Scobel auf 3sat: Afrika als Schüler und Europa als Lehrmeister

Karte von Afrika im Umriss. Der Hintergrund ist dunkel, dass Innere ebenfalls, wenn auch leicht heller. Ländergrenzen sind kaum zu erkennen. Der Umriss des Kontinents ist mit einer dicken hellbaluen Linie markiert..

Bild: Durch KI generiertes Bild /Shutterstock AI

Woher kommen Rechtsruck und Rassismus? Sublime Tendenzen finden sich selbst im unverdächtigem Bildungsfernsehen. Eine kritische Analyse.

Viele westliche Staaten sind derzeit politisch auf dem Marsch nach rechts, angefangen bei der Nato-Führungsmacht USA mit dem Erdrutschsieg des Rechtspopulisten Donald Trump. Bei ihm wie bei den meisten ähnlichen Führungsfiguren ist ein mehr oder weniger verdeckter Rassismus die ideologische Basis.

Dazu kommt Sozialdarwinismus, der sich politisch gegen den Sozialstaat richtet, und eine konservative Rückwendung zum bewährten Patriotismus, der auf nationale Stärke setzt und sich oft militaristisch gibt.

Auch die hierzulande proklamierte Kriegstüchtigkeit braucht wohl neben klar konturierten Feindbildern ein Überlegenheitsgefühl, das im Westen spätestens seit der Kolonialzeit immer rassistisch grundiert war.

Unsere Medien lassen zwar immer mehr Nichtweiße vor die Kamera. Doch schaut man genauer hin, wird die zur Schau gestellte Multikulti-Offenheit manchmal fadenscheinig.

Afrikaner als Hauptziel von Rassismus

Zentral für rassistische Ideologien ist meist die Überlegenheit des Weißen über den Schwarzen, vor allem den Afrikaner. Haben unsere Medieneliten dieses kolonialistische Denken wirklich hinter sich gelassen? Sogar beim öffentlich-rechtlichen Wissenschafts-Papst Gert Scobel finden sich diesbezüglich irritierende Ausrutscher.

Scobel steht für akademischen Diskurs und kantische Ethik, nimmt Wissenschaftlichkeit und Vernunft für sich in Anspruch. Ausgewogenheit ist bei Scobel Programm und doch saßen in seiner gleichnamigen Sendung zum Thema "Aufbruch Afrika" zwei weiße Experten (Scobel eingerechnet) und eine weiße Expertin nur einer schwarzafrikanischen Informatikerin gegenüber.

Zum Vergleich: Beim Frauenthema Klitoris hatte Scobel sich dagegen drei Frauen eingeladen – und hätten dort drei Männer, sagen wir, neben Scobel ein Gynäkologe und ein Sexualforscher, nur einer Frau gegenüber gesessen, wäre uns das sicher unausgewogen vorgekommen.

Die Informatikerin Veye Tatah, die das Magazin "Afrika Positive" leitet, sah sich bei Scobel dem "Entwicklungsökonomen" und Migrationsexperten Rainer Thiele sowie Julia Grauvogel gegenüber. Letztere vorgestellt als Expertin für Sanktionen und "Legitimationsstrategien autoritärer Regime".

Durch dieses Framing war die Marschrichtung der Diskussion schon deutlich vorgegeben.

Veye Tatah schlug sich wacker

Veye Tatah schlug sich wacker, obwohl sie als Migrantin einen starken afrikanischen Akzent und auch mit der deutschen Grammatik zu kämpfen hatte. Das von Scobel gewählte Setting befriedigte damit auf der sprachlichen Ebene sublim rassistische Erwartungen.

Dass die Afrikaner Bildung nötig haben und diese ganz vorbildlich durch deutsche Entwicklungshilfe geleistet werde, musste sich Tatah ausgiebig anhören. Sie hielt dagegen mit der Frage, wie man es hier finden würde, wenn afrikanische Länder ihre Bildungsideen der deutschen Jugend mit erhobenem Zeigefinger andienen würden.

Nach 45 Minuten weitgehend ungetrübter Selbstbeweihräucherung deutscher Entwicklungshilfe durch die drei weißen Deutschen platzte die Bombe: Besser wäre es, so Veye Tatah, die sogenannte Entwicklungshilfe überhaupt einzustellen und stattdessen solle der Westen lieber endlich faire Preise für die afrikanischen Rohstoffe bezahlen, "ohne Kriege in den afrikanischen Ländern anzufangen, um die Produkte ganz billig rauszuholen". (45. Minute)

An dieser Stelle blickte Rainer Thiele mit aufgerissenen Augen verunsichert zu Scobel, der ähnlich entsetzt wirkte. Dieses Thema, die Durchsetzung westlicher Interessen mit Gewalt, wollte man offensichtlich nicht erörtern.

Thiele schien erleichtert, als Tatah dann fortfuhr über Gesundheit und andere Themen zu reden. Keiner ging auf die Kriege ein, die aus Veye Tatahs Sicht dem Westen bislang und bis heute die Ausplünderung Afrikas gesichert hatten.

Dies hätte auch der Darstellung der drei weißen Scobel-Diskutanten widersprochen, die heutige Ausbeutung allein auf afrikanische Despoten und deren Korruption zu schieben suchten. Die Frage, ob diese Despoten auch mit westlichen Intrigen an die Macht gekommen sein könnten, stellten sie sich nicht. Dabei ist nicht unbekannt, welches Schicksal viele Freiheitskämpfer gegen den westlichen (Neo-?) Kolonialismus ereilte.

Die Ermordungen von Patrice Lumumba und Ken Saro-Wiwa

Etwa den alternativen Nobelpreisträger Ken Saro-Wiwa (1941-95): Dass an dessen jahrelanger Inhaftierung, Folterung und schließlich Hinrichtung durch Nigerias Diktatur westliche Regierungen und Konzerne beteiligt waren, kann man annehmen. Denn "viele meinen, dass Shell eine Mitschuld daran trägt", wie sein Biograf Helon Habila berichtet.

Der Literat und Aktivist Ken Saro-Wiwa hatte an der Spitze seiner Ogoni-Befreiungsbewegung zehn Milliarden US-Dollar Entschädigung für Umweltzerstörung und Öl-Raub von den Ölkonzernen Chevron und Shell gefordert. Wiwa habe "der Welt gezeigt, dass Ölkonzerne vor nichts zurückschrecken" (Helon Habila).1

Scobel gab in seiner Sendung europäische Verbrechen durchaus zu, aber lieber solche, die verjährt, deren Täter inzwischen an Altersschwäche verstorben sind und die eher in den Geschichtsunterricht gehören.

So verwies er auf Bismarcks Afrika-Konferenz 1885 in deren Folge König Leopold II. von Belgien seine Kongogräuel beging, einen den Holocaust übertreffenden Völkermord. Dass von Leopold mit Massenord aus dem Kongo gepresstes Kautschuk das Wachstum der europäischen Autoindustrie maßgeblich ermöglichte, unterschlugen Scobel und seine Experten.

Für die Beantwortung der Frage, warum heute immer noch Coltan, Kobalt und Kupfer so billig aus dem Kongo kommen, wäre die Ermordung des ersten frei gewählten Präsidenten des Landes wohl wichtiger gewesen.

Patrice Lumumba (1925-61) starb durch eine Intrige von Belgiern, Briten und USA. Lumumba wollte die gewaltigen Reichtümer des Landes künftig zu fairen Preisen verkaufen und hatte sich nach Bombardierungen und Besetzungen der gerade erst "in die Freiheit entlassenen" Kolonie hilfesuchend an UNO und UdSSR gewandt.

Die CIA wollte Lumumba zunächst vergiften, man ließ den großen afrikanischen Freiheitskämpfer und Staatsmann dann jedoch lieber von Belgiern und einheimischen Schergen brutal zu Tode foltern –zur Abschreckung vor laufender Kamera.

Er sollte nicht der letzte afrikanische Staatschef bleiben, dem dies nach Widerstand gegen westliche Interessen widerfuhr. Zuvor hatten westliche Medien und Politiker in ihrer kriegsbegleitenden Propaganda Lumumba zum Psychopathen und sogar zum neuen Hitler erklärt.2

Wenn heute nicht der gewaltige Kongo, sondern der Sudan als schlimmster Krisenstaat der Welt gilt, könnte man ebenfalls nach westlicher Verantwortung fragen. An mangelnden Medikamenten sterben dort Zehntausende. US-Präsident Bill Clinton hatte in einem völkerrechtswidrigen Überfall im Sudan 1998 eine wichtige pharmazeutische Fabrikanlage bombardieren und zerstören lassen.

Die Al-Shifa-Fabrik in Nordsudan wurde von 1992 bis 1997 mühsam erbaut, aber schon 1998 durch die USA zerstört. Sie war mit 300 Mitarbeitern die größte pharmazeutische Einrichtung des Sudan und produzierte Medikamente gegen Malaria, Diabetes, Bluthochdruck, Geschwüre, Rheuma und Tuberkulose. Die Fabrik lieferte 50 bis 60 Prozent des sudanesischen Arzneimittelbedarfs und exportierte auch Produkte ins Ausland.

Angeblich hatte die CIA in deren Umgebung eine Chemikalie gefunden, die auch bei der Produktion von Chemiewaffen anfällt. Westliche Medien damals und Wikipedia noch heute mokierten sich darüber, ob Clinton damit nicht eher von seinem Lewinsky-Sexskandal ablenken wollte.

Lücken in der Darstellung

Bei Scobels Afrika-Sendung klaffen einige Lücken in der Darstellung. Die Auslassung dramatischer Belege für das Andauern nicht nur kolonialer Ausplünderung, sondern auch von deren gewaltsamer Durchsetzung durch westliche Eliten, lässt den Bildungssender 3sat nicht gut aussehen. Woher kommt die mediale Einseitigkeit?

Der Elitenforscher Michael Hartmann berichtet3, dass mehr als zwei Drittel der Journalisten aus den drei deutschen Elite-Journalistenschulen aus der höchsten von vier Herkunftsgruppen stammen, den Akademikern in leitender Position. Keiner stammte aus der niedrigsten, den kleinen Beamten, Angestellten und Arbeitern.

Zur Welt der Normalbevölkerung, geschweige denn zur unteren Hälfte, fehlt ihnen familiär einfach der Draht. Das entscheidende Problem in der Berichterstattung sind deshalb nicht eine bewusst verfälschte Darstellung oder böser Wille, sondern der durch eigene Situation und Herkunft verengte Blickwinkel.

Michael Hartmann

Dabei ist zu bedenken, dass Prof. Michael Hartmann mit den Machteliten keineswegs allzu hart ins Gericht geht, obgleich sein reißerischer Buchtitel "Die Abgehobenen. Wie die Eliten die Demokratie gefährden" lautet. Er bleibt sozusagen im Bestseller-Bereich unserer Verlags- und Medienwelt.

Seine Position dürfte etwa in der Mitte liegen zwischen einer euphorischen Glorifizierung der Machteliten bzw. ihrer Dominanz in liberalen Demokratien, wie etwa beim Bestseller-Autor und Politologie-Professor Philip Manow, und deutlicher Elitenkritik, wie wir sie bei H. J. Krysmanski fanden. Oder konkreter bei Werner Rügemer, der die Wirtschaftskriminalität der Geldeliten seit Jahrzehnten im Detail aufklärt und anprangert – von einer breiten Öffentlichkeit nahezu unbemerkt.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.