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"Es war ein Schock für mich, diese Äußerungen zum Karlsruher Attentat zu lesen"

Michael Buback sieht Parallelen zwischen der Aufarbeitung in Sachen NSU und der Aufarbeitung im Mordfall seines Vaters

Gibt es Parallelen zwischen dem Fall NSU ("In diesem Falle würde ich fast nichts ausschließen" [1]) und der Aufarbeitung des Mordes an dem von der Roten Armee Fraktion (RAF) 1977 ermordeten [2] Generalbundesanwalt Siegfried Buback [3]?

Im Mai dieses Jahres meldete sich der Sohn von Siegfried Buback, der sich seit Jahren für die Aufklärung des Verbrechens an seinem Vater einsetzt, in einem Leserbrief in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu Wort. Darin verdeutlichte er: Sowohl im Fall seines Vaters als auch in Sachen NSU gibt es erstaunlich viele Überschneidungen.

Im Gespräch mit Telepolis geht Michael Buback auf die Parallelen ein, er verrät, welche Aussagen von Innenminister Thomas de Maizière ihn schockiert haben, was er von einer Art Wahrheitskommission nach südafrikanischem Vorbild hält und er spricht an, welche Schritte er von ehemaligen RAF-Mitgliedern für notwendig hält, so dass es zu einer Versöhnung kommen könnte.

Die entscheidende Parallele: das Zusammenwirken des Verfassungsschutzes mit Terroristen oder mit Terroristen nahe stehenden Personen

Vor kurzem haben Sie einen Leserbrief in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlicht, darin sprechen Sie an, dass es Parallelen zwischen dem Karlsruher Attentat (bzw. dem Verfahren gegen Verena Becker) und dem Komplex NSU gibt. Welche Parallelen sehen Sie?
Michael Buback: Die Parallelen zwischen dem Stuttgarter RAF-Verfahren gegen Verena Becker und dem Münchner NSU-Prozess erscheinen mir auffällig: Viele Jahre lang wurde jeweils nicht gegen dringend Tatverdächtige vorgegangen, Akten verschwanden [4] oder wurden vernichtet.
Die wohl entscheidende Parallele ist, dass es ein Zusammenwirken des Verfassungsschutzes mit Terroristen oder mit Terroristen nahe stehenden Personen gegeben hat. Ich befürchte, dass der Wunsch der Angehörigen nach Aufklärung der Morde auch im NSU-Prozess nicht erfüllt werden wird. Die als unmittelbare Täter bezeichneten zwei Männer sind nicht angeklagt und gegen sie kann es keinen Prozess mehr geben, da sie tot sind.
Erstaunlicherweise wurden beide über etwa zehn Jahren nicht wegen der Morde angeklagt, aber nach dem Tode der beiden Männer sind die Ermittler fest überzeugt, dies seien die Täter gewesen. Mich erstaunt diese Annahme auch deshalb, weil meiner Frau und mir von zwei Bundesanwälten erklärt wurde, es sei naiv anzunehmen, dass die Besitzer der Karlsruher Tatwaffe, also Verena Becker und Günter Sonnenberg, bei ihrer Verhaftung vier Wochen nach dem Verbrechen, auch die Karlsruher Täter seien.
Eine solch brisante Waffe werde selbstverständlich von den Tätern an Dritte weitergegeben. Beim NSU-Komplex wird der umgekehrte Schluss gezogen: Hier gelten diejenigen als unmittelbare Täter, bei denen oder in deren Bereich die Tatwaffe gefunden wurde.
Können Sie weitere Beispiele anführen?
Michael Buback: Ich kann mich nicht zu Details äußern, da ich das Stuttgarter Verfahren als Nebenkläger sehr viel besser kenne als das Münchner NSU-Verfahren, von dem ich nur aus der Presse weiß. Die zentrale Parallele - und dies ist wohl des Pudels Kern - erscheint aber klar. Sie liegt im Zusammenwirken des Geheimdienstes mit Terroristen und es gibt wenig Neigung, dies publik zu machen. Es erstaunt dann nicht, dass es in Verbindung mit den RAF- und NSU-Verfahren in Umfang und Zeitpunkt bemerkenswerte Aktenvernichtungen gab.
Die beim BKA gelagerten Spurenakten zum Karlsruher Attentat wurden im Jahre 1994 auf Weisung des Generalbundesanwalts vernichtet. Dabei hatte es im Jahre 1982 die Mitteilung des Verfassungsschutzes an den Generalbundesanwalt gegeben, Stefan Wisniewski sei der Karlsruher Schütze gewesen. Gegen ihn hatte die Bundesanwaltschaft zum Zeitpunkt der Aktenvernichtung jedoch noch kein Ermittlungsverfahren wegen dieses Attentats aufgenommen.
Irritierend ist auch, dass die 1982 übergebene Verfassungsschutzakte mit dieser Information über Wisniewski in der Bundesanwaltschaft verschwunden ist, sodass sie von der Behörde im Jahre 2007 beim Verfassungsschutz angefordert werden musste.
Welche Schlüsse ziehen Sie für sich aus dieser Erkenntnis?
Michael Buback: Die Verbrechens-Aufklärung wird offensichtlich schwer, wenn es ein Zusammenwirken geheimdienstlicher Stellen mit Personen im terroristischen Bereich gegeben hat. Bei Verena Becker geht auch der Senat des Stuttgarter Oberlandesgerichts davon aus, dass sie Informantin des Bundesamtes für Verfassungsschutz war. Bei dieser Sachlage stößt die weisungsgebundene Bundesanwaltschaft an Grenzen.
Es kann dann zwar jahrelang verhandelt werden, aber Kernpunkte bleiben ausgeklammert. Der Stuttgarter Prozess zum Karlsruher Attentat befasste sich mehrfach mit den örtlichen Gegebenheiten des Camps, in dem sich RAF-Terroristen im Jemen aufgehalten hatten. Der Antrag der Nebenklage, einen Lokaltermin am nahe gelegenen Karlsruher Tatort anzusetzen sowie an der Stelle, an der die Täter vom Motorrad in den Fluchtwagen umgestiegen sind, wurde dagegen vom Senat abgelehnt, obwohl dies für die Beurteilung von Zeugenaussagen sehr wichtig gewesen wäre.
Im Falle der NSU-Morde wäre zu fragen, wie durch die Vernehmung von Ferienbekannten und Nachbarn, die keinerlei Nähe zu einem der Tatorte hatten, die Ermittlungen vorangebracht werden können, wenn ein Verfassungsschützer nichts bemerkt hat, der in Kassel zur Tatzeit beim Tatort war und als Mann vom Fach doch Beobachtungen gemacht haben müsste. Wenn Geheimdienste im Spiel sind, kommt man nicht weiter, sagte mir ein kenntnisreicher Beobachter zu Beginn des Stuttgarter Prozesses. Dies wollten meine Frau und ich nicht glauben.

Keine Antwort von Frau Merkel

Auch die Hinterbliebenen des Oktoberfest-Attentats [5] kämpfen bis heute für mehr Aufklärung. Verbrechen der so genannten dritten Generation der RAF sind noch immer nicht aufgeklärt und werfen auch viele Fragen auf. Haben Sie jemals daran gedacht, dass sich all diese Opfer und Hinterbliebenen der verschiedenen terroristischen Anschläge, die es in Deutschland gab und bei denen noch immer vieles unaufgeklärt ist, doch zusammen tun könnten, um sich gemeinsam für eine Lösung einzusetzen?
Michael Buback: Es wäre kein gutes Zeichen für unseren Rechtsstaat, wenn sich Opferangehörige solidarisieren müssten, um eine Aufklärung und Strafverfolgung zu erreichen. Hinzu kommt, dass die Empfindungen der Opferangehörigen sehr unterschiedlich sind, was ich gut verstehe. Einige wollen gar nichts mehr von dem schrecklichen Geschehen hören und wissen, sodass sie sich nicht an gemeinsamen Initiativen beteiligen möchten.
Übrigens haben Corinna Ponto, Jörg Schleyer und ich im September 2010 über die "Bild"-Zeitung an die Bundeskanzlerin appelliert [6], die Aufklärung der politischen Morde an unseren Vätern tatkräftig voranzutreiben. Wir haben keine Antwort erhalten.
Manchmal wird Ihnen von Kommentatoren vorgeworfen, dass Sie Rache wollen, man rät Ihnen, das Verbrechen an ihrem Vater doch endlich ruhen zu lassen. Können Sie unseren Lesern erklären, was ihre Motivation ist und warum Sie sich weiter für die Aufklärung am Mord ihres Vaters einsetzen?
Michael Buback: Wer so etwas sagt, verkennt, dass es nicht bei mir liegt, Anklage zu erheben oder gar eine Hauptverhandlung zu eröffnen oder zu beenden. Es war eine Anklage der Bundesanwaltschaft. Die von Ihnen erwähnten Kommentatoren sollten auch bedenken, dass die Stuttgarter Hauptverhandlung für Verena Becker wohl wesentlich wichtiger war als für die Familie Buback.
Frau Becker ist erst jetzt - nach dem rechtskräftigen Urteil wegen Beihilfe - dauerhaft vor Strafverfolgung wegen Mittäterschaft beim Karlsruher Attentat geschützt. Das war sie zuvor nicht, da das diesbezügliche Ermittlungsverfahren gegen sie im Jahre 1980 mit der Begründung eingestellt worden war, sie sei unschuldig, zumindest könne ihr die Tat nicht nachgewiesen werden.
Die damalige, für Verena Becker günstige Entscheidung war allerdings mit dem Risiko verbunden, dass sie beim Auftauchen belastender Fakten angeklagt werden könnte, was ja dann im April 2010 auch geschehen ist und zu Ihrer Verurteilung im Jahre 2012 geführt hat, die aber, wie wir jetzt wissen, keine Haft für Frau Becker zur Folge hat.

"Der Vorwurf, ich wolle Rache, erscheint mir abwegig"

Gut, aber um nochmal den Vorwurf, Sie wollten Rache üben, aufzugreifen...
Michael Buback: Wer mir einen Wunsch nach Rache vorwirft, zeigt damit, dass er sich nicht näher mit dem Verfahren befasst hat. Er wüsste sonst von meinem Plädoyer, das - wie auch meine Blogtexte über jeden Stuttgarter Prozesstag - bei 3sat.kulturzeit.blog [7] nachzulesen ist.
Darin habe ich zunächst ausgeführt, "dass die Angeklagte Verena Becker unmittelbar an der Durchführung des Attentats am Gründonnerstag, dem 7. April 1977, beteiligt war", aber danach erklärt: "Die Tatsache, dass den Prozessbeteiligten jede genauere Auskunft über Einflussnahme des Verfassungsschutzes vorenthalten wurde und dass es sehr viele Hinweise darauf gibt, dass die Ermittlungsakten nicht den Ansprüchen genügen, die man in einem so gewichtigen Verfahren, in dem es um dreifachen Mord geht, verlangen muss, ermöglichen es mir trotz der klaren Täterschaft somit nicht, eine lebenslängliche Verurteilung für die Angeklagte zu fordern." Ich habe somit für Frau Becker keine Bestrafung gefordert. Der Vorwurf, ich wolle Rache, erscheint mir abwegig.
Und was genau ist jetzt ihre Motivation?
Michael Buback: Mein Vater und der Vater meiner Frau waren Bundesanwälte in Karlsruhe. Unsere Familie ist dem Rechtsstaat tief verbunden, für den sich mein Vater mit aller Kraft und im besten Sinne eingesetzt hat. Es hat Versuche gegeben, ihn als Person darzustellen, die für Isolationsfolter und Vernichtungshaft eingetreten sei. Dies hat, obwohl es nicht zutreffend ist, Menschen darin bestärkt, ihn zu ermorden.
Ich wollte dazu beitragen, das schwere Verbrechen aufzuklären. Meine Frau und ich hatten mit Erstaunen bemerkt, dass Personen Informationen uns, aber nicht den zuständigen Behörden gaben. Wir haben uns als Vermittler gesehen und diese Personen und ihre Angaben an die Bundesanwaltschaft weitergeleitet.
Wir wundern uns, dass kein allgemeines Interesse besteht, den Mord am Generalbundesanwalt und seinen Begleitern aufzuklären und die Attentäter zu verurteilen. Es wird gelegentlich so dargestellt, als handele es sich hierbei um das persönliche Hobby eines Angehörigen. Es ist aber doch das Anliegen eines Rechtsstaats.

Neue Entwicklungen im Fall Verena Becker

Gab es nach dem Verfahren gegen Verena Becker weitere Entwicklungen?
Michael Buback: Ja. Es wurde bekannt, dass im Mai 1977 beim BKA wenigstens 40 Bilder des Dienstwagens meines Vaters angefertigt wurden und der zugehörige Filmstreifen noch jetzt dort lagert. Die Bilder wurden im Verlauf des Stuttgarter Verfahrens, nachdem ein ehemaliger Mitarbeiter des BKA auf sie aufmerksam gemacht hatte, zu den Prozessakten nachgereicht, nicht aber durch Inaugenscheinnahme in die Hauptverhandlung eingeführt.
Ich erfuhr von den Bildern erst nach dem Urteil, da sie mir als Nebenkläger nicht zugesandt wurden, sondern nur meinem Rechtsbeistand. Die Bilder belegen, dass bereits damals von BKA-Experten am Dienstwagen Rekonstruktionen der Schussbahnen durchgeführt wurden, die zu anderen Ergebnissen führen, als sie jetzt im Prozess ein Gutachter präsentiert hat. Weder der Senat noch die Bundesanwaltschaft haben auf diese Diskrepanz hingewiesen.
Die Fotos wurden in den früheren Prozessen zum Karlsruher Attentat - gegen Knut Folkerts sowie gegen Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar - nicht in die Hauptverhandlung eingeführt. Dies ist besonders befremdlich, da der Dienstwagen meines Vaters, der sich in der Obhut von BKA und Justiz befunden hat, nicht mehr vorhanden ist. Auch das Fluchtauto der Attentäter ist spurlos verschwunden. Wieviele DNA-Spuren hätte man im Fluchtauto finden können, zumal die Täter keine Vorkehrungen gegen diese Analytik treffen konnten, die 1977 noch unbekannt war.
Wie erklären Sie sich diese Diskrepanz zwischen den damals vom BKA durchgeführten Analysen und dem Ergebnis, zu dem der Experte im Verfahren gegen Verena Becker gekommen ist?
Michael Buback: Dass Sachverständige zu unterschiedlichen Beurteilungen kommen, ist als solches nicht überraschend. Das Problem im vorliegenden Fall sehe ich darin, dass in der Hauptverhandlung von Seiten der Justiz, der die Dokumente vorlagen, nicht darauf hingewiesen wurde, dass BKA-Beamte bereits 1977 entsprechende Untersuchungen durchgeführt haben.
Somit wurde vor Gericht nicht erörtert, dass die Experten damals an dem vor ihnen stehenden PKW andere Erkenntnisse gewonnen haben als der Gutachter jetzt, dem nur Bildmaterial vorlag. Leider gibt es weitere bedrückende Diskrepanzen: In zahlreichen Fällen konnten sich Zeugen, die jetzt erstmals in einer Hauptverhandlung zum Karlsruher Attentat vernommen wurden, nicht mit dem identifizieren, was als ihre damalige Aussage in die Akten gelangt ist. Auch das kann ich nicht erklären.
Zurück zur Entwicklung nach dem Prozess. Hat sich sonst noch etwas ereignet?
Michael Buback: Ja, ich wurde nach dem Urteil auf einen Augenzeugen hingewiesen, der sich kurz vor dem Attentat an der Aral-Tankstelle nahe beim Tatort aufgehalten hat. Er sah ein Motorrad, in dem er als Motorradbegeisterter sicher eine Suzuki erkannte. Lenker des Motorrads sei ein Mann gewesen.
Die Person auf dem Soziussitz sei von der Figur her eine Frau gewesen, zierlich, fast wie ein Kind, sagte er mir. Das Motorrad sei dann in Richtung Stadt - und damit auch in Richtung Tatort - losgefahren und gleich danach habe es geknallt.
Und?
Michael Buback: Ich habe diese Information an den Generalbundesanwalt weitergeleitet. Bei der nachfolgenden Vernehmung in der Behörde hat der Zeuge erklärt, dass auf dem Soziussitz eine Frau oder ein schmaler Mann gesessen habe. Diese Beschreibung passt auf keine der uns von der Behörde als Soziusfahrer genannten Personen.
Der Zeuge berichtete weiterhin, er habe sein Auto kurze Zeit später an der Karlsruher Kunsthalle abgestellt und sei in Richtung Tatort gelaufen. Wie in meinem Blog [8] geschildert, teilte mir der Zeuge weiter mit: "Die Polizei sei schon vor Ort gewesen. Einem der Polizisten, die den Tatort absperrten, habe er seinen Namen genannt und berichtet, er habe das Motorrad mit zwei Personen darauf gesehen. Der Polizist habe geantwortet, es sei alles klar, man sei im Bilde. Der Name des Zeugen sei nicht notiert worden."
Dem Zeugen wurde jetzt in der Vernehmung bei der Bundesanwaltschaft mein Blogtext vorgelegt und er hat diese wichtige Passage nicht beanstandet. Sie besagt, dass ein Augenzeuge der Polizei Angaben über die zwei Personen auf dem Tatmotorrad anbietet, er aber mit der Bemerkung abgewiesen wird, es sei alles klar. Dieser bedrückende Sachverhalt stimmt überein mit dem, was andere Augenzeugen berichtet haben.
Es gibt - mit einer Ausnahme - von keiner der Personen, die in ihren Autos an der frequentierten Kreuzung warteten, ein am Tatort aufgenommenes Vernehmungsprotokoll. Dabei standen nach Zeugenangaben viele Wagen an der Kreuzung, die schließlich durchgewinkt worden seien. Die einzige Ausnahme stellt der jugoslawische Zeuge dar, der in seinem Auto neben dem Dienstwagen meines Vaters stand und losfuhr, als die Ampel auf Grün sprang. Er kam aber nicht weit, da sein Vorderreifen durch ein Geschoss zerstört worden war.
Durch die Tagesschau und eine Presseerklärung des Stuttgarter Innenministeriums vom Tattag wird belegt, dass der Jugoslawe kurz nach der Tat sagte, eine Frau habe möglicherweise vom Beifahrersitz aus geschossen. Warum hat die Polizei die Augenzeugen nicht veranlasst, vor Ort zu bleiben, bis sie vernommen oder zumindest ihre Namen für eine spätere Vernehmung registriert worden waren?
Dieses Versäumnis spricht nicht für einen deutlichen Aufklärungswillen. Und wie kann es sein, dass ich über 30 Jahre nach dem Verbrechen auf diesen und andere Augenzeugen hinweisen muss? Warum wurden nicht alle Augenzeugen der Tat sofort oder spätestens an den Tagen gleich nach dem Attentat von Ermittlerseite festgestellt?

Akten unter Verschluss. Wer hütet solch ein Geheimnis?

Etwas anderes: In einem 2013 erschienenen Buch [9] spricht Innenminister Thomas de Maizière darüber, dass noch immer Akten unter Verschluss gehalten werden. Er sagte: "...es gab Zusagen früherer Regierungen an bestimmte Personen, etwas nicht offenzulegen. Und daran haben sich alle Nachfolgeregierungen - auch ich mich - gebunden gefühlt. Aber wir haben dann Aktenauszüge oder Sachverhalte so zusammengestellt, dass sie Rückschlüsse auf bestimmte Personen nicht zugelassen und zugleich eine vollständige Aufklärung der strafrechtlichen Beteiligung ermöglicht haben. Das haben wir genau so mit der damaligen Generalbundesanwältin besprochen…" Was halten Sie von diesen Aussagen?
Michael Buback: Es war ein Schock für mich, diese Äußerungen zum Karlsruher Attentat zu lesen.
Warum?
Michael Buback: Die Information des Ministers zeigt: Es gab in Verbindung mit dem Karlsruher Attentat schützende Zusagen und sogar eine Ressort übergreifende Absprache bei der Zusammenstellung von Aktenauszügen und Sachverhalten. Inzwischen ist auch klar, dass die ausgewählten Aktenauszüge und Sachverhalte eben nicht für eine vollständige Aufklärung gereicht haben.
Ich frage mich auch, wie der Minister von der Existenz der Zusagen früherer Regierungen an "bestimmte Personen" erfahren hat. Wer hütet solch ein Geheimnis? Und warum hat der Minister diese Information jetzt einem Journalisten mitgeteilt, aber nicht mir bei unserem zweimaligen Briefwechsel vor der Hauptverhandlung?
Das hätte meiner Frau und mir mehr als zwei sehr bittere Jahre erspart. Wenn wir gewusst hätten, dass die Bundesregierung und deren Vorgänger gezielt Informationen zum Karlsruher Attentat zurückhalten, hätten wir uns nicht auf diesen kraft- und zeitraubenden, äußerst frustrierenden Prozess eingelassen. Erstaunlich ist auch, dass es in der Presse keine Resonanz auf die Äußerungen des Ministers gab. Journalisten könnten Persönlichkeiten befragen, die als Regierungschefs, Vizekanzler, Justiz- oder Innenminister in den vergangenen gut drei Jahrzehnten Verantwortung trugen.
Wenn man weiß, dass Verena Becker Informantin des Verfassungsschutzes war, ist es durchaus möglich, wenn nicht sogar wahrscheinlich, dass sie eine der mit Zusagen ausgestatteten Personen ist. Die Antwort, die in Stuttgart angeklagte Verena Becker gehöre nicht zum Kreis der mit einer Zusage geschützten Personen, hätte man mir übrigens auf meine Nachfrage geben können, da in diesem Falle keine Zusage verletzt würde. Deshalb vermisse ich diese Auskunft.
Wenn Sie nun zurückblicken: Was meinen Sie, ist in dem Verfahren gegen Verena Becker falsch gelaufen?
Michael Buback: Das Verfahren war offensichtlich nicht erfolgreich, denn die Justiz steht mit leeren Händen da. Der Senat kann die Karlsruher Täter nicht nennen. Die Ermittler und Strafverfolger müssen also weiter suchen, da Mord nicht verjährt. Es wird kein Verfahren mehr gegen Verena Becker geben.
Das Stuttgarter Urteil bedeutet aber, wie der den Bruder meines Vaters vertretende Rechtsanwalt Matthias Rätzlaff erkannt hat, dass zwingend gegen weitere ehemalige RAF-Mitglieder wegen Beihilfe beim Karlsruher Attentat zu ermitteln ist. Im Urteil gegen Verena Becker steht, die Entscheidung über die Durchführung von Anschlägen sei aufgrund kollektiver und gleichberechtigter Willensentscheidungen aller RAF-Mitglieder erfolgt.
Die "Aktionen" seien nach eingehender Diskussion einstimmig und damit verbindlich festgelegt worden. Für den Tatbestand der Beihilfe genüge es, dass ein Gehilfe die Haupttat im Vorbereitungsstadium fördert. Die Unterstützung könne auch in Form psychischer Beihilfe schon dadurch geleistet werden, dass der Gehilfe den Haupttäter in seinem schon gefassten Tatentschluss bestärkt.
Somit müsste die Bundesanwaltschaft gegen weitere "Gehilfen" tätig werden, auf die der Vorwurf einer solchen Beihilfe in gleicher Weise zutrifft wie auf Verena Becker, die für diesen Tatbeitrag verurteilt wurde.
Was heißt das?
Michael Buback: In besonderem Maße müsste dieser Tatvorwurf für Stefan Wisniewski gelten, der an beiden RAF-Treffen teilgenommen hat, aber auch für Siegfried Haag und Roland Mayer, bei denen - wie in einer kürzlichen Entscheidung des Bundesgerichtshofs ausgeführt - kein Strafklageverbrauch hinsichtlich der Taten der Offensive 77 eingetreten ist.

"Was bringt es, wenn ich persönlich von Tätern ein Geständnis erhalte?"

Haben Sie weitere Kritik an dem Verfahren?
Michael Buback: Bedrückend in der Rückschau ist die auch von vielen Prozessbeobachtern konstatierte Nähe von Anklage und Verteidigung, wie man sie eigentlich für Anklage und Nebenklage erwarten würde. Es ging sogar soweit, dass mir die Bundesanwaltschaft in der öffentlichen Verhandlung - in Anwesenheit von Verena Becker - vorgeworfen hat, dass ich die Wahrheit mit Füßen treten würde. Dies zeigt, dass es auch für einen Opferangehörigen keine Schonung gibt, wenn er konsequent auf bedenkliche Punkte hinweist und Klärung einfordert.
Sehr unbefriedigend ist, dass dem Gericht Akten vorenthalten wurden. Warum kann nicht verlässlich mitgeteilt werden, wann der Kontakt des Verfassungsschutzes mit Frau Becker zustande kam, nachdem nun klar ist, dass es diesen Kontakt gegeben hat. Warum wurde die Verfassungsschutzakte aus dem Jahre 1982 mit der Aussage der Quelle zum Karlsruher Attentat gesperrt, nachdem ihre Existenz im Jahre 2007 bekannt geworden war. Ist die Akte in 25 Jahren geheimer geworden?
Im Tresor bei Erich Mielke wurde ein erheblicher Aktenbestand zu Verena Becker gefunden. Warum wurden diese Unterlagen nicht in die Hauptverhandlung eingeführt? Es stellt sich die Frage, was so viel wichtiger ist als die Klärung der Ermordung eines Generalbundesanwalts und seiner beiden Begleiter und deshalb geheim gehalten werden muss.
Die Nebenklage hatte auch beantragt, die bei der Bundesanwaltschaft bereits zum Zeitpunkt des Attentats beschäftigten und mit der Klärung dieses Verbrechens befassten Beamten als Zeugen zu laden. Dies ist in keinem Fall gelungen. Die als Zeugen aufgetretenen Bundesanwälte waren entweder zum Zeitpunkt des Attentats noch nicht in der Behörde oder sie waren nach eigener Auskunft mit anderen Verbrechen befasst. Die Nebenklage musste auf sehr viele ihrer Anträge auf Zeugenladung als Entscheidung hinnehmen, dass es der Senat nicht als geboten sehe, dem Antrag nachzukommen.
Sie versuchen seit Jahren über den Rechtsweg Klarheit in Sachen Mord an ihrem Vater zu bekommen. Bisher hat das nicht so funktioniert, wie Sie es sich erhofft haben. Doch wenn man mal von der strafrechtlichen und juristischen Dimension absieht: Meinen Sie nicht, dass die Tat vielleicht auch den Täter belastet, er aber aus Angst vor Konsequenzen schweigt? Wie würden Sie reagieren, wenn Ihnen der bzw. die Täter in einem vertraulichen Rahmen die Wahrheit gestehen würde?
Michael Buback: Aus Respekt vor den Aussagen von mehr als zwanzig Augenzeugen, die von einer Frau auf dem Soziussitz des Motorrads berichtet haben, sollte man etwas vorsichtiger sein mit Formulierungen wie "den Täter" und "er". Nach Abschluss des Stuttgarter Verfahrens gegen Verena Becker und nachdem Günter Sonnenberg nicht mehr wegen des Karlsruher Attentats angeklagt werden kann, gehe ich davon aus, dass es zu keiner Klärung dieses Verbrechens und zu keiner Verurteilung der unmittelbaren Attentäter vor einem deutschen Gericht kommen wird.
Es ist ein Phänomen des Stuttgarter Prozesses, dass ausgehend von der Anklageschrift der Bundesanwaltschaft, in der Verena Becker vorgeworfen wird, "gemeinschaftlich mit anderen handelnd durch dieselbe Handlung am 7. April 1977 in Karlsruhe aus niedrigen Beweggründen und heimtückisch drei Menschen getötet zu haben" und trotz weiterer im Verlaufe des Prozesses zutage geförderter Hinweise auf ihre Mittäterschaft der Senat zur Überzeugung gelangt ist, Frau Becker sei definitiv nicht an der Karlsruher Tat beteiligt gewesen.
Ich werde andererseits von kompetenter Seite gefragt, was denn beim Karlsruher Attentat noch aufzuklären sei. Günter Sonnenberg und Verena Becker hatten, als sie in Singen verhaftet wurden, die Karlsruher Tatwaffe bei sich, für die sich in Verena Beckers Umhängetasche Munition befand. Sonnenberg hatte das Tatmotorrad ausgeliehen. Verena Becker hatte bei der Verhaftung außerdem einen Suzuki-Schraubenzieher bei sich, wie er im Bordset des Karlsruher Tatmotorrads als einziges Werkzeug fehlte.
Die Haarspur in einem der Täterhelme stimmt - nach Auskunft eines BKA-Dokuments - mit Haaren in Verena Beckers Haarbürste überein. Gehe es noch klarer, werde ich gefragt. Bei jedem "normalen Verfahren" würde dies zur Verurteilung der beiden wegen Mittäterschaft führen.
Es kommt hinzu, dass im Stuttgarter Verfahren sechs konkrete Hinweise auf die Karlsruher Tatbeteiligung von Verena Becker bekannt wurden, darunter sind zwei Zeugen, die persönlichen Kontakt zu Christian Klar hatten. Im Prozess wurden, wie erwähnt, zudem zahlreiche Zeugenaussagen bekannt, wonach eine Frau hinten auf dem Tatmotorrad gesessen habe. Sie stützen nicht die Feststellung im Urteil, zwei Männer hätten die Tat ausgeführt, wie sie nun zur juristischen Wahrheit erhoben worden ist.
Über die Gründe der Täter oder Mitwisser, die Wahrheit nicht zu offenbaren, kann ich nur spekulieren. Offensichtlich ist bei ihnen keine allgemeine Bereitschaft zur Kommunikation mit der Justiz vorhanden. Eine Rolle spielt sicher, dass Verena Becker Informantin des Verfassungsschutzes war.
Immerhin hat sie in einem abgehörten Telefonat davon gesprochen, dass sie die "Buback-Geschichte" aufschreiben wolle. Dazu kam es leider nicht. Sie wurde verhaftet. Bei einem zufälligen Zusammentreffen mit Frau Becker auf dem Stuttgarter Hauptbahnhof habe ich ihr gesagt, falls sie mit mir sprechen wolle, wäre ich hierzu bereit. Sie wusste, dass wir im selben Zug fahren würden, sodass sich gleich eine Gelegenheit geboten hätte.
Ein anderer Punkt noch: Was bringt es, wenn ich persönlich von Tätern ein Geständnis erhalte. Der Prozess in Stuttgart hat gezeigt, dass nur zählt, was vor Gericht mitgeteilt wird. Wenn uns Angehörigen privat ein Tatbekenntnis gegeben würde, wäre das in der Sache wenig hilfreich. Man könnte uns falsche Angaben oder Wunschdenken unterstellen. Meine Frau und ich haben nach der langen, intensiven und vorurteilsfreien Befassung mit dem Karlsruher Attentat ein klares Bild von Tat und Tätern. Ungeachtet davon würden wir es als bemerkenswertes Zeichen akzeptieren, wenn uns die Täter die Wahrheit sagen würden.

"Die Preisgabe der Wahrheit über das Attentat wäre ein wichtiger Schritt zu einer Versöhnung"

Was halten Sie von der Idee, dass es in Sachen terroristischer Verbrechen in Deutschland eine Wahrheits- und Versöhnungskommission nach südafrikanischem Vorbild geben sollte?
Michael Buback: Zunächst würde ich es mir wünschen, dass die für die Strafverfolgung zuständigen Stellen eine Klärung der schweren Verbrechen herbeiführen. Es ist bedrückend, dass kaum gesicherte Kenntnisse über die Täter bei den vielen der RAF zugerechneten Verbrechen vorliegen. Eine Ausnahme bildet der Anschlag auf Jürgen Ponto, vermutlich weil dessen Ehefrau die Tat von einem Nebenzimmer aus verfolgt hat.
Die Einrichtung von Wahrheitskommissionen bedeutet für mich auch das Eingeständnis, dass die Ermittler nicht in der Lage sind, die ihnen zugewiesenen Aufgaben zu erfüllen. Erst wenn die Ermittler und Staatsanwälte im Bemühen, Verbrechen aufzuklären, definitiv versagen, sollte man eine Wahrheits- und Versöhnungskommission als Option in Betracht ziehen. Allerdings werden auch dann kompetente Beamte benötigt, um sicherzustellen, dass sich niemand einer Tat rühmt, die er nicht begangen hat.
Dieser Fall ist ja durchaus realistisch. Knut Folkerts hat in dem gegen ihn geführten Prozess zum Karlsruher Attentat keine Argumente gegen seine Täterschaft vorgebracht, aber Jahrzehnte später in einem "Spiegel"-Interview durchaus nachvollziehbar erklärt, weshalb er nicht der Karlsruher Schütze gewesen sein könne.
Übrigens gibt es inzwischen mehrere wegen des Karlsruher Attentats verurteilte Personen, die alle, ohne nachteilige juristische Folgen befürchten zu müssen, die Wahrheit über das Attentat preisgeben könnten. Dies wäre ein wichtiger Schritt zu einer Versöhnung. Ich würde ihn sehr begrüßen.

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[1] https://www.heise.de/tp/features/In-diesem-Falle-wuerde-ich-fast-nichts-ausschliessen-3365783.html
[2] https://www.heise.de/tp/news/Mord-an-Siegfried-Buback-Gibt-es-einen-Fussabdruck-vom-Schuetzen-2021294.html
[3] http://de.wikipedia.org/wiki/Siegfried_Buback
[4] http://www.bild.de/politik/2010/politik/die-letzten-raetsel-des-mordes-an-siegfried-buback-teil-2-14132810.bild.html
[5] https://www.heise.de/tp/news/Oktoberfest-Attentat-Der-blinde-Fleck-2104410.html
[6] http://www.bild.de/politik/kolumnen/hugo-mueller-vogg/berlin-intern-kanzlerin-reagiert-auf-offene-briefe-verschlossen-17395870.bild.html
[7] http://blog.zdf.de/3sat.Kulturtube/author/michael_buback
[8] http://blog.zdf.de/3sat.Kulturtube/2013/01/25/buback-bloggt-tag-972/
[9] http://www.amazon.de/Damit-Staat-den-Menschen-dient-ebook/dp/B00BJLPW70/ref=dp_kinw_strp_1