Es wird zurückgeschossen

Ein von der Hisbollah veröffentlichtes Kriegsspiel will der Demütigung der islamischen und arabischen Länder in den westlichen Computerspielen etwas entgegen setzen und mit Unterhaltung für die Organisation und ihren Kampf werben

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Zuletzt wurde es bei den beiden US-Invasionen in Afghanistan und im Irak noch einmal besonders deutlich: Kriege werden nicht nur auf dem "Schlachtfeld" ausgetragen, sondern auch in der sogenannten "virtuellen Welt" der Medien. Wobei die Trennlinie zwischen beiden Breichen mehrfach aufgehoben wurde. Man könnte es als "Interaktionen" zwischen Realität und Virtualität bezeichnen, als das Büro von Al-Dschasira in Kabul bombardiert und internationale Journalisten in Bagdad von der US-Armee getötet wurden. Der Kontrolle des "common sense" wird mittlerweile eben alles untergeordnet und dafür möglichst auch an allen medialen Fronten gekämpft. Eine dieser neuen Fronten ist die Welt der Computerspiele, die zunehmend mit politisch motivierten "war games" bepflastert wird, die aktuelle militärische Konflikte adaptieren und sich an ein jugendliches, scheinbar noch "formbares" Publikum richten.

Die US-Armee selbst veröffentlichte letztes Jahr "America's Army: Operations", als würde es mit "Delta Force", "Counter Strike" oder "Desert Storm" nicht schon genug von solchen Spielen geben. In "Operations" muss der Spieler nach einem harten militärischen Training "Terroristen" in Irak und Afghanistan "eliminieren". Das übliche ideologische Szenario. Knapp 1,5 Millionen Menschen haben sich für dieses Spiel registriert. Von den 35.000 Menschen, die es täglich spielen sollen, würden laut US-Verteidigungsministerium zwischen 20 und 30% auch die Rekrutierungswebsite der Armee anklicken.

Das israelische Pendant zum US-amerikanischen Regierungsspiel ist "Israeli Airforce". Der Spieler ist Pilot eines israelischen Kampfflugzeuges, entweder im Krieg von 1967 oder während der Invasion des Libanons 1982. Einsatzgebiete sind verschiedene arabische Städte, wobei auch so nette Optionen wie "carpet bombing over Beirut" gewählt werden können. "Israel Airforce" bekam ausgezeichnete Besprechungen in einschlägigen Magazinen und Websites, in denen die "realistische Wiedergabe" der Fähigkeiten des israelischen Militärs gewürdigt wurde.

Im Februar diesen Jahres hat nun die libanesische Partei und Widerstandsorganisation "Hisbollah" mit Special Force ihre eigene Version eines "war game" auf den Markt gebracht, von der vor ein paar Tagen ein besser und schneller funktionierender Update erschienen ist. Die Zielrichtung ist klar. Man möchte, wie Bilal Zein vom Internetbüro der Hisbollah sagt, "der Dominanz von pro-westlich orientierten Spielen etwas entgegensetzen". Al-Dschasira lässt grüßen. Was man in den meist ausländischen, besonders amerikanischen Produktionen geboten bekäme, sei oft "eine Demütigung für islamische und arabische Länder". Die Toten seien arabische Soldaten und "der Held, der sie tötet, ist in der Regel ein Amerikaner".

Es macht Spaß, virtuell gegen die Israelis zu kämpfen

Was in westlichen Spielen der anonymisierte Feind ist, das passive Kanonenfutter, wird nun in "Special Force" selbst zum Akteur. Er ist nicht mehr der "zu vernichtende Terrorist", sondern der Widerstands- und Freiheitskämpfer. Wie sonst auch bei anderen Spielen üblich muss eine Trainingsphase erledigt werden, die eine Schiessübung u.a. auf Zielscheiben mit den Köpfen von israelischem Premierminister Ariel Scharon und Ex-Premierminister Ehud Barak beinhaltet. Danach gilt es einen israelischen Außenposten zu "neutralisieren", der von Heckenschützen, Minen und Panzern geschützt ist. Zum Schluss findet sich man in einem Kampf gegen israelische Truppen im Bekaa Tal. "Alles", sagt Bilal Zein, "basiert auf realen Ereignissen, die während der israelischen Invasion 1982 im Südlibanon stattgefunden haben." Der hauseigene Geheimdienst der Hisbollah lieferte dazu entsprechende Unterlagen.

"Wie bei allen anderen Computerspielen", gibt der Internet-Spezialist der Hisbollah zu, die die israelische und die US-Regierung gerne auf der offiziellen Liste von "terroristischen Organisationen" sehen würden, "geht es auch bei Special Force in erster Linie um Unterhaltung. Dann erst kommt die politische Botschaft." Und die ist klar: Es soll für Hisbollah als legitime Widerstandsorganisation im Kampf gegen die israelische Okkupation Werbung gemacht werden. Im Libanon (und natürlich auch in anderen arabischen Ländern) rennen sie damit offene Türen ein. Ob Christen oder Moslems, alle sind sich einig: Hisbollah ist die einzige Organisation, die für die Integrität ihres Landes sorgt.

"Hisbollah hat die Israelis aus dem Libanon vertrieben", sagt ein Taxifahrer, "sonst wären sie immer noch hier oder würden aus- und einspazieren, wie es ihnen passt." Eine Meinung, die man allerorten hört und nach den blutigen Invasionen der israelischen Armee durchaus verständlich ist. "Klar, mir macht Special Force Spaß", sagt Bassam, ein Jugendlicher aus Beirut, "gegen die Israelis zu kämpfen, als Widerstandskämpfer, ist doch eine gute Sache. Und sterben tut man dabei auch nicht."

Bisher wurden von Special Force rund 15.000 Stück verkauft, hauptsächlich im arabischen Raum nach Syrien, Iran, Dubai, Kuwait oder in die Vereinigten Arabischen Emiraten. Nach Europa und Australien sind laut Kessan Ghaddar, dem Manager der Vertriebsgesellschaft Sunlight, insgesamt nur rund 1.000 Stück verkauft worden. Trotzdem regt sich in der westlichen Welt der stärkste Protest gegen das Spiel. In Großbritannien, wohin man rund 200 Kopien lieferte, wurde es von den jüdischen Organisationen aufs schärfste verurteilt. "Es ist traurig", sagte Neville Nagler, der Leiter des Board of Deputies of British Jews, "dass so viele Menschen in diesem Land dieses Spiel spielen". In Australien nannte es Labour MP Michael Danby "entmenschlichend", es würde "junge Menschen dazu ermutigen, an Selbstmordattentaten und an Angriffen gegen Menschen aus dem Westen teilzunehmen".

Für Bilal Zein vom Internetbüro der Hisbollah sind das die "typischen westlichen Doppelwertigkeite." "In Special Force", so erklärt er, "werden keine Zivilisten getötet, es gibt nur Soldaten. Vergleichen Sie doch das mal mit anderen Spielen."

Der Schutz von Zivilisten gehört nach dem Koran im Krieg zur ersten Moslempflicht. Ein Gebot von oberster Priorität für eine so religiös orientierte Organisation wie die Hisbollah, im Spiel wie in der Realität. Entsprechend hieß es auch bei dem ersten arabischen Computerspiel vor einem Jahr, "Under Ashes", wo ein palästinensischer Junge aus der Intifada zum Kämpfer wird, "Game over!", sobald ein israelischer Zivilist getötet wurde (Mit Ahmed in den Krieg gegen Israel).

"Wer nicht in das westliche politische Raster passt", meint Bilal Zein weiter, "wird sofort als Terrorist gebrandmarkt. Für uns ist die Sache ist klar, wenn ein andres Land gewaltsam besetzt wird, gibt es das Recht auf Widerstand. Und das haben wir versucht, mit dem Spiel darzustellen."

Das Recht auf Widerstand hat nach "Hisbollah-Philosophie" mit einer Welt zu tun, die, ähnlich dem Marxismus, antagonistisch verstrickt ist. Es gibt die "Unterdrücker" und die "Unterdrückten". Nimmt die Unterdrückung existenzbedrohende Ausmaße an, dann und nur dann gibt es das Recht auf Widerstand, wie in Palästina oder eben im Libanon. Im Gegensatz zum Marxismus, ist es nicht die Diktatur des Proletariats, das ein irdisches Paradies einläutet, sondern ein islamischer Staat, Marke Ayatollah Khomeini.

Über zwei Jahre dauerte die Entwicklung von Special Force. Die Idee dazu kam unmittelbar nach der Vertreibung der Israelis aus dem Südlibanon im Jahr 2000. Das Spiel ist offensichtlich ein "Erinnerungsstück" an den "großen" und auch einzigen Sieg über den "Überfeind" Israel, der die Hisbollah nicht nur im Libanon, sondern im gesamten arabischen Raum so bekannt und beliebt machte. Ein modernes technologisches Zeugnis, das sich mit den islamischen Werten verträgt?

Wir haben kein Problem mit westlicher Technologie. Das ist für uns einfach Handwerkszeug, auch wenn es aus Israel kommen sollte. Kein Problem. Warum auch, Islam bedeutet Wissen. Es sind die Ideen, die mit den neuen Medien kommen, die nicht gut sind.

Bilal Zein

Und was ist dann mit dieser westlichen Idee von Unterhaltung, die von Computerspielen transportiert wird, auf Wiederholungszwang setzt und in Kombination mit politischen Botschaften besonders manipulierend wirkt?

Sehen Sie, für uns gibt es zwei Teile, wobei die Prinzipien des einen, heilig und unumstößlich sind. Der andere Teil ist flexibel, Dinge kommen und gehen, wie Technologien. Da kann man nichts verlieren.

Bilal Zein

Entsprechend der etwas vereinfachenden religiösen Zweiteilung, wie eben bei allen Schwarz-Weiß-Malereien, gibt es aus Mangel an Komplexität, den Hang zur Theatralik. Bei Special Force bekommt man nach erfolgreicher Trainingsabsolvierung eine Medaille und findet sich am Ende plötzlich in einer Allee der Märtyrer wieder. Trotz ist das Spiel weit weniger blutrünstig und "unmenschlich" wie andere Kriegsspiele amerikanischer und israelischer Provenienz, ganz zu schweigen von diversen Alien-Jagden, Weltkrieg II - und Nazi-KZ-Spielen, die übrigens frei übers Internet verfügbar sind. Und mit "yaallah" bekommt man bei Special Force ewiges Leben im Kampf gegen die Besatzungsmacht.