EU-Korruptionsfall Eva Kaili: Wie aus "Katargate" ein "Marokkogate" wird

Seite 2: Das Netzwerk und "der Riese" im Hintergrund

Ins Zielfernrohr der belgischen Ermittler ist auch der Menschenrechtsausschuss gerückt. Ist es nicht vielsagend, dass die belgische Sozialdemokratin Maria Arena, die Nachfolgerin von Panzeri in dem Ausschuss, nach Bekanntwerden des Skandals den Vorsitz niedergelegt hat?

Arena war zum Beispiel auch zugegen, als das Büro ihrer Mitarbeiterin durchsucht und versiegelt wurde.

Panzeri und Giorgi hatten zusammen unter anderem die Nichtregierungsorganisation "Fight Impunity" gegründet. Nichtregierungsorganisationen, so hatte der Lebensgefährte von Kaili vor dem Ermittlungsrichter eingeräumt, habe man gebraucht, "um Gelder zu verschieben".

Das kann als Realsatire angesehen werden. Die Organisation, die sich nach dem Namen dafür einsetzt, Straflosigkeit zu bekämpfen und Menschenrechte zu wahren, hat genau das Gegenteil gemacht.

Sie sei vor allem von Marokko für bestimmte Interessen genutzt worden, erst später auch für Katar. Auch das hat Giorgi zunächst vor der Polizei und später dann auch vor dem Ermittlungsrichter Michel Claise eingeräumt. Der hatte auch ihn am vergangenen Wochenende wegen Korruption, Geldwäsche und als Mitglied einer kriminellen Vereinigung angeklagt und inhaftiert.

"Ich habe alles für Geld getan, das ich nicht brauchte", zitiert La Repubblica Giorgis Aussagen aus den Ermittlungsunterlagen.

Der Lebensgefährte der griechischen Europaabgeordneten und Vize-Parlamentspräsidentin Kaili hat zugegeben, Teil einer kriminellen Organisation gewesen zu sein. Er sei vor den Brüsseler Richtern zusammengebrochen, habe eingeräumt, illegal gehandelt zu haben. Die kriminelle Organisation habe zum Ziel gehabt, sich in europäische Angelegenheiten einzumischen.

Seine Rolle in der Vereinigung sei es gewesen, das viele Bargeld zu verwalten, das die Ermittler Säckeweise bei den Durchsuchungen unter anderem in Wohnungen und Büros von Kaili und Panzeri gefunden haben.

Allein in Panzeris Haus in Brüssel wurden mehr als eine halbe Million Euro gefunden, insgesamt wurden etwa 1,5 Millionen beschlagnahmt.

Wer ist der "Riese" im Hintergrund?

Es ist eines der vielsagenden Details, dass auch die Frau und die Tochter von Panzeri, die laut abgehörten Telefonaten tief in die Vorgänge eingebunden waren, über eine Kreditkarte zur persönlichen Verwendung verfügten.

Die bringen sie mit dem "Riesen" in Verbindung, wie aus dem Auslieferungsantrag Belgien für Panzeris Frau hervorgeht.

Das ist der bisher unbekannte große Strippenzieher und Finanzier im Hintergrund. Maria Colleoni wurde, mit ihrer Tochter, im italienischen Bergamo verhaftet und beide sitzen dort in Untersuchungshaft. Beide Frauen sollen von den Vorgängen nicht nur gewusst haben, sondern unter anderem auch am Transport der Bestechungsgelder beteiligt gewesen sein.

Wie ihr Mann hätten auch die Frauen in abgehörten Telefonaten verschiedene Deckwörter benutzt, um die dunklen Geschäfte des Ehemanns oder Vates zu verschleiern. So seien mit "Geschenken" zum Beispiel die Geldtransfers gemeint gewesen.

Colleoni hatte ihren Mann sogar dazu gedrängt, ein belgisches Bankkonto zu eröffnen. Darauf soll sie bestanden haben, "da sie nicht wollte, dass er Dinge und Operationen aller Art durchführt", ohne von ihr dabei kontrolliert zu werden. Ganz ähnlich sehen auch die Vorwürfe der Ermittler gegen die Tochter Silvia aus.

Schon Le Soir und La Repubblica hatten auf darauf hingewiesen, dass auch Giorgi eingeräumt hat, dass nicht nur er allein Kontakt zum marokkanischen Geheimdienst DGED hatte, sondern auch Panzeri und Cozzolino, dessen Nachfolger im der Parlamentsdelegation für die Beziehungen zum Maghreb.

In den Dokumenten der Ermittler werden unter anderem zwei Agenten des DGED genannt. Und immer wieder fällt der Name Abderrahim Atmoun auch in den Gesprächen der Panzeri-Familie in Bezug auf die "Geschenke". Atmoun hatte auch der Lebensgefährte von Kaili in seinen Geständnissen benannt.

Schlüsselfigur Abderrahim Atmoun

Atmoun ist aber niemand anderes als der marokkanische Botschafter in Polen. Atmoun postete auf seiner öffentlichen Facebook-Seite nicht nur stolz Bilder, die ihn zusammen mit dem autokratischen König zeigen, sondern es finden sich auch viele Bilder, die von der langen Kooperation mit Panzeri zeugen, der er einen "Freund" nennt.

Die Bilder gehen zurück bis ins Jahr 2011. Auf späteren Bildern ist dann auch Panzeris Assistent Giorgi bei Zusammentreffen mit Atmoun zu sehen. Und La Repubblica hatte auf einen Vorgang 2018 im Europaparlament hingewiesen, als zum Beispiel Panzeri, Cozzolino und eben auch der Botschafter Atmoun in die Kamera eines Fotografen lächeln.

Sie machen aus ihrer Lobbyarbeit auch gar keinen Hehl. Sie kündigen an: "Marokko und die Europäische Union haben und werden immer bessere Beziehungen haben".

Verwiesen wird auch auf ein zweites Bild im Luxushotel Mamounia im marokkanischen Marrakesch, das zu den luxuriösesten weltweit gehört. "Antonio Panzeri entkorkt eine Flasche neben seinen Freunden, seiner Familie, die er zum Feiern mitgebracht hat."

In das Luxushotel hat das autokratische Königreich aber nicht nur die Familie Panzeri eingeladen. Dort haben, wie in Luxushotels in Katar, auch noch andere Europaparlamentarier genächtigt, die nun in den Blick der Ermittler geraten.

Für Le Soir und für La Repubblica ist klar, dass der große Finanzier und Strippenzieher im Hintergrund des Korruptionsskandals niemand anders als der marokkanische Botschafter in Warschau ist. Für die Ermittler ist das noch nicht so klar.

Nach ihren ersten Erkenntnissen sollen aber die Ehefrau und Tochter dabei geholfen haben, die "Geschenke" zu transportieren, die ihnen Atmoun übergeben habe.

Tatsächlich ist eher zu bezweifeln, dass Atmoun der "Riese" im Hintergrund ist. Für den Maghreb-Spezialisten Ignacio Cembrero stehen ganz andere Größen im Hintergrund.