Europas Energiekrise: Zwischen Ideologie und leeren Gasspeichern

Die Gasleitung ist gelb mit zusätzlichen Geräten, Rohren und einem Ventil zum Absperren der Gaszufuhr. Vor dem Hintergrund der Unschärfe ist ein Bild der Gasverdichterstation

(Bild: 63ru78 / Shutterstock.com)

Europa steckt seit Jahren in der Energiekrise. Gasspeicher leeren sich, Preise könnten bald wieder steigen, die Versorgung wackelt. Ein Kommentar.

Die europäische Energiekrise geht in ihr viertes Jahr, heißt es bei Bloomberg. Und das führt dazu, dass sowohl die Energiepreise als auch die Versorgungssicherheit in Wahlkämpfen eine zunehmend wichtige Rolle spielen. Ein zentraler Punkt in der Debatte ist auch, ob es sich die europäischen Länder überhaupt leisten können, auf den Kauf von russischem Gas zu verzichten, so wie es bisher vorgesehen ist.

Der Zollkrieg, den US-Präsident Donald Trump gegen China gestartet hat, lindert aktuell die Situation. Chinesische Importeure leiten ihre Lieferungen von US-Flüssiggas (LNG) in andere Regionen um, was auch in Europa zu einem höheren Angebot und zu sinkenden Preisen führen kann. Wie lange dieser Effekt anhalten wird, ist allerdings noch unklar.

Gasspeicher aktuell ausreichend gefüllt – aber wie sieht es Ende 2025 aus?

Sorgen bereitet nicht die aktuelle Versorgungslage: Die Gasspeicher sind aktuell (Stand: 4. Februar 2025) zu knapp 51 Prozent gefüllt. Eine akute Mangellage dürfte damit in diesem Winter nicht mehr auftreten. Aber im nächsten Winter könnte die Situation anders aussehen und die Gaspreise könnten dann durch die Decke gehen.

Es wird geschätzt, dass europäische Gasspeicher Anfang April nur noch zu 30 bis 35 Prozent gefüllt sind, was deutlich unter den Werten der beiden vergangenen Jahre liegt. Da betrugen die Füllstände 55 bis 60 Prozent.

Das bedeutet, dass deutlich mehr Gas eingekauft werden muss, um die EU-Vorschriften einzuhalten. Zum 1. November müssen die Speicher einen Füllstand von 90 Prozent erreichen. Mussten dafür in den vergangenen beiden Jahren etwa 450 Terawattstunden (TWh) Erdgas eingekauft werden, sind es nach Angaben von Bloomberg jetzt 750 TWh.

Preisparadox: Warum Gashändler die Speicher nicht füllen wollen

Im Normalfall ist das Gas im Sommer günstiger, weil der Verbrauch geringer ist. Für Gashändler wird es dadurch wirtschaftlich, günstiges Sommergas in Speichern zu lagern und im Winter zu einem höheren Preis zu verkaufen. Der Unterschied machte zuletzt knapp zwei Euro je Megawattstunde (MWh) aus.

Doch der Markt wird in diesem Jahr wohl nicht mitspielen: Gas-Futures für den Sommer liegen deutlich über den Werten der Vorjahre. Sommergas notiert laut Bloomberg etwa fünf Euro pro MWh über dem Winterpreis. Für Gashändler wäre das ein Minusgeschäft, weshalb sie auch wenig Interesse daran haben, die Gasspeicher zu füllen.

Risikoreiche Strategie: Speicherziele senken oder subventionieren?

Und so stehen die europäischen Länder vor der schwierigen Entscheidung, wie sie mit der Lage umgehen sollen. Einige drängen darauf, die Speicherziele abzusenken. Deutschland, die Niederlande und Italien befürworten schwächere Vorgaben, während die EU-Kommission an den bisherigen festhalten will.

Allerdings ist diese Option mit einigen Unwägbarkeiten verbunden, etwa die Gasnachfrage in Asien. Außerdem müssten noch einige LNG-Terminals in Betrieb gehen, um die benötigten Mengen an Erdgas quasi just-in-time anzulanden. Doch woher sollen die notwendigen LNG-Mengen kommen, wenn man noch zusätzlich auf Flüssiggas aus Russland verzichten möchte?

Das Absenken der Speicherziele gleicht auch einer Wette darauf, dass der nächste Winter wieder mild wird. Sollte es wieder ein normal-kalter Winter werden, stünde Europa vor denselben Herausforderungen wie in dieser Heizsaison, aber dieses Mal mit geringeren Reserven, einem umkämpften Markt und wohl zu wenigen LNG-Terminals.

Eine weitere Option wäre, Gaskäufe massiv zu subventionieren. Laut Bloomberg erwägt etwa die Bundesregierung in Berlin, Hunderten Millionen Euro dafür auszugeben, das Geschäft der Gashändler rentabel zu halten.

Europas energiepolitische Selbsttäuschung

Diese Option würde aber bedeuten, dass die Steuerzahler für eine Energiepolitik aufkommen müssten, die mehr von Ideologie als von rationalen Erwägungen bestimmt war. Bei Bloomberg heißt es dazu:

Europa befindet sich aufgrund energiepolitischer Selbstgefälligkeit in einer Krise – wieder einmal. Zwei Jahre lang hat sich der Kontinent selbst etwas vorgemacht und geglaubt, sein Gasproblem gelöst zu haben. Ich nannte es eine Form von Gaslighting; es wurde ein Nachfragerückgang, der durch eine Kombination aus Wetterglück und der katastrophalen Deindustrialisierung der Industrie ausgelöst wurde, fälschlicherweise als strategischer Erfolg interpretiert.

Es war ein Unfall, der nur darauf wartete, zu geschehen – und er geschah. Es brauchte nur einen normalen Winter – keinen kalten – um die Anfälligkeit des Gleichgewichts von Angebot und Nachfrage bei der Gasversorgung aufzudecken. Der Verlust von russischem Pipelinegas über die Ukraine war dabei nicht hilfreich, ebenso wenig wie mehrere Wochen mit windstillem Wetter, die die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien senkten und eine verstärkte Stromerzeugung aus Gas erforderlich machten.

Mit jedem Monat, den der Krieg in der Ukraine noch dauert, und mit jedem Monat, den man sich in Europa den energiepolitischen Realitäten verweigert, wird die Polarisierung in der Gesellschaft weiter vorangetrieben.

Wie die Historikerin Katja Hoyer in der britischen Zeitung Spectator schreibt, sind es nur die beiden populistischen Parteien, AfD und BSW, die sich darum bemühen, die Gaslieferungen aus Russland nach Europa dauerhaft zu sichern. Aber jede neue Bundesregierung wäre mit diesem energiepolitischen Druck konfrontiert. Und mit der Realität.