Drachen-Propaganda: Wacht Deutschland 2023 auf?

Seite 2: Von Hunnen und anderen Kriegsbestien

Die in dieser Woche erschienene Ausgabe des Spiegel-Magazins markiert eine ganz eigene Zeitenwende. Auf dem Cover ist das traurig blickende Gesicht vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj abgebildet, aus der Schwärze des Kriegs düster hervortretend. Darunter das Zitat. "Putin ist ein Drache, der fressen muss".

Es erinnert an die Hunnen-Kampagne vor mehr als hundert Jahren. Als US-Präsident Woodrow Wilson in den Ersten Weltkrieg eintreten wollte, wusste er, wie wichtig es ist, die öffentliche Meinung zu gewinnen. Die große Mehrheit der US-Amerikaner war gegen den Kriegseintritt der Vereinigten Staaten. Wilson selbst hatte im Wahlkampf noch versprochen, dass mit ihm als Präsidenten keine US-Soldaten nach Europa verschifft werden.

Diese Haltung änderte sich nach dem Amtsantritt. Nun musste man nur noch die Bevölkerung vom Sinn des Kriegseintritts überzeugen. Die US-Regierung gründete dafür die sogenannte Creel Commission: der Beginn des modernen Informations- und Propagandastaats.

Die Kommission entwickelte fortan fremdenfeindliche Anti-Deutschen-Kampagnen, die von den Medien übernommen wurden. Angelehnt an die britische Propaganda wurden Märchen über Deutsche verbreitet, die man als blutrünstige "Hunnen" diffamierte, die angeblich in Belgien Kindern die Arme und Beine ausreißen würden.

Damit, so der Historiker John Maxwell Hamilton, wurde "Propaganda durch alle Kapillare des amerikanischen Blutkreislaufs geschossen". Die Ansichten der US-Bevölkerung konnte durch die Meinungsmache gedreht werden. US-Soldaten zogen schließlich in den europäischen Krieg.

Man trug auch Sorge dafür, dass die Kriegsstimmung nicht nachließ. Nur ein Beispiel. So bekamen die US-Bürger:innen damals ein Plakat zu sehen, worauf ein Monster-Gorilla mit aufgerissenem Maul abgebildet ist, Pickelhaube auf dem Schädel, mit einer blutverschmierten Keule in der Rechten, auf der "KULTUR" in großen Lettern prangte, während das Ungetüm in der linken Pranke ein blondgelocktes Mädchen mit freiem Busen als Beute umklammert, das sich die Hände vor die Augen hält.

Während das Monster eine Kriegslandschaft hinter sich lässt, steht es an einem Küstenstreifen mit der Aufschrift: AMERICA. Oben prangt die Überschrift "DESTROY THIS MAD BRUTE", "Zerstör diese wildgewordene Bestie". Darunter "ENLIST", also ein Aufruf, sich für den Kriegsdienst einzuschreiben.

Heute ist es ein Drache, der fressen muss. Die Propaganda ist feiner, nicht so grobschlächtig wie früher, aber gerade deswegen umso effektiver.

Ach ja, auch damals wurden diejenigen, die sich gegen die Kriegsbeteiligung aussprachen, attackiert. Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Eugene Debs in den USA und Bertrand Russell in England wurden ins Gefängnis geworfen. Währenddessen unterzeichnete die deutsche Geisteselite einen nationalistischen Kriegsaufruf.

Sie proklamierte Richtung Westen:

Glaubt uns! Glaubt, daß wir diesen Kampf zu Ende kämpfen werden als ein Kulturvolk, dem das Vermächtnis eines Goethe, eines Beethoven, eines Kant ebenso heilig ist wie sein Herd und seine Scholle.

Das militaristische "Manifest der 93" wurde von namhaften Schriftstellern, Künstlern und Wissenschaftlern unterzeichnet, darunter Max Liebermann, Max Planck, Max Reinhardt, Wilhelm Röntgen, Peter Behrens, Wilhelm von Bode oder Gerhart Hauptmann. Keine einzige Frau findet sich darunter.

Heute bezeichnen deutsche Medien Unterzeichner:innen des von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht initiierten "Manifest des Friedens" als Komplizen des Aggressors, Verschwörungstheoretiker:innen, amoralisch und als "Pech-und Schwefel"-Querfrontler:innen. Sie hätten schlicht, wie die Taz sich ausdrückt, "nicht mehr alles beisammen".

Sicherlich, der Erste Weltkrieg ist etwas anderes als der Ukraine-Krieg. Jeder historische Vergleich hinkt. Aber wie Jürgen Habermas zu Recht sagt, taumeln wir schlafwandlerisch in den Dritten hinein. Die aktuelle Drachen-Propaganda des größten europäischen Nachrichtenmagazins im "Powerhouse der EU" sollte alle Alarmglocken läuten lassen.

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