EU arbeitet an neuer Vorratsdatenspeicherung
Noch dieses Jahr soll eine Machbarkeitsstudie zu Möglichkeiten einer Wiedereinführung fertig werden
Die britische Bürgerrechtsorganisation Statewatch hat ein mit der Geheimhaltungsstufe "limite" gekennzeichnetes Dokument veröffentlicht. Dieses auf den 27. März 2019 datierte Papier enthüllt, dass der EU-Rat die EU-Kommission im letzten Jahr damit beauftragte, bis 2019 eine Machbarkeitsstudie mit Vorschlägen für die Wiedereinführung einer Vorratsdatenspeicherung fertigzustellen. Dieses Vorhaben hatte die EU-Kommission im März 2016 eigentlich schon aufgegeben.
Eine erste - 2006 verabschiedete - Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) im April 2014 für grundrechtswidrig und unverhältnismäßig befunden, weil sie nicht nur die mindestens halbjährige Speicherung der Telefonverbindungs- und Surfdaten von Verdächtigen forderte, sondern die aller Bürger (vgl. EuGH erklärt Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie für ungültig). Die deutsche Umsetzung dieser Richtlinie hatte das Bundesverfassungsgericht bereits 2010 kassiert. Danach hatten unter anderem die damalige Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) und Ex-Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) einen erneuten Entwurf verhindert.
Initiative ging von österreichischer Bundesregierung aus
Erst Heiko Maas (SPD) führte 2015 eine Vorratsdatenspeicherung ohne europarechtliche Grundlage ein, deren Gültigkeit die Bundesnetzagentur 2017 nach einer entsprechenden Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster 2017 vorläufig außer Kraft setzte (vgl. Bundesnetzagentur setzt Vorratsdatenspeicherung aus). Über eine Verfassungsgeschwerde gegen die ausgesetzte Vorschrift will das deutsche Bundesverfassungsgericht dieses Jahr entscheiden.
Den Recherchen von Erich Moechel nach ging die Initiative für eine neue europaweite Vorratsdatenspeicherung von der österreichischen Bundesregierung aus, die im letzten Halbjahr die EU-Ratspräsidentschaft inne hatte und in Salzburg einen EU-Sicherheitsgipfel veranstaltete. Auf Anfrage des ORF bestritt das österreichische Bundeskanzleramt lediglich eigene Arbeiten an einer neuen Vorratsdatenspeicherung, aber nicht die Aufforderung an die EU-Kommission. Legt diese ihre Machbarkeitsstudie nach der EU-Wahl vor, könnte eine Wiedereinführung Moechels Einschätzung nach sehr plötzlich geschehen, weil man dann im Falle eines Terroranschlages "eine schnelle 'Lösung'" in der Schublade hätte.
Passt zum "digitalen Vermummungsverbot"
Seinem Eindruck nach "fügt sich diese Initiative der österreichischen Bundesregierung auf EU-Ebene nahtlos in die nationale Gesetzgebung auf dem Kommunikationssektor ein". In diesem Zusammenhang nennt er unter anderem den letzte Woche von Kanzleramtsminister Gernot Blümel (ÖVP) vorgelegten Gesetzentwurf für ein "digitales Vermummungsverbot", der von "Diensteanbietern" mit mehr als 100.000 registrierten österreichischen Nutzern oder mehr als 500.000 Euro Umsatz in Österreich die Feststellung und Überprüfung der tatsächlichen Namen und Adressen von Nutzern fordert, bevor diese etwas in Foren posten oder Foren anlegen dürfen. "Durch die technischen Möglichkeiten, die es am Markt gibt", ist das Blümels Ansicht nach "relativ leicht machbar". Als Beispiel hierfür nennt er die Lichtbildausweisauthentifizierung beim Freischalten von Sim-Karten.
Damit die Klarnamen und Adressen nicht nur von Behörden, sondern auch von Privatleuten abgefragt werden können, müssen "nicht in Österreich ansässige Diensteanbieter" wie Facebook oder Twitter einen "verantwortlichen Zustellbevollmächtigten" benennen, der "unverzüglich" erreichbar ist. Dieser Beauftragte ist auch Adressat von Bußgeldern, die die Regulierungsbehörde KommAustria verhängen darf, wenn sie Verstöße feststellt. Im Wiederholungsfall können diese bis zu einer Million Euro hoch werden.
Zur Begründung der Vorschrift heißt es in der Vorlage, eine "gefühlte Distanz in der digitalen Welt" könne "Auswüchse annehmen, die nicht akzeptabel sind". Deshalb wolle man "Grenzüberschreitungen, Herabwürdigungen, Demütigungen und Übergriffen im digitalen Raum […] wirksame rechtliche Maßnahmen entgegensetzen" und verhindern, dass sich jemand "in der Anonymität des Internets versteckt". Das fördere den "respektvollen Umgang der Poster in Online-Foren miteinander" und erleichtere die "Verfolgung von Rechtsansprüchen im Falle […] rechtswidriger Postings". Dieser Meinung ist nicht nur Blümel, sondern auch dessen Chef Sebastian Kurz, der auf Twitter ergänzte, das Internet dürfe "kein rechtsfreier Raum sein" und man brauche dort "Rahmenbedingungen für mehr Verantwortung" (vgl. "Digitales Vermummungsverbot").
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