Es reicht nicht, dass die USA die Ukraine insgeheim zu Gesprächen drängen

US-Präsident Joe Biden und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in Kiew am 20. Februar 2023. Bild: manhhai, Daniel Berehulak / CC BY 2.0 Deed

Angesichts der militärischen Lage muss die Biden-Regierung entschlossen handeln. Die Ukraine kann von sich aus nicht mit Russland reden. Was zu tun ist. Gastbeitrag.

Es ist nun klar, dass die ukrainische Offensive vom Sommer und Herbst 2023 mit minimalen Gewinnen und enormen Verlusten gescheitert ist. Die durchschlagenden ukrainischen Siege von 2022 haben sich nicht wiederholt.

Anatol Lieven ist Senior Research Fellow für Russland und Europa am Quincy Institute.

Der Chef der ukrainischen Armee, General Walerij Saluschnyj, hat zugegeben, dass der Krieg nun in eine Pattsituation geraten ist.

Russland greift nun seinerseits an, und obwohl seine Streitkräfte bisher nur sehr langsam vorankommen, scheint die Zeit nicht für die Ukraine zu arbeiten. Russland hat etwa die vierfache Bevölkerung und das 14-fache BIP der Ukraine, was dem Land in diesem Zermürbungskrieg enorme Vorteile verschafft.

Aufgrund ernsthafter Schieflagen in der US-amerikanischen und europäischen Rüstungsindustrie produziert Russland auch weitaus mehr Granaten, als die Ukraine vom Westen erhält.

Die Siege der Ukraine in den ersten Kriegsmonaten waren dem Mut und der Entschlossenheit der ukrainischen Soldaten, einigen besonders wirksamen westlichen Waffen und einer äußerst schlechten russischen Planung zu verdanken. Sie waren aber auch darauf zurückzuführen, dass die Ukraine aufgrund des Zögerns von Präsident Putin, die Wehrpflicht zu erweitern, mehr Männer mobilisieren konnte als Russland. Dieser Vorteil hat sich nun ins Gegenteil verkehrt.

Wie die jüngsten Entwicklungen im US-Kongress und in Europa deutlich machen, gibt es zudem keine Garantie dafür, dass die westliche Hilfe weiterhin in einem Umfang geleistet wird, der der Ukraine eine erfolgreiche Fortsetzung des Kampfes ermöglicht.

Es besteht daher keine realistische Aussicht, dass die Ukraine ihre derzeitige Position auf dem Schlachtfeld wesentlich verbessern kann. Der Westen kann mehr Waffen liefern, aber er kann keine zusätzlichen ukrainischen Soldaten aufstellen.

Die Ukraine hat immer größere Schwierigkeiten, Truppen zu rekrutieren, während Russland Reserven abruft und seine Verteidigungslinien in der Süd- und Ostukraine kontinuierlich verstärkt.

Die Stimmen im Westen, die einen vollständigen ukrainischen Sieg propagieren, werden immer hilfloser. Ein Beispiel dafür ist der Vorschlag pensionierter US-amerikanischer Generäle, die Ukraine könne Russland mit zusätzlichen US-Raketen allein durch Bombardierung zur Räumung der Krim zwingen – was die gesamte Geschichte dieses Krieges widerlegt. Um das zu erreichen, bräuchte die Ukraine auch massive amphibische Kräfte, die ihr gänzlich fehlen.

Ein Waffenstillstand und Verhandlungen über eine Friedensregelung werden daher für die Ukraine immer dringender. Würden die Kämpfe entlang der bestehenden Kampflinien eingestellt, wären mehr als 80 Prozent der Ukraine völlig unabhängig von (und feindlich eingestellt gegenüber) Russland und könnten alle Kräfte darauf konzentrieren, sich auf die Mitgliedschaft in der Europäischen Union vorzubereiten.

In Anbetracht der ursprünglichen Ziele des Kremls bei der Invasion im letzten Jahr und der Geschichte der russischen Herrschaft über die Ukraine in den letzten 300 Jahren wäre das keine ukrainische Niederlage, sondern ganz im Gegenteil ein gewaltiger ukrainischer Sieg.

Wird der Krieg hingegen auf unbestimmte Zeit fortgesetzt, besteht die reale Möglichkeit, dass der ukrainische Widerstand zusammenbricht, sei es durch die Erschöpfung der Kämpfenden, oder sei es, weil Russland mit seinen zusätzlichen Kräften die Fronten in der Nordukraine wieder beleben kann, von denen es sich im letzten Jahr zurückgezogen hat und für deren Verteidigung der Ukraine die Truppen fehlen.

Die Biden-Regierung hat das erkannt und soll der ukrainischen Regierung in vertraulichen Beratungen empfohlen haben, Gespräche mit Russland aufzunehmen. Es ist jedoch außerordentlich schwierig für die ukrainische Regierung, Gespräche zu beginnen.

Präsident Selenskyj und andere führende Regierungsvertreter müssten ihre wiederholt getätigten Erklärungen revidieren, dass sie nicht mit Putin verhandeln werden und die einzigen akzeptablen Bedingungen für ein auch nur vorläufiges Abkommen der vollständige Rückzug Russlands aus allen Gebieten ist, die Russland seit 2014 besetzt hält.

Ultranationalistische Gruppen sind leidenschaftlich gegen jeden Kompromiss. Die russische Regierung ihrerseits ist derzeit natürlich nicht an einem vorläufigen Waffenstillstand interessiert, da auch sie sieht, dass die Zeit für sie arbeitet.

Unter diesen Umständen reicht es nicht aus, wenn Washington hinter den Kulissen auf Gespräche mit den Ukrainern drängt, während man öffentlich darauf besteht, dass nur die Ukraine den Frieden aushandeln kann. Es ist auch nicht klug, jede diplomatische Initiative bis nach den nächsten US-Präsidentschaftswahlen in fast einem Jahr aufzuschieben, in der Hoffnung, dass sowohl die ukrainischen Streitkräfte als auch die US-Hilfe die Lage einfrieren können und eine peinliche Kehrtwende mitten im US-Wahlkampf vermieden werden kann.