Erdogan plant neuen Angriff auf Nordsyrien
Türkischer Präsident kündigt "Militäroperationen" im benachbarten Ausland an
Immerhin, als Präsident eines Nato-Mitgliedsstaats leugnet der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan nicht bis zur letzten Minute, dass er "Militäroperationen" im benachbarten Ausland plant. Anders als im Fall des russischen Angriffs auf die Ukraine vermeiden in diesem Zusammenhang auch etliche westliche Medien das Wort "Krieg".
Wie am Montagabend die Nachrichtenagentur Reuters berichtete, sagte Erdogan nach einer Kabinettssitzung in Ankara, die geplante türkische Offensive entlang der südlichen Grenzen ziele darauf ab, eine 30 Kilometer breite Sicherheitszone zu schaffen, um "terroristische Bedrohungen" zu bekämpfen. "Das Hauptziel dieser Operationen werden Gebiete sein, die Angriffszentren auf unser Land sind", sagte Erdogan, ohne Näheres zu bekanntzugeben.
Gemeint sein dürfte der Norden Syriens, den das türkische Militär bereits 2016, 2018 und 2019 angegriffen hat, um die syrisch-kurdische Selbstverwaltung und die dortigen Volks- und Frauenverteidigungseinheiten (YPG und YPJ) zu zerschlagen.
Über die im Januar 2018 von der Türkei gestartete "Operation Olivenzweig" heißt es in einem Gutachten der wissenschaftlichen Dienste des Bundestags, die Türkei habe keinen überzeugenden Beweis dafür geliefert, "dass sich die allgemeine Bedrohungssituation an der syrisch-türkischen Grenze zu einer konkreten Selbstverteidigungslage verdichtet hat".
Folglich bestanden schon damals erhebliche Zweifel an der Vereinbarkeit der Militäroffensive mit dem Völkerrecht. Dass diese Vereinbarkeit im Fall einer dauerhaften Besetzung von Gebieten in Nordsyrien nicht gegeben sei, stand für die Experten im Jahr 2018 außer Frage:
Mit dem Gedanken der Selbstverteidigung prinzipiell unvereinbar erscheint indes ein militärisches Vorgehen, das Ziele verfolgt, welche im Ergebnis zu einer dauerhaften Veränderung von Strukturen und Einflusszonen auf fremdem Staatsterritorium führen können oder sogar besatzungsrechtliche Elemente enthalten.
Wissenschaftliche Dienste des Bundestags / Völkerrechtliche Bewertung der "Operation Olivenzweig" der Türkei gegen die kurdische YPG in Nordsyrien
Der damals von der türkischen Armee und islamistischen Hilfstruppen angegriffene nordsyrische Kanton Afrin ist mittlerweile seit vier Jahren besetzt. Insofern besteht aus heutiger Sicht kein Zweifel, dass es sich um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg handelte.
Nato-Partnerschaft bisher nicht erschüttert
Als "wichtiger Partner" Deutschlands und der Nato kam Erdogan damit durch – obwohl die von ihm als "Terroristen" bezeichneten Milizen wenige Jahre zuvor in westlichen Nato-Staaten für ihren Kampf gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) gelobt worden waren; und obwohl Kriegsverbrechen dschihadistischer Hilfstruppen der Türkei im Zuge der "Operation Olivenzweig" publik wurden.
Am Montag kündigte Erdogan an, die neuerlichen Operationen würden gestartet, sobald Militär, Geheimdienste und Sicherheitskräfte ihre Vorbereitungen abgeschlossen hätten.
Die Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) werfen der Türkei vor, den Konflikt in dem Land mit Drohgebärden weiter anzuheizen und Schläferzellen des IS aktivieren zu wollen. Die Ankündigung einer neuen Invasion entlang der südlichen Grenze habe zum Ziel, die Stabilität in der Region zu untergraben, erklärte das multiethnische Bündnis in einer Mitteilung.
Die Sprecherin der Bundestagsfraktion Die Linke für Internationale Beziehungen, Sevim Dagdelen, verlangt von der Bundesregierung eine klare Verurteilung des "offen angekündigten neuen Überfall auf Syrien".
Das Schweigen von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) zu Ankaras Kriegen gegen seine Nachbarn sei "ein Hohn und zeigt die ganze Doppelmoral der angeblich wertegeleiteten deutschen Außenpolitik", erklärte Dagdelen an diesem Dienstag. Während Russlands Krieg in der Ukraine zu Recht verurteilt werde, habe Erdogan "freie Hand für Bombardements, Besetzungen und Annexionen im Norden Syriens und im Irak", so Dagdelen.
Unterdessen strotzt der türkische Präsident vor Selbstbewusstsein, sperrt sich gegen die Aufnahme Schwedens und Finnlands in die Nato, weil diese Länder angeblich "Terroristen" beherbergen und keilt gegen Griechenlands Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis aus, weil dieser sich als Staatsgast im US-Kongress gegen Waffenlieferungen an die Türkei aussprach.
Der türkische Botschafter in Schweden erhob zwischenzeitlich sogar Terrorismusvorwürfe gegen eine parteilose kurdischstämmige Abgeordnete des dortigen Parlaments und forderte deren Auslieferung, wenn das Land der Nato beitreten und nicht am türkischen Veto scheitern wolle. Die betroffene Politikerin Amineh Kakabaveh ist selbst gegen den Beitritt, den die Mitgliedsstaaten einstimmig beschließen müssen.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.