Die lange Tradition US-amerikanischer Folter und westliche Werte
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Ein Hintergrundgespräch zum Terrorismus der westlichen Welt
Die Kulturwissenschaftlerin Katrin Dauenhauer hat über Folter in US-amerikanischen militärischen Einsätzen promoviert. Im Fokus ihrer Forschungsarbeit liegt der inneramerikanische Diskurs zwischen den Jahren 1899 und 2008 anhand des Philippinisch-Amerikanischen Krieges (PAK), des Vietnamkrieges und des Krieges gegen den Irak. Mit dieser Langfristperspektive werden einige Mythen in den Folterdebatten deutlich und können künftig dekonstruiert werden.
Wie sind Sie zu dem Thema Folter und des Diskurses darüber gekommen?
Katrin Dauenhauer: 2004 wurden die Bilder von Abu Ghraib veröffentlicht und für mich war neben der offensichtlichen Grenzüberschreitung, die diese Bilder zeigten, auch ihr Aufbau, die Selbstinszenierung der Täter, die erzwungene Inszenierung der Gefangenen interessant. Abu Ghraib war deshalb wichtig, weil es politisch und kulturell von Bedeutung war. Die durch Abu Ghraib ausgelöste Folterdebatte in den USA rückte auch das Waterboarding in den Fokus der Öffentlichkeit. Ich bin dann über die Frage, ob es Waterboarding schon vorher gab, auf den PAK gestoßen und auch auf Vietnam.
Waterboarding steht wie keine andere Foltermethode für die "Auswüchse" des "War on Terror". Allerdings handelt es sich dabei keineswegs um "Fehlentwicklungen" nach dem 11. September. Vielmehr hat dieses Vorgehen eine traurige Tradition.
Katrin Dauenhauer: Ja, in der Tat gab es das Waterboarding schon früher, auch wenn es während des PAK und während des Vietnamkrieges nicht unter dem Begriff "Waterboarding" bekannt war. Während des PAK wurde die Methode "water cure", Wasserheilung, genannt. In der wissenschaftlichen Literatur wird darauf hingewiesen, dass die US-Amerikaner die Methode von den Spaniern, also der Vorgängerkolonialmacht, übernommen haben.
Während des Vietnamkrieges wurde die Methode des Waterboarding ebenfalls eingesetzt, hier wird sie mit dem Begriff "water torture" beschrieben. Meine Recherchen gingen hier von einem Bild in der Washington Post aus. Allerdings gab es während des Vietnamkrieges keine vergleichbar ausgedehnte Debatte zur Wasserfolter wie während des PAK und des Irak-Krieges. Ich habe mir das letztlich so erklärt, dass die Brutalität des Krieges an sich diskutiert wurde und so die Wasserfolter als nur eine Ausprägung dieser Brutalität in den Hintergrund trat. Zum Beispiel wurde das Massaker von My Lai sehr ausführlich diskutiert.
Der 11. September ist keine "Stunde Null"
In der gegenwärtigen Folterdebatte gibt es ein bedeutendes Narrativ, nämlich dass die Menschenrechte aufgrund des 11. September in einer Krise stecken würden. Dieses Narrativ wurde auch in vergangenen Diskussionen über z.B. die zum Totalitarismus neigende Überwachung durch die NSA, über die Kriege in Afghanistan und Irak und über eine zunehmende Militarisierung der Polizei in den USA angeführt. Man nehme nur die Titelstory des Spiegel vom 15. Dezember: Die dunkle Seite der Macht. Wie Amerika seine Werte verlor. Darin heißt es: Der Folterbericht des Senats legt schonungslos offen, wie das Land nach dem 11. September 2001 seine Werte verriet. Man müsse die US-Amerikaner demnach verstehen, schließlich waren die Terroranschläge unfassbares Grauen. Dem mag man kaum widersprechen. Doch wenn man sich auf den 11. September als Ausgangspunkt einlässt, erliegt man da nicht bereits der "Propaganda" derjenigen die Folter und Kriege rechtfertigen wollen? Sie haben ja bereits den Vietnamkrieg und den PAK genannt. Folter ist demnach nichts, was erst mit dem "War on Terror" beginnt?
Katrin Dauenhauer: Sie haben völlig Recht. Es wurde und wird zum Teil bis heute auf beiden Seiten - sowohl auf Seiten der Befürworter der Maßnahmen im Krieg gegen den internationalen Terrorismus, als auch auf Seiten der Gegner - der 11. September als Paradigmenwechsel, als scheinbare Stunde Null deklariert. Als Kritiker des "War on Terror" dieser Logik zu folgen, schwächt die eigene Position jedoch nachhaltig. So plädieren diese, dass trotz des Ausnahmefalls die Menschenrechte eines jeden Einzelnen gewahrt bleiben müssen. Viel wichtiger wäre es jedoch, die Existenz einer Ausnahmesituation zu hinterfragen bzw. festzustellen, dass wir uns eben nicht in einer solchen befanden bzw. befinden, zumindest nicht in der Größenordnung die durch Begriffe wie "Stunde Null" oder "Paradigmenwechsel" suggeriert werden. Das Ticking-bomb-Szenario ist letztlich eine Variation dieser Ausnahmefall-Argumentation anhand eines konkreten Beispiels. Eine Variation dieser Rhetorik des Außerordentlichen zeigt sich dann wieder bei der Einordnung von Übertritten: es handele sich um außergewöhnliche Einzelfälle.
Mit Ticking-bomb-Szenarien sind theoretische Konstrukte gemeint, bei denen Folter unbedingt angewendet werden müsse, da der "Terrorist" über die Standorte von in Kürze explodierender Bomben Bescheid wüsste. Nur durch Folter könne man demnach an die Informationen herankommen um Menschenleben zu retten. Die gesamte Fernsehserie "24" beruht letztlich auf diesem Konzept, bei der der Protagonist Jack Bauer (Kiefer Sutherland) sich von Folge zu Folge foltert, um Anschläge bis hin zum ultimativen Atombomben-Anschlag zu verhindern. Das ist in mehrfacher Hinsicht bedenklich. Zum einen verkürzt es das Denken auf eine dichotome Situation und zum anderen wird das Hauptargument der Folterer als Prämisse gesetzt: durch Foltern gewinnt man Informationen.
Katrin Dauenhauer: Ihr letzter Punkt scheint mir am Wichtigsten: Viele Foltergegner, die sich im Kontext eines Ticking-bomb-Szenarios gegen den Einsatz von Folter stark machen, akzeptieren erst einmal - bewusst oder unbewusst - die Prämisse, dass durch Folter wertvolle Informationen gewonnen werden können. Der Einsatz von Folter müsste dennoch abgelehnt werden, so das Argument der Gegner in diesem Fall.
Diese Logik verhält sich analog zur Idee "9-11 als Paradigmenwechsel". Auch hier wird eher die Argumentation bemüht: "Auch wenn 9-11 einen Paradigmenwechsel darstellt, auch wenn wir uns in einer nie dagewesenen Situation befinden, müssen wir uns unserer Werte besinnen und uns gegen Folter aussprechen...". Anstatt zu fragen: Stimmen die vorgegebenen Eckpfeiler, innerhalb derer Folter gerechtfertigt werden soll überhaupt? Stellt 9-11 wirklich einen Paradigmenwechsel dar? Liefert Folter tatsächlich verwertbare Informationen?
Die Serie "24" ist ein Beispiel für die emotionalisierte Darstellung, um Folter in bestimmten Situationen zu rechtfertigen. In einer der vielen Folterszenen wendet Protagonist Jack Bauer beispielsweise ohne Zögern Elektrofolter gegen einen Verdächtigen, noch dazu den Ex-Mann seiner Lebensgefährtin, an. Bauers Handel wird jedoch nicht als unüberlegt, sondern als entschlossen und kompetent inszeniert. Dass "ein Unschuldiger" - dies in Anführungszeichen, denn es bestünde auch keine Rechtfertigung "einen Schuldigen" zu foltern - gefoltert werden könnte, ist ausgeschlossen. Gleichzeitig wird Folter als Melodrama inszeniert, es hat nichts Entmenschlichendes, sondern etwas Familiäres: Nach der Folter fahren Bauer, der gefolterte Paul Raines sowie seine Ex-Frau, jetzige Freundin Bauers, gemeinsam im Auto, ein bisschen so, "als sei nichts passiert" und als sei nun "alles wieder gut". Schließlich entschuldigt sich der Gefolterte bei den beiden, dass er sie durch sein unüberlegtes Verhalten überhaupt in eine solche Situation gebracht hat. Solche Darstellungen tragen sicherlich auch ihren Teil zur Mystifizierung von Folter bei.
Das Argument der außergewöhnlichen Situation soll Folter rechtfertigen
Das Ticking-bomb-Szenario ist demnach nur eine zugespitzte, emotionalisierende Variation des offensichtlich einzigen Arguments, dass außergewöhnliche Situationen außergewöhnliche Maßnahmen erfordern.
Katrin Dauenhauer: In meiner Dissertation argumentiere ich, dass sich das Argument der außergewöhnlichen Lage nicht auf Tatsachen bezieht, sondern als rhetorisches Mittel eingesetzt wird, um den Einsatz von Folter zu rechtfertigen. Und hier macht es insbesondere Sinn, sich Debatten im Zuge des Vietnamkrieges oder des PAK anzuschauen. Auch hier wurde argumentiert, dass man mit einer Situation konfrontiert sei, die ihresgleichen sucht. Im Vietnamkrieg war dies der Kampf gegen den Kommunismus, der absolute Glaube an die Domino-Theorie, die Überzeugung, dass eine Übernahme Südvietnams durch den kommunistischen Norden letztlich auch eine Bedrohung der USA durch den Kommunismus darstellte.
Im Fall des PAK stand die Kolonialisierung der Philippinen in der Logik einer "zivilisatorischen Mission", also dem Glauben daran, die vermeintlichen Wilden durch amerikanische Herrschaft einem höheren Grad der Zivilisation zuzuführen und damit auch die Welt als Ganzes besser zu machen. Gleichzeitig hatten die USA durch den Spanisch-Amerikanischen Krieg, aus dem heraus sich der PAK entwickelte, erst die Weltbühne betreten. Somit bestand die Angst, sich durch eine Niederlage gegen die Filipinos vor anderen Staaten bzw. Weltmächten zu blamieren - mit unvorhersehbaren Folgen für die Zukunft der USA. In dieser "außergewöhnlichen Situation" mussten die USA so handeln wie sie es taten. Sie mussten den Krieg gegen die Filipinos gewinnen, koste es was es wolle. Dieses Mantra kam insbesondere dann zum Tragen als in beiden Kriegen die Öffentlichkeit von Menschenrechtsverletzungen durch amerikanische Truppen, inklusive dem Einsatz von Folter, erfuhr.
Die öffentlich geführten Debatten im Zuge dieser Enthüllungen zeugen davon, dass die amerikanische Gesellschaft sich bereits vor dem 11. September mit Menschenrechtsverletzungen durch die eigene Regierung auseinandergesetzt hat. Verteidigungsstrategien, nach derer man sich erstmals nach dem 11. September mit der Frage auseinandergesetzt hat, was Folter genau darstellt und im Zuge dieser neuen Herausforderung auch Fehlentscheidungen getroffen hat, lassen sich durch das Aufzeigen dieser vorherigen Debatten also entkräften.
Gleichzeitig gibt es auch auf der politischen Ebene viele Kontinuitäten. Insbesondere in Deutschland wird die Präsidentschaft George W. Bushs als Wendepunkt gesehen. Bush, sein Verteidigungsminister Rumsfeld und sein Vizepräsident Cheney seien für die sogenannten verstärkten Verhörmethoden allein verantwortlich und hätten im ausgerufenen Kampf gegen den Terror jegliches Maß verloren. Dass die sogenannten Torture Papers, die Memoranda des Office of Legal Counsel, die diese Techniken detailliert aufführten, auf frühere Gesetzgebung, insbesondere im Zuge der Ratifizierung der UN-Antifolterkonvention durch den US-Kongress 1994 und CIA-"Expertise" aus Zeiten des Kalten Krieges zurückgehen, wird dabei oft ausgeklammert. Auch hier gibt es also weitaus größere Kontinuitäten zwischen der Reagan, Clinton und Bush Regierung als gemeinhin angenommen.
Mitte der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts wurde, im Rahmen von Anhörungen und Prozessen, die sich mit Verwicklungen der CIA in Folterungen in Lateinamerika beschäftigten, das so genannte KUBARK -Handbuch bekannt. Darin hat die CIA bereits Anfang der 50er Jahre Foltermethoden zusammengestellt, die besonders wirksam seien, den Willen und die Persönlichkeit von Menschen zu brechen und gar auszulöschen. Das Handbuch wurde in den 1980er Jahren erweitert zu einer Folteranleitung. Darin sind viele Methoden zu finden, die tatsächlich dann in Abu Ghraib oder Guantánamo angewendet wurden. Wenn man dies alles in Betracht zieht, müsste man nicht eher von einer langen Tradition der Folter sprechen als von Ausnahmesituationen?
Katrin Dauenhauer: Ja, dies ist ein weiteres Beispiel dafür, dass es weit mehr Kontinuitäten gibt als dies durch die gegenwärtige, historisch verengte Debatte deutlich wird. Insbesondere die sensory deprivation [Reizentzug] Methoden und die stress positions, die sich in KUBARK finden, werden in verschiedenen Memoranda des amerikanischen Verteidigungsministeriums 2002 aufgegriffen. Sehr gut nachzulesen ist das in den Büchern von Alfred McCoy.
Eine Kontroverse gibt es allerdings bezüglich der "Entwicklung" neuer Foltermethoden. Während McCoy argumentiert, dass die CIA solche Methoden in psychologischen Experimenten entwickelt hat und dann über Handbücher wie KUBARK verbreitet, widerspricht Darius Rejali, der mit "Torture and Democracy" ein Monumentalwerk über Folter in Demokratien verfasst hat. Für ihn ist Folter eher als "backroom apprenticeship" [Hinterzimmer Ausbildung] denn als "Wissenschaft" anzusehen. Nach Rejali könnten Folterer zwar versuchen, sich unter dem Deckmantel der Wissenschaft zu verbergen, aber nur weil man sich einen Laborkittel anziehe, sei man noch lange kein Wissenschaftler. Und auch wenn gewisse Foltertechniken offiziell entwickelt und genehmigt wurden, zeige die Praxis, dass Folterer sehr viel unabhängiger agieren und oft über das hinausgehen, was in Handbüchern wie KUBARK aufgeführt ist.
Folter sei ein sehr dehnbarer Begriff bzw. unterliege einer breiten Spannweite an Interpretationsmöglichkeiten. So hatte zumindest die Bush-Administration argumentiert. Ist Folter tatsächlich so unbestimmt?
Katrin Dauenhauer: Das Folterverbot hat im internationalen Recht eine lange Tradition. Die international am weitesten anerkannte bzw. verbreitete Definition ist die aus Paragraph 1 der Anti-Folter-Konvention der Vereinten Nationen: "Im Sinne dieses Übereinkommens bezeichnet der Ausdruck 'Folter' jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen oder um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen, oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden. Der Ausdruck umfasst nicht Schmerzen oder Leiden, die sich lediglich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben, dazu gehören oder damit verbunden sind."
Doch auch schon während des Vietnamkrieges und somit vor der Anti-Folter-Konvention von 1984 bestand mit der internationalen Erklärung der Menschenrechte ein internationales Dokument, das das Folterverbot beinhaltete. Während des PAK bezog man sich wiederum auf die sogenannten General Orders No. 100 (Lieber Code) aus dem Jahr 1863. Dort stand in Artikel 16, dass Grausamkeiten, wie Verstümmelung oder Verwundung außerhalb von Kämpfen, das Zufügen von Leid aus Rache sowie Foltern, um zum Beispiel Geständnisse zu erpressen, nicht erlaubt seien. Dieses Dokument hatte auch großen Einfluss auf die Haager Konvention von 1899.
Im internationalen Recht nimmt das Folterverbot außerdem eine Sonderstellung ein: das Folterverbot ist jus cogens, also zwingendes Recht. Gleichzeitig schreibt das Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte, dass Folter kein Akt an sich sei, sondern die rechtliche Einschätzung eines Ereignisses oder Verhaltens basierend auf einer umfassenden Bewertung dieses Ereignisses oder Verhaltens. Insofern ist Folter immer auch eine Frage der (juristischen) Interpretation.
Hinzu kommt, dass Folter nicht ausschließlich im Recht bzw. als Rechtsbegriff diskutiert wird. Was als Folter zu verstehen ist, wird auch in politischen Debatten ausgehandelt und zunehmend über Medienberichterstattung, Literatur, Filme und Fotos. In diesen Debatten wird Folter häufig zur moralischen Verurteilung des Gegners eingesetzt. Die Geschehnisse von Abu Ghraib 2004 als Missbrauchsfälle anzusehen, während man das gleiche Gefängnis Abu Ghraib unter Saddam Hussein als Foltergefängnis beschreibt, zeugt bereits von der strategischen Verwendung bzw. Nicht-Verwendung des Begriffs.
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