Erdogan: Macron hat "psychologische Behandlung nötig"
Karikaturen-Streit: In arabischen Ländern, in Iran und in der Türkei wird zum Boykott französischer Produkte aufgerufen
In Libyen und im Gazastreifen verbrennt man Bilder von Macron, in Jaffa protestierte eine aufgebrachte Menge gegen den französischen Präsidenten. Ein große Supermarktkette in Katar nahm den französischen Schmelzkäse "La vache qui rit" ("Die Kuh, die lacht") samt anderer Erzeugnisse aus Frankreich aus den Regalen, ähnliche Räumaktionen gibt es in Kuwait, wo man "Kiri" und "Babybel" und andere französische Produkte aus den Regalen genommen und Flüge nach Frankreich gestrichen hat. Aus Jordanien und Iran kommen ebenfalls Boykottaufrufe.
Sie kommen auch aus der Türkei. Dort hat Präsident Erdogan bei einer im Fernsehen übertragenen Rede dem französischen Präsidenten nahegelegt, dass er "psychologische Behandlung" benötige. "Was ist Macrons Problem mit dem Islam und den Muslimen? Er muss seine Psyche behandeln lassen." Ihren Bericht dazu illustriert die regierungsnahe Zeitung Daily Sabah mit einem Bild Macrons, das ihn derangiert aussehen lässt.
Meinungsfreiheit und Boykott
In Paris reagierte man mit dem Rückruf seines Botschafters aus Ankara. Das Außenministerium verkündete in einem offiziellen Kommuniqué, dass die Boykottaufrufe sofort aufzuhören haben, desgleichen die Attacken auf Frankreich. Die Order wird nicht viel nützen, sie ist ungeschickt, weil sie ins Bild passen, das Frankreich als arrogant zeichnet. Die Meinungsfreiheit in Frankreich ist die eine Seite, die andere ist, wie die Mohammed-Karikaturen in Ländern mit muslimischer Mehrheit aufgefasst werden.
Die Hashtags #BoycottFrenchProducts (auf englisch) und #ExceptGodsMessenger (auf arabisch) sind auch in Saudi-Arabien, Ägypten und Algerien in den Trends, berichtet al-Jazeera. Es fehlen die Vereinigten Arabischen Emirate; aber mit Saudi-Arabien, Ägypten und mit Algerien sind Länder auf der Liste, die wichtig sind für Frankreichs Außenpolitik - nicht zuletzt für wirtschaftliche Interessen, Waffenexporte machen da keinen kleinen Teil aus, und zu Algerien gibt es, aufgrund der kolonialen Geschichte, ohnehin ein besonderes Verhältnis.
Der saudi-arabische Vorsitzende der Islamische Weltliga, Mohammad bin Abdulkarim Al-Issa, eine wichtige Figur beim langsamen Kurswechsel des Landes ( Saudi-Arabien: Bereit zur Normalisierung der Beziehungen zu Israel?), hat einerseits den die Mordtat des Fanatikers am französischen Lehrer Samuel Paty verurteilt und Frankreich darin bekräftigt, gegen Extremisten vorzugehen. Aber er hat sich nun auch - freilich ohne Frankreich oder die Karikaturen explizit zu erwähnen - zur Meinungsfreiheit und den Karikaturen geäußert:
Das Prinzip der Meinungsfreiheit muss von Werten umrahmt sein, die auf Respekt für das Gefühl anderer basieren und wenn diese Meinungsfreiheit von diesen Werten abweicht, verletzt sie die moralische Bedeutung von Freiheit.
Mohammad bin Abdulkarim Al-Issa, Islamische Weltliga
Was immer man aus europäischer Sicht dieser Auffassung zu entgegnen hat - das war Teil des Unterrichts, bei dem der Lehrer die Meinungsfreiheit anhand der Karikaturen erklärte -, in Ländern mit einer muslimischen Mehrheit oder einem großen Anteil einer muslimischen Bevölkerung wird die Ansicht Al-Issas viel Zuspruch finden.
Von der türkischen Regierung kamen keine Verurteilungen des fanatischen Attentats, wie am Wochenende von französischen Medien berichtet wurde. In Ankara konzentriere man sich stattdessen darauf, aus der Ansage Macrons, härter gegen den politischen Islam vorzugehen, seinerseits politisches Kapital zu schlagen, so der Vorwurf. Erdogan nutze die Macronschen Erklärungen dazu, sein Image als Vertreter der muslimischen Gemeinschaft aufzupolieren.
Türkische Imame
Dafür gab ihm Macron brauchbare Vorlagen, etwa wenn er vom "Islam in der Krise" sprach, und nach dem Mord an dem Lehrer zur Aktion gegen Islamisten drängte. Erdogans Sprecher fertigte daraus das Großbild, dass "Europa ein immer gefährlicherer Ort für Muslime (ist)".
Die Auseinandersetzung zwischen Macron und Erdogan hat viele Fronten und die meisten haben große Reichweite. So geht es bei Macrons Durchgreifen gegen abgesonderte Gemeinschaften, die mit dem politischen Islam in Verbindung gebracht werden, ähnlich wie in Deutschland auch um Imame, die aus der Türkei kommen und weder mit der Sprache noch mit der Landeskultur in enger Berührung sind. In den Trabantenstädten und polizeilichen Problemvierteln sind Muslimbrüder im Fokus des Misstrauens. Erdogan äußert seit vielen Jahren offen Sympathie und Unterstützung für die Muslimbrüder.
Während Erdogan in Syrien wie auch in Libyen Kräfte unterstützt, die der Ideologie der Muslimbrüder nahestehen, hat sich Frankreich unter Macron noch stärker den Kurden zugewandt, die Erdogan als Terroristen sieht. Macron hat auch kein Blatt vor den Mund genommen, als es darum ging, die Angriffe der Türkei auf friedliche Gebiete in Syrien zu verurteilen, die die kurdische Selbstverwaltung kontrolliert.
... und das größere Schachbrett
Auch positioniert sich Frankreich deutlich beim Genozid der Türken an den Armeniern, was sich beim Konflikt in Bergkarabach in aktueller Schärfe zeigt. Die französische Regierung ist eindeutig auf der Gegenseite zur Türkei - wie auch beim Streit um Einflusssphären im östlichen Mittelmeer.
Die Rivalität der beiden Länder in Afrika beschränkt sich nicht auf Libyen. Die Türkei versucht seit Anfang des Jahres ein engeres Verhältnis zu Algerien aufzubauen und zu Niger, wo Frankreich Uran für seinen Atompark fördert und die Türkei nun auch erste Schritte unternommen hat, um beim Rohstoffabbau mitzumischen.
Die Türkei verfolgt, wie es Beobachter beschreiben, eine ambitionierte Afrika-Politik. Das wird in Deutschland weniger wahrgenommen als in Frankreich, wo sich die Regierung als eine Ordnungsmacht begreift, die dort ihre Interessen mit militärischen Mitteln wahrt.
Auch wenn der offizielle Anlass für den Einsatz der Militärs bei der Opération Barkhane der Kampf gegen den Terrorismus ist - und dies auch als solcher gut begründet wird -, so ist das nicht von politischen und wirtschaftlichen Interessen und Verquickungen losgelöst. Die Afrika-Politik der Türkei agiert auf einem "geopolitischen Schachbrett", wo sie "mit einer Entente aus Frankreich, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Ägypten rivalisiert" (Michael Tanchum). Ein Ende der Rivalitäten ist nicht abzusehen.