Ein Jahr nach Datenleck: Target Kanada ist Pleite
Der riesige Hack bei der US-Kette Target, bei der Datensätze über 40 Millionen Kredit- und Bankkarten sowie 70 Millionen Kunden erbeutet wurden, hat auch Targets Image in Kanada beschädigt. Ein Jahr später ist die kanadische Tochterfirma bankrott. Eine Ursachenforschung
Gut ein Jahr nach Bekanntwerden eines enormen Datenlecks bei Target hat die Kaufhauskette ihre kanadische Tochter in die Pleite geschickt. Alle 133 Geschäfte werden geschlossen, zwei weitere gar nicht mehr eröffnet. Erst im März 2013 hatte Target die ersten Filialen in Kanada eröffnet. Das Gastspiel währte also nicht einmal zwei Jahre. Die wichtigsten Ursachen sind eine frappierende Häufung von IT-Problemen und ein unerwarteter Einsatz von Smartphones.
Vergangene Woche begann der Rausverkauf. Lieferanten und Steuerbehörden müssen Milliardenforderungen in den Rauchfang schreiben. Die Außenstände belaufen sich laut Target auf 5,1 Milliarden kanadische Dollar (3,6 Milliarden Euro). Und 17.600 Target-Mitarbeiter verlieren ihren Arbeitsplatz. Das ist mehr als ein Promille aller unselbständig Beschäftigten des Landes.
Nach Fehlstart steil bergab
Targets Einstieg in Kanada begann 2011. 1,8 Milliarden kanadische Dollar (aktuell rund 1,3 Milliarden Euro) zahlte die Firma für das Recht, in Mietverträge der Kaufhauskette Zellers einzusteigen. Zellers hatte damals den geordneten Rückzug beschlossen. Der Betrieb der Geschäfte wurde für Umbauten jeweils mindestens ein halbes Jahr stillgelegt. Diese Baumaßnahmen kosteten in Summe weitere 2,3 Milliarden Dollar (1,6 Milliarden Euro).
Am 5. März 2013 eröffnete Target Canada schließlich seine ersten Betatest-Geschäfte. Es folgte ein schneller Rollout quer durch das zweitgrößte Land der Welt. Das Medienecho war sehr freundlich. Target versprach ein Einkaufserlebnis wie in seinen US-Geschäften. Jeder zehnte Kanadier sollte dort, südlich der Grenze, bereits eingekauft haben.
Utopische Preisvergleiche
Die Enttäuschung folgte auf dem Fuß: Target Canada war, wenig überraschend, teurer als Target USA. Das konnte jeder mit einem Smartphone leicht im Geschäft selbst feststellen. Auf diese Perspektive der Kunden war das Kaufhaus aber nicht vorbereitet. Zwar nutzen auch US-Verbraucher ihre Smartphones für Preisvergleiche, aber sie vergleichen kaum mit Preisen in einem anderen Markt mit anderer Kostenstruktur, größeren Skalenvorteilen und eigener Währung.
Das kanadische Target-Management orientierte sich vielmehr an den Preisen des eigentlichen Konkurrenten Walmart Canada - unter Berücksichtigung eines Rabattes von fünf Prozent, den nur Inhaber einer Target Canada Kreditkarte bekommen. Diese Kreditkarte ist natürlich mit dem Kundenbindungsprogramm des Konzerns verknüpft. Privacy-Bewegten gilt Target indes als Inbegriff des kommerziellen Big Brother, seit die New York Times enthüllt hat, wie gefinkelt Target seine Kunden ausspioniert.
Logistikprobleme
Hinzu kamen enorme Logistik-Probleme, was ein Indiz für einen ordentlichen IT-Fail ist. Statt Jubelmeldungen druckten die Gazetten plötzlich Fotos leerer Target-Regale. Dieses Image blieb haften.
Dem nicht genug entsprachen die Preise am Regal auch häufig nicht dem in der Kasse zugeordneten Datenbankeintrag, wenn ein solcher überhaupt zu finden war. Eine weitere IT-Peinlichkeit. Darüber hinaus verhielten sich die zur Kundeninformation in den Filialen installierten Preisscanner bisweilen erratisch.
Online-Versagen
Tragikomisch ist Targets kanadische Website. Bis zum Schluss hat es das Unternehmen nicht geschafft, seine Dummy-Website durch ein zeitgemäßes Einkaufsportal zu ersetzen. Die Website verrät nicht einmal, was es bei Target überhaupt zu kaufen gibt, geschweige denn die Preise. Von Online-Reservierungen oder -Bestellungen ganz zu schweigen.
Zudem wurde der kanadischen Seele zu wenig Beachtung geschenkt. Die Filialleiter durften oder konnten bei der Bestückung nämlich nicht mitreden. Das mag eine eigentümliche Management-Entscheidung gewesen sein, könnte aber auch Ergebnis einer Unzulänglichkeit der Software für das Supply-Chain-Management sein. Den Kunden war es egal. Wenn die Fahnen des falschen Eishockeyteams am Regal hängen, macht das in Kanada einfach keinen schlanken Fuß.
Daten-Desaster
Und dann kam der epochale Daten-Einbruch: 40 Millionen Datensätze über Kredit- und Bankkarten samt PINs und Daten über 70 Millionen Kunden hatten Verbrecher im Herbst 2013 bei Target abgesaugt. Die Täter hatten die Zugangsdaten eines Hausmeisters benutzt.
Kanadier waren zwar nur begrenzt betroffen, der Image-Schaden jedoch war perfekt. Was für einen etablierten Einzelhandelsriesen wie Target USA schmerzhaft und teuer ist, hatte für die im Aufbau befindliche Kanada-Tochter desaströse Auswirkungen. Dieser Vertrauensverlust hält bis heute an, viele Kunden meiden die Geschäfte "weil dort meine Kreditkarte nicht sicher ist". Barzahlung wird von vielen kanadischen Verbrauchern nicht als Alternative wahrgenommen.
Der Baranteil am Umsatzvolumen des stationären Einzelhandels (Point of Sale) Kanadas fiel schon 2009 unter 20 Prozent (PDF). Diesen Wert dürften die inzwischen ausgegebenen NFC-Kreditkarten für flotte, kontaktlose Zahlungsabwicklung weiter gesenkt haben. Und wer bar zahlt, verliert diverse Vorteile, wie umsatzbezogene Rabatte, Garantieverlängerungen sowie Transport- und Diebstahlversicherungen. Da kaufen viele lieber anderswo oder gar nicht, als sich erst Bargeld zu besorgen. Dass es keine Geldscheine größer als 100 Dollar (70 Euro) gibt, spricht Bände.
Neue Besen helfen nicht
Das Daten-Desaster kostete Konzernchef Gregg Steinhafel im Mai 2014 den Job. Zwei Wochen später musste auch der Chef der kanadischen Tochterfirma, Tony Fisher, wegen ausbleibenden Erfolgs den Hut nehmen.
Doch auch der neue Manager, Mark Schindele, konnte das Schiff nicht wenden. Der letzte Nagel im Sarg war dann ein äußerer Einfluss: Der starke Verfall des Ölpreises im Herbst 2014 hat die kanadische Wirtschaft hart getroffen. Das dämpft die Kauflust. Mehr als 20 Prozent des kanadischen Exportvolumens entfällt auf Öl.
Am 15. Januar verkündete Schindele die Pleite. Zumindest bis 2021 hätte es keinen Profit gegeben, erklärte der neue Konzernchef Brian Cornell. Seither kocht die kanadische Volkseele: Denn der Mutterkonzern bezahlt die Rechnungen seiner Tochterfirma nicht. Also schauen die kanadischen Steuerkassen, der staatliche Pensionsfonds und viele kleine kanadische Zulieferer und Dienstleister durch die Finger. Ihre Forderungen sind in der Regel nicht besichert.
Fieser Trick mit Trust Fund
Im Zuge des Konkursverfahrens hat Target Canada auch einen 70 Millionen Dollar (49 Millionen Euro) umfassenden Trust Fund für die Belegschaft eingerichtet. Gegenüber der Öffentlichkeit wurde das als soziale Leistung dargestellt: Die Mitarbeiter erhielten demnach zum Abschied 16 Wochen "Severance Payment", also eine Trennungsprämie.
Was von der Boulevardpresse als Triumph des menschenfreundlichen Kapitalismus über den böswilligen Marxismus gefeiert wurde, entpuppte sich bei näherer Betrachtung als Schmäh: Kanadische Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern müssen bei einer Massenkündigung 16 Wochen Vorwarnung geben und ebenso lange die Gehälter bezahlen. Von Rechts wegen.
Außerdem müssen die allermeisten Target-Mitarbeiter noch viele Wochen arbeiten. Gerade im Ausverkauf wird jede Hand an Deck gebraucht. Während ein namhafter Teil der Belegschaft der Firmenzentrale bereits entlohnt zu Hause bleiben darf, muss die Masse der gering bezahlten Verkäufer für ihre 16 Wochen Lohn auch ungefähr so lange schuften. Einen echten Bonus gibt es nur für die Filialleiter, damit sie nicht gleich anderswo anheuern.
Die Mitarbeiter in Targets Logistikzentren sind bei einer Drittfirma angestellt. Sie werden zwar auch arbeitslos, profitieren aber nicht von dem Fonds. Dessen Dotation von 70 Millionen Dollar für 17.600 kanadische Target-Mitarbeiter entspricht übrigens ziemlich genau jenem Goldenen Handshake, den Target-CEO Steinhafel im Mai zum Abschied erhalten hat.