Europäische Phalanx gegen Russland schwächelt in Griechenland
Berichterstattung mit deutlichen Unterschieden zu anderen Staaten der Union. Regierende Nea Dimokratia mit Putin-Partei verbunden
In Griechenland waren Vertreter des Senders Open TV unlängst dazu gezwungen, sich öffentlich in besonderer Deutlichkeit von Russland zu distanzieren. Grund war ein vorheriges ausdrückliches Lob ihrer Kriegsberichterstattung durch die russische Botschaft in Athen.
Ein griechischer Journalist bekam Morddrohungen, weil er in einer Radiosendung über das rechtsradikale ukrainische Asow-Regiment berichtete.
Die Beispiele zeigen: Die Lage in den griechischen Medien ist angesichts des Krieges in der Ukraine überaus kompliziert. Die Rede des ukrainischen Staatspräsidenten Wolodymyr Selenskyj im griechischen Parlament am Donnerstag wird daher ein Publikum mit einer äußerst heterogenen Einstellung erreichen.
Aus einschlägigen Umfragen ist erkennbar, dass die europäische Phalanx gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin in Griechenland eine ihrer Schwachstellen hat. Bei den Sanktionen und der humanitären Hilfe sieht es anders aus. Die überwältigende Mehrheit der Griechen unterstützt beides.
Die zehn größten Städte der Ukraine (21 Bilder)

Eine am 21. März veröffentlichte Umfrage von Public Issue besagt, dass 69 Prozent der Griechen das Handeln der Regierung im Hinblick auf den Krieg verurteilen. 67 Prozent lehnen Waffenlieferungen ab, 23 Prozent lehnen die Invasion nicht ab. 39 Prozent halten es für falsch, dass die Regierung den Krieg verurteilt. 65 Prozent sehen Griechenlands Rolle in der Neutralität, 26 Prozent wollen aktive Hilfe der Ukraine, während sich drei Prozent Hilfe für Russland wünschen.
Was auf den ersten Blick so aussieht, als würden Menschen leichtfertig einen Angriffskrieg relativieren oder gar entschuldigen, hat viel mit dem durch Politik und Medien vermittelten Informationsstand bezüglich der Ukraine und Russland zu tun.
Jahr der gemeinsamen Geschichte Griechenlands und Russlands
Zudem begann ausgerechnet im Juli 2021 das "Jahr der Geschichte Griechenlands und Russlands", ein Gedenkjahr mit zahlreichen geplanten gemeinsamen Veranstaltungen, in denen die gegenseitigen historischen Einflüsse und Allianzen der beiden Länder behandelt werden, Dies geschieht mit Blick auf eine intensivere wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Seit 2011 ist die regierende Nea Dimokratia mit der Partei von Putin, Geeintes Russland, in Partnerschaft verbunden. Der spätere EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos hatte in Moskau eine entsprechende Vereinbarung mit dem damaligen Vorsitzenden der Duma und heutigem Botschafter Russlands in Weißrussland, Boris Gryslow, unterschrieben.
Vor den Parlamentswahlen 2019, aus denen er siegreich hervorging, und somit nach der russischen Annexion der Krim, bekräftigte der heutige griechische Premier Kyriakos Mitsotakis als Parteichef der ND die Partnerschaft und seinen Willen zu engen Beziehungen mit Russland – trotz der Nato- und EU-Mitgliedschaft Griechenlands, wie er betonte.
Noch am 17. Februar bekannte sich das russische Außenministerium dazu, mehr Erdgas nach Griechenland exportieren zu wollen. Am 18. Februar, nach dem Treffen des griechischen Außenministers Nikos Dendias mit seinem russischen Amtskollegen Sergei Lawrow, bekräftigte Dendias, nicht ohne Russland vor einer Invasion in die Ukraine zu warnen, die Absicht der Erweiterung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit.
Zudem erhoffte sich Dendias russische Unterstützung im Konflikt mit der Türkei, welche die Demilitarisierung griechischer Ägäisinseln verlangt. Auch beim jahrzehntealten Konflikt um die Insel Zypern sicherte Lawrow zu, dass Russland keine türkische Republik im Nordteil der Insel anerkennen wolle.
Open TV und die Empfehlung
Die russische Botschaft in Athen also twitterte am 6. März eine Empfehlung an griechische Fernsehzuschauer: "Schauen Sie, wenn Sie etwas anderes als die Lügen-Propaganda über die Lage in der Ukraine sehen wollen" – und verlinkte ein Video aus dem Youtube-Kanal des Senders Open TV.
Tatsächlich gibt es dort täglich über mehrere Stunden Berichte über den russischen Angriffskrieg. Der Sender hat Teams ins Kriegsgebiet entsandt, die lange auch aus Mariupol berichteten.
Aus Moskau sowie aus Rostow berichtet Thanassis Avgerinos, aus Berlin Pantelis Valassopoulos, aus Washington Michalis Ignatiou. Dazu kommen als Gäste im Studio oder virtuell zugeschaltet ehemalige Admiräle oder Generäle der griechischen Streitkräfte, Politiker, Analysten sowie Journalisten.
Avgerinos gibt das wieder, was in Russland von der dortigen Politik und den Medien berichtet wird. Meistens kommt er bei seinen Ausführungen nicht über Schlagzeilen und kurze Andeutungen hinaus, er wird entweder von Ignatiou oder Valassopoulos unterbrochen.
Die beiden haben in solchen Fällen entweder eine "Meldung der letzten Minute" oder aber, wie bei Ignatiou üblich, eine brisante Information eines "hochrangigen Regierungsvertreters", dessen Namen oder Funktion Ignatiou nie nennt. Valassopoulos wartet oft mit Nachrichten oder Features der Bild auf, wie den Interviews, die Paul Ronzheimer regelmäßig mit den Klitschkos führt.
Die übrigen geladenen Gäste versuchen eine Theorie, oder eine Analyse der Lage darzulegen, werden aber regelmäßig von den Moderatoren unterbrochen. Das Rezept dieser Sendungen wird abgerundet mit Live-Schaltungen zu den Korrespondenten in der Ukraine. Die Videos der Schaltungen werden im Lauf der Sendungen teilweise wiederholt.
Im Prinzip sind weder das Sendungsformat noch die regelmäßigen Unterbrechungen des Rede- und Gedankenflusses der Teilnehmer etwas Besonderes im griechischen Fernsehen. Auch die Darstellung der russischen Sicht der Dinge bei Open TV ist kein Unikum.
Ähnliches macht der Korrespondent des Senders Mega TV Dimitris Liatsos, der aus Russland berichtet. Das, was bei Open TV etwas anders ist, sind regierungskritische Töne sowie die Streitgespräche von Avgerinos und Valassopoulos.
Berlin vs. Moskau als Duell der Korrespondenten
Diese münden, kurzgefasst, in verbalen Konfrontationen zwischen den Narrativen von Nato und Russland. Obwohl, oder vielleicht weil Avgerinos es vermeidet, die russische Propaganda nur nachzuplappern, und weil Avgerinos bei diesen Streitgesprächen seine Ruhe nur selten verliert, sind dessen Beiträge bei einem großen Kreis von Nato-kritischen Zuschauern sehr beliebt.
Krieg im Donbass (12 Bilder)

Avgerinos, der seit mehreren Jahrzehnten aus Russland berichtet, verfügt über umfangreiches Detailwissen europäischer Politik. Er bedient zudem die bis zur Invasion in Griechenland vorherrschenden Narrative und wirkt dadurch für die Zuschauer oft intellektuell überlegen. Avgerinos kommt zudem die Tatsache zugute, dass seine Erzählungen den Griechen bekannter vorkommen als die Ausführungen von Valassopoulos.
Valassopoulos trägt zudem mit unglücklichen Stellungnahmen selbst zu seinem Image bei. Die Entscheidung Putins, in die EU exportiertes Erdgas nur mit Rubel bezahlen zu lassen, deutete er als Beitrag zu einer Verstärkung der Inflation des Rubels. Er meinte, nun müsse Putin Rubel drucken lassen, damit die EU-Staaten diese kaufen könnten. Als würden Erdgasgeschäfte mit Russland in bar beglichen.
Besitzer von Open TV ist Ivan Savvidis, ein aus Russland stammender Grieche, der bereits für die Partei von Wladimir Putin als Abgeordneter in der Duma saß. Savvidis besitzt neben Open TV weitere Medien.
Er hält zudem die Mehrheit am privatisierten Hafen von Thessaloniki und hat vor allem in Nordgriechenland Industrieunternehmen und Hotels erworben. Überdies ist er, typisch für griechische Oligarchen, Besitzer eines beliebten Fußballvereins, Paok Thessaloniki.
Kurz nach dem Lob der russischen Botschaft kamen Gerüchte auf, Savvidis sei krank und würde den Sender verkaufen. Die Gerüchte wurden von Savvidis heftig dementiert. Die Affäre rund um Open TV, Savvidis und die Botschaft schaffte es sogar in die britische Boulevardpresse.
Vor einem Jahr war alles anders. Savvidis eröffnete in Rostow, wo es eine große griechische Minderheit gibt, mit der ersten Kulturveranstaltung das Freundschaftsjahr Griechenlands und Russlands zur gemeinsamen Geschichte und wurde gefeiert.
Heute öffnete er seine Hotels für Geflüchtete aus Mariupol. Im Luxushotel Porto Carras auf der Halbinsel Chalkidiki möchte er allerdings nur die Ukrainer mit griechischer Abstammung unterbringen.
Vorkriegsberichte in Griechenland meist pro Russland
Die Berichte über die Ukraine waren in Griechenland in den vergangenen Jahren geprägt von der Kritik an rechtsextremen Tendenzen im Land. So gab es zum Beispiel anlässlich der Fußballeuropameisterschaft im vergangenen Jahr zahlreiche kritische Veröffentlichungen zum Gruß "Slawa Ukrajini", der auf den Trikots der Nationalmannschaft prangte.
Für griechische Medien war dies ein direkter Verweis auf die Gesinnung der Nazis, beziehungsweise ihrer Kollaborateure.
Frühere Berichte über diesen Gruß im deutschsprachigen Raum wägen dagegen ab und schreiben über eine "dunkle Vergangenheit" des umstrittenen Grußes, der zuletzt mit der Euromaidan-Bewegung in Verbindung gebracht wurde.
Berichte über rechtsextreme Gruppen in der Ukraine gab es bis zum 24. Februar 2022 regelmäßig. Heute ist das für die Journalisten schwieriger. Der Radiojournalist Thomas Sideris hatte nach Beginn des Krieges in einer Radiodokumentation beim staatlichen Rundfunk ERT das Asow-Regiment vorgestellt und kritisch betrachtet. Hinterher erhielt er Morddrohungen.
Dass es in Russland, analog zum Asow-Regiment, auch bewaffnete, rechtsextreme paramilitärische Söldnertruppen wie die Wagner-Gruppe gibt, wurde in Griechenland in der Berichterstattung eher ausgeblendet. Schließlich kämpften Wagner-Söldner an der Seite von Chalifa Haftar im libyschen Bürgerkrieg.
Und der von Russland gestützte Haftar war der von der griechischen Regierung favorisierte Warlord im Bürgerkrieg, weil der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan dessen Gegner, die sogenannte Einheitsregierung, favorisierte und mit dieser zu Lasten Griechenlands ein Memorandum über die Nutzung fossiler Energievorkommen in der Ägäis abschloss.
Kritiklos feierten damals die heute russlandkritischen Medien jeden militärischen Erfolg des umstrittenen Warlords Haftar, dem von Außenminister Dendias vollste Unterstützung versprochen wurde.