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Energiekrise: Warum die Golfregion keine fossile, nur eine erneuerbare Zukunft hat

Die Khurais Oil Processing Facility in Saudi-Arabien. Bild: Planet Labs, Inc. / CC BY-SA 4.0

Gas und Öl aus der Golfregion sollen die EU unabhängig von russischen Importen machen. Aber gibt es überhaupt genug davon? Warum die Ölmonarchien schnell auf Wind und Sonne wechseln müssen.

Zuerst ein kurzer Überblick über die EU-Partnerschaft mit den Golfstaaten, die im Zuge der Energiekrise zunehmend als fossile Lieferanten in den Fokus geraten.

In einem Bericht der EU-Kommission vom 18. Mai dieses Jahres [1], in dem die Prioritäten für eine strategische Partnerschaft mit der Golfregion festgelegt werden, wird die Wichtigkeit der Region in Bezug auf die Energieversorgung betont. Die Golfstaaten "können dazu beitragen, die Volatilität der von der Energiewende betroffenen Märkte zu begrenzen, nicht zuletzt durch die Steigerung der Exporte von verflüssigtem Erdgas als Alternative zu Pipeline-Gas".

Es heißt weiter, dass man auf "Maßnahmen zur Stabilisierung der Ölmärkte" setze. Darüber hinaus zähle man auf den Nahen Osten als wichtigen Flüssigerdgas-Lieferanten (LNG), der Russland ersetzen soll. Die Golfstaaten werden außerdem in dem Bericht immer wieder aufgefordert, die Energiewende voranzutreiben.

Wie S&P Global Commodity Insights berichtet [2], haben sich Vertreter der Golfstaaten über die ihrer Meinung nach kognitive Dissonanz geärgert, die darin bestehe, dass der Westen mit dem Finger auf den Klimawandel zeigt und gleichzeitig mehr Öl- und Gaslieferungen fordert, um die steigenden Preise zu dämpfen und den Versorgungsengpass zu lindern, der durch die Sanktionen der USA und der EU gegen wichtige Produzenten, darunter Russland wegen seines Einmarsches in der Ukraine, noch verschärft wird.

Die Golfproduzenten, die den größten Teil ihres BIP aus den Einnahmen aus dem Öl- und Gassektor erwirtschaften, investierten weiter viel Geld, um ihre lebenswichtigen Industrien auszubauen, so führt S&P weiter aus.

"Die OPEC-Schwergewichte Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate wollen in den nächsten zehn Jahren zusammen etwa zwei Millionen Tonnen Rohöl pro Tag mehr fördern .... Der Gasriese Katar plant unterdessen, seine LNG-Kapazität bis 2027 um fast zwei Drittel auf 126 Millionen Tonnen pro Jahr zu erhöhen und wirbt damit, dass LNG eine sauberere Alternative zu Kohle und zuverlässiger als erneuerbare Energien ist. Die Importländer, die verzweifelt nach mehr Nachschub suchen, versuchen gleichzeitig, diese drei Golfstaaten mit intensiver Lobbyarbeit zu beeinflussen."

S&P sieht aufgrund der momentanen Energiekrise und den unterschiedlichen Interessenlagen eine Kluft entstehen zwischen den europäischen Importländern und den Erzeugern im Nahen Osten, auf die sie angewiesen sind.

David Goeßmann, Telepolis

Im Angesicht des russischen Angriffskriegs in der Ukraine und dem damit notwendig gewordenen Ausstieg aus russischen Energielieferungen für Europa, wird seit einigen Monaten diskutiert, inwiefern andere Länder bzw. Regionen aushelfen können, um den hohen Bedarf an Erdöl und Erdgas hierzulande zu decken.

Hans-Josef Fell [3] ist Präsident der Energy Watch Group und Mitautor des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes.

So unternahm der deutsche Klimaminister Habeck bereits Reisen nach Katar und in die Vereinigten Arabischen Emirate (VAM) [4] sowie in die USA, um LNG bzw. Fracking-Gas einzukaufen. Erst kürzlich kam allerdings die Absage aus Katar [5], dort sei man bereits am Limit der Fördermöglichkeiten.

Die Not ist groß und gemäß dem Plan der Europäischen Kommission [6] soll Europa bis 2030 gänzlich unabhängig von fossilen Brennstoffen aus Russland sein. Dies ist unverzichtbar, da mit den russischen Energielieferungen die Hauptkriegsfinanzierung stattfindet, sie hätte längst vollständig gestoppt werden müssen.

Auch wenn von vielen Seiten, insbesondere von Deutschland und der Europäischen Union (EU), ein Ersatz von russischem Erdöl und Erdgas durch andere Regionen, allen voran der Golfregion angestrebt wird, wird aber auch dies nicht möglich sein. Und das aus zweierlei Gründen:

Ressourcenverknappung und geopolitische Spannungen

Eine signifikante Ausweitung des Fördervolumens in der Golfregion, die für den Ersatz der russischen Energielieferungen ja notwendig wäre, wird es schlichtweg nicht geben können, da das maximale Fördervolumen in vielen Ländern bereits erreicht ist. So bekundet der Energieminister der VAM Al Mazrouei [7], dass die Situation im Hinblick auf die potenziellen Fördermengen "nicht sehr ermutigend" sei.

Und auch der OPEC-Generalsekretär Mohammad Barkindo erklärt, dass die große Mehrheit der Mitglieder an seine Kapazitätsgrenzen stößt und dementsprechend nicht mehr fördern kann. "Die Welt muss sich mit dieser brutalen Tatsache abfinden", heißt es [8] und die Energiepreise würden in der Folge ins Unermessliche steigen.

Auf dem letzten G-7-Gipfel in Bayern verkündete der französische Präsident Emmanuel Macron dem US-Präsidenten Joe Biden zudem, dass die VAM bereits ihre maximalen Förderkapazitäten erreicht hätten. Weiterhin hatte der regierende Scheich der VAM, Mohammed bin Zayed al-Nahyan, angemerkt, dass auch die Saudis ihre Ölproduktion lediglich "ein wenig" steigern könnten. Ben van Beurden, Vorstandsvorsitzender von Shell, und der unabhängige Ölanalyst Neil Atkinson kommen insgesamt zu der Einschätzung [9], dass die Förderkapazitäten der OPEC, insbesondere von Saudi-Arabien und den VAM, schon lange überhöht sind und im Ernstfall nicht so viel gefördert werden könne, wie es sich viele Menschen erhoffen.

Bereits vor Jahren warnte die Internationale Energieagentur (IEA) [10] in ihrem World Energy Outlook 2018 entgegen aller Erwartungen vor einer dramatischen Unterversorgung der weltweiten Erdölversorgung in den kommenden fünf Jahren.

Jenseits dieser Ressourcenverknappung würde der Ersatz von Erdöl- und Erdgaslieferungen aus der Golfregion in Europa zu neuen und gefährlichen geopolitischen Spannungen führen, die sich bereits heute abzeichnen. So können vermehrte Liefermengen von Erdöl und Erdgas nach Europa vor dem Hintergrund der kaum zu vergrößernden Liefermengen in der Golfregion nur zur Kürzung von Exporten in andere Regionen führen, was dann dort enorme Probleme bereitet.

Ein aktuelles Beispiel hierfür ist Pakistan [11], wo die LNG-Schiffe aus der Golfregion schon heute nicht mehr ankommen. Die daraus resultierenden Spannungen in Pakistan führen dann zur sozialen und wirtschaftlichen Destabilisierung; Aufstände und Terror weiten sich weiter aus und es drohen regionale Kriege.

Europa ist derzeit darum bemüht, keine Energielieferungen mehr aus Russland zu beziehen, da Russland damit den schrecklichen Krieg in der Ukraine finanziert. Die Öleinnahmen in der Golfregion, insbesondere im Iran und in Saudi-Arabien, sind aber ebenso Kriegsfinanzierung, deren Stellvertreterkrieg im Jemen stattfindet. Seit sieben Jahren führen jene beiden Länder Krieg im Jemen.

Gleichzeitig hilft es auch nicht, wenn Präsident Biden aus eigener Energienot den Schulterschluss mit Saudi-Arabien sucht, obwohl dies nach dem Mord an dem Journalisten Jamal Khashoggi undenkbar erschien. Aber die Energienot lässt die Rechtsstaatlichkeit und die Humanität wieder hintenan stellen.

Dies zeigt sich in den Vorbereitungen, französische Söldner im Jemen zur Sicherung von LNG-Lieferungen aus der jemenitischen Schabwat-Provinz einzusetzen [12]. Der Krieg im Jemen bekäme damit eine neue schreckliche Dimension mit europäischer Kriegsbeteiligung.

Somit ist klar: Weder die Weltgemeinschaft und schon gar nicht die Golfregion alleine können den Ersatz der russischen Energielieferungen aus anderen nicht russischen fossilen und atomaren Quellen in Gänze decken. Die europäische Diversifizierungsstrategie führt damit im Wesentlichen dazu, dass das zahlungskräftige Europa den bisherigen Energiekunden die Energielieferungen wegkauft, wie das Beispiel Pakistan schon aufzeigt. Neue große geopolitische Spannungen ziehen damit herauf.

Weitere fossile Energieförderung ist aus Klimaschutzgründen untragbar

Neben dem Problem der Ressourcenverknappung und den damit einhergehenden geopolitischen Spannungen ist dieser fossile Ersatz aber insbesondere auch aus Klimaschutzgründen untragbar. Bereits heute zeichnen sich die Katastrophen durch den Klimawandel auf der ganzen Welt und in der Golfregion ganz besonders deutlich ab: Schlimmste Hitzeperioden [13] mit Temperaturen über 50 Grad Celsius, die gefährliche Folgen für die Bewohner:innen und viele Hitzetode nach sich ziehen.

Schätzungen zufolge wird die Region bis Ende des Jahrhunderts unbewohnbar sein [14], mit Temperaturen von 55 bis 60 Grad Celsius. Katar und andere Länder der Golfregion hatten kürzlich zudem mit zerstörerischem Starkregen und Überflutungen [15] zu kämpfen.

Mit jedem Zehntel Grad Steigerung der Erdtemperatur werden sich diese extremen Bedingungen massiv ausweiten, sodass ein Leben im Freien dort kaum mehr möglich ist. Hauptursache ist der seit Jahrzehnten ungebrochene exzessive Verbrauch von Erdöl, Erdgas und Kohle. Es ist unverständlich, dass die Regierungen dieser Zerstörung der menschlichen Zivilisation auch in der Golfregion mit einem Ende der fossilen Energienutzung nicht endlich Einhalt gebieten.

Lösung aus den Krisen

Die einzige nachhaltige Lösung für die beiden genannten Probleme ist ein massiver Ausbau der erneuerbaren Energien, sowohl in der Golfregion selbst als auch in den Ländern, die die fossilen Energieträger aus der Region beziehen, allen voran Europa und die USA. Die Transformation hin zu einem erneuerbaren Energiesystem findet in Europa und den USA bereits jetzt schon statt, und genau auf diese Ausbaugeschwindigkeit ist die Golfregion ökonomisch bisher nicht vorbereitet.

Die Länder der Golfregion werden in den kommenden Jahren starke Einnahmeverluste erleiden – denn letztlich vermeidet jedes Elektroauto und jede Solarheizung für immer den Bezug von Erdöl und Erdgas. Und genau auf diese Strategie setzen nun Europa und die USA, auch weil die fossilen und atomaren Energieträger wesentlich teurer für die Konsument:innen sind als erneuerbare Energien. Dabei ist das Solarstrahlungsangebot gerade in den Wüsten der Golfregion extrem hoch und führt damit zu den mit Abstand niedrigsten Energiekosten, mit denen Erdöl und Erdgas nie mithalten können.

Gemäß einer Studie der Energy Watch Group [16] aus dem Jahr 2021 gilt bereits heute für Deutschland, dass eine verlässliche ganzjährige Energieproduktion mit einem Mix aus erneuerbaren Energien und Speichern günstiger ist als die fossile/ atomare Energiegewinnung. Ferner zeigt die Studie auf, dass es noch vor dem russischen Krieg in der Ukraine zu Energiepreissteigerungen kam, die die erneuerbare Energien im Vergleich zu fossiler und atomarer Energie unschlagbar billig gemacht haben. Dies gilt umso mehr für die Golfregion.

Der Ersatz russischer Energie wird daher nicht durch fossile Energie aus der Golfregion gelingen, auch wenn es noch so viele Besuche europäischer Politiker dazu gibt, sondern nur durch den Aufbau einer erneuerbaren, verlässlichen Versorgungsinfrastruktur – eben auch, weil dies viel kostengünstiger ist.

Die Golfregion ist wie der Rest der Welt gut darin beraten, den Ausbau von erneuerbaren Energien im eigenen Land auch als Chance für die eigene industrielle Entwicklung zu begreifen. Mit dem Aufbau von Fabriken, insbesondere in der Solarindustrie, aber auch bei Speicher- und Meerwasserentsalzungstechnologien auf dem rasch wachsenden Weltmarkt könnte die Region eine große industrielle Wirtschaft aufbauen. Damit würden nicht nur Arbeitsplätze und Exportchancen kreiert, sondern auch China ein Stück weit Paroli in seiner Technologieführerschaft geboten.

Vor diesem Hintergrund sollte die Golfregion rasch ihre eigene Energieversorgung auf 100 Prozent erneuerbare Energien umstellen und in eine eigene erneuerbare Industrie investieren – denn nur so kann die Region zukünftig überleben:

Hans-Josef Fell ist Präsident der Energy Watch Group und Mitautor des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG). Von 1998 bis 2013 war er für die Grünen im Bundestag. Er hat zahlreiche Preise und Auszeichnungen für sein Engagement erhalten. Fell ist Botschafter für 100 Prozent Erneuerbare Energien.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-7259619

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.eeas.europa.eu/sites/default/files/documents/Joint%20Communication%20to%20the%20European%20Parliament%20and%20the%20Council%20-%20A%20Strategic%20Partnership%20with%20the%20Gulf.pdf
[2] https://webcache.googleusercontent.com/search?q=cache%3A9Mf4JoSuByQJ%3Ahttps%3A%2F%2Fwww.spglobal.com%2Fcommodityinsights%2Fen%2Fmarket-insights%2Flatest-news%2Foil%2F051822-europe-rankles-gulf-countries-with-energy-transition-push-while-seeking-oil-gas-supplies&cd=3&hl=de&ct=clnk&gl=de&client=firefox-b-d
[3] https://hans-josef-fell.de/warum-auch-die-golfregion-nur-eine-erneuerbare-und-keine-fossile-zukunft-hat/
[4] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/habecks-heikle-energie-mission-101.html
[5] https://taz.de/Kaum-Gas-aus-Norwegen-und-Katar/!5865744/
[6] https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/ip_22_1511
[7] https://www.bloomberg.com/news/articles/2022-06-08/oil-prices-are-nowhere-near-peak-yet-says-key-opec-member-uae
[8] https://www.bloomberg.com/news/articles/2022-06-08/oil-prices-are-nowhere-near-peak-yet-says-key-opec-member-uae
[9] https://www.mei.edu/publications/opec-and-maximum-production-what-sustainable
[10] https://hans-josef-fell.de/drastischer-einbruch-der-globalen-erdoelfoerderung-in-den-kommenden-jahren/
[11] https://www.thenews.com.pk/print/952062-gas-crisis-deepens-as-eni-defaults-once-again
[12] https://english.alaraby.co.uk/news/france-preparing-secure-yemeni-gas-facility-exports
[13] https://www.al-monitor.com/originals/2022/06/summer-means-suffering-how-workers-survive-intense-gulf-heat
[14] https://www.n-tv.de/wissen/Klimawandel-macht-Golfregion-unbewohnbar-article16216206.html
[15] https://www.aljazeera.com/news/2022/7/28/qatars-rare-rain-in-july-as-storms-hit-gulf
[16] https://www.energywatchgroup.org/wp-content/uploads/Short-Study-Energy-Costs-2021.pdf