Diebstahl oder Diplomatie? EU mit harter Hand gegen Russland
Neue Sanktionen der EU gegen Russland: Zinsen von eingefrorenen russischen Vermögen sollen an Ukraine fließen. Ist es Diebstahl oder kluge Diplomatie?
In einem beispiellosen Schritt hat die Europäische Union am Montag den Weg für die Enteignung russischer Vermögenswerte freigemacht. Die Zinsen aus den eingefrorenen Guthaben der russischen Zentralbank sollen abgeschöpft werden, um den Wiederaufbau der Ukraine zu finanzieren.
Russlands Vermögenswerte im Visier der EU
Nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine hatten die EU und die G-7-Staaten Sanktionen gegen Moskau verhängt. Unter anderem wurden die Auslandsguthaben der russischen Zentralbank eingefroren. Insgesamt wurden mehr als 300 Milliarden Euro eingefroren. Mehr als zwei Drittel davon lagern beim belgischen Zentralverwahrer Euroclear.
Der Beschluss verbietet den Zentralverwahrern nun, Nettogewinne zu verwenden. Stattdessen müssen die Erträge aus den russischen Guthaben getrennt gehalten und aufbewahrt werden, bis die EU-Staaten einen Mechanismus entwickelt haben, um sie an die Ukraine zu überweisen.
Milliarden für Kiew: Wie die EU den Wiederaufbau der Ukraine unterstützt
Die EU-Staaten schätzen, dass sie durch die Enteignung der Zinserträge in den kommenden vier Jahren bis zu 15 Milliarden Euro einnehmen könnte.
Ein Vorschlag sieht vor, die Gelder über den EU-Haushalt an die Ukraine zu überweisen. Die im vergangenen Jahr eingerichtete Ukraine-Fazilität könnte bei der Überweisung der Gelder an Kiew eine entscheidende Rolle spielen. Sie soll bis Ende 2027 Finanzhilfen in Höhe von 50 Milliarden Euro bereitstellen.
Washingtons Vorbild: Beschlagnahmung russischer Vermögenswerte
Damit folgte die EU teilweise dem Vorbild Washingtons. Der US-Senat hatte Ende Januar ein Gesetz auf den Weg gebracht, das die Beschlagnahmung russischer Zentralbankguthaben legalisieren soll. Es wäre das erste Mal überhaupt, dass die USA die Zentralbankgelder eines Landes beschlagnahmen, mit dem sie sich nicht im Krieg befinden.
Der Unterschied zum Vorgehen der Europäer besteht darin, dass nicht nur die Zinserträge, sondern das gesamte Vermögen enteignet werden soll. In den USA befinden sich allerdings nur russische Guthaben im Wert von etwa fünf bis sechs Milliarden Euro, so die Nachrichtenagentur Reuters.
Rechtliche Bedenken gegen die Enteignung von Zentralbankgeldern
Dass die EU-Staaten den USA bisher nicht in vollem Umfang gefolgt sind, mag auch daran liegen, dass die Enteignung von Zentralbankgeld gegen völkerrechtliche Normen verstoßen könnte. Vor knapp zwei Jahren hatten deutsche Politiker ein solches Vorgehen noch als Bankraub bezeichnet.
Auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat sich 2022 zu dieser Frage geäußert. In seiner Studie stellt er klar, dass Sanktionen dazu dienen müssen, einen Völkerrechtsverstoß zu beenden. Die Maßnahmen müssen also reversibel sein.
Im Klartext heißt das: Zentralbankgelder können eingefroren werden, aber eine Enteignung ist völkerrechtlich nicht zulässig. Dies gilt grundsätzlich auch für die Zinsen, die mit den Geldern erwirtschaftet werden: Sie gehören in diesem Fall der russischen Zentralbank und müssten nach Kriegsende an Russland zurückgezahlt werden.
Scharfe Reaktion des Kremls auf EU-Entscheidungen
Der Kreml reagierte scharf auf die Entscheidung der EU-Staaten. Man werde sehr hart vorgehen, sollten die USA und die EU russisches Vermögen beschlagnahmen. "Das ist Diebstahl: Es ist die Aneignung von etwas, das einem nicht gehört", sagte die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Marija Sacharowa.
"Angesichts der Tatsache, dass unser Land dies als Diebstahl bezeichnet hat, wird unsere Haltung gegenüber Dieben sein", fügte sie hinzu. "Nicht als politische Manipulatoren, nicht als übertriebene Technologen, sondern als Diebe".
Die Risiken für die internationale Finanzstabilität durch Sanktionen
In der Vergangenheit hatte auch die Europäische Zentralbank vor einer Beschlagnahmung der russischen Gelder gewarnt. Damit könnte die Gemeinschaftswährung Euro gefährdet werden. Andere Zentralbanken würden künftig abwägen, ob sie ihr Geld in Euro anlegen. Schließlich könnte auch ihr Guthaben eingefroren und enteignet werden.
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