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Die lange Tradition US-amerikanischer Folter und westliche Werte

Ein Hintergrundgespräch zum Terrorismus der westlichen Welt

Die Kulturwissenschaftlerin Katrin Dauenhauer hat über Folter in US-amerikanischen militärischen Einsätzen promoviert. Im Fokus ihrer Forschungsarbeit liegt der inneramerikanische Diskurs zwischen den Jahren 1899 und 2008 anhand des Philippinisch-Amerikanischen Krieges (PAK), des Vietnamkrieges und des Krieges gegen den Irak. Mit dieser Langfristperspektive werden einige Mythen in den Folterdebatten deutlich und können künftig dekonstruiert werden.

Wie sind Sie zu dem Thema Folter und des Diskurses darüber gekommen?
Katrin Dauenhauer: 2004 wurden die Bilder von Abu Ghraib veröffentlicht und für mich war neben der offensichtlichen Grenzüberschreitung, die diese Bilder zeigten, auch ihr Aufbau, die Selbstinszenierung der Täter, die erzwungene Inszenierung der Gefangenen interessant. Abu Ghraib war deshalb wichtig, weil es politisch und kulturell von Bedeutung war. Die durch Abu Ghraib ausgelöste Folterdebatte in den USA rückte auch das Waterboarding in den Fokus der Öffentlichkeit. Ich bin dann über die Frage, ob es Waterboarding schon vorher gab, auf den PAK gestoßen und auch auf Vietnam.
Waterboarding steht wie keine andere Foltermethode für die "Auswüchse" des "War on Terror". Allerdings handelt es sich dabei keineswegs um "Fehlentwicklungen" nach dem 11. September. Vielmehr hat dieses Vorgehen eine traurige Tradition.
Katrin Dauenhauer: Ja, in der Tat gab es das Waterboarding schon früher, auch wenn es während des PAK und während des Vietnamkrieges nicht unter dem Begriff "Waterboarding" bekannt war. Während des PAK wurde die Methode "water cure", Wasserheilung, genannt. In der wissenschaftlichen Literatur wird darauf hingewiesen, dass die US-Amerikaner die Methode von den Spaniern, also der Vorgängerkolonialmacht, übernommen haben.
Aufgenommen 1901 auf den Philippinen. Bild [1]: DOD
Während des Vietnamkrieges wurde die Methode des Waterboarding ebenfalls eingesetzt, hier wird sie mit dem Begriff "water torture" beschrieben. Meine Recherchen gingen hier von einem Bild in der Washington Post aus. Allerdings gab es während des Vietnamkrieges keine vergleichbar ausgedehnte Debatte zur Wasserfolter wie während des PAK und des Irak-Krieges. Ich habe mir das letztlich so erklärt, dass die Brutalität des Krieges an sich diskutiert wurde und so die Wasserfolter als nur eine Ausprägung dieser Brutalität in den Hintergrund trat. Zum Beispiel wurde das Massaker von My Lai sehr ausführlich diskutiert.

Der 11. September ist keine "Stunde Null"

In der gegenwärtigen Folterdebatte gibt es ein bedeutendes Narrativ, nämlich dass die Menschenrechte aufgrund des 11. September in einer Krise stecken würden. Dieses Narrativ wurde auch in vergangenen Diskussionen über z.B. die zum Totalitarismus neigende Überwachung durch die NSA, über die Kriege in Afghanistan und Irak und über eine zunehmende Militarisierung der Polizei in den USA angeführt. Man nehme nur die Titelstory des Spiegel vom 15. Dezember: Die dunkle Seite der Macht. Wie Amerika seine Werte verlor. Darin heißt es: Der Folterbericht des Senats legt schonungslos offen, wie das Land nach dem 11. September 2001 seine Werte verriet. [2] Man müsse die US-Amerikaner demnach verstehen, schließlich waren die Terroranschläge unfassbares Grauen. Dem mag man kaum widersprechen. Doch wenn man sich auf den 11. September als Ausgangspunkt einlässt, erliegt man da nicht bereits der "Propaganda" derjenigen die Folter und Kriege rechtfertigen wollen? Sie haben ja bereits den Vietnamkrieg und den PAK genannt. Folter ist demnach nichts, was erst mit dem "War on Terror" beginnt?
Katrin Dauenhauer: Sie haben völlig Recht. Es wurde und wird zum Teil bis heute auf beiden Seiten - sowohl auf Seiten der Befürworter der Maßnahmen im Krieg gegen den internationalen Terrorismus, als auch auf Seiten der Gegner - der 11. September als Paradigmenwechsel, als scheinbare Stunde Null deklariert. Als Kritiker des "War on Terror" dieser Logik zu folgen, schwächt die eigene Position jedoch nachhaltig. So plädieren diese, dass trotz des Ausnahmefalls die Menschenrechte eines jeden Einzelnen gewahrt bleiben müssen. Viel wichtiger wäre es jedoch, die Existenz einer Ausnahmesituation zu hinterfragen bzw. festzustellen, dass wir uns eben nicht in einer solchen befanden bzw. befinden, zumindest nicht in der Größenordnung die durch Begriffe wie "Stunde Null" oder "Paradigmenwechsel" suggeriert werden. Das Ticking-bomb-Szenario ist letztlich eine Variation dieser Ausnahmefall-Argumentation anhand eines konkreten Beispiels. Eine Variation dieser Rhetorik des Außerordentlichen zeigt sich dann wieder bei der Einordnung von Übertritten: es handele sich um außergewöhnliche Einzelfälle.
Mit Ticking-bomb-Szenarien sind theoretische Konstrukte gemeint, bei denen Folter unbedingt angewendet werden müsse, da der "Terrorist" über die Standorte von in Kürze explodierender Bomben Bescheid wüsste. Nur durch Folter könne man demnach an die Informationen herankommen um Menschenleben zu retten. Die gesamte Fernsehserie "24" [3] beruht letztlich auf diesem Konzept, bei der der Protagonist Jack Bauer (Kiefer Sutherland) sich von Folge zu Folge foltert, um Anschläge bis hin zum ultimativen Atombomben-Anschlag zu verhindern. Das ist in mehrfacher Hinsicht bedenklich. Zum einen verkürzt es das Denken auf eine dichotome Situation und zum anderen wird das Hauptargument der Folterer als Prämisse gesetzt: durch Foltern gewinnt man Informationen.
Katrin Dauenhauer: Ihr letzter Punkt scheint mir am Wichtigsten: Viele Foltergegner, die sich im Kontext eines Ticking-bomb-Szenarios gegen den Einsatz von Folter stark machen, akzeptieren erst einmal - bewusst oder unbewusst - die Prämisse, dass durch Folter wertvolle Informationen gewonnen werden können. Der Einsatz von Folter müsste dennoch abgelehnt werden, so das Argument der Gegner in diesem Fall.
Diese Logik verhält sich analog zur Idee "9-11 als Paradigmenwechsel". Auch hier wird eher die Argumentation bemüht: "Auch wenn 9-11 einen Paradigmenwechsel darstellt, auch wenn wir uns in einer nie dagewesenen Situation befinden, müssen wir uns unserer Werte besinnen und uns gegen Folter aussprechen...". Anstatt zu fragen: Stimmen die vorgegebenen Eckpfeiler, innerhalb derer Folter gerechtfertigt werden soll überhaupt? Stellt 9-11 wirklich einen Paradigmenwechsel dar? Liefert Folter tatsächlich verwertbare Informationen?
Die Serie "24" ist ein Beispiel für die emotionalisierte Darstellung, um Folter in bestimmten Situationen zu rechtfertigen. In einer der vielen Folterszenen wendet Protagonist Jack Bauer beispielsweise ohne Zögern Elektrofolter gegen einen Verdächtigen, noch dazu den Ex-Mann seiner Lebensgefährtin, an. Bauers Handel wird jedoch nicht als unüberlegt, sondern als entschlossen und kompetent inszeniert. Dass "ein Unschuldiger" - dies in Anführungszeichen, denn es bestünde auch keine Rechtfertigung "einen Schuldigen" zu foltern - gefoltert werden könnte, ist ausgeschlossen. Gleichzeitig wird Folter als Melodrama inszeniert, es hat nichts Entmenschlichendes, sondern etwas Familiäres: Nach der Folter fahren Bauer, der gefolterte Paul Raines sowie seine Ex-Frau, jetzige Freundin Bauers, gemeinsam im Auto, ein bisschen so, "als sei nichts passiert" und als sei nun "alles wieder gut". Schließlich entschuldigt sich der Gefolterte bei den beiden, dass er sie durch sein unüberlegtes Verhalten überhaupt in eine solche Situation gebracht hat. Solche Darstellungen tragen sicherlich auch ihren Teil zur Mystifizierung von Folter bei.

Das Argument der außergewöhnlichen Situation soll Folter rechtfertigen

Das Ticking-bomb-Szenario ist demnach nur eine zugespitzte, emotionalisierende Variation des offensichtlich einzigen Arguments, dass außergewöhnliche Situationen außergewöhnliche Maßnahmen erfordern.
Katrin Dauenhauer: In meiner Dissertation argumentiere ich, dass sich das Argument der außergewöhnlichen Lage nicht auf Tatsachen bezieht, sondern als rhetorisches Mittel eingesetzt wird, um den Einsatz von Folter zu rechtfertigen. Und hier macht es insbesondere Sinn, sich Debatten im Zuge des Vietnamkrieges oder des PAK anzuschauen. Auch hier wurde argumentiert, dass man mit einer Situation konfrontiert sei, die ihresgleichen sucht. Im Vietnamkrieg war dies der Kampf gegen den Kommunismus, der absolute Glaube an die Domino-Theorie, die Überzeugung, dass eine Übernahme Südvietnams durch den kommunistischen Norden letztlich auch eine Bedrohung der USA durch den Kommunismus darstellte.
Im Fall des PAK stand die Kolonialisierung der Philippinen in der Logik einer "zivilisatorischen Mission", also dem Glauben daran, die vermeintlichen Wilden durch amerikanische Herrschaft einem höheren Grad der Zivilisation zuzuführen und damit auch die Welt als Ganzes besser zu machen. Gleichzeitig hatten die USA durch den Spanisch-Amerikanischen Krieg, aus dem heraus sich der PAK entwickelte, erst die Weltbühne betreten. Somit bestand die Angst, sich durch eine Niederlage gegen die Filipinos vor anderen Staaten bzw. Weltmächten zu blamieren - mit unvorhersehbaren Folgen für die Zukunft der USA. In dieser "außergewöhnlichen Situation" mussten die USA so handeln wie sie es taten. Sie mussten den Krieg gegen die Filipinos gewinnen, koste es was es wolle. Dieses Mantra kam insbesondere dann zum Tragen als in beiden Kriegen die Öffentlichkeit von Menschenrechtsverletzungen durch amerikanische Truppen, inklusive dem Einsatz von Folter, erfuhr.
Die öffentlich geführten Debatten im Zuge dieser Enthüllungen zeugen davon, dass die amerikanische Gesellschaft sich bereits vor dem 11. September mit Menschenrechtsverletzungen durch die eigene Regierung auseinandergesetzt hat. Verteidigungsstrategien, nach derer man sich erstmals nach dem 11. September mit der Frage auseinandergesetzt hat, was Folter genau darstellt und im Zuge dieser neuen Herausforderung auch Fehlentscheidungen getroffen hat, lassen sich durch das Aufzeigen dieser vorherigen Debatten also entkräften.
Gleichzeitig gibt es auch auf der politischen Ebene viele Kontinuitäten. Insbesondere in Deutschland wird die Präsidentschaft George W. Bushs als Wendepunkt gesehen. Bush, sein Verteidigungsminister Rumsfeld und sein Vizepräsident Cheney seien für die sogenannten verstärkten Verhörmethoden allein verantwortlich und hätten im ausgerufenen Kampf gegen den Terror jegliches Maß verloren. Dass die sogenannten Torture Papers, die Memoranda des Office of Legal Counsel, die diese Techniken detailliert aufführten, auf frühere Gesetzgebung, insbesondere im Zuge der Ratifizierung der UN-Antifolterkonvention durch den US-Kongress 1994 und CIA-"Expertise" aus Zeiten des Kalten Krieges zurückgehen, wird dabei oft ausgeklammert. Auch hier gibt es also weitaus größere Kontinuitäten zwischen der Reagan, Clinton und Bush Regierung als gemeinhin angenommen.
Folter in Abu Ghraib.
Mitte der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts wurde, im Rahmen von Anhörungen und Prozessen, die sich mit Verwicklungen der CIA in Folterungen in Lateinamerika beschäftigten, das so genannte KUBARK -Handbuch bekannt. Darin hat die CIA bereits Anfang der 50er Jahre Foltermethoden zusammengestellt, die besonders wirksam seien, den Willen und die Persönlichkeit von Menschen zu brechen und gar auszulöschen. Das Handbuch wurde in den 1980er Jahren erweitert zu einer Folteranleitung. Darin sind viele Methoden zu finden, die tatsächlich dann in Abu Ghraib oder Guantánamo angewendet wurden. Wenn man dies alles in Betracht zieht, müsste man nicht eher von einer langen Tradition der Folter sprechen als von Ausnahmesituationen?
Katrin Dauenhauer: Ja, dies ist ein weiteres Beispiel dafür, dass es weit mehr Kontinuitäten gibt als dies durch die gegenwärtige, historisch verengte Debatte deutlich wird. Insbesondere die sensory deprivation [Reizentzug] Methoden und die stress positions, die sich in KUBARK finden, werden in verschiedenen Memoranda des amerikanischen Verteidigungsministeriums 2002 aufgegriffen. Sehr gut nachzulesen ist das in den Büchern von Alfred McCoy.
Eine Kontroverse gibt es allerdings bezüglich der "Entwicklung" neuer Foltermethoden. Während McCoy argumentiert, dass die CIA solche Methoden in psychologischen Experimenten entwickelt hat und dann über Handbücher wie KUBARK verbreitet, widerspricht Darius Rejali, der mit "Torture and Democracy" ein Monumentalwerk über Folter in Demokratien verfasst hat. Für ihn ist Folter eher als "backroom apprenticeship" [Hinterzimmer Ausbildung] denn als "Wissenschaft" anzusehen. Nach Rejali könnten Folterer zwar versuchen, sich unter dem Deckmantel der Wissenschaft zu verbergen, aber nur weil man sich einen Laborkittel anziehe, sei man noch lange kein Wissenschaftler. Und auch wenn gewisse Foltertechniken offiziell entwickelt und genehmigt wurden, zeige die Praxis, dass Folterer sehr viel unabhängiger agieren und oft über das hinausgehen, was in Handbüchern wie KUBARK aufgeführt ist.
Folter sei ein sehr dehnbarer Begriff bzw. unterliege einer breiten Spannweite an Interpretationsmöglichkeiten. So hatte zumindest die Bush-Administration argumentiert. Ist Folter tatsächlich so unbestimmt?
Katrin Dauenhauer: Das Folterverbot hat im internationalen Recht eine lange Tradition. Die international am weitesten anerkannte bzw. verbreitete Definition ist die aus Paragraph 1 der Anti-Folter-Konvention [4] der Vereinten Nationen: "Im Sinne dieses Übereinkommens bezeichnet der Ausdruck 'Folter' jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen oder um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen, oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden. Der Ausdruck umfasst nicht Schmerzen oder Leiden, die sich lediglich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben, dazu gehören oder damit verbunden sind."
Doch auch schon während des Vietnamkrieges und somit vor der Anti-Folter-Konvention von 1984 bestand mit der internationalen Erklärung der Menschenrechte ein internationales Dokument, das das Folterverbot beinhaltete. Während des PAK bezog man sich wiederum auf die sogenannten General Orders No. 100 (Lieber Code) aus dem Jahr 1863. Dort stand in Artikel 16, dass Grausamkeiten, wie Verstümmelung oder Verwundung außerhalb von Kämpfen, das Zufügen von Leid aus Rache sowie Foltern, um zum Beispiel Geständnisse zu erpressen, nicht erlaubt seien. Dieses Dokument hatte auch großen Einfluss auf die Haager Konvention von 1899.
Im internationalen Recht nimmt das Folterverbot außerdem eine Sonderstellung ein: das Folterverbot ist jus cogens, also zwingendes Recht. Gleichzeitig schreibt das Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte, dass Folter kein Akt an sich sei, sondern die rechtliche Einschätzung eines Ereignisses oder Verhaltens basierend auf einer umfassenden Bewertung dieses Ereignisses oder Verhaltens. Insofern ist Folter immer auch eine Frage der (juristischen) Interpretation.
Hinzu kommt, dass Folter nicht ausschließlich im Recht bzw. als Rechtsbegriff diskutiert wird. Was als Folter zu verstehen ist, wird auch in politischen Debatten ausgehandelt und zunehmend über Medienberichterstattung, Literatur, Filme und Fotos. In diesen Debatten wird Folter häufig zur moralischen Verurteilung des Gegners eingesetzt. Die Geschehnisse von Abu Ghraib 2004 als Missbrauchsfälle anzusehen, während man das gleiche Gefängnis Abu Ghraib unter Saddam Hussein als Foltergefängnis beschreibt, zeugt bereits von der strategischen Verwendung bzw. Nicht-Verwendung des Begriffs.

Filme verändern die Wahrnehmung von Folter

Sie haben bereits erwähnt, dass der Diskurs über Folter nicht lediglich in der politischen Klasse debattiert wird, sondern dass die Verhandlungen darüber auch in Filmen, also in der Populärkultur geführt werden. Wir hatten ja bereits das Beispiel der Serie 24. Sie haben sich in Ihrer Dissertation einige Filme näher angeschaut. Was konnten Sie dabei herausfinden?
Katrin Dauenhauer: Ich habe mir drei Filme näher angeschaut, in denen Folter thematisiert wird: Zunächst einen relativ unbekannten Film aus dem Jahr 1963 mit dem Titel "The Raiders of Leyte Gulf". Darin geht es um die Rückeroberung der Philippinen durch die USA nach ihrer Besetzung durch Japan im 2. Weltkrieg. In Folge der amerikanischen Befreiungsaktion wird der Protagonist, ein amerikanischer Major, in Gefangenschaft genommen und gefoltert. Doch anstatt die Folter eines Amerikaners eindeutig zu verurteilen, steht sie auch als Symbol für den hohen Einsatz der USA bei der Befreiung der Philippinen.
Folter wird als ultimativer "Freundschaftsbeweis" zwischen den Philippinen und den USA inszeniert. Der Schmerz, der durch die Folter verursacht wird, wird deutlich im Film dargestellt, gleichzeitig wird der Gefolterte aber gerade dadurch zum Helden, dass er die Folter überstanden hat, ohne Informationen preiszugeben. Folter wird somit zu einer Art von Initiationsritus - dies gilt aber interessanterweise nur für den Amerikaner. Wie sich während des Films herausstellt, wurde der Folterer, ein japanischer General, zuvor auch gefoltert, doch bei ihm hat die Folter nur zu seiner Instabilität und Unberechenbarkeit beigetragen. Die Folter wird somit auch als Kräftebeweis inszeniert.
Eine solche Auslegung findet sich interessanterweise auch in John McCains Autobiographie, in der er über seine Gefangenschaft in Vietnam berichtet. Dort wird Folter ebenfalls als Test der eigenen Stärke dargestellt. McCain sei letztlich durch die Zeit in Vietnam als Person gewachsen. Grundsätzlich ein populäres amerikanisches Narrativ.
Als weitere Filme habe ich mir "Rambo: First Blood" (1982) und "The Deer Hunter" (1978) angeschaut. Beide thematisieren den Vietnamkrieg, allerdings ohne es mit der Geschichte so genau zu nehmen. In beiden Filmen wird der Vietnamkrieg als amerikanische Tragödie dargestellt. In "Rambo" wird zudem die Mission der amerikanischen Soldaten glorizifiert und der vietnamesische Feind als Schlächter dargestellt. Folterszene stehen sowohl bei "Rambo" als auch "The Deer Hunter" im Mittelpunkt. In beiden Filmen sind jedoch Amerikaner die Opfer.
Was insbesondere bei "Rambo" beachtenswert ist, ist die Tatsache, dass Rambo im Film der Elektrofolter unterzogen wird, aber auch dann keine Informationen preisgibt - das bekannte heroische Narrativ. Außerdem schreibt der Film somit dem Vietcong den Einsatz von Elektrofolter zu. Das US-Verteidigungsministerium konnte aber nur zwei Fälle von Elektrofolter durch Nordvietnam während des gesamten Krieges bestätigen und auch nach dem Krieg gab es keine Fälle von Elektrofolter in Vietnam. Stattdessen waren es die Amerikaner, Franzosen und Südvietnamesen, die sich der Elektrofolter bedient haben. Der Film inszeniert die Nordvietnamesen und den Vietcong somit einseitig als brutalen Gegner, verfälscht historische Tatsachen in Bezug auf die Art der Foltermethoden und stellt den amerikanischen Soldat ausschließlich als Opfer dar.
Nicht so schlimm, könnte man meinen, ist ja "nur ein Film". Diese Fiktion wird jedoch unhinterfragt in das historische Verständnis der amerikanischen Gesellschaft übernommen. Grundsätzlich ist eine Analyse von Material aus der Populärkultur wichtig, weil sie ein wichtiger Teil von Erinnerungskultur darstellt. Wahrscheinlich haben mehr Amerikaner eine Reihe von Vietnamfilmen gesehen, als eine Reihe von Geschichtsbüchern über den Vietnamkrieg gelesen.
Sie haben vorhin einen interessanten Punkt angesprochen, nämlich den Glauben vieler US-Amerikaner an die eigene Höherwertigkeit bzw. die Höherwertigkeit der westlichen Zivilisation. Das ist natürlich keine Besonderheit der USA, sondern vielmehr ein weit verbreiteter soziologischer bzw. sozialpsychologischer Mechanismus. Dazu gehört auch, dass die eigene Wertigkeit permanent abhängig ist vom Konkurrenzkampf der Nationen. So zumindest erleben es viele Menschen. Sie sagen sehr treffend, dass sich die USA nicht blamieren wollten, im Konkurrenzkampf der Nationen und deshalb bereit waren, alles zu tun. Ähnliche Prozesse konnte man beim Niedergang des englischen Empire feststellen oder auch beim deutschen Nationalsozialismus. Häufig verdecken materialistische Interessen wie Geostrategie und Ressourcensicherung diese nicht weniger wichtigen Mechanismen der gefühlten Höherwertigkeit.
Katrin Dauenhauer: Dies ist ein komplexer Punkt. Während meiner Recherchen ging es hauptsächlich darum, ausgehend von den verschiedenen Quellen herauszuarbeiten, wie die Anwendung von Folter gerechtfertigt oder auch verurteilt wurde. Und in der Tat findet man sehr viele, fast philosophische Abhandlungen. Es zeigt sich, dass mit einer Diskussion über Folter eigentlich viel mehr verhandelt wird als Folter. Es geht um gesellschaftliche Werte und weitere Grundfragen einer Gesellschaft: Wie definieren wir uns? Was hält uns zusammen? Was ist uns wichtig als Gemeinschaft? Was ist nicht verhandelbar? Eigentlich nicht überraschend, denn als extreme Form von Gewalt und mit großem affektiven Potenzial trifft Folter die Grundfesten einer Gesellschaft. Letztlich ist die Legitimation von Gewalt für jede Gesellschaft ein fundamentales Thema und Folter verstärkt diese Bedeutung noch einmal.
Ich bin mir nicht sicher, wie sich die beiden von Ihnen genannten Motive zueinander verhalten: Ist die gefühlte Höherwertigkeit vorrangig oder spielen geostrategische Überlegungen eine größere Rolle? In der Debatte um ein Engagement in den Philippinen beispielsweise nahm die eigene Höherwertigkeit einen weitaus größeren Stellenwert ein, wirtschaftliche Überlegungen wurden entschieden zurückgewiesen. Henry Allen Cooper aus dem US Kongress äußerte etwa 1900:
"Wir sind auf den Philippinen, mein Herr, um eine Pflicht zu erfüllen, eine Pflicht, die wir uns selber schuldig sind, den Menschen des Archipels und der bürgerlichen Freiheit überall auf der Welt. Wir engagieren uns auf der Inselgruppe um die Grenzen der Freiheit zu erweitern, die Freiheit zu sichern ebenso wie einer unterdrückten Rasse die Chancen und die Unterstützung der besten unter den modernen Zivilisationen zukommen zu lassen, ein Segen, der ihr über Jahrhunderte hinweg verwehrt wurde, und so eine unbesiegbare junge Republik zu errichten und die unveräußerlichen Menschenrechte zu etablieren."
Diese Höherwertigkeit wurde also nicht hinterfragt, aus ihr heraus leitete sich erst die Verpflichtung ab einzugreifen. So explizit findet man dies während des Irakkriegs natürlich nicht mehr, sähe man sich doch bei solchen Formulierungen Rassismus-Vorwürfen ausgesetzt. Gleichzeitig schwingt dieser Tenor in Bushs "civilizing mission" auf jeden Fall mit.
Grundsätzlich gilt wohl, dass in jedem Krieg Mechanismen zum Tragen kommen, die den anderen als Feind kategorisieren und somit abwerten bzw. dämonisieren. Bei den in meiner Arbeit betrachteten Konflikten sind dies insbesondere Kategorien, die auf race basieren, gerade während des PAK und des Vietnamkriegs.
Den Gegenüber zu entmenschlichen, um ihn dann ohne Skrupel zu foltern, wirft im Gegenzug die Frage auf, wer als Mensch wahrgenommen wird und wer nicht. Welches menschliche Leben als solches von Wert ist und welches nicht. Diese Fragen waren insbesondere innerhalb der amerikanischen Kulturwissenschaft in den letzten Jahren sehr prominent, vor allem durch das viel rezipierte Buch "Homo Sacer" von Giorgio Agamben, aber auch Judith Butlers "Frames of War" und "Precarious Life".

Westliche Werte und der Verleugnungszauber

Die Debatte um Folter ist demnach eingebettet in eine wesentlich grundlegendere Debatte über die Werte einer Gesellschaft. Also, was ist einer Gesellschaft wichtig und was ist keinesfalls verhandelbar. Angesichts der Foltermethoden, die auch immer noch gerechtfertigt und als berechtigt betrachtet werden, heißt das, dass in den USA alle Werte zur Debatte stehen? Und wie verträgt sich das mit dem Selbstbild des Rechtsstaates und der den Menschenrechten verpflichteten Demokratie?
Katrin Dauenhauer: Ich denke, dass es zu diesem Punkt keine abschließende Antwort gibt. Auch deshalb, weil es viele nebeneinander laufende und teilweise auch miteinander konkurrierende Rechtfertigungsmuster für Folter gibt. In "States of Denial: Knowing About Atrocities and Suffering" (2001) hat Stanley Cohen über den Umgang mit Kriegsverbrechen geschrieben und verschiedene Strategien benannt. Eine davon nennt er "denial magic" [Verleugnungszauber]: Da eine Handlung grundsätzlich untersagt ist, kann sie auch nicht geschehen sein. Diese Strategie wird laut Cohen selbst dann noch angewendet, wenn es genügend Beweise für ein Verbrechen gibt, vor allem auch deshalb, weil bei solchen Argumentationen weniger Logik als Ideologie eine Rolle spielt. Eine Ideologie, die das Bild zeichnet, Menschenrechte zu verteidigen, statt zu verletzen.
In den Debatten offenbart sich ein Konflikt zwischen dem Ideal einer rechtschaffenen Armee und konkreten Übertritten, mit denen man sich auseinandersetzen muss. Dieser Konflikt führt letztlich auch zu "ideologische Beschränkungen", denen man sich in der Auseinandersetzung mit Übertritten unterwirft.
"Denial Magic" ist aber nur eine Strategie. Eine andere Strategie ist, diese Taten bis zuletzt nicht als Folter zu deklarieren, die Überschreitungen der USA in Beziehung zu den Taten der Gegner zu setzen und als weniger schlimm zu befinden oder die "Menschlichkeit" des Gegners zu negieren, um solche Taten zu rechtfertigen. All diese Strategien laufen nebeneinander, selbst einzelne Personen bedienen sich mehrerer und oftmals gegensätzlicher Strategien. Bezüglich My Lai hat ein Artikel eine solch paradoxe Verteidigungsstrategie wie folgt auf den Punkt gebracht: "It Never Happened and Besides They Deserved It." Um noch einmal auf Ihre Frage zurückzukommen: Ich denke nicht, dass es das Verständnis ist, dass alle Werte zur Debatte stehen, sondern, dass Werte verteidigt werden müssen und dass dies im Einzelfall bedeutet, dass bestimmte Werte gegeneinander abgewogen werden müssen. William T. Cavanaugh beschreibt dies sehr treffend:
"Auf der einen Seite ist die Leugnung, dass wir foltern, entscheidend für die Aufrechterhaltung der Vorstellung, dass die USA moralisch außergewöhnlich sind. Auf der anderen Seite ist das Bereithalten des Vorrechts zum Foltern wesentlich für die Aufrechterhaltung der Vorstellung, dass die amerikanische Nation als Beschützer vor den unmenschlichen Kräften, die uns bedrohen, auftritt. […] Die weitverbreitete Vorstellung von Folter ist also wichtig um zweierlei zu fördern: zum einen das schlimme Gefühl in einer Not- und Ausnahmesituation zu leben und zum anderen das Gefühl, dass der Staat alles tun wird, was nötig ist, um uns vor der Bedrohung zu schützen, die er selbst mitgeschaffen hat."
Diese Widersprüche lassen sich nicht auflösen. Speziell im US-amerikanischen Kontext spielt Patriotismus und die Rolle der Armee in der Gesellschaft eine wichtige Rolle, die auch die bereits genannten "ideologischen Beschränkungen" weiter erklären.
Parade von Irakheimkehrern am 4. Juli 2007. Bild: DOD
Mir scheint es hier vor allem um Doppelstandards zu gehen oder etwas deutlicher, um Verlogenheit in der Argumentation. Bei den "Anderen" wird Folter angeklagt und bei sich selbst windet man sich, um auch noch die letzte, weit über das Absurde und Lächerliche hinausgehende juristische wie moralische Argumentation zu finden, um Folter zu legitimieren. Wie erklären Sie sich, dass die US-Amerikaner bereit sind, diese Bigotterie hinzunehmen?
Katrin Dauenhauer: Vieles vom eben Gesagten gilt auch hier. "Ideologische Beschränkungen" spielen eine zentrale Rolle: zum einen der Glaube, dass man selber moralischer handelt als "der Feind", dass man im Falle von Grenzüberschreitungen wichtige Gründe haben muss, aber auch schlicht die Verdrängung von Geschehnissen, die am eigenen Selbstbild rütteln.
Unabhängig vom Schlagwort "Ideologie" gibt es aber auch ganz simple und pragmatische Gründe: Desinteresse an internationaler Politik oder auch der 24-Stunden-Nachrichtenzyklus, der einem den Folterreport aufgrund neuer Nachrichten aus Syrien oder dem Irak schnell vergessen lässt.
Auf der anderen Seite muss man natürlich auch die Arbeit derer anerkennen, die auf ganz unterschiedliche Weise gegen Folter kämpfen und amerikanische Folter lautstark anprangern: Die Arbeit von Intellektuellen wie Butler oder McCoy, die künstlerische Auseinandersetzung mit Folter in Werken von Richard Serra, Clinton Fein oder Steve Powers, die Arbeit von Menschen- und Bürgerrechtsorganisationen wie ACLU, Amnesty International und Human Rights Watch und schließlich die Anstrengungen von Politikern, vor allem Dianne Feinstein und John McCain. Wenn man sich dann aber wiederum Umfragen anschaut, in denen die Mehrzahl der Amerikaner die sogenannten verstärkten Verhörmethoden als gerechtfertigt ansehen - immer noch -, ist das sehr bedenklich.

Katrin Dauenhauer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Nordamerikastudienprogramm der Universität Bonn. Ihre Dissertation wird in Kürze im Peter Lang Verlag erscheinen: "The Shadow of Torture: Debating US Transgressions in Military Interventions, 1899-2008."


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[2] http://www.spiegel.de/spiegel/print/index-2014-51.html
[3] http://de.wikipedia.org/wiki/24_(Fernsehserie)
[4] http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/PDF-Dateien/Pakte_Konventionen/CAT/cat_de.pdf