Die in die Pleite getriebenen Kreativen
- Die in die Pleite getriebenen Kreativen
- Niemand braucht Kunst, alle brauchen Kunst
- Überleben in Zeiten der Pandemie
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Tief in der Corona-Krise: Kulturschaffende im "Land der Dichter und Denker" sind fast völlig im Dunkeln verschwunden
Ein Jahr Pandemie, die zweite Welle durchgestanden, Deutschland im andauernden Lockdown. Wie geht es den Kreativen, den Künstlerinnen und Künstlern, denen seit einem Jahr ihre Existenzgrundlage weitgehend entzogen wurde?
Es geht ihnen schlecht und ist erstaunlich, wie wenig von ihnen zu hören oder zu sehen ist. Während andere Wirtschaftsverbände sich beinahe täglich vehement zu Wort melden, sind Kulturschaffende fast völlig im Dunkeln verschwunden.
Kunst und Kultur, die ganze Veranstaltungsbranche, die gesamte Kreativwirtschaft gehören zu den größten Verlierern des vergangenen Jahres, oder wie die Bundesregierung es formuliert: "Die Corona-Pandemie trifft die Kultur- und Kreativwirtschaft mit besonderer Härte."
Die Bühnenkünstler erleben einen kompletten Stillstand, aber die Existenz vieler anderer Kreativer ist ebenfalls stark gefährdet. Die Corona-Politik bedeutete für viele faktisch ein mehr oder weniger umfassendes Berufsverbot. Die Ausübung ihrer professionellen Tätigkeiten wurde ihnen weitgehend untersagt.
Eine Feststellung, die für ganz Europa gilt. Eine neue Analyse der Unternehmensberatung Ernst & Young zeigt, dass der Umsatzverlust der Branche im vergangenen Jahr satte 31 Prozent betrug. Die Kreativwirtschaft, zuvor ein stark wachsendes Schwergewicht mit einem jährlichen Umsatz von 643 Milliarden Euro und 7,6 Millionen Beschäftigten, gehörte damit zu den am stärksten von der Krise betroffenen Wirtschaftszweigen in der EU, und übertrifft sogar den Tourismus (minus 27%) deutlich.
Not und fehlende Hilfen
Europaweit arbeiteten Kreative weit überwiegend in kleinen und mittleren Betrieben, ein Drittel sind Selbständige. Für sie gab es kein Kurzarbeitergeld und es dauerte lange, bis ihre Lebenswirklichkeit überhaupt von der Politik wahrgenommen wurde.
Im ersten Lockdown gab es staatliche Hilfe nur für Betriebskosten, was an der Realität der selbständigen Kreativen häufig komplett vorbeilief, denn viele haben kein eigenes Büro, kein eigenes Studio oder Atelier angemietet und kaum bis gar keine Betriebskosten.
Für sehr viele künstlerisch Tätige stellte sich sehr schnell die Frage wie sie in den pandemischen Zeiten überhaupt überleben, ihre Miete und ihren Lebensunterhalt zahlen sollen. Verbände wie der BBK (Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler) protestierten, aber während durch erfolgreiche Lobbyarbeit anderer Verbände, z.B. der Automobilwirtschaft, milliardenschwere Hilfsprogramme plus Kurzarbeitergeld auf den Weg gebracht wurden, verwies die Politik Künstlerinnen und Künstler für ihre Lebenshaltungskosten eine ganze Weile vor allem auf die vorübergehend erleichterte Grundsicherung, also Hartz IV.
Kreative Solo-Selbständige hatten das Gefühl ins Bodenlose zu stürzen. Ohne jedes eigene Zutun gerieten sie durch die verordneten Corona-Maßnahmen zunehmend in eine fundamentale Existenzkrise.
Während ihre Arbeiten verstärkt von der ganzen Gesellschaft genutzt wurde, die Angestellten auch im Home Office viel Musik hörten, jede Menge Filme und Serien anschauten und mehr lasen als in der Zeit davor wurde und wird den geistigen Urhebern, den Kulturschaffenden, tatsächlich immer mehr der Boden unter den Füßen weggezogen.
Das Verbot von Kulturveranstaltungen stand am Anfang der politischen Reaktionen auf die Pandemie und seither erleben die Kreativen einen praktisch durchgehenden Shutdown. Staatliche Unterstützung kam erst gar nicht, dann zögerlich und besteht bis heute aus einem Flickenteppich.
Sang- und klanglos in die Alarmstufe Rot
Die Initiative #AlarmstufeRot richtete schon früh einen "flammender Appell und Hilferuf an die Politik zur Rettung der Veranstaltungswirtschaft", veranstaltete Großdemonstrationen und illuminierte im vergangenen Sommer in ganz Deutschland eine Nacht lang Monumente, Theater und Konzerthallen etc. mit rotem Licht. Viele Initiativen versuchten mit Aufrufen, Demos und Aktionen öffentliche Aufmerksamkeit für die dramatische Situation zu erregen, in der sich die Kulturschaffenden seit einem Jahr befinden.
Aufstehen für die Kunst stellte fest: "Die Künste erleiden seit Beginn der Corona-Krise eine beispiellose, sie in der Substanz gefährdende Krise: Die vielen selbständigen Künstler und Unternehmungen stehen finanziell zu einem großen Teil am Abgrund..."
"Ohne Kultur wird es still" verkündete: "Aktuell liegt die Kunst- und Kulturszene brach. Tausende Menschen können ihrem Beruf nicht nachgehen und ihre Existenzen sind bedroht, aber auch die kulturelle Vielfalt ist in Gefahr. Das führt zu geistiger Armut in der Gesellschaft..."
Einige prominente Künstler, vor allem Musiker und Kabarettisten, erhoben ab Herbst ihre Stimme für die ganze Branche. Sie thematisierten vor allem die Notlage der darstellenden Künstlerinnen und Künstler, die auf Bühnen vor Publikum stehen: Schauspieler, Musiker, Sänger, Tänzer und Kleinkünstler - aber auch all derjenigen, die mit Bühnenbau und -dekoration, Kostüme, Licht und Ton etc. diese Darbietungen erst ermöglichen.
Einige mediale Präsenz bekam der Jazzmusiker und "Leistungsträger" Till Brönner für sein über Social Media verbreitetes, wütendes Statement "Zur Lage" und die Band "Die Ärzte" für ihren Auftritt in den Tagesthemen oder der Pianist Igor Levit für seine Statements Zur Lebensrealität von KünstlerInnen in der Corona-Pandemie.
Trotz all dieser Bemühungen gab es letztlich aber wenig öffentliches oder mediales Interesse an der katastrophalen Situation der Künstlerinnen und Künstler in der Krise. Der Kabarettist Florian Schroeder brachte es in seinem Auftritt "Künstler sind während Corona scheißegal!" auf den Punkt.
Die große Masse der Kreativen blieb auffallend still, die wenigen persönlichen Meldungen ziemlich allgemein und vage, denn kaum jemand war und ist bereit, klar und offen über seine miserable persönliche Situation zu sprechen.
Man muss kein Psychologe sein, um zu verstehen wie belastend es ist, durch das faktische Untersagen der Berufsausübung während der Pandemie tief in die Misere zu geraten. Das gilt besonders für Kreative, die mit viel Sorgfalt ihr öffentliches Image aufbauen und pflegen.
Deshalb sind die persönlichen Geschichten der Kulturschaffenden in diesem Artikel anonymisiert. Es kommen einige Kreative exemplarisch zu Wort, die nicht aus dem Bereich der darstellenden Kunst kommen, denn noch mehr als die im Bühnenlicht stehenden Kreativen verschwanden bildende Künstler, Fotografinnen, Schriftsteller, freie Journalistinnen oder Grafiker in der öffentlichen Wahrnehmung noch weiter hinten im Dunkeln.