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Ein Jahr nach Datenleck: Target Kanada ist Pleite

Die meisten kanadischen Target-GeschÀfte betrieben auch eine Starbucks-Theke. Diese wurden sofort geschlossen. Bild: Daniel AJ Sokolov

Der riesige Hack bei der US-Kette Target, bei der DatensĂ€tze ĂŒber 40 Millionen Kredit- und Bankkarten sowie 70 Millionen Kunden erbeutet wurden, hat auch Targets Image in Kanada beschĂ€digt. Ein Jahr spĂ€ter ist die kanadische Tochterfirma bankrott. Eine Ursachenforschung

Gut ein Jahr nach Bekanntwerden eines enormen Datenlecks bei Target hat die Kaufhauskette ihre kanadische Tochter in die Pleite geschickt. Alle 133 GeschÀfte werden geschlossen, zwei weitere gar nicht mehr eröffnet. Erst im MÀrz 2013 hatte Target die ersten Filialen in Kanada eröffnet. Das Gastspiel wÀhrte also nicht einmal zwei Jahre. Die wichtigsten Ursachen sind eine frappierende HÀufung von IT-Problemen und ein unerwarteter Einsatz von Smartphones.

Das Target-Maskottchen. Bild: target.ca

Vergangene Woche begann der Rausverkauf. Lieferanten und Steuerbehörden mĂŒssen Milliardenforderungen in den Rauchfang schreiben. Die AußenstĂ€nde belaufen sich laut Target auf 5,1 Milliarden kanadische Dollar (3,6 Milliarden Euro). Und 17.600 Target-Mitarbeiter verlieren ihren Arbeitsplatz. Das ist mehr als ein Promille aller unselbstĂ€ndig BeschĂ€ftigten des Landes.

Nach Fehlstart steil bergab

Targets Einstieg in Kanada begann 2011. 1,8 Milliarden kanadische Dollar (aktuell rund 1,3 Milliarden Euro) zahlte die Firma fĂŒr das Recht, in MietvertrĂ€ge der Kaufhauskette Zellers einzusteigen. Zellers hatte damals den geordneten RĂŒckzug beschlossen. Der Betrieb der GeschĂ€fte wurde fĂŒr Umbauten jeweils mindestens ein halbes Jahr stillgelegt. Diese Baumaßnahmen kosteten in Summe weitere 2,3 Milliarden Dollar (1,6 Milliarden Euro).

Am 5. MĂ€rz 2013 eröffnete Target Canada schließlich seine ersten Betatest-GeschĂ€fte. Es folgte ein schneller Rollout quer durch das zweitgrĂ¶ĂŸte Land der Welt. Das Medienecho war sehr freundlich. Target versprach ein Einkaufserlebnis wie in seinen US-GeschĂ€ften. Jeder zehnte Kanadier sollte dort, sĂŒdlich der Grenze, bereits eingekauft haben.

Utopische Preisvergleiche

Die EnttĂ€uschung folgte auf dem Fuß: Target Canada war, wenig ĂŒberraschend, teurer als Target USA. Das konnte jeder mit einem Smartphone leicht im GeschĂ€ft selbst feststellen. Auf diese Perspektive der Kunden war das Kaufhaus aber nicht vorbereitet. Zwar nutzen auch US-Verbraucher ihre Smartphones fĂŒr Preisvergleiche, aber sie vergleichen kaum mit Preisen in einem anderen Markt mit anderer Kostenstruktur, grĂ¶ĂŸeren Skalenvorteilen und eigener WĂ€hrung.

Das kanadische Target-Management orientierte sich vielmehr an den Preisen des eigentlichen Konkurrenten Walmart Canada - unter BerĂŒcksichtigung eines Rabattes von fĂŒnf Prozent, den nur Inhaber einer Target Canada Kreditkarte bekommen. Diese Kreditkarte ist natĂŒrlich mit dem Kundenbindungsprogramm des Konzerns verknĂŒpft. Privacy-Bewegten gilt Target indes als Inbegriff des kommerziellen Big Brother, seit die New York Times enthĂŒllt [1] hat, wie gefinkelt Target seine Kunden ausspioniert.

Leere Regal und ein Datenleck prÀgten Targets Image in Kanada. Nicholas Moreau/CC-BY-SA 3.0 [2]

Logistikprobleme

Hinzu kamen enorme Logistik-Probleme, was ein Indiz fĂŒr einen ordentlichen IT-Fail ist. Statt Jubelmeldungen druckten die Gazetten plötzlich Fotos leerer Target-Regale [3]. Dieses Image blieb haften.

Dem nicht genug entsprachen die Preise am Regal auch hĂ€ufig nicht dem in der Kasse zugeordneten Datenbankeintrag, wenn ein solcher ĂŒberhaupt zu finden war. Eine weitere IT-Peinlichkeit. DarĂŒber hinaus verhielten sich die zur Kundeninformation in den Filialen installierten Preisscanner bisweilen erratisch.

Online-Versagen

Tragikomisch ist Targets kanadische Website [4]. Bis zum Schluss hat es das Unternehmen nicht geschafft, seine Dummy-Website durch ein zeitgemĂ€ĂŸes Einkaufsportal zu ersetzen. Die Website verrĂ€t nicht einmal, was es bei Target ĂŒberhaupt zu kaufen gibt, geschweige denn die Preise. Von Online-Reservierungen oder -Bestellungen ganz zu schweigen.

Zudem wurde der kanadischen Seele zu wenig Beachtung geschenkt. Die Filialleiter durften oder konnten bei der BestĂŒckung nĂ€mlich nicht mitreden. Das mag eine eigentĂŒmliche Management-Entscheidung gewesen sein, könnte aber auch Ergebnis einer UnzulĂ€nglichkeit der Software fĂŒr das Supply-Chain-Management sein. Den Kunden war es egal. Wenn die Fahnen des falschen Eishockeyteams am Regal hĂ€ngen, macht das in Kanada einfach keinen schlanken Fuß.

Daten-Desaster

Und dann kam der epochale Daten-Einbruch: 40 Millionen DatensĂ€tze ĂŒber Kredit- und Bankkarten [5] samt PINs und Daten ĂŒber 70 Millionen Kunden [6] hatten Verbrecher im Herbst 2013 bei Target abgesaugt. Die TĂ€ter hatten die Zugangsdaten eines Hausmeisters benutzt [7].

Kanadier waren zwar nur begrenzt betroffen, der Image-Schaden jedoch war perfekt. Was fĂŒr einen etablierten Einzelhandelsriesen wie Target USA schmerzhaft und teuer ist, hatte fĂŒr die im Aufbau befindliche Kanada-Tochter desaströse Auswirkungen. Dieser Vertrauensverlust hĂ€lt bis heute an, viele Kunden meiden die GeschĂ€fte "weil dort meine Kreditkarte nicht sicher ist". Barzahlung wird von vielen kanadischen Verbrauchern nicht als Alternative wahrgenommen.

Der Baranteil am Umsatzvolumen des stationĂ€ren Einzelhandels (Point of Sale) Kanadas fiel schon 2009 unter 20 Prozent [8] (PDF). Diesen Wert dĂŒrften die inzwischen ausgegebenen NFC-Kreditkarten fĂŒr flotte, kontaktlose Zahlungsabwicklung weiter gesenkt haben. Und wer bar zahlt, verliert diverse Vorteile, wie umsatzbezogene Rabatte, GarantieverlĂ€ngerungen sowie Transport- und Diebstahlversicherungen. Da kaufen viele lieber anderswo oder gar nicht, als sich erst Bargeld zu besorgen. Dass es keine Geldscheine grĂ¶ĂŸer als 100 Dollar (70 Euro) gibt, spricht BĂ€nde.

Target-Konzernchef Steinhafel musste abdanken und erhielt zum Abschied 49 Millionen Euro. Credit: target.com

Neue Besen helfen nicht

Das Daten-Desaster kostete Konzernchef Gregg Steinhafel im Mai 2014 den Job. Zwei Wochen spÀter musste auch der Chef der kanadischen Tochterfirma, Tony Fisher, wegen ausbleibenden Erfolgs den Hut nehmen.

Doch auch der neue Manager, Mark Schindele, konnte das Schiff nicht wenden. Der letzte Nagel im Sarg war dann ein Ă€ußerer Einfluss: Der starke Verfall des Ölpreises im Herbst 2014 hat die kanadische Wirtschaft hart getroffen. Das dĂ€mpft die Kauflust. Mehr als 20 Prozent des kanadischen Exportvolumens entfĂ€llt auf Öl.

Am 15. Januar verkĂŒndete Schindele die Pleite. Zumindest bis 2021 hĂ€tte es keinen Profit gegeben, erklĂ€rte [9] der neue Konzernchef Brian Cornell. Seither kocht die kanadische Volkseele: Denn der Mutterkonzern bezahlt die Rechnungen seiner Tochterfirma nicht. Also schauen die kanadischen Steuerkassen, der staatliche Pensionsfonds und viele kleine kanadische Zulieferer und Dienstleister durch die Finger. Ihre Forderungen sind in der Regel nicht besichert.

In diesem Target-Markt in Halifax herrschte vorvergangenen Dienstag gÀhnende Leere. Bild: Daniel AJ Sokolov

Fieser Trick mit Trust Fund

Im Zuge des Konkursverfahrens hat Target Canada auch einen 70 Millionen Dollar (49 Millionen Euro) umfassenden Trust Fund fĂŒr die Belegschaft eingerichtet. GegenĂŒber der Öffentlichkeit wurde das als soziale Leistung dargestellt: Die Mitarbeiter erhielten demnach zum Abschied 16 Wochen "Severance Payment", also eine TrennungsprĂ€mie.

Was von der Boulevardpresse als Triumph des menschenfreundlichen Kapitalismus ĂŒber den böswilligen Marxismus [10] gefeiert wurde, entpuppte sich bei nĂ€herer Betrachtung als SchmĂ€h: Kanadische Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern mĂŒssen bei einer MassenkĂŒndigung 16 Wochen Vorwarnung geben und ebenso lange die GehĂ€lter bezahlen. Von Rechts wegen.

Außerdem mĂŒssen die allermeisten Target-Mitarbeiter noch viele Wochen arbeiten. Gerade im Ausverkauf wird jede Hand an Deck gebraucht. WĂ€hrend ein namhafter Teil der Belegschaft der Firmenzentrale bereits entlohnt zu Hause bleiben darf, muss die Masse der gering bezahlten VerkĂ€ufer fĂŒr ihre 16 Wochen Lohn auch ungefĂ€hr so lange schuften. Einen echten Bonus gibt es nur fĂŒr die Filialleiter, damit sie nicht gleich anderswo anheuern.

Die Mitarbeiter in Targets Logistikzentren sind bei einer Drittfirma angestellt. Sie werden zwar auch arbeitslos, profitieren aber nicht von dem Fonds. Dessen Dotation von 70 Millionen Dollar fĂŒr 17.600 kanadische Target-Mitarbeiter entspricht ĂŒbrigens ziemlich genau jenem Goldenen Handshake, den Target-CEO Steinhafel im Mai zum Abschied erhalten hat.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3370093

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.nytimes.com/2012/02/19/magazine/shopping-habits.html
[2] http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/legalcode
[3] http://business.financialpost.com/2014/01/22/12-photos-that-reveal-why-target-canada-is-in-big-trouble/
[4] http://www.target.ca/en/
[5] http://www.heise.de/newsticker/meldung/Target-Kartenraubzug-Weihnachten-fuer-Kriminelle-2071721.html
[6] http://www.heise.de/newsticker/meldung/Target-Hack-Auch-70-Millionen-Kundendaten-erbeutet-2083521.html
[7] http://www.heise.de/newsticker/meldung/Kassen-der-US-Handelskette-Target-ueber-Hausmeisterzugang-gehackt-2109267.html
[8] http://www.bankofcanada.ca/wp-content/uploads/2012/11/boc-review-autumn12-arango.pdf
[9] http://www.abullseyeview.com/2015/01/qa-brian-cornell-target-exits-canada/
[10] http://business.financialpost.com/2015/01/19/targets-severance-package-shows-the-good-side-of-employers/