"In diesem Falle würde ich fast nichts ausschließen"
- "In diesem Falle würde ich fast nichts ausschließen"
- "Man arbeitet mit Leuten, die eigentlich zu der Gruppe gehören, die man bekämpft"
- "Die Verhaltensweisen des hessischen Landesamts für Verfassungsschutz machen nur Sinn, wenn hier etwas passiert ist, was man unter dem Deckel halten möchte"
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Stefan Aust und Dirk Laabs über den Staat und die NSU. Teil 1
Die Affäre um die Terrorgruppe NSU, der bislang der Mord an zehn Menschen zugeschrieben wird, ist einer der größten Skandale der Bundesrepublik Deutschland. Nachdem die Existenz dieser Bande bekannt wurde, sind nicht nur zahlreiche Ermittlungsfehler der geheimdienstlichen und polizeilichen Institutionen, eine Unterwanderung des NSU-Umfeldes mit V-Leuten und diverse Kooperationen der Polizei und des Verfassungsschutzes mit den Neo-Nazis offenbar geworden - es ist auch an die Öffentlichkeit gedrungen, dass just in dem Augenblick, als die Affäre aufzufliegen drohte, in den Behörden umfangreich Akten geschreddert wurden. Im Laufe der Affäre wurde der Bundesverfassungsschutzpräsident in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Die Verfassungsschutzpräsidenten von Thüringen und Sachsen sowie die Leiterin der Abteilung für Verfassungsschutz der Senatsverwaltung für Inneres Berlin mussten zurücktreten.
Stefan Aust und Dirk Laabs haben in ihrem Buch Heimatschutz - Der Staat und die Mordserie des NSU auf 864 Seiten die Fakten zu dem Fall akribisch zusammengetragen und chronologisch geordnet. Teil 1 des Gesprächs mit den beiden Journalisten.
Haben Sie einen Überblick, wie oft im Zuge der NSU-Affäre Akten geschreddert und unterschlagen wurden? Wird man Ihrer Meinung nach dem Geschehen in den verschiedenen Behörden mit dem Begriff "Pannenserie" - auch angesichts ihrer Ermittlungsarbeit vor der Entdeckung des "Zwickauer Trios" - noch gerecht oder haben wir es hier eher mit einer organisierten Vertuschung zu tun?
Aust: Wir wissen natürlich nur das, was wir herausgefunden haben. Es gibt immer unbekannte und bekannte offene Fragen. Das heißt: Wie viel geschreddert worden ist, wissen wir nicht und können es auch nicht beantworten. Wir wissen nur, wie viel wir wissen.
Laabs: Wir haben uns mit der Aktenvernichtung beschäftigt und können nur sagen: Von allen Wahrscheinlichkeiten, ist die Möglichkeit, dass dies eine Panne oder Dummheit war, die unwahrscheinlichste. Sehr viel wahrscheinlicher ist, dass es geplant war. Ob dies zwischen den Ämtern abgesprochen war, ist eine andere Frage, aber beim Bundesamt sind wir uns relativ sicher.
Es wurde in Berlin umfangreich geschreddert, in Sachsen, Niedersachsen und im Bundesamt für Verfassungsschutz und bei letzterem und eigentlich auch in Berlin, muss man davon ausgehen, dass es kein Zufall war. Im Juli 2012, als die Nähe bestimmter V-Leute zum NSU in der Öffentlichkeit herauskam und für einen Riesen-Skandal sorgte, war die Aufregung im Bundesamt für Verfassungsschutz sehr groß. Die öffentliche Debatte darüber glitt aber später ins Diffuse ab, auch weil sie vom Bundesamt für Verfassungsschutz sehr geschickt gesteuert wurde, indem es behauptete, man könne die meisten Akten wieder herstellen. Der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses stellte klar, dass das nicht stimmt.
Alleine 137 Akten aus den Jahren 1993 bis 1994 aus den Werbe- und Forschungsbereich sind unwiederbringlich zerstört worden.
Aust: Diese Zahl bedeutet lediglich die Anzahl der Aktenordner. Wie umfangreich diese waren, wissen wir also nicht. Außerdem sind die Unterlagen des Bundesamts für Verfassungsschutz nicht durchnummeriert. Man weiß insofern auch nicht, was fehlt und was nicht. Als der Untersuchungsausschuss in Berlin Unterlagen zur Verfügung gestellt bekam, konnte er nicht mehr beurteilen, wie vollständig sie waren.
"Es kann dem Bundesamt für Verfassungsschutz kaum verborgen geblieben sein, dass die drei Untergetauchten irgend etwas mit dieser Mordserie zu tun hatten"
Kann man diese Form des Aktengebrauchs mit der Aussage des ehemaligen Vizepräsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Klaus-Dieter Fritsche in Korrelation setzen, der vor dem NSU-Ausschuss feststellte: "Es dürfen keine Staatsgeheimnisse bekannt werden, die ein Regierungshandeln unterminieren."
Aust: Ich denke, Herr Fritsche hat in seiner Aussage vor dem Untersuchungsausschuss aus Versehen das Problem auf dem Punkt gebracht: Ich kann das aus seiner Sicht auch nachvollziehen, denn natürlich hat kein Geheimdienst der Welt (und auch der Verfassungsschutz) kein Interesse daran, dass bekannt wird, wer seine V-Leute sind und was sie berichtet haben. Sonst könnten sie ihre Arbeit gleich einstellen. Aber in diesem Fall geht es um zehn Tote und einen weithin unaufgeklärten Vorgang. Denn das Ganze ist ja nicht dadurch aufgeklärt, dass die beiden mutmaßlichen Haupttäter Uwe Mundlos und Uwe Böhnhart tot aufgefunden worden sind.
Wenn es tatsächlich so ist (wie sehr viel darauf hindeutet), dass der Verfassungsschutz nach dem Mauerfall sehr frühzeitig erkannt hat, dass sich die rechtsradikale Szene im Osten so ausgeweitet hatte und militant geworden ist, dass sie eine große Gefahr darstellt, dann war es sein Auftrag, über diese Kreise Informationen zu sammeln. Das aber geht nach Lage der Dinge nur über V-Leute. Insofern kann ich nachvollziehen, dass der Verfassungsschutz - nachdem alles schief gegangen ist, als man die beiden tot in ihrem Camper aufgefunden hatte - einen großen Horror davor hat, dass möglicherweise bekannt wird, welche V-Leute er in der Umgebung des NSU platziert hatte.
Denn eines ist für mich absolut sicher: Es kann dem Bundesamt für Verfassungsschutz mit den Quellen, die es hatte, kaum verborgen geblieben sein, dass die drei Untergetauchten Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe irgendetwas mit dieser Mordserie zu tun hatten.
Laabs: Alles was man sich über das Bundesamt für Verfassungsschutz erzählt: Dass es eine Pannenserie gab, es auf dem rechten Auge blind sei und dass in der Behörde Chaos geherrscht habe, stimmt meiner Ansicht nach nicht. Alles ist sehr strukturiert abgelaufen, strategisch ist man stringent vorgegangen. Umso unwahrscheinlicher aber ist die Ausrede, dass man etwa im Bundesamt alles nicht mitbekommen hat ...
Aust: Sie waren sehr nah dran. Wie nah wissen wir aber nicht, weil sie offenkundig nicht wollen, dass es bekannt wird.
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