"Europa muss sich endlich von den USA emanzipieren"

Seite 2: "Die USA verfolgen vollkommen egoistisch ihre Interessen"

Herr Flassbeck, im Zuge der China-Reise von Bundeskanzler Olaf Scholz haben Wirtschaftsvertreter vor einer Abkehr von China gewarnt. Sollte das so geschehen, nachdem man mit Russland auch wirtschaftspolitisch schon gebrochen hat: Wer bleibt dann noch?
"Wir streben eine enge transatlantische Abstimmung in der China-Politik an und suchen die Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Ländern, um strategische Abhängigkeiten zu reduzieren", haben Grüne und FDP in den Koalitionsvertrag geschrieben. Was würde das bedeuten und wie realistisch ist so ein Weg?

Heiner Flassbeck: Es ist ein zum Scheitern verurteilter Versuch, die "Abhängigkeit von China" einseitig zu verringern. Deutschland hat zu den großen Profiteuren der Globalisierung gehört und kann dabei nur verlieren. Außer dem verzweifelten und unsinnigen Versuch der US-amerikanischen Administration, die amerikanische Hegemonie zu verteidigen, gibt es ja auch keinen Grund für eine Kursänderung gegenüber China.

Die Grünen insbesondere sind in einem transatlantischen Kadavergehorsam gefangen, ohne auch nur eine Sekunde über die berechtigten und eigenständigen Interessen Europas nachzudenken.

"Nicht kritiklos folgen"

Europa muss sich endlich von den USA emanzipieren und erwachsen werden, statt noch einige Jahre oder gar Jahrzehnte den ohnehin nicht haltbaren US-amerikanischen Träumen von einer immerwährenden Hegemonie in wirtschaftlichen und militärischen Fragen kritiklos zu folgen.

Die USA verfolgen vollkommen egoistisch ihre Interessen und setzen sie mit fast allen denkbaren Mitteln durch. Wie naiv muss man sein, um sich dabei ohne Rücksicht auf die eigenen Interessen im Namen einer "transatlantischen Abstimmung" mitziehen zu lassen?

In Fragen von Russland und China ist das politische und mediale Klima ungemein polarisiert, auch in den Medien. Sie haben indes eine wirtschaftspolitische Kolumne bei Telepolis begonnen. Warum dieses Medium?

Heiner Flassbeck: Es ist gut, dass es mit Telepolis ein Medium gibt, das sich nicht dem medialen Gleichschritt, der schlicht unerträglich geworden ist, anschließt.

Wenn wir die harte sachliche Auseinandersetzung bei zentralen Fragen beenden, ist auch die Demokratie am Ende.