Eine Alge als Politikum

Seite 2: Die Lunge des Flusses – tot

"Muscheln und Schnecken sind die Lunge des Flusses", sagt Tautenhahn, sie würden die Schwebteile – die unter anderem auf zu viel Dünger oder Gülle aus der Landwirtschaft zurückzuführen sind – filtern und den Fluss auf diese Art reinigen.

Ihr Tod wird sich deshalb noch in Jahren bemerkbar machen, denn jetzt gelangen diese Stoffe ungefiltert in die Ostsee und sorgen dort für eine weitere Eutrophierung.

Bedeutet: Das Algenwachstum wird dort stark ansteigen und dem Ostseewasser Sauerstoff entziehen, was dem ohnehin schwer angeschlagene Binnenmeer weiter zusetzen wird. In der Ostsee gibt es heute schon sauerstoffarme Totwassergebiete mit einer Fläche dreimal so groß wie Mecklenburg-Vorpommern.

"Natürlich kann sich das Flussbiotop erholen", sagt Helmut Zahn, einer von noch zwei hauptberuflichen deutschen Flussfischern auf der Oder. Fische seien robust und könnten schnell verlorenen Lebensraum zurückerobern.

"Aber erstens braucht das seine Zeit und zweitens darf da keine neue Katastrophe kommen". Genau die aber sieht er in vollem Gange: Trotz juristischer Auseinandersetzung gehen die Flussbauten zur Vertiefung der Oder auf polnischer Seite unvermindert weiter, derzeit werden etwa in Słubice gegenüber von Frankfurt/Oder neue Buhnen in den Fluss gerammt. "Das soll die Fließgeschwindigkeit erhöhen, damit sich der Fluss tiefer eingräbt und die Fahrrinne vertieft", sagt der Fischer.

Polen plant in Swinemünde an der Ostsee einen riesigen, neuen Containerhafen, der nur funktioniert, wenn die Ware auch über die Oder verschifft werden kann.

Dummerweise ist die Fahrrinne dafür nicht überall tief genug und dummerweise sind im Sediment des Flusses noch aus sozialistischen Zeiten Chemikalien und Schwermetalle wie Quecksilber abgelagert, die mobil werden, wenn der Fluss sich tiefer eingräbt. "Das könnte die hohen Quecksilberwerte an den Messstellen erklären", sagt der Fischer. Umsatzfördernd seien die jedenfalls nicht.

"Dort, wo die Flüsse ausgebaut wurden, zahlen wir heute einen hohen Preis", sagte Steffi Lemke, als sie noch nicht Bundesumweltministerin war.

Aber Polen plant eine gigantische Wasserstraße, mit Tschechien und Ungarn ist verabredet, über die Oder eine Ostsee-Schwarzmeer-Wasserstraße zu bauen. Für das 22 Milliarden Euro-Projekt stellte die tschechische Regierung des damaligen Premierminister Andrej Babiš 2020 die ersten 15 Milliarden Kronen (550 Millionen Euro) zur Verfügung.

"Die Modernisierung der Oder in Gestalt von Wasserstufen und eines Container-Terminals, hat für uns Priorität", erklärte Marek Gróbarczyk, polnischer Vizeminister für Infrastruktur: "Die deutsche Umweltministerin rufen wir zur Ordnung, damit sie sich nicht mehr in dieser Weise autoritär zu polnischen Flüssen äußert, da dies ein Skandal ist!"

Ein Fischsterben, zwei Abschlussberichte. "Dass nach dieser Katastrophe die deutsch-polnische Zusammenarbeit im Umweltschutz so schlecht funktioniert, ist erschütternd", urteilt die bündnisgrüne Europaabgeordnete Hannah Neumann.

Die EU-Kommission müsse sich einschalten und auf die konsequente Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie pochen. Aber genau die illustriert das Problem: Deutschland kategorisiert die Oder als "weitgehend unverbauten Fluss", was die Bundesrepublik verpflichtet, einen "guten ökologischen Zustand" wiederherzustellen – also den Rückbau von Uferbefestigungen, Steinwällen und anderen Flussbauten, hin zu einem natürlichen Ufer.

Polen hingegen hat die Oder als vom Menschen "erheblich verändertes" Gewässer eingestuft. Damit muss lediglich das "gute ökologische Potenzial" ausgeschöpft werden – und das definiert sich ausschließlich über die Wasserqualität. Und lässt den Ausbau des Flusses EU-rechtlich zu.

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