Europas Panzer-Milliarden: Aufrüstung in die Vergangenheit?

Foto: Corona Borealis Studio / shutterstock.com

Trotz Drohnen-Dominanz und moderner Kriegsführung investieren europäische Staaten Milliarden in Panzer – eine Strategie, die bereits überholt sein könnte. Analyse.

Das Video ist bemerkenswert: Eine handelsübliche Drohne nähert sich einem mexikanischen Armeekonvoi, lässt eine Sprengladung fallen, trifft mehrere Armeeangehörige und verschwindet unbehelligt.

Dieses knapp dreieinhalb Minuten lange Video aus dem Bundesstaat Tamaulipas dokumentiert mehr als nur einen weiteren Angriff eines Drogenkartells auf reguläre Streitkräfte. Es zeigt eine fundamentale Veränderung der Kriegsführung, die sich zeitgleich auch tausendfach in der Ukraine vollzieht.

Die neue Bedrohung

Denn auf dem Video wird deutlich, was mittlerweile alle modernen Armeen erleben müssen: Gegen die neue Bedrohung kleiner Drohnen sind selbst gut ausgerüstete Streitkräfte weitgehend machtlos. Diese Schutzlosigkeit verbindet die mexikanische Armee mit den Streitkräften in der Ukraine, wo beide Seiten unter der wachsenden Dominanz der Drohnen leiden.

Drohnen: 66 Prozent aller Verluste an russischer Ausrüstung

66 Prozent aller Verluste an russischer Ausrüstung sollen im Januar auf das Konto ukrainischer Angriffsdrohnen verschiedener Typen gegangen sein. So steht es auf dem Facebook-Account des Oberkommandierenden der ukrainischen Streitkräfte, Oleksandr Syrskyj.

Die Zahlen lassen sich zwar nicht verifizieren, aber Dutzende Videos auf den einschlägigen Telegram-Kanälen könnten diese These bestätigen.

Viele Videos von zerstörten ukrainischen Panzern zirkulieren auch in der russischen Telegram-Sphäre, hier sind es vor allem die neuen Glasfaser-Drohnen, die erfolgreich Panzer bekämpfen.

Mittel der elektronischen Kriegsführung, um funkferngesteuerte Drohnen wirksam zu stören, sind bei beiden Konfliktparteien sehr weit entwickelt. Glasfaserkabel gesteuerte Drohnen können jedoch nicht mit diesen Mitteln bekämpft werden.

Beide Kriegsparteien geben bereits heute an, teilautonome Drohnen im Einsatz zu haben und an der vollständigen Autonomie zu arbeiten – eine Störung dieser Drohnen wäre, wie bei den per Glasfaserkabel gesteuerten Drohnen, nicht mehr möglich.

Der nächste Wendepunkt

Der Einsatz hunderttausender Drohnen über der Ukraine hat die Art der Kriegsführung bereits unwiderruflich verändert. Die Autonomisierung der Drohnenwaffe wird einen weiteren entscheidenden Wendepunkt in der Kriegsführung darstellen.

Schon jetzt ist zu erkennen, dass die Panzerwaffe in ihrer traditionellen Rolle, die sie seit dem Zweiten Weltkrieg innehatte, ausgedient hat.

Der Panzer fungierte als Durchbruchswaffe, die die feindlichen Linien durchbrechen und tief in feindliches Gebiet vordringen sollte. Daraus entwickelte sich in der Nato-Doktrin das Konzept des schweren Kampfpanzers mit hoher Feuerkraft, starker Panzerung und relativ guter Beweglichkeit.

Das Konzept in Schwierigkeiten

Seine Aufgabe war es, im Verbund mit der mechanisierten Infanterie den Vormarsch anzuführen, feindliche Panzerverbände zu bekämpfen und wichtige Geländepunkte einzunehmen. Insbesondere während des Kalten Krieges war die Vorstellung leitend, dass sich große Panzerverbände in der nordeuropäischen Tiefebene gegenüberstehen würden.

Dieses Konzept bestimmte maßgeblich die Entwicklung westlicher Kampfpanzer wie den Leopard 2 oder den amerikanischen M1 Abrams. Der Panzerkampf wurde als Duell verstanden, in dem Feuerkraft, Panzerung und Beweglichkeit die entscheidenden Faktoren waren.

Doch Drohnen, wie auch drohnengesteuerte Artillerie mit präzisionsgelenkter Munition und fortschrittliche mobile Panzerabwehrwaffen, verhindern nun die Entfaltung von großen Panzerverbänden.

Stattdessen sehen wir in der Regel nur einen einzigen Panzer, der einer kleinen Gruppe von fünf oder sechs gepanzerten Mannschaftstransportern vorausfährt und eine Bresche durch den Minengürtel schlägt. Eine Manöverkriegsführung, in der Gruppen von Panzern selbstständig tief in feindlichem Gebiet operieren, ist durch die allgegenwärtigen Drohnen obsolet geworden.

Und doch bestellt Europa Panzer. Viele Panzer.

Gewaltige Investitionen in gepanzerte Fahrzeuge

Allen voran Italien: 1.000 Panzer des KF-41 Lynx Schützenpanzers in unterschiedlichen Konfigurationen und 380 KF-51 Panther Kampfpanzer will die Regierung in Rom laut Fachportal The Defence Post bei Rheinmetall bestellen.

Stimmen die Zahlen der Defence Post, die sich ihrerseits auf Informationen des Fachmagazins Army Recognition stützt, so werden offenbar um die 30 Milliarden Euro in gepanzerte Fahrzeuge investiert.

Eine Produktion ist in Italien mit dort 60 Prozent Wertschöpfung geplant. Damit entsteht in Europa wieder die erste Kampfpanzerfabrik außerhalb Deutschlands.

Spanien plant den Kauf von Leopard-2-Panzern in der neuesten Version und eine Kampfwertsteigerung der bestehenden Fahrzeuge, zudem Schützenpanzer und weitere gepanzerte Fahrzeuge. Sollten alle Vorhaben umgesetzt werden, wären dies 2.300 gepanzerte Fahrzeuge für geschätzt um die 16 Milliarden Euro.

Das berichtet der Youtube-Kanal Panzer-Universum. Vom Handelsblatt stammt die Information, dass Deutschland bis zu 1.000 Patria-Schützenpanzer aus Finnland zu bestellen beabsichtigt.

Weitere europäische Bestellungen und Panzerfahrzeuge im Zulauf listet das österreichische Portal Militär Aktuell auf.

Polen ist bei den Neubestellungen ebenfalls weit vorne, das Land gibt etwa zehn Milliarden Euro für rund 1.000 K2 Black Panther (Südkorea) und knapp fünf Milliarden Euro für 250 Abrams-Panzer (USA) aus.

Fundamentales Problem No 1: Die Kostenspirale

Diese gewaltigen Investitionen in gepanzerte Fahrzeuge werfen grundlegende Fragen auf. Nicht nur die politische Dimension – dass ein derartiger Aufrüstungsschub das Risiko einer militärischen Eskalation in Europa erhöht – verdient kritische Betrachtung.

Vor allem aus militärischer Perspektive offenbaren sich zwei fundamentale Probleme, die den gesamten europäischen Rüstungskurs infrage stellen.

Das erste Problem ist die Kostenspirale, in die sich die europäischen Staaten durch ihre Abhängigkeit von der privatwirtschaftlich organisierten Rüstungsindustrie begeben.

Eines der besten Beispiele für aus dem Ruder laufende Beschaffungskosten ist der Skyranger von Rheinmetall. Das System ist ein Flugabwehrpanzer, ein Nachfolger des Gepard.

Deutschland hat bereits 19 GTK Boxer Skyranger für 595 Millionen bestellt, und das ergibt dann rund 31,3 Millionen Euro pro Stück. 30 weitere sind als Option vereinbart.

Noch bemerkenswertere Preise zahlt die niederländische Armee: Hier kostet ein einziges Fahrzeug knapp 60 Millionen Euro, wie die Defence News berichtet.

Interessant ist in dem Zusammenhang, sich die Frage zu stellen, wo diese Handvoll Flugabwehrpanzer denn in Deutschland oder in den Niederlanden verteilt werden sollen. Nur vor einem halben Dutzend Kohlekraftwerken?

Oder etwa vor einem Dutzend Industriebetriebe? Oder ausschließlich in Berlin und Den Haag, wo diese vielleicht alle zusammen die jeweiligen Regierungsviertel schützen könnten?

Weiter kostet der Schützenpanzer Lynx für Italien mehr als 15 Millionen Euro pro Stück, der Kampfpanzer Panther um die 26 Millionen Euro.

Zum Vergleich: Russland zahlt nach Forbes für einen modernen Kampfpanzer T-90M etwa 4,5 Millionen Dollar – während ein einzelner Panther mit 26 Millionen Euro zu Buche schlägt, also mehr als dem Fünffachen.

Ein ähnlich drastisches Missverhältnis zeigt sich bei den Schützenpanzern: Der russische BMP-3 kostet zwischen zwei Millionen US-Dollar in der einfachen Version und 5,3 Millionen US-Dollar in der modernsten Ausführung – ein Bruchteil der europäischen Beschaffungskosten.

Auch Preise anderer panzerherstellender Nationen ließen sich zum Vergleich heranziehen. Es würde sich zeigen: Europa ist weltweit führend – bei den Produktionskosten gepanzerter Fahrzeuge.

Interessant ist dabei, dass das marktwirtschaftliche Modell ganz offensichtlich dem gemeinwohlorientierten, also in Staatshand sich befindlichen Wirtschaftsbetrieben klar unterlegen ist.

Zudem zeigt sich: wenn man tatsächlich aufrüsten möchte, dann macht es natürlich keinen Sinn, mit Prozentbeträgen vom Bruttosozialprodukt aufzurüsten, ohne Fähigkeiten zu definieren. Die reine Prozentsummenfixierung ist der feuchte Traum einer privatwirtschaftlichen, monopolistisch strukturierten Kriegsindustrie.

Fundamentales Problem No 2: Die kriegstechnische Relevanz

Das zweite gravierende Problem dieses europäischen Panzerregens ist die Möglichkeit, dass Panzer bereits in sehr kurzer Zeit eine Waffengattung darstellen, die auf dem modernen Schlachtfeld keine Relevanz mehr hat.

Zwar befinden sich etliche europäische Panzerbestellungen bereits im Zulauf zu den Armeen, doch beispielsweise plant Italien mit einem echten Produktionshochlauf erst ab 2029.

Aber dann dürften die Panzer kaum mehr den Erfordernissen des modernen Gefechtsfeldes entsprechen. Die technologische Entwicklung läuft den Panzerbestellungen bereits jetzt schon davon. In wenigen Jahren werden KI-gesteuerte Drohnenschwärme, besonders aus kleinen FPV-Drohnen, zur militärischen Realität.

Diese werden sich selbst koordinieren und Panzerverbände wirksam bekämpfen können. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird diese Technologie 2029 – wenn Italiens Panzerproduktion erst richtig anläuft – bereits ausgereift sein.

Die Entwicklung der Drohnenabwehr

Allerdings ist noch nicht klar, wie sich die Drohnenabwehr zu Beginn des Hochlaufs der europäischen Panzerproduktion entwickeln wird, sodass man optimistisch davon ausgehen könnte, dass Drohnenabwehrsysteme noch nachgerüstet werden können.

Denn bisher gibt es keine überzeugende Drohnenabwehr. Die Frage wäre allerdings, ob dies in den Lieferverträgen enthalten ist oder ob die Kosten dann weiter steigen würden.

Die nachträgliche Integration von Drohnenabwehrsystemen stößt dabei auf ein klassisches Dilemma moderner Panzerentwicklung: Die Fahrzeuge sind bereits im Grundzustand so schwer, dass zusätzliche Schutzsysteme die Mobilität kritisch einschränken würden.

Abstandsaktive Systeme wie das israelische APS "Trophy" haben sich im Palästinakrieg gegen Drohnen als nicht performant erwiesen, obwohl der Hersteller die Wirksamkeit gegen Drohnen herausstreicht. Die israelische Armee ist mittlerweile zur russischen Schutzvariante übergegangen und stattet ihre Panzer mit Metallkäfigen aus.

Damit hinkt Europa gleich in zweifacher Weise Russland hinterher. Denn zum einen ist mit dem Armata bereits seit Jahren ein Serienfahrzeug der neuesten Panzergeneration verfügbar. Erst der Leopard 3 wird hier einen technischen Gleichstand erreichen können.

Und zum anderen scheint die Idee einer Großserienfertigung des Armatas bereits wieder verworfen worden zu sein, und zwar möglicherweise aufgrund der Erfahrungen des Ukraine-Kriegs. Es kann spekuliert werden, dass Russland in Zukunft nicht mehr auf den Formfaktor Hauptkampfpanzer setzen wird. Zumindest scheint die russische Armata nicht weiter mit einem großen Ressourcenbudget bedacht zu werden.

Während Europa also auf teure Hochtechnologie setzt, geht Russland offenbar einen anderen Weg, der auf den ersten Blick rückwärtsgewandt erscheint, der sich jedoch auch als eine zukunftsorientierte Strategie erweisen könnte.

Die schon vergangene Zukunft der Hightech-Kampfpanzer?

Statt im großen Stil neue, moderne Panzer in Auftrag zu geben, arbeitet Russland offenbar die rostigen Altbestände auf, die tatsächlich teilweise bis in die 1950er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts zurückgehen.

Das wird von westlichen Militärbeobachtern gerne verwechselt mit dem Wunsch, hier eine Wirksamkeit westlicher Sanktionen zu entdecken, die den russischen Neupanzerbau behindern, oder es wird mit einem Mangel an Arbeitskräften erklärt.

Vorstellbar wäre aber auch, dass das russische Vorgehen möglicherweise aus einer Analyse des Kriegsbetriebes erfolgt, in der nüchtern die bestehenden Ressourcen mit den materiellen Erfordernissen des Kampfbetriebes abgeglichen werden.

Dabei könnte sich herausstellen, dass selbst ein moderner Hightech-Kampfpanzer, dessen Grundentwurf aus einer nach heutigen Maßstäben militärischen Vorzeit stammt, nur unwesentlich hilfreicher ist als ein kampfwertgesteigertes Kampfpanzermodell aus den 1950er-Jahren.

In diesem Licht wäre die Strategie Russlands, den rostigen Altkampfpanzerbestand improvisatorisch unter Verwendung relativ wenige Ressourcen an die Erfordernisse des modernen Gefechtsfeldes anzupassen, keine Verzweiflungshandlung.

Auf andere Art formuliert: Deutschland setzt auf die Entwicklung den kostenintensiven Leopard-3-Panzer als Brückenlösung zum künftigen Panzer MGCS, der 2040 einsatzbereit sein soll, während Russland 1950er-Jahre-Panzer als Brückentechnologie hin zu einer autonomen Drohnenstreitmacht nutzt. Welche Strategie sich als erfolgreicher erweisen wird, können Historiker erst in der Zukunft bewerten.

Zu ahnen ist nach Stand der Dinge eine Entwicklung, die die brasilianische Militärbeobachterin Patricia Marins beschreibt:

Armeen, die in Schiffe und vor allem gepanzerte Fahrzeuge investieren, ohne die Entwicklungen in der Ukraine genau zu verfolgen, sind bereits veraltet.

Jeden Tag vergrößern sowohl die russische als auch die ukrainische Armee diese Diskrepanz mit anderen Streitkräften, nicht nur beim Einsatz von Drohnen, sondern auch bei der Flugabwehr und der Taktik des Vormarschs mit kleinen, hochmobilen Gruppen.

Patricia Marins