"In diesem Falle würde ich fast nichts ausschließen"

Seite 2: "Man arbeitet mit Leuten, die eigentlich zu der Gruppe gehören, die man bekämpft"

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In puncto Verfassungsschutz werfe ich jetzt einfach mal den Namen Reinhard Gehlen in die Runde und frage Sie, ob der Verfassungsschutz eine politisch neutrale Institution darstellt und in Sachen NSU politisch unbefangen vorgegangen ist ...

Aust: Ich halte es für vollkommen ausgeschlossen, dass der Verfassungsschutz noch in der Tradition der alten Geheimdienstler steht, die aus dem Dritten Reich in den BND und das Bundesamt für den Verfassungsschutz übernommen worden sind. Verrückte gibt es überall, aber dass es im Amt selbst Rechtsradikale gibt, halte ich für sehr unwahrscheinlich. Im Amt selbst gibt es keine Sympathien für rechtsradikale Bewegungen.

Laabs: Man ist aber den Objekten wahrscheinlich zu nah gekommen. Es gibt Aussagen im Untersuchungsausschussbericht, dass ein sehr wichtiger V-Mann-Führer, der für zwei Top-Quellen zuständig war, irgendwann nicht mehr einschätzen konnte, wie er diese Quellen zu führen hat. Wir sind weiter auf ein Buch eines Top-Analysten für den Verfassungsschutz gestoßen, der auch vor dem Untersuchungsausschuss ausgesagt hat, wo man teilweise schon sagen muss, dass er den Überblick darüber verloren hat, was er so schreibt.

Aust: Dieser Mann hat sich mit dem Rechtsrock und den Magazinen dieser Szene sehr intensiv beschäftigt und ihnen große Qualität bescheinigt. Hier fragt man sich manchmal schon, wie nah der dran war. Aber auch mir selber wurde, als ich mich mit dem Linksterrorismus beschäftigt und versucht habe zu verstehen, was sich dort abgespielt hatte, oft unterstellt, ich stehe der RAF nahe, weil ich mich so intensiv mit dem Thema beschäftige. Das war aber natürlich nie der Fall.

Bei den Verfassungsschützern kommt auch noch Folgendes hinzu: Ich als Journalist bin auch bereit, mich im Zweifel mit des Teufels Großmutter zu unterhalten: Ich würde jeden, den ich mir vorstellen kann, interviewen und habe beispielsweise ein langes Interview mit dem iranischen Präsidenten Mahmut Ahmenidschad geführt. Ich würde auch mit Herrn Mundlos, Herrn Böhnhardt (wenn sie noch leben würden) und Frau Zschäpe und im Zweifel mit Adolf Hitler persönlich ein Interview machen. Ich rede mit jedem.

Aber: Ich muss diese Leute auch nicht als V-Männer führen. Das heißt, ich finde es nicht verwerflich, dass sich der Verfassungsschutz mit rechten oder linken Extremisten beschäftigt und im Zweifel auch seine V-Leute dort führt, aber in dem Moment, in dem man einen V-Mann aus dieser Szene hat, steckt man mit einem Bein in Problemen, weil diese V-Leute eben Radikale und keine Polizisten sind, die im Untergrund abgetaucht sind und sich eine neue Identität geben habe lassen. Dass diese Leute mehr auf Seiten der extremistischen Organisation stehen, der sie angehören als des Verfassungsschutzes, ist in den meisten Fällen sehr deutlich geworden. Das ist das grundlegende Problem: Man arbeitet mit Leuten, die eigentlich zu der Gruppe gehören, die man bekämpft.

"Wir haben versucht, uns auf das beschränkt, was wir beweisen können"

Wie schlüssig ist für Sie das Szenario, dass sich Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt umgebracht haben sollen?

Aust: Das kann ich relativ einfach beantworten: Ich war nicht dabei. Es gibt eine Menge offener Fragen, insofern sind Zweifel an allem immer angebracht, aber wir haben uns ganz bewusst in dem Buch davor gehütet, alternative Theorien aufzustellen. Wir haben versucht, die Vorgänge, so wie sie uns bekannt sind, darzustellen und uns mit voller Absicht auf das beschränkt, was wir beweisen können. Wir weisen darauf hin, wo sich offene Fragen ergeben, aber wir haben keine Theorien aufgestellt.

"Alle drei wären potentielle V-Leute gewesen"

Wenn dem so ist, ist meine nächste Frage ein wenig für den Nikolaus: Für wie hoch halten Sie die Wahrscheinlichkeit, dass Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe selbst beim Verfassungsschutz angestellt waren? Ist eventuell das ein Grund, warum Frau Zschäpe im Prozess so beharrlich schweigt?

Aust: Auch das wäre der Versuch, ein Verhalten zu interpretieren, was wir nicht tun. Ich kann Ihnen nur sagen: In diesem Falle würde ich fast nichts ausschließen.

Laabs: Dass Frau Zschäpe schweigt, ist ihr gutes Recht - und als Verteidiger würde ich ihr auch dazu raten. Wenn es der Anklage schwer fällt, ihr etwas nachzuweisen, hätte sie nichts davon, zu reden. Im Untersuchungsausschuss wurde der Frage nachgegangen, ob die drei V-Leute waren, aber dafür gibt es keinen Beweis. Es gab aber das Anliegen, dass man Frau Zschäpe für sich gewinnen wollte - was auch Sinn macht, denn alle drei wären potentielle V-Männer,bzw. eine V-Frau gewesen. Wenn man sich die anderen V-Leute in dieser Szene ansieht, ist es ja nicht so, dass der Verfassungsschutz nicht mit Leuten wie Böhnhardt zusammengearbeitet hätte.

Aust: Was aus den Akten hervorgeht: Der MAD hat Mundlos bei der Bundeswehr einmal angesprochen und man hat angeblich darüber nachgedacht, Frau Zschäpe zu werben, dann aber davon Abstand genommen, weil sie psychisch zu labil war. Darüber, dass man wirklich einmal Böhnhardt angesprochen hätte, findet sich in den Akten nichts. Es gibt aber Vorgänge aus seiner frühen Jugend, wo sich wundert, warum er vom jeweiligen Gericht freigesprochen worden ist. Aber das beweist nichts.

Lassen die Umstände, wie sich Frau Zschäpe selbst gestellt hat, darauf schließen, dass ihr "die Düse gegangen ist"?

Aust: Dass sie Angst hatte, würde ich für sehr wahrscheinlich halten. Dass sie nicht Angst vor der Polizei hatte, halte ich auch für sehr wahrscheinlich, sonst hätte sie sich nämlich nicht gestellt. Wovor sie Angst hatte, weiß ich nicht. Keine Ahnung. Ich habe aber mindestens genauso viel Phantasie wie Sie. Solange wir uns mit dem Fall beschäftigen, denken wir darüber nach, dass manche losen Enden vielleicht anders besser zusammenpassen würden, das werden wir jedoch niemals offen tun. Aber dass es in diesem Fall viele offene Fragen gibt, ist ganz offenbar - und nach der Lektüre unseres Buches werden Sie noch viel mehr Fragen haben als vorher.

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