Die in die Pleite getriebenen Kreativen
Seite 3: Überleben in Zeiten der Pandemie
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Sehr viele freiberufliche Kreative verdienen ihr Geld in verschiedenen Bereichen. Ein Teil arbeitet parallel in angrenzenden Kulturfeldern, also z. B. Schriftstellerinnen zusätzlich als Drehbuchautoren für den Film, Lektoren oder freie Journalisten, bildende Künstler als Grafiker oder Illustratoren, Fotografen als Bildredakteure oder freie Journalisten als Moderatoren.
Ein anderer Teil hat zusätzliche Jobs in ganz anderen Berufsfeldern, oft sehr bewusst, um eine klare Trennung zu haben. In der Corona-Krise haben sich aber sehr häufig auch die Nebenerwerbe z. B. in der Gastronomie, als Taxifahrer oder im Einzelhandel in Luft aufgelöst. Zusätzlich fallen noch typische Zusatzeinkommen wie z.B. Unterrichten oder die Leitung kreativer Workshops in Corona-Zeiten aus.
Schon vor der Pandemie gehörten die meisten nicht zu den Spitzenverdienern, besonders die bildenden Künstler verdienten gerade genug, um zu überleben - "Ein Drittel der bildenden Künstler lebt von nur 1000 Euro im Monat.
Im letzten Jahr fielen die meisten Festivals und Messen aus, Ausstellungen konnten nur während einigen Monaten von wenigen Besuchern besichtigt werden. Der Bundesverband Deutscher Galerien und Kunsthändler meldete für 2020 einen Umsatzeinbruch von 40 Prozent.
Daniela J. kann dank des Programms Neustart Kultur in nächster Zeit künstlerisch arbeiten. Vielen anderen gelingt das nicht mehr. Nur ein Bruchteil derer, die in Corona-Zeiten Unterstützung bräuchten, profitierten von diesem inzwischen aufgestockten Hilfsprogramm.
Zu viele Kreative bleiben immer noch im Dschungel der kaum noch zu durchschauenden Vielzahl der staatlichen Hilfen von Bund und Ländern auf der Strecke (vgl. Wie wirklichkeitsfremd darf Kulturpolitik eigentlich noch sein?.
Dabei geht es um eine große Gruppe, die volkswirtschaftlich wichtig ist, rund 1,2 Millionen arbeiten in der Kultur- und Kreativwirtschaft, davon knapp 260.000 als Freiberuflerinnen oder Selbständige. Vor Corona erwirtschafteten sie einen Gesamtumsatz von rund 174 Milliarden Euro jährlich.
Schriftstellerin Tina S. steht vor einem dramatischen Einbruch ihres Einkommens:
Ich habe in den letzten Jahren gut verdient, stehe als erfolgreiche Schriftstellerin in der Öffentlichkeit. Ich kämpfe einsam weiter vor mich hin, aber wie lange ich das noch durchhalte, weiß ich ehrlich gesagt nicht. In den letzten Jahren habe ich mit den Romanen, den Lesungen und Auftritten, plus einem Drehbuch eigentlich immer 40.000 Euro jährlich verdient, das ist im Literaturbetrieb ganz beachtlich.
Dann waren schlagartig fast alle Einkünfte weg. Habe Hilfen beantragt, aber viele Programme von Land und Bund schließen sich ja gegenseitig aus.
Die Anträge sind viel zu kompliziert, da ist das Scheitern vorprogrammiert, und bei den Überbrückungshilfen ging es ja schon formal gar nicht ohne Steuerberater. Bekommen habe ich letztes Jahr 5.000 Euro Soforthilfe, davon konnte ich wenigstens meine Büro-Miete zahlen und jetzt weitere 2.000 Euro. Mit den paar Aufträgen, die noch liefen, komme ich damit nicht mal auf die Hälfte meines üblichen Einkommens.
Ich bin soweit, dass ich die Angestellten um ihr Kurzarbeitergeld beneide, das sichert wenigstens die Grundversorgung. Keine Ahnung, wie es weitergehen soll, zwei anstehende Buchverträge sind vom Verlag vorerst auf Eis gelegt, die kämpfen wie die geschlossenen Buchhandlungen ja auch ums Überleben.
Tina S.
Kultur auf dem Weg zur Tafel
Die Kulturszene war die erste, die in weiten Teilen durch die Corona-Maßnahmen lahmgelegt wurde und es fast durchgehend blieb. Nun sieht es danach aus, als käme sie erst lang nach den Frisören und Baumärkten aus dem Lockdown. Die viel besungene lebendige Vielfalt der Kulturlandschaft und ihrer Protagonisten ist in akuter Gefahr.
Das Beispiel der Berliner Musiker zeigt, dass knapp ein Drittel von ihnen sich bereits beruflich neu orientiert.
Der Staat setzt weiter auf sein lückenhaftes Hilfs-Patchwork und darauf, dass die Kreativen mit ihrer Flexibilität ein Stückchen davon ergattern oder den erleichterten Zugang zur Grundsicherung nutzen, um sich irgendwie durchzuschlagen.
Entsprechend zynisch klingt für viele aus der Szene die Kulturstaatsministerin Monika Grütters, die der Deutschen Welle erklärte, sie sei "zuversichtlich, dass mit unserer Hilfe diese sehr zähe und widerständige Kultur, dieses überlebensfähige Milieu, auch diese Pandemie übersteht."
Grafiker und Kulturjournalist Henry F. ist nicht sicher, wie er die Pandemie überstehen wird; er befindet sich inzwischen am Tiefpunkt:
Meine Situation wurde im Laufe des letzten Jahrs immer prekärer. Meine beiden Einkommensquellen versiegten zusehends. Im letzten Frühjahr habe ich die 5.000 Euro Soforthilfe bekommen, aber das Geld reichte ohne Aufträge nicht lange. Es gibt ja leider keinen Mieten-Lockdown. Habe dann später noch Überbrückungshilfe bekommen: 1.078 Euro, wobei ich davon 640 Euro an meinen Steuerberater zahlen musste, ohne den ich ja den Antrag gar nicht stellen konnte. Offensichtlich eine tolle Überbrückungshilfe für Steuerberater.
Im Januar ging dann gar nichts mehr, alle Rücklagen verbraucht, und ich war gezwungen, Hartz IV zu beantragen, unvorstellbar, wurde auch vom Amt schön herablassend behandelt. Jetzt muss ich von der Stütze leben und hole mir Lebensmittel von der Tafel, das hat mich eine Riesenüberwindung gekostet, ist aber tatsächlich eine große Hilfe - und die Leute dort waren im Gegensatz zu den Beamten auf dem Sozialamt sehr nett und unterstützend.
Die Politik hat in der Unterstützung von uns Kreativen völlig versagt. Die Automobilindustrie hat mehr als 5 Milliarden Euro Hilfe bekommen, obwohl da keine Werke wegen der Pandemie dicht gemacht wurden. Stattdessen haben Volkswagen und BMW letztes Jahr fette Dividenden ausgeschüttet, sollen ja allein rund 750 Millionen Euro für die superreiche Familie Quandt gewesen sein und mehr als 330 Millionen für die Porsche-Sippe. Tja, leider habe ich offensichtlich weder einen Motor noch Shareholder Value.
Von Hartz IV leben zu müssen, ist echt gruselig. Ich fühle mich wie ein Loser und schäme mich, gleichzeitig macht es mich wütend, dass ich mich schäme, denn ich habe überhaupt nichts verbockt. Corona hat mich in diesen Abgrund gestürzt, das ist die totale Ohnmacht. Ich hoffe jetzt nur, dass ich da so schnell wie möglich wieder rauskomme und dann immer noch über die KSK versichert bin, das wurde mir zugesichert.
Henry F.
Die Künstlersozialkasse (KSK) ist in der Branche von grundlegender Bedeutung, denn sie garantiert eine bezahlbare Kranken- und Rentenversicherung für fast 200.000 freiberufliche Kreative. Allerdings muss man nachweisen, dass der Hauptteil der Einkünfte aus künstlerischen Tätigkeiten stammt.
Das wird auch geprüft und wer z. B. nicht genug verdient hat, fliegt raus. Ihre Mitgliedschaft und damit ihre einzige Form der sozialen Absicherung zu verlieren, ist eine Horrorvision für viele Künstlerinnen und Künstler - und einer der Gründe, warum sich einige nicht um Hilfsgelder bewarben.
Die Politik bringt es noch nicht einmal fertig den Kreativen, denen sie in der Pandemie die Existenzgrundlage entzogen hat, diese Grundsicherung zu garantieren. Aktuell verlieren Künstler, die sich in ihrer Not akut andere Jobs suchen mussten, tatsächlich ihre KSK-Mitgliedschaft. Der deutsche Kulturrat fordert dringend eine Ausnahmeregelung für die Zeit der Pandemie.
Die in die Pleite getriebenen Kreativen müssen sich dringend laut an die Öffentlichkeit wenden, damit sie ins Licht kommen. Ihre wirtschaftliche Grundlage bröckelt zunehmend weg. Durch die Corona-Maßnahmen wird ihnen die Existenzgrundlage entzogen.
Sie sind keine Almosenempfänger, sondern Garanten dafür, dass das Kulturleben in Deutschland bestehen bleibt. Genug der schönen Politiker-Worthülsen, Anerkennung funktioniert in unserer Gesellschaft vor allem über Geld.
Es braucht aktuell mindestens eine Grundabsicherung, entweder in Form einer Art Arbeitslosengeld (vgl. Für ein prinzipielles Kultur-Existenzgeld! oder eines Grundeinkommens. Eine entsprechende Petition wurde von fast 500.000 Unterstützern unterschrieben.
In anderen europäischen Ländern gibt es das längst. In Belgien bekommen Künstlerinnen und Künstler z. B. seit Beginn der Beschränkungen monatlich knapp 1.300 Euro, mit Familienzuschlag 1.600 Euro pro Monat. In der Schweiz wird ein ähnliches Modell gerade heiß debattiert.
Damit das Licht in der Kulturbranche nicht bald für viele Kreative endgültig ausgeht.