Europas Gasbranche meidet ukrainische Speicher wegen Kriegsrisiken

Teil der Gas-Pipeline Nord Stream

(Bild: Kletr / Shutterstock.com)

Europas größte Gasspeicher bleiben weitgehend leer. Russische Angriffe schrecken Händler ab. Wird die Ukraine ihre Rolle als "Energiebank" Europas verlieren?

Die Ukraine verfügt über die größten Gasspeicher Europas und könnte damit zur Energiesicherheit Europas beitragen. Doch europäische Gashändler zeigen in diesem Jahr nur wenig Interesse, ihr Gas in den unterirdischen Speichern des kriegsgebeutelten Landes einzulagern.

Ukrainische Speicher als Überfluss-Puffer

In den vergangenen Jahren war das noch anders. Gerade wenn die Gashändler auf dem Markt mit einem Überangebot an Erdgas konfrontiert waren, lagerten sie Gas in der Ukraine ein. Im Jahr 2020, als die Gasspeicher in der Europäischen Union voll waren und auf dem Markt ein Überangebot herrschte, lagerten die Gashändler rund zehn Milliarden Kubikmeter Erdgas in der Ukraine.

Nach dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine im Jahr 2022 waren die ukrainischen Gasspeicher weitgehend leer. Wohl auch deshalb bot die Ukraine im vergangenen Jahr den europäischen Händlern rund zehn Milliarden Kubikmeter zusätzliche Speicherkapazität an. Verbunden mit diesem Plan war das Ziel der Regierung in Kiew, das Land zur "Energiebank" Europas zu machen. Die EU-Staaten griffen zu, speicherten im Jahresverlauf aber nur etwas mehr als zwei Milliarden Kubikmeter.

Russische Angriffe erhöhen Risiko für Gasspeicherung

Die ukrainischen Gasspeicher verlieren in diesem Jahr deutlich an Bedeutung für die europäische Energiesicherheit. Grund dafür sind die russischen Angriffe im Frühjahr, bei denen unter anderem die Pumpanlagen der Speicher ins Visier genommen wurden.

"Die anhaltenden russischen Angriffe auf ukrainische Gasspeicher erhöhen das Risiko der Gasspeicherung", sagte Marco Saalfrank, Leiter des kontinentaleuropäischen Gashandels beim Energiekonzern Axpo, der Financial Times (FT).

Zwar liegen die eigentlichen Gastanks sicher tief unter der Erde. Doch Schäden an den oberirdischen Anlagen, mit denen das Gas ein- und ausgepumpt wird, stellen laut Saalfrank ein wesentliches Risiko dar: "Das Hauptproblem ist nicht, dass das Gas verloren geht, sondern dass es nicht entnommen werden kann, wenn es gewünscht und benötigt wird."

Drastischer Rückgang der Gasspeicherung in der Ukraine

Nach Angaben der Agentur Argus haben europäische Unternehmen in den Monaten Juni und Juli 2024 daher nur 15,4 Millionen und 51,9 Millionen Kubikmeter Gas in der Ukraine gespeichert. Im gleichen Zeitraum des Vorjahres waren es noch 102,7 Millionen und 586,6 Millionen Kubikmeter.

In der Theorie sind die EU-Länder auf andere als nur die eigenen Gasspeicher angewiesen. Die Gasspeicher in der EU bieten Platz für etwas mehr als 100 Milliarden Kubikmeter Erdgas. Der Verbrauch betrug im Jahr 2021 allerdings rund 400 Milliarden Kubikmeter. Ein Jahr später waren es mehr als 340 Milliarden Kubikmeter.

Finanzielle Auswirkungen für die Ukraine

Sollte im Winter weniger Gas nach Europa geliefert werden, als dort verbraucht wird, müssten die Speicher angezapft werden, was im Ernstfall auch zu steigenden Gaspreisen führen könnte. Das Sicherheitsrisiko hat nun dazu geführt, dass die Speicher in der Ukraine kaum genutzt werden, obwohl die heimischen Speicher bereits zu 86 Prozent gefüllt sind.

Was für die Europäer nur ein erhöhtes Risiko darstellt, reißt in die Kassen des vom Krieg zerrütteten Landes ein tiefes Loch. Ein ranghoher EU-Beamter schätzte die fehlenden Einnahmen laut FT auf rund 200 Millionen Euro.

Preisunterschiede als zusätzlicher Faktor für geringe Nachfrage

Ein weiterer Grund ist, dass die lukrativen Preisunterschiede des letzten Jahres praktisch verschwunden sind. Im vergangenen Jahr profitierten die Händler oft von mehr als 20 Euro pro Megawattstunde Differenz zwischen Sommer- und Winterpreis, indem sie billiges Sommergas in der Ukraine speicherten. In diesem Jahr beträgt die Differenz laut Argus, einer Agentur für Preisberichte, nur noch rund 5 Euro pro Megawattstunde, so die FT.

"Die Preisdifferenz ist nicht attraktiv genug, um das Risiko zu rechtfertigen, Gas in ein Kriegsgebiet zu liefern", resümiert Axpo-Manager Saalfrank. Gespräche der EU mit Banken über eine Versicherung des Kriegsrisikos bei Gasspeichern in der Ukraine sind laut dem EU-Beamten inzwischen ins Stocken geraten.