeren Gruppen zusammen und es bildeten sich verstärkt Arbeitsteilungen und zunehmend soziale Schichten. Ein gigantischer Kulturwandel, der Jahrtausende dauerte.

Debattiert wird in der Wissenschaftswelt noch darüber, ob der Krieg zwischen einzelnen Gruppen durch das Verteidigen oder die Eroberung im Neolithikum begann. Sicher ist, dass einige grausige Funde von Massengräbern [6] aus der Zeit kriegerische Auseinandersetzungen belegen.

Der lange Weg nach Europa

Es dauerte lange, bis die Landwirtschaft in Mitteleuropa ankam. Und es dauert nochmals lange, bis sie sich wirklich durchsetzt. Zumal die bäuerliche Lebensweise zunächst verstärkt Mangelernährung, und durch das enge Zusammenleben mit den Tieren neue Krankheiten zur Folge [7] hatte. Sie ermöglichte aber auch eine viel höhere Bevölkerungsdichte.

Erst vor rund 7.500 Jahren startete im Zentrum Europas die neolithische Revolution, aber noch Jahrtausende lang lebte parallel eine Jäger- und Sammlergesellschaft weiter. Lange gab es einen wissenschaftlichen Streit unter den Anthropologen darüber, wie der Siegeszug des Bauerntums sich Bahn brach.

Das Kulturdiffusions-Modell beschreibt den Übergang von der Wildbeutergesellschaft zur bäuerlichen Lebensform durch die Vermittlung von Wissen, das sich durch Nachbarschaften und deren jeweilige Kulturtechnik-Aneignung ausbreitet.

Das andere Modell geht davon aus, dass Gruppen von Zuwanderern den Anbau von Feldfrüchten und die Viehzucht direkt in immer neue Regionen brachten, wo sie sich durch intensiven Kontakt und Vermischung mit der einheimischen Bevölkerung vor Ort durchsetzten. Lokale Jäger und Sammler wurden sozusagen durch gelebtes Vorbild und in der Folge zudem durch Familienbande zu Bauern, die fortan in dörflichen Gemeinschaften lebten.

Die Paläogenetiker haben in den letzten Jahren vielfach belegt, dass das Migrationsmodell stimmt; die frühen Bauern wanderten mit ihrem Vieh und ihren Pflanzen ein und veränderten die Lebenswelt der Einheimischen grundlegend. Zuerst bewiesen die Forscher, dass die ersten mitteleuropäischen Bauern nicht von den dort lebenden Jägern und Sammlern abstammten (Die ersten europäischen Bauern waren Migranten [8]).

Dann stellten sie fest, dass diese Vorreiter aus Vorderasien stammten, über Anatolien und den Balkan waren sie die Donau hinauf gezogen (Die ersten Bauern in Mitteleuropa stammten aus dem Nahen Osten [9]). Zuletzt erwies der analytische Blick in die Gene, dass heutige Europäer sowohl von ihnen als auch von den ursprünglichen Nomaden abstammen - ein gemeinsamer Genpool (Genetische Mixtur [10]).

Die bäuerlichen Pioniere brachten nicht nur eine neue Lebensform, sondern auch ihr Saatgut und ihre Tiere mit - auch das erwies sich durch genetische Untersuchungen. Moderne Rinderrassen stammen nicht vom in Mitteleuropa damals heimischen Auerochsen ab, sondern von Wildrindern im Nahen Osten [11]. Schafe und Ziegen stammen ebenfalls aus Vorderasien - selbst das Schwein hatten die Einwanderer in seinem Gepäck [12].

Genmaterial-Analyse: Von der späten Steinzeit bis in die Gegenwart

Kürzlich legte ein großes Wissenschaftlerteam um Iain Mathieson,von der Harvard Medical School [13] im Wissenschaftsjournal Nature [14] die Ergebnisse einer genetischen Analyse [15] vor, die auf die Spuren der neolithischen Revolution im Genom heutiger Europäer abzielte.

Untersucht wurden die Genome von 230 Individuen aus der Zeit von 6.500 bis 300 v. Chr., um sie anschließend mit denen von mehr als 2300 heutiger Europäer zu vergleichen [16]. Noch nie gab es eine so umfassende Studie derartig alten Genmaterials. Erst der Fortschritt der genetischen Analyse-Methoden der jüngsten Zeit hatte das möglich gemacht.

Die untersuchte DNS früher Farmer stammte aus verschiedenen Gebieten in Europa, Sibirien und der Türkei. Darunter war auch Genmaterial von prähistorischen Menschen aus dem östlichen Mittelmeerbereich, dessen warmes Klima und die daraus folgende Zersetzung des organischen Materials eine Genanalyse lange ausgeschlossen hatte.

Die Studie bezieht eine Fülle neuen Materials mit ein, darunter auch Genome von 26 anatolischen Steinzeitbauern, deren DNS aus versteinerten Knochen extrahiert wurde. Der lange Zeitraum und die Vielzahl der einbezogenen Individuen schafft eine breite Basis, um die genetischen Variationen zu erkennen, die sich durch die neue Lebensweise ergaben.

Co-Autor Johannes Krause vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte [17] in Jena erklärt:

Unser Datensatz umfasst einen Zeitraum, der von der späten und jüngeren Steinzeit über die Bronzezeit bis in die Gegenwart reicht und sich räumlich von der Eurasischen Steppe bis nach Spanien erstreckt .

Fundorte der Gebeine für die Probenentnahme. Der Farbcode zeigt an in welchem Jahrtausend vor Christus die Menschen dort gelebt haben. Grafik: Iain Mathieson

Das Team spürte spezifische Gene auf, die sich durch den Übergang in die bäuerliche Lebensweise verändert haben. Iain Mathieson erläutert:

Das erlaubt uns einen Zeit- und Datumsangabe von natürlicher Selektion, und darüber hinaus diese Selektion direkt mit spezifischen Umweltveränderungen in Verbindung zu setzen. In diesem Fall mit der Entwicklung der Landwirtschaft und der Ausbreitung der ersten Farmer in Europa.

Die neue Untersuchung stützt das Migrationsmodell der neolithischen Revolution und belegt, dass die ersten Bauern Europas aus Anatolien zuwanderten. Sie sind sehr eng verwandt mit den ersten Landwirten Europas.

Helle Haut und Milchunverträglichkeit

Die Wissenschaftlergruppe nahm bestimmte Merkmale ins Visier, um die Selektion genau nachzuvollziehen. Eines davon ist die Laktoseverträglichkeit, die Fähigkeit erwachsener Menschen beschwerdefrei Milch zu verdauen, die heute die meisten Europäer besitzen. Sie trat nach den neuen Ergebnissen zum ersten Mal erst vor 4.300 bis 4.200 Jahren auf. Bislang hatten die Experten angenommen, sie hätte sich nach der Domestizierung von Rindern sehr rasch entwickelt.

Blässe und Vitaminverwertung sind ein weiterer Knackpunkt in der genetischen Veränderung. Die Forscher des Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte schreiben dazu:

Gleichfalls traten zu dieser Zeit zum ersten Mal genetische Varianten auf, die auf eine verbesserte Versorgung mit Vitamin D hindeuten und heute insbesondere bei nordeuropäischen Bevölkerungsgruppen häufig sind. Diese Varianten werden auch im Zusammenhang mit einer helleren Haut der heutigen Europäer gesehen, die aufgrund ihrer höheren Lichtdurchlässigkeit dazu beiträgt, die Vitamin D-Versorgung in sonnenärmeren Gegenden sicherzustellen. Die anatolischen Steinzeitbauern waren im Vergleich zu den ursprünglichen europäischen Jägern und Sammlern, bereits wesentlich hellhäutiger. Zusammen mit der verbesserten Vitamin D-Versorgung und der veränderten Lebensweise hat sich das Merkmal für hellere Hautfarbe somit schnell in Europa ausbreiten können.

Genetische Mutationen zeigten sich zudem bei einigen für das Immunsystem wichtigen Erbanlagen. Sehr wahrscheinlich setzten sie sich sehr schnell durch, da die frühen Bauern in immer größeren Gruppen eng zusammenlebten und zudem an vielen Krankheiten litten, die sie sich von ihren Tieren holten.

Zu einigen Punkten auf ihrer Forschungsagenda fand das Team keine eindeutigen Ergebnisse, darunter der Body-Mass-Index und Diabetes des Typs 2. Dennoch sind sie sehr zuversichtlich, dass sie bald dank der neuen Methoden weitere Studien mit einer noch breiteren Datenbasis erstellen werden.

Die Analyse Tausender sehr alter Genome wird dann einen noch viel tieferen Einblick in die Menschheitsgeschichte ermöglichen, damit wir besser verstehen, wer wir sind und von wem wir abstammen.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3377513

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.columbia.edu/itc/anthropology/v1007/baryo.pdf
[2] http://www.sciencemag.org/content/341/6141/65
[3] http://www.pflanzenforschung.de/de/journal/journalbeitrage/wildgras-genom-liefert-informationen-fuer-weizen-genom-10021
[4] http://gobeklitepe.info
[5] http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2015/12/2015-12-15-rf-dai.html
[6] http://www.dw.com/de/massengrab-enth%C3%BCllt-blutbad-in-der-jungsteinzeit/a-18655797
[7] http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1570677X11000402
[8] https://www.heise.de/tp/features/Die-ersten-europaeischen-Bauern-waren-Migranten-3382528.html
[9] https://www.heise.de/tp/features/Die-ersten-Bauern-in-Mitteleuropa-stammten-aus-dem-Nahen-Osten-3387557.html
[10] https://www.heise.de/tp/features/Genetische-Mixtur-3367446.html
[11] http://www.deutschlandfunk.de/beschleunigte-evolution-teil-1.740.de.html?dram:article_id=111752
[12] http://archaeology.about.com/od/domestications/qt/pigs.htm
[13] http://hms.harvard.edu/
[14] http://www.nature.com
[15] http://www.nature.com/nature/journal/vaop/ncurrent/full/nature16152.html
[16] http://www.nature.com/nature/journal/vaop/ncurrent/full/nature16152.html
[17] http://www.shh.mpg.de