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Die in die Pleite getriebenen Kreativen

Eine Initiative von Musikern für die Unterstützung von Bands, Foto: A. Naica-Loebell

Tief in der Corona-Krise: Kulturschaffende im "Land der Dichter und Denker" sind fast völlig im Dunkeln verschwunden

Ein Jahr Pandemie, die zweite Welle durchgestanden, Deutschland im andauernden Lockdown. Wie geht es den Kreativen, den Künstlerinnen und Künstlern, denen seit einem Jahr ihre Existenzgrundlage weitgehend entzogen wurde?

Es geht ihnen schlecht und ist erstaunlich, wie wenig von ihnen zu hören oder zu sehen ist. Während andere Wirtschaftsverbände sich beinahe täglich vehement zu Wort melden, sind Kulturschaffende fast völlig im Dunkeln verschwunden.

Kunst und Kultur, die ganze Veranstaltungsbranche, die gesamte Kreativwirtschaft gehören zu den größten Verlierern des vergangenen Jahres, oder wie die Bundesregierung es formuliert: "Die Corona-Pandemie trifft die Kultur- und Kreativwirtschaft mit besonderer Härte."

Die Bühnenkünstler erleben einen kompletten Stillstand, aber die Existenz vieler anderer Kreativer ist ebenfalls stark gefährdet. Die Corona-Politik bedeutete für viele faktisch ein mehr oder weniger umfassendes Berufsverbot. Die Ausübung ihrer professionellen Tätigkeiten wurde ihnen weitgehend untersagt.

Eine Feststellung, die für ganz Europa gilt. Eine neue Analyse der Unternehmensberatung Ernst & Young zeigt, dass der Umsatzverlust der Branche im vergangenen Jahr satte 31 Prozent betrug [1]. Die Kreativwirtschaft, zuvor ein stark wachsendes Schwergewicht mit einem jährlichen Umsatz von 643 Milliarden Euro und 7,6 Millionen Beschäftigten, gehörte damit zu den am stärksten von der Krise betroffenen Wirtschaftszweigen in der EU, und übertrifft sogar den Tourismus (minus 27%) deutlich.

Not und fehlende Hilfen

Europaweit arbeiteten Kreative weit überwiegend in kleinen und mittleren Betrieben, ein Drittel sind Selbständige. Für sie gab es kein Kurzarbeitergeld und es dauerte lange, bis ihre Lebenswirklichkeit überhaupt von der Politik wahrgenommen wurde.

Im ersten Lockdown gab es staatliche Hilfe nur für Betriebskosten, was an der Realität der selbständigen Kreativen häufig komplett vorbeilief, denn viele haben kein eigenes Büro, kein eigenes Studio oder Atelier angemietet und kaum bis gar keine Betriebskosten.

Für sehr viele künstlerisch Tätige stellte sich sehr schnell die Frage wie sie in den pandemischen Zeiten überhaupt überleben, ihre Miete und ihren Lebensunterhalt zahlen sollen. Verbände wie der BBK (Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler [2]) protestierten, aber während durch erfolgreiche Lobbyarbeit anderer Verbände, z.B. der Automobilwirtschaft, milliardenschwere Hilfsprogramme plus Kurzarbeitergeld auf den Weg gebracht wurden, verwies die Politik Künstlerinnen und Künstler für ihre Lebenshaltungskosten eine ganze Weile vor allem auf die vorübergehend erleichterte Grundsicherung, also Hartz IV [3].

Kreative Solo-Selbständige hatten das Gefühl ins Bodenlose zu stürzen. Ohne jedes eigene Zutun gerieten sie durch die verordneten Corona-Maßnahmen zunehmend in eine fundamentale Existenzkrise.

Während ihre Arbeiten verstärkt von der ganzen Gesellschaft genutzt wurde, die Angestellten auch im Home Office viel Musik hörten, jede Menge Filme und Serien anschauten und mehr lasen als in der Zeit davor [4] wurde und wird den geistigen Urhebern, den Kulturschaffenden, tatsächlich immer mehr der Boden unter den Füßen weggezogen.

Das Verbot von Kulturveranstaltungen stand am Anfang der politischen Reaktionen auf die Pandemie und seither erleben die Kreativen einen praktisch durchgehenden Shutdown. Staatliche Unterstützung kam erst gar nicht, dann zögerlich und besteht bis heute aus einem Flickenteppich.

Sang- und klanglos in die Alarmstufe Rot

Die Initiative #AlarmstufeRot [5] richtete schon früh einen "flammender Appell und Hilferuf an die Politik zur Rettung der Veranstaltungswirtschaft", veranstaltete Großdemonstrationen und illuminierte im vergangenen Sommer in ganz Deutschland eine Nacht lang Monumente, Theater und Konzerthallen etc. mit rotem Licht [6]. Viele Initiativen versuchten mit Aufrufen, Demos und Aktionen öffentliche Aufmerksamkeit für die dramatische Situation zu erregen, in der sich die Kulturschaffenden seit einem Jahr befinden.

Aufstehen für die Kunst [7] stellte fest: "Die Künste erleiden seit Beginn der Corona-Krise eine beispiellose, sie in der Substanz gefährdende Krise: Die vielen selbständigen Künstler und Unternehmungen stehen finanziell zu einem großen Teil am Abgrund..."

"Ohne Kultur wird es still" [8] verkündete: "Aktuell liegt die Kunst- und Kulturszene brach. Tausende Menschen können ihrem Beruf nicht nachgehen und ihre Existenzen sind bedroht, aber auch die kulturelle Vielfalt ist in Gefahr. Das führt zu geistiger Armut in der Gesellschaft..."

Einige prominente Künstler, vor allem Musiker und Kabarettisten, erhoben ab Herbst ihre Stimme für die ganze Branche. Sie thematisierten vor allem die Notlage der darstellenden Künstlerinnen und Künstler, die auf Bühnen vor Publikum stehen: Schauspieler, Musiker, Sänger, Tänzer und Kleinkünstler - aber auch all derjenigen, die mit Bühnenbau und -dekoration, Kostüme, Licht und Ton etc. diese Darbietungen erst ermöglichen.

Einige mediale Präsenz bekam der Jazzmusiker und "Leistungsträger" Till Brönner für sein über Social Media verbreitetes, wütendes Statement "Zur Lage" [9] und die Band "Die Ärzte" für ihren Auftritt in den Tagesthemen [10] oder der Pianist Igor Levit für seine Statements Zur Lebensrealität von KünstlerInnen in der Corona-Pandemie [11].

Trotz all dieser Bemühungen gab es letztlich aber wenig öffentliches oder mediales Interesse an der katastrophalen Situation der Künstlerinnen und Künstler in der Krise. Der Kabarettist Florian Schroeder brachte es in seinem Auftritt "Künstler sind während Corona scheißegal!" [12] auf den Punkt.

Stay Home - Streetart in München, Foto: A. Naica-Loebell

Die große Masse der Kreativen blieb auffallend still, die wenigen persönlichen Meldungen ziemlich allgemein und vage, denn kaum jemand war und ist bereit, klar und offen über seine miserable persönliche Situation zu sprechen.

Man muss kein Psychologe sein, um zu verstehen wie belastend es ist, durch das faktische Untersagen der Berufsausübung während der Pandemie tief in die Misere zu geraten. Das gilt besonders für Kreative, die mit viel Sorgfalt ihr öffentliches Image aufbauen und pflegen.

Deshalb sind die persönlichen Geschichten der Kulturschaffenden in diesem Artikel anonymisiert. Es kommen einige Kreative exemplarisch zu Wort, die nicht aus dem Bereich der darstellenden Kunst kommen, denn noch mehr als die im Bühnenlicht stehenden Kreativen verschwanden bildende Künstler, Fotografinnen, Schriftsteller, freie Journalistinnen oder Grafiker in der öffentlichen Wahrnehmung noch weiter hinten im Dunkeln.

Niemand braucht Kunst, alle brauchen Kunst

"Nach einem Jahr Corona geht es mir beschissen," sagt die Schriftstellerin und Drehbuchautorin Tina S.:

"Das Schlimmste ist, dass die Pandemie meine kreative Basis zersetzt hat. Ich habe mich mit dem Anti-Kreativitäts-Virus infiziert. Ich zwang mich an den Schreibtisch, zwang mich dazu, irgendwie produktiv zu sein, aber es kam kaum etwas Brauchbares dabei raus. Statt Lust am Erfinden und neuen Ideen schlich sich die Angst in mich ein, die Angst vor Corona, die Angst um die Gesundheit meiner Familie, die Angst, mich selbst zu infizieren, und zunehmend dann auch die Angst um meine berufliche Existenz. Ich hatte das Gefühl, in einem dunklen Hohlraum geraten zu sein, und es verschlug mir die Sprache."

Die Medien quollen schon im letzten Frühjahr über mit Tipps, wie man die Lockdown-Zeit konstruktiv und kreativ nutzen könne. Stolz präsentierten mehr oder weniger künstlerisch begabte Zeitgenossen öffentlich ihre Corona-Tagebücher oder Shutdown-Fotos.

Dass diese kreativen Übungen und Verschönerungen des Homeoffice-Arbeitsplatzes nichts mit Kunst als Beruf zu tun haben, übersahen sehr viele Mitmenschen in ihrem Selbstverwirklichungs-Eifer, und sie wurden nicht müde, den Profis zu empfehlen, sie sollten doch die viele freie Zeit ganz für sich nutzen, um sich jetzt ungehemmt zu entfalten und neue Werke ganz ohne Kompromisse zu schaffen.

Manchen ist es trotz aller Depression sogar gelungen. Unter anderen haben Streetart-Künstler weltweit großartige neue Arbeiten während der Pandemie an die Wände gesprayt (vgl. Street Art in Zeiten von Corona. 50 Statements von Graffitti-Künstlern, Midas Collection 2021 [13]).

Den meisten ging es im erzwungenen Homeoffice aber eher wie dem Comiczeichner Nicolas Mahler [14], der seine Gedanken für den digitalen Comic-Salon Erlangen [15] festhielt.: "Liebes Corona-Tagebuch, die Geschäfte sperren schon wieder auf und ich habe dich noch gar nicht angefangen... Vielleicht beim nächsten Mal."

Mehr beeindruckende Statements von Comiczeichnerinnen und -zeichnern auf der Site des Internationalen Comic-Salon: Zeichnen aus dem Homeoffice - Die zweite Welle [16].

Tina S. hat mehrere Romane veröffentlicht und schreibt regelmäßig Drehbücher für Fernsehfilme:

Vor Corona lief es richtig gut, aber schlagartig stand ich vor einem immensen Einnahmeneinbruch. Für Drehbücher gab es Vorgespräche mit Produzenten und laufende Pitches, aber dann kam die laute anhaltende Stille - bis heute. Die noch stattfindenden Filmdrehs wurden durch die Hygieneauflagen und Reisebeschränkungen aufwendiger und teurer, wegen der Risiken viele Produktionen vertagt.

Ein neues Buch von mir erschien während des ersten Lockdowns, die Präsentation entfiel genauso wie die geplante Lesereise und Auftritte bei Literaturfestivals. Damit gibt es auch kaum Promotion für das Buch, es ging als Neuerscheinung weitgehend unter. Ich habe dann einige Streaming-Lesungen gemacht, da gab es ein bisschen Honorar, aber vor einer Webcam zu lesen ist in jeder Hinsicht ein echt blasser Ersatz.

Die Lesungen bringen neben Presseberichten in ganz Deutschland ja auch direkte Werbung durch die Buchhandlungen und Literaturinstitutionen - und nicht zuletzt viele wichtige und anregende Begegnungen mit anderen Menschen, Inspiration und Motivation. Aber noch mehr runter gezogen hat mich die schreckliche Diskussion um die "Systemrelevanz" der Kunst, das massive Absacken der Wertigkeit und von öffentlicher Anerkennung. Alle um mich herum konsumierten massenhaft Kunst in Form von Musik, Online-Live-Events, Büchern, Filmen und Serien, und dennoch stand gleichzeitig in großen Lettern im Raum: KUNST IST NICHT WICHTIG!

Tina S.

Die Diskussion um die Systemrelevanz hat die Kreativen aufgebracht und entzweit, denn während die einen gerne als relevant gekennzeichnet werden wollten, lehnten die anderen die Zuschreibung von Systemrelevanz gänzlich ab, denn Kunst und Kultur sind keine Frage eines Systems, sondern von grundsätzlicher Relevanz. Es gibt schlicht keine menschliche Gesellschaft ohne Kultur.

Leider fand auch diese Debatte fern der öffentlichen Wahrnehmung statt, die sich eher um die Vorstellungen von spielenden statt arbeitenden Schauspielerinnen, fleißigen Ameisen und zirpenden Grillen drehte, von denen Kabarett-Altmeister Gerhard Polt in seinem wunderbaren Statement zum Thema berichtet: Kultur und Systemrelevanz [17]. Von ihm stammt auch der schöne Satz [18]:

"Bestimmte Leute kriegen in diesen schweren Zeiten ihr Geld und andere - vor allem Künstler - schauen mit dem Ofenrohr ins Gebirge"

Fehlende Empathie und Existenzkrise

Die manifeste öffentliche und politische Missachtung der Kultur offenbarte sich unter anderem im bayerischen Lockdown-Beschluss von Oktober 2020, wo sich Museen, Theater, Kinos, Opern und Konzerthäuser unter "geschlossen werden Institutionen und Einrichtungen, die der Freizeitgestaltung zuzuordnen sind" [19] wiederfanden, gelistet zwischen Spielbanken, Wettannahmestellen, Prostitutionsstätten und Spaßbädern. Dabei hat die Kultur in Bayern sogar explizit Verfassungsrang (vgl. Art. 3: Bayern ist ein Kulturstaat [20]).

Der Grafiker und Kulturjournalist Henry F. steht nach einem Jahr Corona vor den Scherben seiner Existenz:

Mir geht es Scheiße. Mein Lebensmodell als Freiberufler mit genug Aufträgen um bequem leben zu können, hat 25 Jahre lang gut funktioniert, sich aber in diesem Jahr in Luft aufgelöst. Die Politik hat mir mit ihren Maßnahmen mein gewohntes, eingespieltes Leben zertrümmert. Ich empfinde es als Déjà-vu, als wäre ich wieder in der Zeit direkt nach dem Mauerfall und ich junger Grafiker bei einem DDR-Verlag, der damals ratzfatz abgewickelt wurde - und ich stand auf der Straße. Bevor ich mich noch umschauen konnte, gab es mein ganzes DDR-Leben nicht mehr.

Als Freier bin ich in all den Jahren sehr gut durchgekommen, Grafik für verschiedene Agenturen und Verlage war der eigentliche Brotjob, dazu kamen Artikel über Kultur, mit denen seit Jahren eh kaum noch etwas zu verdienen ist, aber sie sind mir sehr wichtig und immerhin ein finanzielles Zubrot. Bereits ab dem ersten Lockdown ging alles steil bergab; freie Grafiker wurden zunehmend nicht mehr gebraucht, die Auftragslage reicht gerade noch für die Festangestellten, und Kultur durfte ja praktisch gar nicht mehr stattfinden, also gab es auch nichts mehr zu berichten. Im Lauf des Jahres hatte ich immer weniger Aufträge und am Ende gar keine mehr. Es macht mich richtig wütend, die Arbeiter müssen in die Fleischfabriken, aber ich darf mein Leben nicht mehr leben, werde völlig aus dem Tritt gebracht.

Aber fast noch schlimmer ist das völlige Fehlen von Empathie oder auch nur Verständnis in dieser Angestellten-Gesellschaft. Sascha Lobo hat es in seiner Kolumne Der deutsche Staat verachtet Selbstständige und Kreative [21] auf den Punkt gebracht.

Wer es in dieser Krise nicht schafft, der ist selbst schuld - so denken die meisten Leute. Selbst bei den persönlichen Kontakten spüre ich ständig diese Verachtung für Kunst und Kultur: Euch braucht keiner! Das ist zutiefst erschütternd.

Henry F.

Dabei beteuerte die Politik in den letzten Jahren immer wieder sehr laut, wie wichtig Kunst und Kultur für die Bildung, für gesellschaftspolitische Auseinandersetzungen, den kritischen Diskurs und nicht zuletzt "als entscheidender Standortfaktor" sei. Die Bundesregierung betonte ausdrücklich ihren Wert für die Wirtschaft [22]:

Die schöpferischen und gestaltenden Menschen sind die Basis der Kultur- und Kreativwirtschaft: (...) schaffen künstlerische Qualität, kulturelle Vielfalt, kreative Erneuerung und stehen zugleich für die wirtschaftliche Dynamik einer auf Wissen und Innovation basierenden Ökonomie.

Bundesministerium für Wirtschaft und Energie

Achterbahn und Zoom

Die bildende Künstlerin Daniela J. berichtet:

Das Corona-Jahr war für mich wie eine Achterbahnfahrt, heftig und intensiv, rauf und runter. Es gab ganze Wochen, da bin ich kaum aus dem Bett gekrochen, dann habe ich mich wieder aufgerafft und mit aller Kraft versucht, diese Krise als Chance zu sehen und zu nutzen.

Wir erleben alle gerade eine grässliche Zeit. Ich habe Corona sofort sehr ernst genommen, in meiner alten Heimat hat die Krankheit schon früh gewütet, ich habe mehrere Familienangehörige verloren. Die Angst war mein Begleiter. Es hat mich richtig wütend gemacht zu sehen, wie viele Menschen die Gefahr nicht sehen wollten und mit ihrem Verhalten die zweite Welle angetrieben haben.

Als nicht-kommerzielle Künstlerin habe ich mein Leben so eingerichtet, dass ich mit verhältnismäßig wenig Geld gut jongliere, Upcycling ist mein Lebensstil. Dafür muss ich nicht immer mit einem Auge auf den Kunstmarkt schielen und irgendwelche gut verkäuflichen Hypes bedienen.

Die Pandemie hat mich dazu gezwungen, mich endlich mit Stipendien, Kunst-Projektförderungen und Ausschreibungen zu beschäftigen, und ich habe mich wie wild überall beworben. Jetzt finanziert mich gerade eine Förderung der Kunstfonds. Zum Glück, es gab ja zehn Mal so viele Bewerbungen wie Plätze. Dazu kommt mein Mini-Job, der ich seit Jahren habe.

Soforthilfe hatte ich nicht beantragt, obwohl diese Zeit richtig schwer war, aber ich habe nie um irgendwelche Hilfe gebeten, und als Nichtdeutsche war ich zudem extrem vorsichtig, denn nach meiner Erfahrung mit der Ausländerbehörde hält der Staat uns Künstler sowieso für schräge Vögel, die am besten ganz schnell wieder abfliegen sollten. War wohl auch besser, denn ich habe von verschiedenen Bekannten gehört, dass nun Geld von ihnen zurückgefordert wird, eine Freundin von mir soll 3.000 der 5.000 Euro zurückzahlen, jetzt ist sie in heller Panik, denn nach diesem Jahr hat sie natürlich gar nichts mehr auf dem Konto.

2020 lief eine Einzelausstellung, die leider nicht viele Leute besuchen konnten, aber die Institution hat sich viel Mühe gegeben, meine Arbeiten virtuell zugänglich zu machen, zudem ein Statement mit mir gedreht und ins Netz gestellt, dafür auch ein kleines Honorar bezahlt. Virtuelle Ausstellungen sind der neue Trend, das wird sicher auch künftig eine Erweiterung der Realität bleiben.

Zwei Projekte wurden völlig ausgebremst, aber ehrlich gesagt wäre ich nicht gereist und hätte auch nicht unterrichtet. Alles verschoben worden, mal sehen, ob und wie es weitergeht. Flexibel zu sein gehört zu meinem Lebenskonzept, aber ich schaue jetzt ganz anders auf Zukunftsplanung, ist viel wichtiger geworden.

Meine kleine Wohnung war mir Zufluchtsort, aber gleichzeitig auch Käfig, in dem ich mich oft gefangen fühlte. Mein introvertiertes Ich mochte den totalen Rückzug, mein extrovertiertes Ich vermisste die echten Begegnungen schmerzlich. Der Laptop war das Tor zur Welt, Zoom und Signal ermöglichten mir mein Netzwerk zunehmend virtuell zu pflegen, tatsächlich mag ich inzwischen Zoom-Cocktailstunden oder -Partys - sollten wir weiter pflegen.

Daniela J.
Sehnsucht nach dem Gemeinschaftserlebnis, Streetart von Fotokünstler Andreas Bohnenstengel, München, Foto: A. Naica-Loebell

Virtualität war der große Kulturtrend des Jahres. Ausstellungen zeigten sich im Internet, Kuratoren führten virtuell durch die Räume, Musiker, Orchester und Theater streamten ihre Auftritte online, Autorinnen lasen vor Webcams, Tänzer übten alleine gemeinsam vor Bildschirmen...

Immer mehr Künstler bezweifelten jedoch zunehmend den Sinn der Gratis-Vorführungen vor imaginiertem Publikum. Sie begriffen diese Auftritte als Tünche über ihrer realen Not und einen Totalausverkauf, zudem wollten sie nicht mehr um Spenden-Almosen bitten [23]).

Dass es ohne Kulturveranstaltungen tatsächlich still wird, verdeutlichte die Initiative #SangUndKlanglos [24] im November.

Schriftstellerin Tina S. hat genug von Online-Konferenzen und Streaming-Auftritten:

"Die Pandemie hat uns sprachlos gemacht, da halfen auch die vielen Streamings nicht. Eine reale Lesung, das gemeinsame Live-Erlebnis im Raum, das ist etwas ganz anderes. Dazu kommen ja die vielen Begegnungen, die mit dranhängen, der Austausch, die vielen kleinen Gespräche am Rande, die Inspiration. Die Lesereisen und Auftritte versorgen mich mit Energie. Ich brauche das Unterwegsein, die Diskussionen, die Anstöße, bin eine Beobachterin, eine Aufsaugerin von Bruchstücken der Welt, ein Seismograph von Gesellschaft. Ohne Begegnungen trockne ich ein. Die ganzen Online-Schalten ersetzen doch nicht wirklich eine Runde von Menschen um einen Tisch, wo man sich riecht und spürt, Ideen austauscht und gemeinsam die Raumzeit dehnt."

Überleben in Zeiten der Pandemie

Sehr viele freiberufliche Kreative verdienen ihr Geld in verschiedenen Bereichen. Ein Teil arbeitet parallel in angrenzenden Kulturfeldern, also z. B. Schriftstellerinnen zusätzlich als Drehbuchautoren für den Film, Lektoren oder freie Journalisten, bildende Künstler als Grafiker oder Illustratoren, Fotografen als Bildredakteure oder freie Journalisten als Moderatoren.

Ein anderer Teil hat zusätzliche Jobs in ganz anderen Berufsfeldern, oft sehr bewusst, um eine klare Trennung zu haben. In der Corona-Krise haben sich aber sehr häufig auch die Nebenerwerbe z. B. in der Gastronomie, als Taxifahrer oder im Einzelhandel in Luft aufgelöst. Zusätzlich fallen noch typische Zusatzeinkommen wie z.B. Unterrichten oder die Leitung kreativer Workshops in Corona-Zeiten aus.

Schon vor der Pandemie gehörten die meisten nicht zu den Spitzenverdienern, besonders die bildenden Künstler verdienten gerade genug, um zu überleben - "Ein Drittel der bildenden Künstler lebt von nur 1000 Euro im Monat [25].

Im letzten Jahr fielen die meisten Festivals und Messen aus, Ausstellungen konnten nur während einigen Monaten von wenigen Besuchern besichtigt werden. Der Bundesverband Deutscher Galerien und Kunsthändler [26] meldete für 2020 einen Umsatzeinbruch von 40 Prozent [27].

Daniela J. kann dank des Programms Neustart Kultur [28] in nächster Zeit künstlerisch arbeiten. Vielen anderen gelingt das nicht mehr. Nur ein Bruchteil derer, die in Corona-Zeiten Unterstützung bräuchten [29], profitierten von diesem inzwischen aufgestockten Hilfsprogramm.

Zu viele Kreative bleiben immer noch im Dschungel der kaum noch zu durchschauenden Vielzahl der staatlichen Hilfen von Bund und Ländern auf der Strecke (vgl. Wie wirklichkeitsfremd darf Kulturpolitik eigentlich noch sein? [30].

Dabei geht es um eine große Gruppe, die volkswirtschaftlich wichtig ist, rund 1,2 Millionen arbeiten in der Kultur- und Kreativwirtschaft [31], davon knapp 260.000 als Freiberuflerinnen oder Selbständige. Vor Corona erwirtschafteten sie einen Gesamtumsatz von rund 174 Milliarden Euro jährlich.

Schriftstellerin Tina S. steht vor einem dramatischen Einbruch ihres Einkommens:

Ich habe in den letzten Jahren gut verdient, stehe als erfolgreiche Schriftstellerin in der Öffentlichkeit. Ich kämpfe einsam weiter vor mich hin, aber wie lange ich das noch durchhalte, weiß ich ehrlich gesagt nicht. In den letzten Jahren habe ich mit den Romanen, den Lesungen und Auftritten, plus einem Drehbuch eigentlich immer 40.000 Euro jährlich verdient, das ist im Literaturbetrieb ganz beachtlich.

Dann waren schlagartig fast alle Einkünfte weg. Habe Hilfen beantragt, aber viele Programme von Land und Bund schließen sich ja gegenseitig aus.

Die Anträge sind viel zu kompliziert, da ist das Scheitern vorprogrammiert, und bei den Überbrückungshilfen ging es ja schon formal gar nicht ohne Steuerberater. Bekommen habe ich letztes Jahr 5.000 Euro Soforthilfe, davon konnte ich wenigstens meine Büro-Miete zahlen und jetzt weitere 2.000 Euro. Mit den paar Aufträgen, die noch liefen, komme ich damit nicht mal auf die Hälfte meines üblichen Einkommens.

Ich bin soweit, dass ich die Angestellten um ihr Kurzarbeitergeld beneide, das sichert wenigstens die Grundversorgung. Keine Ahnung, wie es weitergehen soll, zwei anstehende Buchverträge sind vom Verlag vorerst auf Eis gelegt, die kämpfen wie die geschlossenen Buchhandlungen ja auch ums Überleben.

Tina S.

Kultur auf dem Weg zur Tafel

Die Kulturszene war die erste, die in weiten Teilen durch die Corona-Maßnahmen lahmgelegt wurde und es fast durchgehend blieb. Nun sieht es danach aus, als käme sie erst lang nach den Frisören und Baumärkten aus dem Lockdown. Die viel besungene lebendige Vielfalt der Kulturlandschaft und ihrer Protagonisten ist in akuter Gefahr.

Das Beispiel der Berliner Musiker zeigt, dass knapp ein Drittel von ihnen sich bereits beruflich neu orientiert [32].

Der Staat setzt weiter auf sein lückenhaftes Hilfs-Patchwork [33] und darauf, dass die Kreativen mit ihrer Flexibilität ein Stückchen davon ergattern oder den erleichterten Zugang zur Grundsicherung nutzen, um sich irgendwie durchzuschlagen.

Entsprechend zynisch klingt für viele aus der Szene die Kulturstaatsministerin Monika Grütters, die der Deutschen Welle erklärte, sie sei "zuversichtlich, dass mit unserer Hilfe diese sehr zähe und widerständige Kultur, dieses überlebensfähige Milieu, auch diese Pandemie übersteht [34]."

Grafiker und Kulturjournalist Henry F. ist nicht sicher, wie er die Pandemie überstehen wird; er befindet sich inzwischen am Tiefpunkt:

Meine Situation wurde im Laufe des letzten Jahrs immer prekärer. Meine beiden Einkommensquellen versiegten zusehends. Im letzten Frühjahr habe ich die 5.000 Euro Soforthilfe bekommen, aber das Geld reichte ohne Aufträge nicht lange. Es gibt ja leider keinen Mieten-Lockdown. Habe dann später noch Überbrückungshilfe bekommen: 1.078 Euro, wobei ich davon 640 Euro an meinen Steuerberater zahlen musste, ohne den ich ja den Antrag gar nicht stellen konnte. Offensichtlich eine tolle Überbrückungshilfe für Steuerberater.

Im Januar ging dann gar nichts mehr, alle Rücklagen verbraucht, und ich war gezwungen, Hartz IV zu beantragen, unvorstellbar, wurde auch vom Amt schön herablassend behandelt. Jetzt muss ich von der Stütze leben und hole mir Lebensmittel von der Tafel, das hat mich eine Riesenüberwindung gekostet, ist aber tatsächlich eine große Hilfe - und die Leute dort waren im Gegensatz zu den Beamten auf dem Sozialamt sehr nett und unterstützend.

Die Politik hat in der Unterstützung von uns Kreativen völlig versagt. Die Automobilindustrie hat mehr als 5 Milliarden Euro Hilfe bekommen, obwohl da keine Werke wegen der Pandemie dicht gemacht wurden. Stattdessen haben Volkswagen und BMW letztes Jahr fette Dividenden ausgeschüttet, sollen ja allein rund 750 Millionen Euro für die superreiche Familie Quandt gewesen sein und mehr als 330 Millionen für die Porsche-Sippe. Tja, leider habe ich offensichtlich weder einen Motor noch Shareholder Value.

Von Hartz IV leben zu müssen, ist echt gruselig. Ich fühle mich wie ein Loser und schäme mich, gleichzeitig macht es mich wütend, dass ich mich schäme, denn ich habe überhaupt nichts verbockt. Corona hat mich in diesen Abgrund gestürzt, das ist die totale Ohnmacht. Ich hoffe jetzt nur, dass ich da so schnell wie möglich wieder rauskomme und dann immer noch über die KSK versichert bin, das wurde mir zugesichert.

Henry F.
Streetart Kassel, Foto: A. Naica-Loebell

Die Künstlersozialkasse (KSK) [35] ist in der Branche von grundlegender Bedeutung, denn sie garantiert eine bezahlbare Kranken- und Rentenversicherung für fast 200.000 freiberufliche Kreative. Allerdings muss man nachweisen, dass der Hauptteil der Einkünfte aus künstlerischen Tätigkeiten stammt.

Das wird auch geprüft und wer z. B. nicht genug verdient hat, fliegt raus. Ihre Mitgliedschaft und damit ihre einzige Form der sozialen Absicherung zu verlieren, ist eine Horrorvision für viele Künstlerinnen und Künstler - und einer der Gründe, warum sich einige nicht um Hilfsgelder bewarben.

Die Politik bringt es noch nicht einmal fertig den Kreativen, denen sie in der Pandemie die Existenzgrundlage entzogen hat, diese Grundsicherung zu garantieren. Aktuell verlieren Künstler, die sich in ihrer Not akut andere Jobs suchen mussten, tatsächlich ihre KSK-Mitgliedschaft [36]. Der deutsche Kulturrat fordert dringend eine Ausnahmeregelung für die Zeit der Pandemie [37].

Die in die Pleite getriebenen Kreativen müssen sich dringend laut an die Öffentlichkeit wenden, damit sie ins Licht kommen. Ihre wirtschaftliche Grundlage bröckelt zunehmend weg. Durch die Corona-Maßnahmen wird ihnen die Existenzgrundlage entzogen.

Sie sind keine Almosenempfänger, sondern Garanten dafür, dass das Kulturleben in Deutschland bestehen bleibt. Genug der schönen Politiker-Worthülsen, Anerkennung funktioniert in unserer Gesellschaft vor allem über Geld.

Es braucht aktuell mindestens eine Grundabsicherung, entweder in Form einer Art Arbeitslosengeld (vgl. Für ein prinzipielles Kultur-Existenzgeld! [38] oder eines Grundeinkommens. Eine entsprechende Petition [39] wurde von fast 500.000 Unterstützern unterschrieben.

In anderen europäischen Ländern gibt es das längst. In Belgien bekommen Künstlerinnen und Künstler z. B. seit Beginn der Beschränkungen monatlich knapp 1.300 Euro, mit Familienzuschlag 1.600 Euro pro Monat. In der Schweiz wird ein ähnliches Modell gerade heiß debattiert [40].

Damit das Licht in der Kulturbranche nicht bald für viele Kreative endgültig ausgeht.


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Links in diesem Artikel:
[1] http://1761b814-bfb6-43fc-9f9a-775d1abca7ab.filesusr.com/ugd/4b2ba2_8bc0958c15d9495e9d19f25ec6c0a6f8.pdf
[2] https://www.bbk-bundesverband.de
[3] https://www.arbeitsagentur.de/corona-faq-grundsicherung-arbeitslosengeld-2
[4] https://www.boersenverein.de/markt-daten/marktforschung/studien-umfragen/lesen-in-der-corona-krise-2020
[5] https://alarmstuferot.org
[6] https://night-of-light.de
[7] https://aufstehenfuerdiekunst.de
[8] https://www.ohnekunstundkulturwirdsstill.de
[9] https://youtu.be/zzOIL--vcuc
[10] https://youtu.be/XslHAQQmijk
[11] https://youtu.be/_9sfhfxxBWA
[12] https://youtu.be/t6RZFjbQfg0
[13] https://midas.ch/produkt/street-art-in-zeiten-von-corona/
[14] https://www.mahlermuseum.com/
[15] https://www.comic-salon.de/de/zeichnen-aus-dem-homeoffice?strytlpage=30
[16] https://www.comic-salon.de/de/zeichnen-aus-dem-homeoffice
[17] https://youtu.be/UYEWi714NBE
[18] https://www.br.de/nachrichten/kultur/kritik-von-polt-kuenstler-schauen-mit-dem-ofenrohr-ins-gebirge,SCYJ2Qc
[19] https://www.bayern.de/bericht-aus-der-kabinettssitzung-vom-29-oktober-2020
[20] https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/BayVerf
[21] https://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/corona-hilfen-der-deutsche-staat-verachtet-selbststaendige-kolumne-a-49d0ce81-8b0b-4ee7-ada1-5a6f38382ea9
[22] https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Dossier/kultur-und-kreativwirtschaft.html
[23] https://taz.de/Was-der-Kultur-im-Netz-verloren-geht/!5677513/
[24] https://www.youtube.com/watch?v=QTglGD2ybEM
[25] https://www.rnd.de/kultur/arm-aber-sexy-ein-dritter-der-bildenden-kunstler-lebt-von-nur-1000-euro-im-monat-G66QRA5WS5E3VJO7F3I2ZI7IGE.html
[26] https://www.bvdg.de
[27] https://www.zeit.de/news/2020-11/19/galerien-stehen-vor-massiven-einbruechen?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.bvdg.de%2FGalerienstudie_2020
[28] https://www.bundesregierung.de/breg-de/bundesregierung/staatsministerin-fuer-kultur-und-medien/neustart-kultur-startet-1775272
[29] https://www.tagesspiegel.de/kultur/mehr-verlierer-als-gewinner-werden-corona-hilfen-fuer-kuenstler-gerecht-verteilt/26590816.html
[30] https://www.heise.de/tp/features/Wie-wirklichkeitsfremd-darf-Kulturpolitik-eigentlich-noch-sein-4922635.html
[31] https://www.kultur-kreativ-wirtschaft.de/KUK/Navigation/DE/DieBranche/Uebersicht/uebersicht.html
[32] https://www.tagesspiegel.de/kultur/dramatische-folgen-der-pandemie-viele-berliner-musiker-geben-in-der-krise-auf/26849318.html
[33] https://kreativ-bund.de/corona
[34] https://www.dw.com/de/kultur-will-mehr-unterst%C3%BCtzung-vom-staat/a-55970656
[35] https://www.kuenstlersozialkasse.de
[36] https://www1.wdr.de/radio/wdr5/sendungen/politikum/kuenstler-corona-krise-100.html
[37] https://www.kulturrat.de/corona-pandemie/lageeinschaetzungen-kulturbereiche/corona-und-kein-ende/view-all/
[38] https://www.heise.de/tp/features/Fuer-ein-prinzipielles-Kultur-Existenzgeld-4845896.html
[39] https://www.change.org/p/finanzminister-olaf-scholz-und-wirtschaftsminister-peter-altmaier-mit-dem-bedingungslosen-grundeinkommen-durch-die-coronakrise-coronavirusde-olafscholz-peteraltmaier
[40] https://www.nzz.ch/zuerich/corona-in-zuerich-grundeinkommen-fuer-kuenstler-ist-nun-doch-legal-ld.1603702