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"Die ganze Privatisierung hat dazu geführt, dass wir mittlerweile fast realsozialistische Verhältnisse haben"

Franz Kotteder über Gefahren und Risiken des TTIP-Abkommens.

Seit fast zwei Jahren wird hinter verschlossenen Türen über das Freihandelsabkommen TTIP verhandelt. Der Süddeutschen-Zeitungs-Autor Franz Kotteder befürchtet in seinem Buch Der große Ausverkauf [1], dass dieser Vertrag zwischen EU und USA einen massiven Abbau von Demokratie und Grundrechten mit sich bringt.

Herr Kotteder, die USA und die EU sind bereits die größten Außenhandelspartner. Die dabei erhobenen Zölle machen nur einen Bruchteil des Handelsvolumens aus. Warum also TTIP? Steht hier womöglich der Investitionsschutz der Unternehmen und nicht der Freihandel im Vordergrund?
Franz Kotteder: Es geht nicht nur um den Investitionsschutz, sondern auch darum, in Deutschland und Europa bestimmte Standards durchzusetzen, die bislang noch nicht möglich sind, wie zum Beispiel gentechnisch veränderte Nahrungsmittel und Saatgut und dergleichen mehr. Das ist zwar in den USA schon längst Standard, aber in der EU bislang zu weiten Teilen verboten. Auf dem Umweg über ein Freihandelsabkommen lässt sich dieses sogenannte Handelshemmnis beseitigen.
Ein anderes Beispiel wäre der Datenschutz: Das ACTA-Abkommen ist zwar seinerzeit in Europa vor allem durch Frankreich abgeblockt worden, aber mit TTIP kann es wieder durch die Hintertür hereingeholt werden.
Oder Stichwort "Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen": Ich habe mich fast ein wenig gewundert, wie schnell letztes Jahr die EU-Kommission mit ihrem Vorhaben, die öffentliche Wasserversorgung zu privatisieren, eingeknickt ist. Genau das könnte aber jetzt durch das Dienstleistungsabkommen TISA durchgesetzt werden.
Franz Kotteder. Foto: © Volker Derlath
Sehen Sie in TTIP die Gefahr eines Verlusts nationalstaatlicher Regelungsmöglichkeiten?
Franz Kotteder: Ja, aber das ist bereits gegeben, weil große Teile der politischen Steuerkompetenz in Belangen der Wirtschaft ohnehin seit dem Vertrag von Lissabon an die EU abgetreten wurden. Wenn nun eine weitere Neoliberalisierung mit dem Freihandelsabkommen durchgesetzt werden soll, deren Doktrin darin besteht, dass sich der Staat von Regulierungen so weit wie möglich zurückziehen soll, dann stehen sämtliche Rechte auf dem Prüfstand.
Die deutsche Infrastruktur wurde bereits zu weiten Teilen privatisiert, hatte das für die Bevölkerung positive Effekte?
Franz Kotteder: Die ganze Privatisierung bei Post und Bahn hat nur dazu geführt, dass wir dort mittlerweile fast realsozialistische Verhältnisse wie einst in der DDR haben. Seitdem sind die Schlangen in den Postämtern üblich geworden und ganze Landstriche von der Versorgung mit Post und Bahn abgeschnitten. Für mich hat die Privatisierung keine Vorteile gebracht.
Die Politik delegiert mit TTIP ihre eigene Entscheidungsmacht an nicht demokratisch legitimierte Institutionen weiter. Haben Sie eine Erklärung dafür? Ist die Demokratie zu langsam und zu ineffizient für die Erfordernisse des Marktes geworden?
Franz Kotteder: Das ist zumindest die Behauptung einer bestimmten Denkrichtung in den Wirtschaftswissenschaften, der viele Politiker blind folgen, weil sie glauben, dadurch entstünden Arbeitsplätze. Letztlich ist das aber die Kapitulation der Parteien vor der Wirtschaft, eine Art Selbstmord aus Angst vor dem Tod.
Das führt in letzter Konsequenz wieder einmal zu der Frage: Ist die Wirtschaft für den Menschen da oder der Mensch für die Wirtschaft? Abgesehen davon ist es ja nicht so, dass es bisher keinen Handel zwischen der EU und den USA gab, im Gegenteil. Wir haben es hier ja bereits jetzt mit dem größten Wirtschaftsraum der Welt zu tun.
Wird die Demokratie zu einem lästigen Anhängsel der Wirtschaft?
Franz Kotteder: Das Wort von der "marktkonformen Demokratie" unserer Bundeskanzlerin drückt aus, dass die Demokratie gefälligst so zu funktionieren hat, dass sie den Markt nicht stört. Darin liegt eine gewisse Gefahr. Ich bin zwar auch der Ansicht, dass sich politische Institutionen nicht unbegrenzt in das Wirtschaftsgeschehen einmischen sollten, aber es gibt Bereiche, in denen der Markt einfach nichts verloren hat.
Sie schreiben von TTIP als einem "Weltstaatsstreich der Konzerne". Wie schaffen es diese, dass ihre Ziele von den führenden Parteien verfochten werden?
Franz Kotteder: Das große Versprechen des Neoliberalismus lautete: "Je weniger Staat, desto mehr Arbeitsplätze und desto mehr Wohlstand für alle." Dieser Denkschule sind die allermeisten Politiker gefolgt. Dieses Versprechen hat sich aber empirisch nicht bewahrheitet.
Das müssten doch auch die Politiker der großen Volksparteien mitbekommen haben?
Franz Kotteder: Manche kapieren es, manche kapieren es nicht. Ich schreibe in meinem Buch, dass TTIP und andere Freihandelsabkommen möglicherweise das letzte Aufbäumen der neoliberalen Wirtschaftsschule überhaupt ist, die sich hinlänglich widerlegt hat, aber durch das Abkommen noch einmal Fakten schaffen will.

"Es wird eine Reihe von Zuckerln geben"

Sie kritisieren die Vorstellung, dass der Markt zum Moderator von Problemen gemacht werden soll, die er selbst verursacht hat. Womit hängt die immer noch währende Hegemonie dieser Vorstellung zusammen? Liegt es daran, dass Politiker und Wirtschaftsführer sich ihre alten Fehler nicht eingestehen wollen?
Franz Kotteder: Das hängt damit zusammen, dass Politiker mit ökonomischen Grundkenntnissen nicht gerade reich gesegnet sind und sich darauf verlassen, was ihnen von den Universitäten und diversen Wirtschaftsschulen erzählt wird. Hier ist, anders als interessanterweise in den USA, immer noch die neoliberale Schule weit verbreitet. Ich glaube aber, dass diese Rezeption im Abnehmen ist. Man sieht ja in der Griechenlandkrise, dass diese Rezepte möglicherweise in der Theorie ganz gut funktionieren, aber wenn fast 90 Prozent der Bevölkerung kurz vor der Verelendung steht und die Vermögenden ungeschoren bleiben, dann muss irgendwas daran nicht stimmen.
Haben Sie eine Erklärung, warum der neoliberale Umsturz seinerzeit mit Rot-Grün [2] kommen konnte, die seinerzeit mit einem Wahlprogramm aus der Feder Oskar Lafontaines gewonnen hatten, um dann genau das Gegenteil davon umzusetzen?
Franz Kotteder: Das ist in der Tat erstaunlich. Das ist wahrscheinlich ein wenig durch die Persönlichkeit von Gerhard Schröder erklärlich und den Leuten der Regierungsmannschaft, die damals im Einsatz war. Und diese Positionen waren damals auch der Zeitgeist, dem man aufgesessen ist.
Wie würde sich die rechtliche Situation in Deutschland ändern, falls TTIP ratifiziert würde?
Franz Kotteder: Viele Verbraucherschutzgesetze und Umweltschutzauflagen wären Makulatur, weil sie gegen das Völkerrecht verstoßen. Viele kommunale Unternehmen der Daseinsvorsorge könnten sich nicht mehr halten, weil sie gegen die Pflicht zur Privatisierung verstoßen. Das Einzige, was noch Bestand haben könnte, wäre das Grundgesetz. In der konkreten Auswirkung könnte die Politik viele Gesetze von vorn herein nicht mehr beschließen, weil sie den Freihandelsvorgaben widersprächen.
Dann ist natürlich auch noch die Frage, wie dieses Freihandelsabkommen konkret aussieht: Was wir kennen sind Entwürfe, Vorschläge und einzelne Grundsatzpapiere, aber inzwischen sind in Geheimverhandlungen eine Masse Beschlüsse gefasst worden, die der Öffentlichkeit noch völlig unbekannt sind.
Sie kennen ja auch das Davos-Statement von Sigmar Gabriel [3], wo er die Vorbehalte der Bevölkerung gegen TTIP mit Reichtum und Hysterie erklärt. Können Sie sich das erklären?
Franz Kotteder: Sigmar Gabriel fährt hier einen seltsamen Schlingerkurs: Einesteils will er seine Partei bedienen, weshalb er ein Sondergericht neben den internationalen Gerichten ablehnt, andererseits ist er extrem wirtschaftsfreundlich, indem er behauptet, wir bräuchten TTIP unbedingt. Beides geht meiner Meinung nach nicht zusammen.
Wie hoch schätzen Sie die Chancen, dass TTIP ratifiziert wird und was muss passieren, damit dies nicht geschieht?
Franz Kotteder: Es lässt sich vor allem schwer abschätzen, was denn im Endeffekt ratifiziert wird: Ich schätze, dass der endgültige Entwurf um einiges schlanker sein wird. Es wird wahrscheinlich auf einzelne Bereiche verzichtet werden. Man hat ja kurioserweise im ursprünglichen Verhandlungsmandat den audiovisuellen Bereich auf Wunsch von Frankreich ausgeklammert, weil die Franzosen ihre Filmwirtschaft erhalten wollen. Ich nehme an, es wird eine Reihe von Zuckerln geben, mit denen den nationalen Regierungen ihre Zustimmung schmackhaft gemacht werden sollen. Ich glaube aber im Endeffekt, dass TTIP nicht durchkommen wird, wenn sich dagegen ein entsprechender internationaler Widerstand erhebt.
Europaweit gibt es schon 1,5 Millionen Unterschriften gegen das Freihandelsabkommen. Aber wir brauchen auch den Druck von der Straße.
Es gibt Stimmen, nach denen Deutschland mit der Agenda 2010 an Krise der EU zumindest eine Teilschuld hat, weil damit die Lohnnebenkosten gesenkt werden konnten, welche einen deutschen Link auf http://www.heise.de/tp/artikel/44/44423/1.html möglich gemacht haben, dem wiederum die Länder im Süden der EU nichts entgegenzusetzen haben ...
Franz Kotteder: Von der Euro-Krise hat Deutschland tatsächlich profitiert. Die Wirtschaftsweisen sagen für Deutschland nächstes Jahr 2,1 Prozent Wachstum voraus. Da kann man sich schon fragen, wie das möglich ist.
Schlägt sich dieses Wirtschaftswachstum noch im Geldbeutel von Otto Normalverbraucher nieder?
Franz Kotteder: Ich merke davon nichts. Ich arbeite wohl in der falschen Branche.

URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3371515

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.randomhouse.de/Paperback/Der-grosse-Ausverkauf/Franz-Kotteder/e472396.rhd
[2] https://www.heise.de/tp/features/Die-beste-Demokratie-die-man-fuer-Geld-haben-kann-3430441.html
[3] https://www.youtube.com/watch?v=baqTTt_BZCw