Erdgas: Türkei will Transit-Rolle der Ukraine übernehmen
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Die Türkei will zum neuen Gas-Drehkreuz für Europa werden. Präsident Erdoğan verhandelt mit der Slowakei über zusätzliche Lieferungen durch Turkish Stream.
Die Türkei setzt sich dafür ein, dass Russland mehr Gas für Europa durch die Schwarzmeer-Pipeline durchleitet. Das bekräftigte jüngst Präsident Recep Tayyip Erdoğan gegenüber dem slowakischen Premier Robert Fico in Ankara. Schließlich plant die Türkei seit Längerem, aus dem Gastransitstopp in der Ukraine Kapital zu schlagen.
Premier Fico war nach Ankara gereist, um Möglichkeiten auszuloten, um wie Ungarn russisches Gas über Turkish Stream zu beziehen. Die Pipeline verfügt über zwei Leitungsstränge, die insgesamt 31,5 Milliarden Kubikmeter Gas im Jahr an den türkischen Bosporus transportieren können.
Leitungsstrang nach Europa gut ausgelastet
Ein Leitungsstrang ist für den Bedarf des türkischen Marktes vorgesehen. Der andere Leitungsstrang führt an Land bis an die bulgarische Grenze. Von dort geht es weiter über den Balkanstrom nach Serbien und Ungarn. Dazu leitet Bulgarien Gas an Nachbarländer wie Griechenland und Rumänien durch.
Daten des Brüsseler Thinktanks Bruegel zeigen, dass dieser Leitungsstrang gut ausgelastet ist. Demnach erklomm die wöchentliche Gaslieferung in Länder der EU im Januar im Vergleich zu den Vorjahren neue Höhen und erzielte in der dritten Januarwoche mit 37,8 Millionen Kubikmeter Gas am Tag einen neuen Rekord.
Freie Kapazitäten in der Türkei
Das meiste Gas davon fließt nach Ungarn. Um auch die Slowakei über Turkish Stream mit Gas zu versorgen, besteht in der Türkei noch Luft nach oben. Rund 22 Milliarden Kubikmeter Gas importiert die Türkei aus Russland im Jahr. 16 Milliarden Kubikmeter Gas kommen im Schwarzen Meer über die Gasleitung Blue Stream ins Land. Für Turkish Stream ist ein Jahreslieferumfang von 5,75 Milliarden Kubikmeter vereinbart.
Folglich kann der russische Gaskonzern Gazprom bei Bedarf hier noch weitere 10 Milliarden Kubikmeter Gas liefern. Auf diese Rechnung setzt die Türkei und will das russische Gas mit LNG-Importen, Gas aus Aserbaidschan, dem Iran und eigener Produktion im Schwarzen Meer zum Turkish Blend mischen und nach Europa reexportieren.
Medienberichten zufolge rechnete der türkische Energieminister Alparslan Bayraktar in einer Pressekonferenz im letzten September vor, dass sich durch den jahrelangen Ausbau der Importpipelines und der fünf LNG-Terminals die Gasimportkapazitäten des Landes auf rund 75–80 Milliarden Kubikmeter pro Jahr erhöht hätten. Davon ließen sich bis zu 30 Milliarden Kubikmeter Gas nach Europa durchleiten, da für den Eigenbedarf lediglich 50 Milliarden Kubikmeter Gas nötig seien.
Sinkende Inlandspreise auf dem Radar
Den Transitstopp in der Ukraine versucht die türkische Regierung zu nutzen, um ihre Gaskooperation mit Russland auf eine günstigere Grundlage zu stellen. Hier geht es um die Einrichtung eines Gashubs, den Präsident Wladimir Putin bereits im Herbst 2022 ins Gespräch gebracht hatte, und anstehende Verhandlungen zu den Lieferverträgen, die zum Jahresende auslaufen.
Über den Gashub will die Türkei den Turkish Blend Europa anbieten und sieht sich gegenüber Russland in einer guten Position. Fallen doch mangels Exportalternative über die Ukraine fünf Milliarden US-Dollar Verluste beim russischen Gaskonzern Gazprom an, für die Ausgleich gefragt ist. Hinzukommen LNG-Verträge und eine steigende Gasförderung, um die starke Gasimportabhängigkeit und Inlandspreise für Gas und Energie zu senken.
Türkei bringt sich in Stellung
Die Ukraine verliert durch den Transitstopp 800 Millionen US-Dollar an Transitgebühren im Jahr, die die Türkei einstreichen möchte. Mehmet Öğütçü, Vorsitzender des Energieforums London Energy Club hält es indes für übertrieben, dass die Türkei die Ukraine als Transitroute für russisches Gas nach Europa sofort ersetzen könne, da die Pipelinekapazität dafür nicht ausreiche. "Man wird in neue Pipelines und neue Pumpstationen investieren müssen", so Öğütçü.
Alexej Belogorijew, Forschungsdirektor am Institut für Energie und Finanzen, geht russischen Medien zufolge davon aus, dass vier bis fünf Milliarden Kubikmeter Gas sich über die Türkei umleiten ließen, was etwa einem Drittel der letzten Transitmengen durch die Ukraine entspricht. Um den Umfang zu erhöhen, hält er eine Erweiterung der Transportkapazitäten für nötig, da diese von Bulgarien und Rumänien nach Ungarn und Österreich begrenzt sind.
Turkish Stream unter Feuer
Am 13. Januar informierte das russische Verteidigungsministerium Interfax zufolge über den Abschuss von neun ukrainischen Drohnen, die Kurs auf die Kompressorstation Russkaja in der Region Krasnodor am Schwarzen genommen hätten. Von hier aus fließt das russische Gas Richtung Bosporus. Nennenswerte Schäden habe es nicht gegeben.
Russland sieht darin einen Angriff der USA. Auch Fico und sein ungarischer Amtskollege Viktor Orbán sehen das als feindlichen Akt, aber nicht vom US-Präsidenten Donald Trump, sondern von der Ukraine. Vermutlich handelt es sich um eine Nachricht von Präsident Wolodymyr Selenskyj im Stil: "Wir könnten, wenn wir wollten." Trump spielt dies bei seiner harten Gangart gegen Russland in die Hände, um den Druck hochzuhalten.