"In diesem Falle würde ich fast nichts ausschließen"

Seite 3: "Die Verhaltensweisen des hessischen Landesamts für Verfassungsschutz machen nur Sinn, wenn hier etwas passiert ist, was man unter dem Deckel halten möchte"

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Beim Mord an Halit Yozgat in einem Internet-Café 2006 in Kassel, will kein Zeuge Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gesehen haben. Die Pistole war aber die gleiche wie bei acht anderen NSU-Morden. Konnten Sie rekonstruieren, welche Rolle der ehemalige V-Mann Andreas Temme gespielt haben könnte, der kurz vor dem Mord am Tatort gesichtet wurde?

Aust: Andreas Temme war am Tatort und hat angeblich die Schüsse nicht gehört. Die Wahrscheinlichkeit, dass er die Leiche gesehen hat, ist aber sehr hoch, weil er ein sehr großer Kerl ist - und dass er zufällig dort gewesen wäre, wie er behauptet, kann er seinem Friseur erzählen. Alles weitere dazu ist aber beim bisherigen Forschungsstand Spekulation.

Laabs: Wir versetzen mit unserem Buch den Leser in die sehr komfortable Lage, dass er sich selbst ein Bild machen kann und es wird relativ klar, was in Wahrheit gelaufen sein könnte, ohne dass wir es explizit aussprechen: Dass er die Leiche gesehen hat, ist die wahrscheinlichste Variante. Ebenfalls unumstritten ist, dass der Verfassungsschutz in Hessen ihn nach dem Mord auf eine massive und massiv arrogante Art und Weise gedeckt hat, die einem als Demokraten das Blut in den Adern gefrieren lässt.

Aust: Die Verhaltensweisen des hessischen Landesamts für Verfassungsschutz unmittelbar nach dem Mord zu den polizeilichen Ermittlungen machen nur Sinn, wenn hier etwas passiert ist, was man unter dem Deckel halten möchte. Man wollte nicht, dass die Polizei herausbekommt, in welcher Szene sich Temme bewegte.

Laabs: Obwohl er sein Amt in einen riesigen und extrem peinlichen Skandal verwickelt hatte, hat er nie irgendwelche Probleme bekommen. Man hält bis heute zu ihm. Das ist sehr merkwürdig.

Aust: Auch wenn man davon ausgeht, dass er dort wirklich nur privat war, weil er in einem Internet-Café an einem Erotik-Chat teilnehmen wollte: Als er am nächsten Tag in der Zeitung gelesen hat, dass dort ein Mord geschehen ist, hätte er als erstes seinen Dienstvorgesetzten davon in Kenntnis setzen müssen, dass er dummerweise offenbar zu der Zeit in dem Internet-Café zugegen war, wo dieser Mord geschehen ist, aber leider davon nichts mitbekommen hat. Dass er es nicht getan haben soll, wie er selber behauptet, bietet meiner Ansicht nach genug Anlass, um ein Strafverfahren gegen ihn einzuleiten.

Läuft gegen Herrn Temme irgendeine Art von Ermittlung, momentan?

Laabs: Die Ermittlungen sind eingestellt worden. Das Disziplinarverfahren gegen ihn wurde übrigens erst dann eingeleitet, als klar war, dass die Presse von der ganzen Sache Wind bekommen hat.

Welche Rolle spielt eigentlich die Pistole bei den Morden, die ja anscheinend von unterschiedlichen Tätern benutzt wurde?

Aust: Wie im Terrorismus üblich wurde hier mit Gewalt kommuniziert. Das war aber für die Polizei ein Problem, insofern sie bei den Morden nicht von einer Terrorgruppe ausging, weil es keine Bekennerschreiben gab. Ich glaube dass die Ceska ein Signal war, quasi ein Bekennerschreiben. Ob das nur für innerhalb der Szene gedacht war, wissen wir nicht, aber die Ceska ist der deutliche Hinweis: Wir waren es.

Dass der letzte Mord an der Polizistin Michelle Kiesewetter eben nicht mit dieser Waffe begangen worden ist, zeigt ganz eindeutig, dass sie hier nicht wollten, dass ihre Täterschaft bekannt wird.

In Teil 2 des Interviews sprechen Stefan Aust und Dirk Laabs über Ungereimtheiten im Mordfall Michele Kiesewetter, Gladio und Parallelen zum Oktoberfestattentat.

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