EU-Deal: 50 Milliarden Euro für Ukraine sind ein Rettungsring – keine "blühenden Landschaften"

Seite 2: Die Schrumpf-Ukraine

Seit der russischen Aggression ist die Bevölkerung in der Ukraine dramatisch geschrumpft. Demografen schätzen, dass die Bevölkerung des Landes von rund 40 Millionen Bewohner in der Vorkriegszeit auf heute weit unter 30 Millionen gesunken ist (durch Flucht sowie infolge der Abtrennung der Krim und des Donbass durch die russische Besetzung).

Tendenz mit voranschreitendem Krieg sinkend. Viele der Geflohenen werden angesichts der Schäden auch in Zukunft davon abgehalten werden, zurückzukehren.

Eine europäische Demografie-Studie geht davon aus, dass die Anzahl von Ukrainern im erwerbsfähigen Alter weiter bis zum Jahr 2040 um ein Drittel zurückgehen könnte, wobei die Zahl der Kinder auf die Hälfte des Vorkriegsniveaus sinken würde. Das hätte sehr gravierende negative Konsequenzen für die Wirtschaft und die Gesellschaft.

Auch die bis heute grassierende Korruption ist ein drängendes Problem. 2021 wurde die Ukraine als das zweitkorrupteste Land der Welt eingestuft, ironischerweise hinter Russland. Es wird befürchtet, dass die Eliten im Staatsapparat und der Wirtschaft die Hilfs- und Wiederaufbaugelder zu ihren Gunsten missbrauchen könnten.

Bis zu 1,1 Billionen Dollar

Dazu kommt die notwendige Modernisierung der Infrastruktur, die meist noch aus Sowjetzeiten stammt. Auch das wird große Anstrengungen und finanzielle Mittel bedürfen. Allein die Stahlindustrie braucht fast sieben Milliarden Euro.

Und dann ist da der Wiederaufbau. Die Schäden durch die russische Invasion sind jetzt schon enorm.

Schätzungen gehen davon aus, dass die direkten und indirekten Schäden durch die russischen Angriffe allein im Februar 2022 zwischen 564 und 600 Milliarden US-Dollar liegen. Es wird erwartet, dass der Wiederaufbau mindestens ein Jahrzehnt, wenn nicht länger, dauern wird. Die Gesamtkosten werden dabei auf 411 Milliarden bis 1,1 Billionen Dollar taxiert.

Teufelskreis des Niedergangs

Jedes Jahr, das weiter gekämpft wird, verschärfen sich die diversen wirtschaftlichen Parameter – zuungunsten der Ukraine. Es ist ein gefährlicher Teufelskreis des Niedergangs, wie George Beebe vom Quincy Institute es einmal ausdrückte.

Je mehr Ressourcen das Land für sein Militär aufwenden muss, desto weniger hat es für die Gründung neuer Handelsunternehmen und den Aufbau einer produktiven Zivilwirtschaft zur Verfügung. Der Agrarsektor der Ukraine – eine der Grundlagen ihrer Wirtschaft – ist bereits dramatisch geschrumpft. Je länger der Krieg andauert, desto mehr Ackerland wird durch Landminen und andere Schäden verloren gehen, deren Behebung Jahrzehnte in Anspruch nehmen wird. Je kleiner die Wirtschaft des Landes ist, desto schmaler wird die Steuerbasis. In dem Maße, wie die Steuereinnahmen sinken, wird die Ukraine immer weniger in der Lage sein, den Bedarf ihrer alternden und durch den Krieg verkrüppelten Bevölkerung an sozialen Diensten zu decken, und noch abhängiger von der finanziellen Unterstützung durch die USA und Europa werden.

Ferner wird ein über Jahre sich hinziehender Zermürbungskrieg die ukrainische Demokratie, Bürger- und Freiheitsrechte, weiter erodieren lassen. Das ist nicht die Schuld der Ukrainer, sondern lässt sich in allen Kriegen beobachten.

Sicherlich, auch die Weltbank und der Internationales Währungsfonds geben der Ukraine Gelder, Kredite, und einige Indikatoren wie das BIP und die Inflation haben sich verbessert. Aber damit kann der Schaden, die ständig wachsende Kriegswirtschaftslücke, nicht gedeckt werden.

Das Märchen von der blühenden Demokratie

Und am Ende wird bei Krediten abgerechnet, denn die EU, der IWF und auch die Weltbank sind keine altruistischen Wohlfahrtverbände. Ab einem bestimmten Punkt, früher oder später, wird verlangt, dass die Ukraine wirtschaftlich auf eigenen Füßen steht.

Die afrikanischen, lateinamerikanischen und asiatischen Entwicklungsländer (und auch Griechenland) können ein Lied davon singen, wie die westlichen Schuldenregime sie später in sogenannte "Strukturanpassungsmaßnahmen" (sprich: rigide Spardiktate) zwängten, die die Länder, auf Kosten der allgemeinen Wohlfahrt und des Wohlstands der Bevölkerungen, bis heute auspressen.

Das könnte der Ukraine noch bevorstehen. Es wäre zu hoffen, dass es anders kommt, der Westen das Land nicht fallen lässt und sich in ein, zwei Jahrzehnten noch an die Versprechen von damals erinnert.

Aber wer erwartet, dass in den nächsten Jahren mit den 50 Milliarden blühende Landschaften und eine blühende Demokratie in der Ukraine entstehen – zumal parallel zu einem Ressourcen und Menschen aufreibenden Krieg –, der kann das nur tun, wenn er eine ganze Reihe unangenehmer Realitäten ausblendet.