Erdogans neo-osmanische Träume: Komplizen in Ost und West

Denkmäler zeugen von einer durchmilitarisierten Gesellschaft. Foto: A. Savin / Free Art License

Der Nato-Partner Türkei spielt im Nahen und mittleren Osten eine unrühmliche Rolle. Im Windschatten des Ukraine-Krieges umso mehr. Wo er vereint mit den Mullahs kämpft und die deutsche Bundesregierung wegschaut. (Teil 2 und Schluss)

Im Jahr 2022 baute die Türkei in den von ihr besetzten Gebieten Nordsyriens nach der Vertreibung der überwiegend kurdischen Bevölkerung in Afrin, Serekaniye und Gire Spi neue Siedlungen für syrische Geflüchtete, die zwischenzeitlich in der Türkei gelebt hatten. Arabische Geflüchtete aus allen Regionen Syriens wurden zwangsweise in diese Siedlungen abgeschoben. Unterstützung für diese Rückführung erhielt die AKP-Regierung auch von ihrem Konkurrenten, der kemalistischen CHP.

Türkische Drohnen, Bomben und Giftgas im Nordirak

Im Februar 2022 wurde das unter Schutz der Vereinten Nationen stehende Flüchtlingscamp Maxmur im Nordirak von türkischen Kampfjets angegriffen. Es gab zwei Tote und mehrere Verletzte. Das von rund 12.000 Menschen bewohnte und selbstverwaltete Camp besteht seit den 1990er-Jahren, als viele Kurden aus dem Südosten der Türkei vertrieben wurden

Im Juli bombardierte die Türkei bei Zaxo eine Ferienanlage, neun Inlandstouristen kamen ums Leben und 23 wurden verletzt. Die irakische Regierung beantragte daraufhin eine Sitzung des UN-Sicherheitsrats. Auch in der Shingal-Region, dem Siedlungsgebiet der Eziden, flog die türkische Luftwaffe mehrere Angriffe.

Im Oktober gab es erneut einen Drohnenangriff auf die Region. Die ständigen Drohnen- und Luftangriffe auf die ezidische Bevölkerung im Shingal hindern die Geflüchteten in den Geflüchtetencamps im Nordirak an der Rückkehr in ihre Heimatdörfer.

Hinzu kommt, dass über die Köpfe der ezidischen Bevölkerung hinweg vor zwei Jahren ein Deal zwischen der irakischen Zentralregierung, der vom konservativen Barzani-Clan regierten Kurdischen Autonomie Region (KRG) im Nordirak und der Türkei beschlossen wurde. Die Abmachung sieht vor, dass die nach dem Genozid 2014 aufgebaute Selbstverwaltung mit eigenen ezidischen militärischen Einheiten aufgelöst und unter die Verwaltung der KRG gestellt werden soll.

Die ezidische Bevölkerung lehnt dies jedoch vehement ab, waren es doch die kurdischen Peschmerga der KRG, die 2014 vor der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) davonliefen und die Eziden ihrem Schicksal überließen. Dies machte den Völkermord an den Eziden im August 2014 erst möglich. Im Jahr 2022 gab es immer wieder gewaltsame Auseinandersetzungen mit der irakischen Armee, die den Deal gewaltsam durchsetzen wollte.

Aber auch im Nordosten des Iraks, in den Bergen im Grenzgebiet zum Iran begeht die Türkei Menschenrechtsverbrechen: Im Windschatten des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine begann die türkische Armee im April nach tagelangen Luft- und Bodenangriffen in der Nacht zum Ostermontag die völkerrechtswidrige Großoffensive "Claw-Lock" im Nordirak, die sich nach türkischen Aussagen gegen Stellungen der kurdischen Arbeiterpartei PKK richtete.

Dabei beruft sich die Türkei, wie auch bei früheren Militäreinsätzen gegen die PKK in Nordirak, auf das Selbstverteidigungsrecht gemäß Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen. Die Wissenschaftlichen Dienste (WD) des Bundestags stellten schon 2020 fest:

Gerade weil die Intensität der PKK-Angriffe auf die Türkei in den letzten Jahren deutlich abgenommen hat, lässt sich von einem gegenwärtigen bewaffneten Angriff im Sinne des Art. 51 der UN-Charta nicht ohne weiteres sprechen.


Militäroperationen der Türkei gegen PKK-Stellungen im Nordirak aus völkerrechtlicher Sicht – Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags, Juli 2020

Wie schon 2020 hat die Türkei auch diesmal ihre Absicht, "militärische Operationen" im Nordirak durchzuführen, nicht dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen angezeigt, wie es die UN-Charta in Artikel 51 verlangt. Die fehlende Begründung des Vorliegens eines bewaffneten Angriffes seitens der PKK sei damit ein "gewichtiges Indiz" dafür, dass das Selbstverteidigungsrecht der Türkei nicht gegeben sei, schrieb damals der Wissenschaftliche Dienst.

Bei den Angriffen im April dieses Jahres kamen zum wiederholten Mal chemische Waffen zum Einsatz. Die Guerilla der kurdischen Volksverteidigungskräfte (HPG) spricht sogar von einer vierstelligen Anzahl solcher Verstöße gegen die Chemiewaffenkonvention allein in diesem Jahr und berichtete im Oktober, dass in der Autonomen Region Kurdistan (KRG) von April bis Oktober "mindestens 2.476 mal international geächtete Bomben und chemische Waffen eingesetzt" wurden.

Im selben Monat legte die ärztliche Friedensorganisation IPPNW einen Bericht vor, der Indizien für Giftgaseinsätze dokumentierte, die ihre Delegation vor Ort im September gesammelt hatte.

Im November beschloss das irakische Parlament, einen Untersuchungsausschuss zu den Giftgaseinsätzen der Türkei im Nordirak einzusetzen. Im Dezember wurden nach HPG-Angaben erneut chemische Waffen türkischer Herkunft gegen die Guerilla eingesetzt. Der Einsatz von Chemiewaffen wurde mehrfach dokumentiert und Belege wurden von kurdischen Medien wie der Nachrichtenagentur ANF veröffentlicht.

Seit dem 23. September steht die Forensikerin und Ärzteverbandschefin Şebnem Korur Fincancı in Istanbul vor Gericht, weil sie den Verdacht öffentlich geäußert und eine unabhängige Untersuchung gefordert hatte. Ihr drohen mehr als sieben Jahre Haft wegen "Terrorpropaganda".