Die ersten europäischen Bauern waren Migranten

Der Ackerbau wurde in der Jungsteinzeit von Zuwanderern nach Mitteleuropa gebracht, das beweist ein Vergleich ihres Erbguts mit dem von Jägern und Sammlern aus der gleichen Region

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Es ist erstaunlich, was die Paläogenetiker heute alles können: Sie analysieren die Gene des Neandertalers – und extrahieren auch die DNS aus den uralten Knochen der Europäer vor und nach der neolithischen Revolution. Vor 7500 Jahren geschah der große Umbruch hin zu Ackerbau und Viehzucht. Und offensichtlich kam die revolutionär neue Lebensweise durch Migranten nach Europa, sie brachten sie schlicht mit.

Das Leben der Menschen der Vorzeit in Mitteleuropa lief lange in sehr ähnlicher Form ab. Alles sieht danach aus, dass vor rund 40.000 Jahren der Homo sapiens aus Afrika kommend den Kontinent besiedelte. Der bereits in Europa lebende Neandertaler lebte noch mindestens 10.000 Jahre lang gemeinsam mit ihm, bevor er endgültig aus der Geschichte der Menschheit abtrat. Wahrscheinlich wurde er ganz langsam verdrängt, und vielleicht gab es auf Dauer einfach zu wenige Menschen dieser Art (vgl. Wenige Neandertaler).

Prähistorische Funde werden UV-bestrahlt, um vor der weiteren Analyse oberflächliche DNA-Kontaminationen zu zerstören. Foto: Joachim Burger

Der anatomisch moderne Mensch, unser direkter Vorfahre (vgl. Sex ja, Kinder nein), war dem Neandertaler wohl kulturell überlegen und lebte in größeren Gruppen zusammen. Aber beide ernährten sich durch jagen – der Homo neanderthalensis verspeiste zu 90 Prozent Fleisch (vgl. Klug und voller Fleischeslust) – und das Sammeln von Wurzeln, Früchten, Beeren und Nüssen. Ein freies Nomadenleben über viele Jahrtausende lang. Das änderte sich in dem Gebiet, wo heute Deutschland liegt vor 7500 Jahren, denn plötzlich ließen sich die Menschen nieder, begannen das Land zu bebauen und Nutztiere zu züchten.

Neolithische Keimzelle in Südosteuropa

Jetzt wartet eine internationale Forschergruppe um Barbara Bramanti von der Universität Mainz in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Science mit der überraschenden Neuigkeit auf, dass die Landwirtschaft in Mitteleuropa sich nicht vor Ort entwickelte, sondern von Bauern mitgebracht wurde, die aus dem Südosten zuzogen. Den Beweis dafür fanden die Wissenschaftler in den Genen.

Seit langem debattierten die Anthropologen darüber, ob die Jäger- und Sammlergesellschaften vor Ort durch „kulturellen Verbreitung“, den Austausch mit Nachbarn anfingen, den Boden umzugraben und Feldfrüchte anzubauen, oder ob dieses Knowhow durch Neuzuzügler höchst persönlich importiert wurde.

Vor vier Jahren hatte die Arbeitsgruppe Neolithisierung von der Uni Mainz bereits nachgewiesen, dass die ersten europäischen Bauern genetisch in uns kaum Spuren hinterlassen haben (vgl. Die Jäger und Sammler in uns). Es war ihnen gelungen, aus ausgegrabenen menschlichen Knochen der Jungsteinzeit genug Erbgut zu gewinnen, um es mit unserem zu vergleichen.

Und jetzt setzen sie noch einen drauf, denn sie verglichen die DNS der Urbauern mit jener der letzten Jäger und Sammler desselben Landstrichs. Das Forscher-Team sequenzierte das mitochondriale, von den Müttern weitergegebene Erbgut von 22 Individuen lokaler Jäger und Sammler – und stellten fest, dass sie definitiv nicht die Ahnen der frühen Bauern waren.

Untersuchung alter DNA in den Labors der Universität Mainz, Foto: Joachim Burger

Die Gruppe um Barbara Bramanti hatte schon vermutet, dass die ersten Bauern zugewandert waren, denn es hatte sich erwiesen, dass die europäischen Rinder ursprünglich aus dem Nahen Osten stammen. Die mitteleuropäischen Jäger haben also keine Wildtiere domestiziert, sondern die Ackerbauer und Viehzüchter brachten sie mit.

Barbara Bramanti erklärt:

Wir nehmen an, dass die ersten Bauern aus dem Karpatenbecken nach Mitteleuropa eingewandert sind und die Haltung von Tieren und den Anbau von Nutzpflanzen mitgebracht haben. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Einwanderung vor 7,500 Jahren ihren Anfang nahm. Und da die Computersimulationen die Diskontinuität zwischen beiden Gruppen zweifelsfrei nachgewiesen haben, bleibt aus Sichte der Archäologie eigentlich nur das Karpatenbecken als Ursprungsgebiet der Bauern.

Die bäuerlichen Pioniere hatten das Getreide für die Saat im Gepäck, und die Rinder in ihrem Treck nach Mitteleuropa dabei. Rätselhaft bleibt, was sie nach Nordosten trieb – und wohin sie wieder verschwanden.

Sicherlich hatten die Jäger und Sammler Kontakt mit ihnen, aber eine intensive genetische Durchmischung der beiden Gruppen fand nicht statt. Mit diesen neuen Forschungsergebnissen ist nur klar, dass es eine „neolithischen Keimzelle in Südosteuropa“ gab, Menschen brachten die neue Lebensweise mit, die sie schon längst pflegten. Die Anthropologen vermuten, dass das Karpatenbecken möglicherweise nur ein Etappenziel einer Migrationsbewegung war, die ihren Ursprung in Anatolien oder dem Nahen Osten hat – dort, wo die Sesshaftigkeit in der Menschheitsgeschichte begann.

Allerdings erwies die neue Forschung auch, dass die altsteinzeitlichen Jäger und Sammler ebenso wenig die Vorfahren der heutigen Europäer sind, wie die eingewanderten ersten Bauern. „Nach dem Faktor, der die Herkunft der jetzigen Bevölkerung Europas erklären würde, suchen wir noch“, erläutert Co-Autor Joachim Burger.