Die ungeliebten Stimmen gegen den Krieg in der Ukraine

Seite 2: Kosovo – die Blaupause für linksliberalen Bellizimus

Man braucht nur das 2010 im Suhrkamp-Verlag erschienene Buch "Kosovo – Geschichte eines Konflikts" von Erich Rathfelder zu lesen und wird viele der Mechanismen erkennen, die auch im Ukraine-Konflikt dazu dienen, Menschen für die Positionierung auf einer Seite zu konditionieren.

Dort stand der serbische Nationalismus dem kosovarischen Ethnonationalismus gegenüber, beide zutiefst reaktionär, was eigentlich allen Freunden von Fortschritt und Vernunft hätte verbieten müssen, hier Partei zu ergreifen. Der einzige positive Bezug wäre das Konzept der Vereinigten Balkan-Staaten, der in Jugoslawien teilweise verwirklicht wurde. Der serbische Nationalist Slobodan Milosevic war ebenso ein großer Feind dieses Jugoslawien-Konzepts, wie der russische Nationalist Wladimir Putin heute die Negation der Idee der Sowjetunion ist.

Doch das war nicht Rathfelders Thema. Er ist der Prototyp eines eingebetteten Journalisten, der im Kosovo mit Militärs und Politikern per Du war und schon sehr früh deutlich machte, dass die Nato in dem Konflikt auf Seiten des kosovarischen Ethnonationalismus intervenieren müsse. Dabei zog er alle Register, wie man im Buch nachlesen kann.

Die ethnonationalistische kosovarische Bewegung wurde von ihm lange verteidigt, die Nazikollaboration ihrer Vorgänger hingehen wurde bei ihm ebenso verschwiegen, wie heute die Bandera-Bewegung in der Ukraine oft kein Thema ist. Real existierende Morde und Gräuel des Krieges wurden so präsentiert, dass sie nicht etwa den Ruf für ein Schweigen der Waffen zur Folge hatten, sondern zur Forderung führte, jetzt endlich mit Nato-Waffen einzugreifen.

Das können wir im Ukraine-Konflikt genau so erleben. Zudem wurden alle Versuche, den Konflikt ohne Waffen zu regeln, systematisch diskreditiert. Im Kosovo stand der gewaltfreie Nationalist Ibrahim Rugova für diese Linie. Er war ein Gegner des Nato-Krieges und wurde einfach von den selbsternannten Freunden des kosovarischen "Volkes" ignoriert.

Ihnen war auch egal, dass die realen Gräuel auch an der kosovarischen Zivilbevölkerung erst massiv zunahmen, als der Nato-Krieg begann. Das schreibt Rathfelder sogar, für ihn aber ist das nur ein Argument, gegen diejenigen zu polemisieren, die nicht früher zu einem militärischen Eingriff bereit waren.

Es blieb damals aber eine kleine Restlinke, die sich dieser Vervolkungsgemeinschaft verweigerte. Ein Teil dieser Szene holt das jetzt im Ukraine-Krieg nach. Noch vor einigen Jahren waren ihnen fast alle Nationalfahnen ein Gräuel, jetzt können sie sich an den Ukraine-Bannern nicht sattsehen.

Traum von der woken, bis an die Zähne bewaffneten Bundeswehr

Ehemalige Kriegsdienstverweigerer werden zu Fans einer woken Bundeswehr. Im taz-Interview erklärt der Politikwissenschaftler der Bundeswehruniversität München, Carlo Masala: "Ich will eine Bundeswehr, die woke im besten Sinne des Wortes ist, wehrhaft und bis an die Zähne bewaffnet." Damit hat er ausgesprochen, wovon bellizistische Linke träumen.

Deshalb kommt ihnen nichts ungelegener als ukrainische Kriegsgegner und Antimilitaristen. Letztere werden daher einfach ignoriert. Eine antimilitaristische Linke sollte daher weniger auf das linksliberale Milieu zählen als vielmehr auf Gewerkschaften und Beschäftigte, die sich gegen die Zumutungen der Inflation und der Verarmung wehren, beispielsweise im Bündnis "Genug ist genug".

Sie erkennen, dass es auch beim Ukraine-Krieg um einen innerkapitalistischen Konflikt handelt, bei dem die Rüstungskonzerne auf allen Seiten die einzigen Gewinner sind. Hier liegt das Potenzial für eine Bewegung, die Druck macht, dass die Forderungen der ukrainischen Pazifisten umgesetzt werden und endlich Verhandlungen über eine Beendigung des Krieges beginnen.