EU plant nächstes Sanktionspaket gegen Russland
Bilanz der EU-Sanktionen gegen Russland bisher negativ. Kein Ziel erreicht, der Schaden für die europäische Wirtschaft enorm. Dennoch setzt Brüssel unverdrossen auf neue Strafmaßnahmen.
Die Europäische Union plant das nächste, zehnte Sanktionspaket gegen Russland. Es soll pünktlich zum einjährigen Jahrestag der russischen Invasion in der Ukraine fertig sein, heißt es in Brüssel. Wenn es nach Polen geht, soll die EU sich diesmal vor allem auf die russische Atomindustrie konzentrieren und den Konzern Rosatom ins Visier nehmen. Auch der lukrative Handel mit Diamanten soll unterbunden werden.
Die Beratungen sind allerdings noch ganz am Anfang. Gegen Atom-Sanktionen dürfte nicht nur Ungarn Einspruch erheben - auch Frankreich stand bei diesem Thema bisher auf der Bremse. Gegen ein Diamanten-Embargo sträubt sich Belgien - Antwerpen profitiert vom Diamantenhandel wie keine andere Stadt in Europa.
Mit jedem weiteren Sanktionspaket werde es schwieriger, warnt der schwedische EU-Botschafter Lars Danielsson, dessen Land seit dem 1. Januar den Ratsvorsitz führt. Die meisten Bereiche seien bereits abgedeckt; zudem müssten die Strafen Russland stärker treffen als die EU.
Ziele nicht erreicht
Das hat bisher nicht geklappt. Im letzten Jahr wurde kein einziges Ziel erreicht. Putin wurde nicht von der Invasion in der Ukraine abgeschreckt, wie die EU noch Ende 2021 gehofft hatte. Russland wurde nicht ruiniert, wie Außenministerin Annalena Baerbock nach Kriegsbeginn vollmundig ankündigte.
Und beendet oder zumindest gedämpft wurde der Konflikt auch nicht. Im Gegenteil: Auf dem Höhepunkt der Sanktionswelle im Herbst ist der Krieg immer mehr eskaliert.
Das neue Narrativ: der gewonnene Energiekrieg
Aber den Energiekrieg haben wir doch wenigstens gewonnen? Das ist das neue Narrativ, das in Brüssel und Berlin verbreitet wird. Schließlich seien die Lichter in Europa nicht ausgegangen – und es würden auch nicht Millionen Europäer frieren, wie von Putin vorausgesagt. Das stimmt. Deutschland und die meisten EU-Staaten haben sich besser geschlagen, als erwartet. Doch die Kosten-Nutzen-Bilanz ist negativ. Dies zeigen erste, vorläufige Zahlen aus 2022.
Demnach mussten die EU-Staaten ca. eine Billion Dollar ausgeben, um sich von russischen Energielieferungen abzukoppeln, Alternativen zu beschaffen und ihre Bürger einigermaßen zu entschädigen.
Und dies sei nur der Anfang, warnte die Agentur Bloomberg kurz vor Weihnachten. Der Energiekrieg dürfte zu massiven Wohlstandseinbußen und einem dauerhaften Verlust der Wettbewerbsfähigkeit führen - auch und gerade in der deutschen Industrie.
Putins "Kriegskasse"
Gleichzeitig hat Russland aber seine Einnahmen aus dem Verkauf von Gas und Öl um knapp ein Drittel gesteigert. Im russischen Haushalt seien im vergangenen Jahr 28 Prozent beziehungsweise um 2,5 Billionen Rubel (Ende 2022 etwa 31,6 Milliarden Euro) mehr eingegangen, heißt es in Moskau. Putins "Kriegskasse" hat sich also nicht geleert, sondern gefüllt – nicht zuletzt dank spekulativer und dysfunktionaler Energiemärkte, die die EU bis heute kaum reguliert hat.
Zugleich fiel die Rezession in Russland viel milder aus, als die Bundesregierung geschätzt hat (minus drei statt minus zehn Prozent). In einigen Branchen, etwa der Luftfahrt- und Autoindustrie, gibt es zwar massive Probleme. Sie stehen wegen der Sanktionen tatsächlich am Abgrund.
Doch der Rubel hat sich kurz nach Kriegsbeginn wieder erholt, die Inflation scheint einigermaßen im Griff. Nach Einschätzung der Zentralbank in Moskau könnte die Preissteigerung im Frühjahr vorübergehend auf unter vier Prozent sinken - weniger als in Deutschland.
Brüssels Risiken und Tabus
Die Sanktionen würden erst mittel- oder langfristig wirken, heißt es nun in Brüssel. Man müsse nur einen langen Atem haben. Das mag sein. Doch die Debatte über ein neues, zehntes Sanktionspaket spricht eine andere Sprache.
Offenbar haben die ersten neun Strafmaßnahmen die versprochene "massive" Wirkung verfehlt; deshalb braucht es immer mehr davon. Die Sanktionspolitik erinnert an einen Drogenabhängigen, der ständig die Dosis erhöhen muss, um noch Wirkung zu erzielen.
Mit jeder neuen Strafmaßnahme steigt aber auch das Risiko, dass sie wie ein Bumerang negativ auf die EU zurückschlägt. So könnten Atom-Sanktionen, wie sie Polen fordert, die Produktion von Atomstrom in Ungarn oder Frankreich gefährden. Auch das im Dezember verhängte Ölembargo birgt Risiken.
Es könnte den Ölpreis in die Höhe treiben und Benzin und Diesel teurer machen. Die Wirkung dürfte sich allerdings erst am 5. Februar zeigen, wenn kein raffiniertes Öl nach Deutschland mehr importiert werden darf. "Unser Benzin und Diesel kommen bald aus Indien – das wird teuer", warnt der Focus.
Doch eine Folgeabschätzung, die sie bei jedem EU-Gesetz üblich ist, sucht man beim europäischen Sanktionsregime vergeblich. Es gibt zwar interne Schätzungen. Doch die werden unter Verschluss gehalten. Die EU möchte um jeden Preis eine politische Debatte über die Sanktionen vermeiden - auch wenn die wirtschaftliche Bilanz bisher verheerend ist.
Letztlich folgen die Strafmaßnahmen gar keiner wirtschaftlichen, sondern einer politischen Logik - sie sind Teil des Wirtschaftskriegs gegen Russland. Und der ist tabu. Selbst wenn Putin morgen kapitulieren würde, sollen die Sanktionen weitergehen. Koste es, was es wolle.