Warum dieser Krieg der Ukraine verloren ist

Harald Neuber
Ein junger steht in einer Ruine, die ukrainische Fahne über den Schultern

Bild: madonova/ Shutterstock.com

Drei Jahre nach Kriegsbeginn steht die Ukraine vor dem Aus. Trump stoppt US-Militärhilfen und Geheimdienstinfos. Was für das Land und die EU bedeutet. Ein Telepolis-Leitartikel.

Drei Jahre nach Beginn des russischen Angriffskriegs steht die Ukraine vor einer entscheidenden Wende. Man könnte es auch so ausdrücken: Der Krieg in dem osteuropäischen Land ist de facto beendet. In Kiew und den Regierungsreiehn der westlichen Unterstützerstaaten will sich das nur niemand eingestehen.

Denn US-Präsident Donald Trump hat angeordnet, sämtliche Militärhilfen für das osteuropäische Land vorübergehend auszusetzen. Zusätzlich hat Washington die Weitergabe von Geheimdienstinformationen an Kiew gestoppt, wie hochrangige Regierungs- und Militärbeamte bestätigten.

Begründet werden diese Schritte offiziell mit mangelnden Friedensbemühungen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Zwar erklärte in einer Ansprache vor dem Kongress: "Wir schätzen es sehr, dass Präsident Selenskyj früher am Tag gesagt hat, er sei zu Verhandlungen bereit." Regierungsvertreter deuteten an, die Hilfen könnten schnell wieder aufgenommen werden.

Die Bedingung: Selenskyj müsse der Haltung des Weißen Hauses genügetun. Doch dies hieße, von dem bisherigen Narrativ des Westens grundsätzlich abzurücken, dem nämlich, dass man von der ukrainischen Frontlinie bis nach Moskau (und darüber hinaus wirkend) einen "Siegfrieden" über Russland erringen müsse.

Selenskyj wiederum hat nach Tagen offenbar intensiver Beratungen mit europäischen Verbündeten einen Kurswechsel im Umgang mit Trump vollzogen, der diesen dann zu seinen positiven Äußerungen vor dem US Kongress veranlasste.

Zuvor hatten der britische Premierminister Keir Starmer und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron dem Ukrainer eindringlich geraten, auf die Sichtweise des US-Präsidenten einzugehen. Selenskyj bedankte sich daraufhin erneut so überschwänglich für die bisherige US-amerikanische Unterstützung, dass dies angesichts seines Auftretens und dem Eklat im Weißen Haus daraus schon fast für Ironie halten könnte:

Danke, danke, danke

"Wir erinnern uns an den Moment, als sich die Dinge änderten, als Präsident Trump der Ukraine Javelin-Panzerabwehrraketen zur Verfügung stellte", schrieb er auf der Plattform X (früher Twitter). "Wir sind dafür dankbar."

Schritte zum Frieden?

Zudem skizzierte Selenskyj konkrete Schritte in Richtung einer Friedenslösung wie einen Stopp von Raketenangriffen. Die Ukraine sei "bereit, unter der starken Führung von Präsident Trump auf einen dauerhaften Frieden hinzuarbeiten." Trumps Lob für diese Äußerungen bei seiner Rede vor dem Kongress zeigte, dass die als "Charmeoffensive" bezeichneten Beschwichtigungsversuche offenbar Wirkung zeigen.

Doch Experten bezweifeln, dass es Selenskyj gelingen wird, Trump langfristig auf seine Seite zu ziehen. Der Präsident habe sich bereits zu sehr gen Moskau orientiert, so die vorherrschende Meinung.

Druck auf die Ukraine

Viele Beobachter interpretieren den Stopp der Militärhilfe als Versuch, die Ukraine zu einer Kapitulation zu zwingen. Trumps Sohn Donald Jr. und Elon Musk, Besitzer der Plattform X, Haben sich wiederholt kritisch über Selenskyj geäußert.

Die Auswirkungen der Entwicklungen in Washington auf den Schlachtfeldern der Ukraine könnten enorm sein. Das Pentagon berichtete, man habe zwar noch Munition und Waffen aus Beständen der Vorgängerregierung geliefert. Doch ein längerer Stopp der Unterstützung wäre fatal.

Viele Hilfen gehen verloren

"Die Ukraine würde die Versorgung mit einigen modernen Waffensystemen verlieren, darunter fortschrittliche Luftabwehrsysteme, ballistische Boden-Boden-Raketen, Navigationssysteme und Langstrecken-Raketenartillerie", erklärte Dara Massicot von der Denkfabrik Carnegie Endowment for International Peace.

Für Deutschland und die EU ist dies ein Alarmsignal. In Brüssel wollen die Staats- und Regierungschefs darüber beraten, wie die eigenen militärischen Fähigkeiten ausgebaut werden können.

Denn viele fürchten, dass sich die USA unter Trump nicht nur aus der Ukraine zurückziehen, sondern die transatlantische Partnerschaft grundsätzlich infrage stellen. Ein Sieg Russlands hätte verheerende Folgen, warnen Verteidiger des bisherigen westlichen Narrativ zur Ukraine und den militärischen Perspektiven.

Warnung vor Expansionismus

"Ein russischer Sieg könnte Putins expansionistische Ziele befeuern und letztlich zu einem großen Krieg in Europa führen", fast diese nun wankende Position Seth G. Jones vom Center for Strategic and International Studies zusammen. An der Notwendigkeit, die "regelbasierte Ordnung" und "territoriale Integrität in Europa zu verteidigen", führe kein Weg vorbei – notfalls auch ohne die USA.

Die nächsten Wochen und Monate dürften entscheidend sein. Trotz aller Annäherungsversuche ist offen, wie weit Selenskyj den Forderungen Trumps entgegenkommen kann, ohne die Unterstützung im eigenen Land und in Europa zu verlieren. Moskau wiederum wittert die Chance, entscheidende Geländegewinne zu erzielen, um die Ukraine an den Verhandlungstisch zu zwingen.

USA ausschlaggebend

Seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine im Februar 2022 waren die USA die führende Unterstützungsmacht der Ukraine. Unter der Regierung von Präsident Joe Biden haben die Vereinigten Staaten der Ukraine in großem Umfang militärische, finanzielle und humanitäre Hilfe bereitgestellt. Diese Unterstützun hat eine entscheidend dazu beigetragen, dass die Ukraine unter dem russischen Druck nicht schon längst zusammengebrochen ist.

Man könnte sagen: Von Beginn an hing alles an den USA, nun fällt alles mit ihnen.

US-Zahlungen kaum (mehr) zu kompensieren

Laut Angaben der US Ministerium für Äußeres und Verteidigung haben sich die USA seit Februar 2022 zu Militär und sicherheitspolitischen Hilfsleistungen im Wert von mehr als 52 Milliarden US-Dollar für die Ukraine verpflichtet.

Der Großteil davon wurde über Nachtragshaushaltsmittel in den Haushaltsjahren 2022 und 2023 finanziert. Diese Gelder flossen in Waffenlieferungen, Ausrüstung, Ausbildung und Beratung für die ukrainischen Streitkräfte.

Waffenlieferungen als Schlüsselelement

Ein zentraler Bestandteil der US-Unterstützung Waren bis zur Wahl von Präsident Donald Trump umfangreiche Waffenlieferungen, die es der Ukraine ermöglichen, sich effektiv gegen die militärisch überlegenen russischen Kräfte zu verteidigen. Dazu zählen im Besonderen:

- Hochmobile Artillerieraketensysteme (HIMARS) und zugehörige Munition

- Flugabwehrsysteme wie Patriot, NASAMS und Stinger-Raketen

- Kampfpanzer vom Typ M1 Abrams und andere gepanzerte Fahrzeuge

- Panzerabwehrwaffen wie Javelin-Raketen

- Artillerie und zugehörige Munition

- Drohnen und Aufklärungssysteme

- Handfeuerwaffen, Granatwerfer, Mörser und Munition

- Kommunikations-, Radar- und Geheimdienstausrüstung.

Was, wenn die Himars ausfallen?

Die HIMARS-Raketenwerfer und die dazugehörige Munition haben sich als besonders wirkungsvoll erwiesen, um russische Stellungen, Nachschublinien und Kommandozentren anzugreifen. Auch die Patriot-Luftabwehrsysteme spielten eine zentrale Rolle beim Schutz ukrainischer Städte vor russischen Luftangriffen und Marschflugkörpern.

Bereits vor dem Krieg haben die USA die ukrainischen Streitkräfte mit Ausbildung und Ausrüstung unterstützt, um deren Fähigkeiten und Nato-Kompatibilität zu verbessern. Nach dem russischen Einmarsch wurde diese Unterstützung massiv ausgeweitet. Neben Waffenlieferungen umfasst sie auch Training ukrainischer Soldaten in Drittländern und den Aufbau logistischer Unterstützung für den Nachschub.

Politische und finanzielle Dimension

Die militärische Unterstützung erfolgt im Rahmen einer breiteren politischen Strategie der USA und ihrer Verbündeten, Russlands Angriffskrieg zu verurteilen, die territoriale Integrität der Ukraine zu verteidigen und Moskaus geopolitischen Einfluss einzudämmen. Die Biden-Regierung hat diesen Kurs trotz innenpolitischen Widerstands und Bedenken hinsichtlich einer möglichen Eskalation ohne Abstriche verfolgt. Beim Nachfolger Trump hat dem eben nun ein Ende gesetzt.

Neben Waffenlieferungen bedeutet das auch ein Ende der erheblichen Finanzhilfe und nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit Washingtons mit Kiew. Diese sollen die wirtschaftlichen Folgen des Krieges abfedern, staatliche Funktionen aufrechterhalten und den Wiederaufbau unterstützen. Laut Schätzungen haben die USA der Ukraine zwischen Januar 2022 und Dezember 2024 insgesamt etwa 119,7 Milliarden US-Dollar an Hilfe geleistet.

Möglichkeiten und Grenzen europäischer Unterstützung

Nach dem aussetzen der Waffenlieferungen und der Einstellung der geheimdienstlichen Zusammenarbeit stellst sich nun die Frage, inwieweit europäische Staaten einspringen können. Grundsätzlich verfügen viele europäische Nato-Länder über moderne Waffensysteme, die ähnliche Fähigkeiten bieten wie die aus den USA gelieferten. Dazu zählen etwa:

  • Kampfpanzer wie der deutsche Leopard 2 oder der britische Challenger 2
  • Schützenpanzer wie der deutsche Marder oder der schwedische CV90
  • Flugabwehrsysteme wie das deutsch-niederländische Patriot oder das französisch-italienische Sampt
  • Kampfflugzeuge wie der Eurofighter oder die französische Rafale
  • Artilleriesysteme wie die deutsche Panzerhaubitze 2000 oder der französische Caesar.

Allerdings stoßen viele europäische Länder bereits jetzt an die Grenzen ihrer Möglichkeiten, Waffen an die Ukraine zu liefern, ohne die eigene Verteidigungsfähigkeit zu gefährden. Die Bestände an modernen Waffensystemen und Munition sind oft begrenzt. Auch die Produktionskapazitäten der europäischen Rüstungsindustrie reichen nicht aus, um die Nachfrage kurzfristig zu decken.

Hinzu kommt, dass viele der fortschrittlichsten US-Waffensysteme wie HIMARS oder Patriot aufgrund ihrer technologischen Überlegenheit und Integration in US-Kommandostrukturen kaum zu ersetzen sind. Insbesondere die Aufklärungs- und Kommunikationsfähigkeiten der USA, die auf hochentwickelter Satellitentechnologie beruhen, haben bisher eine Schlüsselrolle gespielt.

Dennoch haben die europäischen Staaten ihre Unterstützung für die Ukraine seit Kriegsbeginn deutlich ausgebaut. Laut Schätzungen haben NATO- und EU-Mitglieder der Ukraine seit 2022 militärische Hilfe im Wert von mindestens 50 Milliarden US-Dollar bereitgestellt. Auch wenn die Qualität und Quantität der US-Hilfe unübertroffen bleibt, tragen die europäischen Beiträge dazu bei, die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine insgesamt zu stärken.

Perspektiven und Herausforderungen

Der weitere Verlauf der westlichen Militärhilfe für die Ukraine wird nicht nur von den Entscheidungen in Washington, sondern auch von der Entwicklung des Krieges abhängen. Je länger der Konflikt dauert und je mehr sich die Kämpfe intensivieren, desto schwieriger wird es, den hohen Bedarf an Waffen und Munition zu decken. Die ukrainischen Kräfte beklagen sich seit langem über. Engpässe bei Artilleriemunition und Ersatzteilen.

Langfristig wird die Ukraine auch beim Wiederaufbau ihrer Streitkräfte und der Modernisierung ihrer Ausrüstung auf westliche Unterstützung angewiesen sein. Dabei geht es nicht nur um die Lieferung von Waffensystemen, sondern auch um Technologietransfer, Ausbildung und die Stärkung der ukrainischen Rüstungsindustrie.

Angesichts der immensen Kosten stellt die weitere Unterstützung der Ukraine die westlichen Staaten jedoch auch vor erhebliche Herausforderungen. Das zeigt auch ein anderer Vergleich: Allein die USA haben der Ukraine bis Ende 2024 Hilfen im Wert von fast 120 Milliarden US-Dollar gewährt – mehr als das gesamte Bruttoinlandsprodukt der Ukraine im Jahr 2021.

Das zeigt: Der unbedingte militärische Ansatz in der Ukraine, zu dem es im Jahr 2022 noch Alternativen gegeben hat, ist mehrfach gescheitert. Die Mitgliedstaaten der EU sind weder fähig, noch Willens, diesen Weg weiter zu beschreiten; zumal die Regierungen in Deutschland und Frankreich aufgrund der steigenden Kosten bei gleichzeitig zunehmenden innen- und sozialpolitischen Problemen unter Druck stehen.

Damit ist der Krieg de facto beendet und für die Ukraine unter der bisherigen Zielvorgaben verloren. Das ist kein Grund für Häme oder Trauer. Es wäre aber ein Anlass, die Entwicklung der vergangenen drei Jahre unter sicherheits- und geopolitischen Gesichtspunkten grundsätzlich neu zu bewerten. Die Frage aber ist: Wer ist dazu fähig und willens?