Erwünschte Behinderung beim Designerkind?
Die Debatte über ethische Aspekte beim Kinderwunsch im Genetik-Zeitalter ist eröffnet
Die Sache war eigentlich im April schon abgehakt. Die Presse hatte weltweit empört und ausgiebig darüber berichtet, als das amerikanische Lesben-Paar Sharon Duchesneau und Candy McCullough bereits zum zweiten mal ein nahezu taubes Kind zur Welt brachten. Für die beiden gehörlosen Frauen war es der größte Wunsch, dass das Kind ebenso taub zur Welt kommt. Um dabei sicher zu gehen, hatten sie sich erneut einen guten Freund als Samenspender ausgesucht, in dessen Familie bereits seit fünf Generationen nur taube Kinder auf die Welt kamen.
Nach dem ersten Aufschrei in der Öffentlichkeit verarbeitet nun die wissenschaftliche und medizinische Welt (British Medical Journal, BMJ 2002, 325:771-3) langsam die Bedeutung des Falles. Denn mit dem Abschluss des Genom-Projektes, das in den kommenden Jahren und Jahrzehnten die Bedeutung der einzelnen Gene des Menschen nach und nach besser verständlich machen und auch in der künstlichen Befruchtung große Fortschritte ermöglichen soll, taucht jetzt zunehmend die Frage auf, wie man in ethischer Hinsicht mit der Möglichkeit umgeht, sein "Wunschembryo" aufgrund bestimmter genetischer Eigenschaften aussuchen zu können.
So ist es nur natürlich, dass Eltern Behinderungen ihrer Kinder wie zum Beispiel Down-Syndrom, Bluterkrankheit oder Mukoviszidose möglichst schon vor der Befruchtung ausschließen wollen. Genetische Verfahren werden eine Früherkennung mittelfristig für bestimmte Krankheiten ermöglichen und sind heute zum Teil schon im Einsatz. In der Regel dürften Kinder dadurch einen medizinischen Vorteil erlangen. Doch wie sieht es in dem vorliegenden Fall aus?
Besonders in den USA und zunehmend auch in Europa verstehen und vernetzen sich Gehörlose als eine Gemeinschaft, eine eigenständige gesellschaftliche Gruppe. Taubheit gilt dabei nicht als Behinderung, sondern ist genauso Bestandteil ihrer kulturellen Identität wie die Kommunikation untereinander per Gebärdensprache. Auch Duchesneau und McCullough fühlen sich in dieser Gemeinschaft zu Hause und besuchen auf der Gallaudet Universität die weltweit einzige Hochschule für Gehörlose. Solange der Wunsch nach einem tauben Kind bei einem Paar in dieser Gemeinschaft besteht und dies, wie in diesem Fall, auf natürlichem Wege passiert, sei dies weder verwerflich noch ethisch zu beanstanden, meint Julian Savulescu, Direktor am Oxford Center for Applied Ethics, der die Debatte aus dem Journal of Medical Ethics zum Thema in seinem BMJ-Artikel zusammengefasst hat. Sie haben das Recht dazu, Kinder mit jedem beliebigen Partner zu zeugen.
Werden jedoch die Möglichkeiten betrachtet, die die Genetik in absehbarer Zeit bieten könnte, dann sind hier ethische Kriterien durchaus zu überdenken. So ist es verständlich und bis zu einem gewissen technischen Grad auch im Sinne der Medizin zu rechtfertigen, wenn Paare mit einer genetischen Veranlagung zur Taubheit in der Familie diese Behinderung bei ihren Kindern mittels pränataler genetischer Testverfahren verhindern wollen. Einige taube Paare haben jedoch bereits ihrem Wunsch Ausdruck verliehen, dann auch die Möglichkeit nutzen zu wollen, ganz gezielt ein gehörloses Kind zu bekommen oder einen Embryo, dessen entsprechende Veranlagung vor der künstlichen Befruchtung durch genetische analysiert wird, auszuwählen. Und dieser Wunsch, so Savulescu, sei nicht auf die Gruppe gehörloser Menschen beschränkt. Liliputaner zum Beispiel könnten ebenso den Wunsch äußern, Kinder ihresgleichen zu bekommen, gleichermaßen auch Paare mit intellektuellen Behinderungen. Paare, bei denen ein Partner helle und der andere eine dunkle Hautfarbe besitzt, wollen möglicherweise ein weißes oder dunkelhäutiges Kind.
Ob ein solcher Wunsch und dessen Erfüllung durch moderne Genetik und Medizin ethisch akzeptabel ist oder nicht, steht derzeit noch zur Diskussion. Schließlich beraube man Kinder, deren Behinderung ausdrücklich gewollt ist, fundamentale menschliche Erfahrungen, wie zum Beispiel untereinander per Sprache zu kommunizieren oder auch Musik zu hören oder selbst zu spielen. Die Aussage der Gehörlosen-Gemeinschaft, dass nur Taube auch tatsächlich ihrer Gemeinschaft angehören und sie verstehen könnten und daher auch ihre Kinder taub sein müssten, scheint da überzogen. Immerhin können normal hörende Kinder gehörloser Eltern die Zeichensprache genauso erlernen und somit "zweisprachig" aufwachsen, wie ein Kind, das durch verschiedener Nationalitäten der Eltern bilingual aufwächst. Die Kommunikation mit den anderen Mitgliedern der Gemeinschaft wäre dadurch gewährleistet, darüber hinaus bestünde aber auch ein Kontakt zu Außenwelt.
Doch ist es erlaubt, einem Paar, dass bei künstlicher Befruchtung die Embryos auf Taubheit hin genetisch untersuchen lässt und sich dann für den Embryo mit der Anlage zur Gehörlosigkeit entscheidet, diese Entscheidung zu untersagen? Zumindest Savulescu zieht den Schluss, dass dem Kind keinen Schaden widerfährt, wenn sich die Eltern bei der präimplantativen genetischen Diagnostik für denjenigen Embryo entscheiden, der sich wahrscheinlich zu einem gehörlosen Kind entwickelt, und dem Embryo so überhaupt die Möglichkeit eröffnet wird, zu einem Kind zu werden. Lediglich dann, wenn ein Embryo von vornherein derartige genetische Schäden aufweist, dass ein Kind damit ein menschenunwürdiges Dasein führen könnte, würde dem Kind bei der Auswahl ein Schaden zugefügt und wäre ethisch zu verurteilen. Taubheit, so Savulescu, führe jedoch zu keinem menschenunwürdigen Leben. Von daher müsse den Paaren die Freiheit gelassen werden, nach ihren eigenen Wertevorstellungen darüber zu entscheiden, welchem Kind sie gute Eltern sein und ein gutes Leben bieten wollen. Gesetzliche Vorgaben wären erst dann nötig, wenn es eine bedenkliche Entwicklung gäbe. Aber, so weiß auch der Philosoph Savulescu, es ist unwahrscheinlich, dass sich entsprechend viele Paare dazuentschließen werden, bewusst ein behindertes Kind auszuwählen.