Drohender Krieg gegen China: Wie der Westen sich selbst deindustrialisiert
- Drohender Krieg gegen China: Wie der Westen sich selbst deindustrialisiert
- Postökonomische Nato-Volkswirtschaften
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Der Versuch, Russland wegen der Ukraine-Invasion wirtschaftlich zu strangulieren, ist gescheitert. Die USA fordern nun von Europa auch die Abkopplung von China. Warum das Ende nur katastrophal sein kann. (Teil 1)
Der Nato-Gipfel im Juli in Vilnius wirkte wie eine Beerdigung, als hätte man gerade ein Familienmitglied verloren – die Ukraine. Um das Scheitern des Versuchs der Nato, Russland aus der Ukraine zu vertreiben und die Nato bis an die russische Grenze heranzuführen, vergessen zu machen, versuchten die Mitglieder, ihre Lebensgeister wiederzubeleben, indem sie Unterstützung für den nächsten großen Kampf mobilisierten – gegen China, ein Land, das zum ultimativen strategischen Feind erklärt wurde.
Um sich auf diesen Showdown vorzubereiten, kündigte die Nato an, ihre militärische Präsenz bis zum Pazifik auszudehnen.
Der Plan ist, Chinas militärische Verbündete und Handelspartner, vor allem Russland, von Beijing abzuschneiden, beginnend mit dem Kampf in der Ukraine. US-Präsident Joe Biden hat gesagt, dass dieser Krieg von globaler Tragweite sein und viele Jahrzehnte dauern wird, während er sich ausweiten wird, um China letztendlich zu isolieren und zu zerschlagen.
Die von den USA verhängten Sanktionen gegen den Handel mit Russland sind eine Generalprobe für die Verhängung ähnlicher Sanktionen gegen China. Aber nur die Nato-Verbündeten haben sich diesem Kampf angeschlossen.
Doch anstatt Russlands Wirtschaft zu ruinieren und "den Rubel in Schutt und Asche zu legen", wie Präsident Biden vorausgesagt hatte, haben die Nato-Sanktionen das Land unabhängiger gemacht und seine Zahlungsbilanz und internationalen Währungsreserven und damit den Rubelkurs erhöht.
Zu allem Überfluss haben sich die Nato-Staaten trotz des Scheiterns der Handels- und Finanzsanktionen gegen Russland – und in der Tat trotz des Scheiterns der Nato in Afghanistan und Libyen – dazu verpflichtet, dieselbe Taktik auch gegen China anzuwenden. Die Weltwirtschaft soll zwischen den USA, der Nato und der Geheimdienstallianz Five Eyes auf der einen Seite und dem Rest der Welt – der globalen Mehrheit – auf der anderen Seite aufgeteilt werden.
EU-Kommissar Josep Borrell bezeichnet das als eine Spaltung zwischen dem US-amerikanischen, europäischen Garten (der goldenen Milliarde) und dem Dschungel, der ihn zu verschlingen droht, wie ein Angriff auf einen gepflegten Rasen durch eine invasive Spezies.
Aus wirtschaftlicher Sicht ist das Verhalten der Nato seit ihrer militärischen Aufrüstung im Zuge des Angriffs auf den russischsprachigen Osten der Ukraine im Februar 2022 ein drastischer Misserfolg. Der Plan der USA war es, Russland ausbluten und wirtschaftlich so verarmen zu lassen, dass seine Bevölkerung revoltieren, Wladimir Putin aus dem Amt werfen und einen prowestlichen neoliberalen Führer einsetzen würde, der Russland von dem Bündnis mit China abbringt – und dann mit dem großen Plan der USA fortzufahren, Europa zu mobilisieren, um Sanktionen gegen China zu verhängen.
Was es so schwierig macht, die Entwicklung der Nato, Europas und der Vereinigten Staaten zu beurteilen, ist die Tatsache, dass die traditionelle Annahme, dass Nationen und Klassen in ihrem wirtschaftlichen Eigeninteresse handeln, nicht hilfreich ist. Die traditionelle Logik der geopolitischen Analyse geht davon aus, dass Geschäfts- und Finanzinteressen die Politik fast aller Staaten steuern.
Außerdem wird davon ausgegangen, dass die Regierenden ein einigermaßen realistisches Verständnis der wirtschaftlichen und politischen Dynamik haben, die hier am Werk ist. Die Vorhersage der Zukunft ist daher in der Regel eine Übung, um diese Dynamik zu beschreiben.
Doch der Westen, also die USA und die Nato, der diesen globalen Bruch vollzieht, wird der große Verlierer sein. Die Nato-Mitglieder haben bereits erlebt, wie die Ukraine ihre in fünf Jahrzehnten angesammelten Bestände an Gewehren und Kugeln, Artillerie und Munition, Panzern, Hubschraubern und anderen Waffen aufbrauchte.
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Aber Europas Mangel bietet den USA eine wirtschaftliche Chance, indem ein riesiger neuer Markt für seinen militärisch-industriellen Komplex geschaffen wird, auf dem Europa beliefert werden kann. Um Unterstützung zu gewinnen, setzen die Vereinigten Staaten auf eine neue Denkweise über internationalen Handel und Investitionen.
Der Schwerpunkt hat sich auf die "nationale Sicherheit" verlagert, d. h. auf die Sicherung einer unipolaren Ordnung, in deren Mittelpunkt die Vereinigten Staaten stehen.
Welt in zwei Blöcken: Postindustrielle USA/Nato gegen globale Mehrheit
US-Diplomaten zeigten sich zunehmend besorgt, da Deutschland und andere europäische Länder auf importiertes russisches Gas, Öl und Düngemittel für ihre Stahl-, Glas- und anderen Industrien angewiesen waren. Noch mehr Sorgen bereitete ihnen, dass China zur "Werkbank der Welt" aufstieg, während die US-Wirtschaft deindustrialisiert wurde.
Die Befürchtung war, dass das Wachstum Chinas und der benachbarten eurasischen Länder, die von der Erweiterung des Seidenstraßen-Projekts profitieren, diesen Teil der Welt zum Zentrum ökonomischen Wachstums und damit zu einem Anziehungspunkt für europäische Investitionen zu machen drohte. Die naheliegende Annahme war, dass die Politik den wirtschaftlichen Interessen folgen würde. Und das würde auf Kosten der Fähigkeit der USA geschehen, eine unipolare Weltwirtschaft aufrechtzuerhalten, in der der Dollar das Finanzzentrum ist und der Handel dem protektionistischen Unilateralismus der USA unterliegt.
Deutschland und andere europäische Länder schlossen sich Amerikas Kreuzzug an, die russische Wirtschaft zu zerstören und einen Regimewechsel zu befördern. Durch den Verzicht, weiter mit Russland Handel zu treiben, entzogen sie sich zugleich die grundlegende Energiebasis ihrer Industrie.
Die Zerstörung der Nord-Stream-Pipeline hat die deutsche und andere europäische Volkswirtschaften in eine Depression mit grassierenden Insolvenzen und Arbeitslosigkeit gestürzt. Anstelle von russischem Gas müssen die Nato-Länder nun bis zu sechsmal so hohe Preise für amerikanisches Flüssigerdgas (LNG) zahlen und neue Hafenanlagen bauen, um dieses Gas physisch zu importieren.
Die europäischen Staats- und Regierungschefs, die in den letzten siebzig Jahren durch US-Interventionen in Wahlen gefördert und finanziert wurden, haben das getan, was Boris Jelzin in den 1990er-Jahren in Russland getan hat: Sie haben zugestimmt, Europas industrielle Volkswirtschaften zu opfern und die profitable Handels- und Investitionsverflechtung mit Russland und China zu beenden.
Der nächste Schritt besteht darin, dass Europa und die Vereinigten Staaten den Handel und die Investitionen mit China einstellen, obwohl diese Nato-Länder von der Blüte dieses Handels profitiert haben, da sie für eine breite Palette von Konsumgütern und industriellen Vorleistungen darauf angewiesen sind.
Diesem florierenden Handel soll nun ein Ende gesetzt werden. Die Staats- und Regierungschefs der Nato haben verkündet, dass die Einfuhr von russischem Gas und anderen Rohstoffen (einschließlich Helium und vieler Metalle) die "Gefahr" birgt, abhängig zu werden – als ob Russland oder China ein wirtschaftliches oder politisches Interesse daran haben könnten, diesen Handel abzubrechen, nur um Europa zu schaden und ihm das anzutun, was die Vereinigten Staaten getan haben, um es zur Unterwerfung zu zwingen.
Aber Unterwerfung unter was? Die Antwort lautet: Unterwerfung unter die Logik des beiderseitigen Vorteils, indem man die US-Wirtschaft hinter sich lässt!
Die amerikanische und europäische Nato-Diplomatie hat, indem sie versucht, andere Länder daran zu hindern, dieser Logik zu folgen, genau das bewirkt, was die Befürworter einer US-Vormachtstellung am meisten befürchten. Anstatt die russische Wirtschaft zu strangulieren, um eine politische Krise und vielleicht den Zusammenbruch Russlands selbst herbeizuführen, um es von China zu isolieren, haben die Sanktionen Russland dazu veranlasst, seinen Handel von den Nato-Ländern wegzusteuern und seine Wirtschaft sowie Diplomatie enger mit China und anderen Brics-Mitgliedern zu verknüpfen.
Ironischerweise zwingt die US/Nato-Politik Russland, China und ihre Brics-Verbündeten dazu, ihren eigenen Weg zu gehen, angefangen mit einem vereinten Eurasien. Dieser neue Kern aus China, Russland und Eurasien mit dem Globalen Süden schafft eine für beide Seiten vorteilhafte multipolare Handels- und Investitionssphäre.
Im Gegensatz dazu ist die europäische Industrie am Boden zerstört. Ihre Volkswirtschaften sind durch und durch von den Vereinigten Staaten abhängig geworden – zu einem viel höheren Preis als bei ihren früheren Handelspartnern.
Die europäischen Exporteure haben den russischen Markt verloren und folgen nun den Forderungen der USA, den chinesischen Markt aufzugeben und sogar zurückzuweisen. Zu gegebener Zeit werden auch die Märkte der Brics-Mitglieder, die sich um Länder des Nahen Ostens, Afrikas und Lateinamerikas erweitern, verschmäht werden.
Anstatt Russland und China zu isolieren und sie von der wirtschaftlichen Kontrolle der USA abhängig zu machen, hat die unipolare US-Diplomatie sich selbst und ihre Nato-Satelliten vom Rest der Welt isoliert – der globalen Mehrheit, die wächst, während die Nato-Volkswirtschaften auf ihrem Weg zur Deindustrialisierung vorpreschen.
Bemerkenswert ist, dass die Nato zwar vor dem "Risiko" des Handels mit Russland und China warnt, aber den Verlust ihrer industriellen Lebensfähigkeit und wirtschaftlichen Souveränität an die Vereinigten Staaten nicht als Risiko ansieht.